Fotografie vor 50 Jahren, und ich kleiner Knipser

Bericht zum Thema Medien

von  eiskimo

Was ist aus Mona geworden, der Dänin? Aus den Schwedinnen Karen., Eva, Irja und Barbara? Aus der Schweizerin Heidi und der Französin Pauline?
Sie alle haben mein Alter. Sie alle posierten damals, 1969 und 1970 in Paris, in Ramatuelle und im Club Med von Agadir für den neuen Star-Fotografen der 70er Jahre, David Hamilton.
Sein Markenzeichen: Diese knabenhaften Schönheiten, gerade mal 18 Jahre alt, in diffuses Licht zu rücken und in blümchenhaften Dekors per Weichzeichner abzulichten. Leicht oder gar nicht bekleidet, versprühten dieser Engelhaar-Figuren nicht nur viel zarte Poesie, sondern auch reichlich Erotisches.
Ich mochte diesen David Hamilton nicht. Ich verabscheute seine kitschige Bildersprache, fand diese falsche Romantik auch unprofessionell. Denn der Mann arbeite mit einer simplen Minolta-Spiegelreflex-Kamera und mit vergleichsweise minderwertigen Optiken – was ihn zudem gar nicht störte. Seine Aufmerksamkeit galt nicht der Technik, wie er freimutig bekannte , sondern dem Casten der perfekten Mädchen. Die machten seine Bilder aus....
Ich hatte mich damals ganz der Fotografie verschrieben, einer anspruchsvollen, politisch engagierten Fotografie.Meine Helden waren Reporter, die in die Krisengebiete dieser Zeit reisten, mit kugelsicheren Westen und extrem belastbarem Gerät: Leica M4, Canon F1 oder Nikon AF.
Statt bonbonfarbener Girlie-Fotos und Pfirsichhaut schwebten mir Fotos vor in hartem Schwarz-Weiß, die schonungslos die Misshandlungen und Narben jener Jahre zeigten.
Denn das stand für mich damals fest: Fotos hatten eine enorme Massenwirksamkeit, sie konnten die politische Meinungsbildung massiv beeinflussen, die Schönfärberei der Politiker entlarven und die unbequeme Wahrheit ans Tageslicht befördern.
Ein Hilmar Pabel tat das mit seinen Reportagen, wo er zum Beispiel die Niederschlagung des Prager Frühlings durch sowjetische Einheiten  hautnah dokumentierte. So einer wäre ich gern geworden.
Aber wer bekam im „Stern“ , bei „Paris-Match“ oder „Twen“ mehr Platz und deutlich mehr Resonanz: Ein David Hamilton.
Ich bin kein Kriegsberichterstatter, kein Front-Fotograf geworden. Ich habe gelernt, dass auch die verwegensten Reporter – selbst, wenn sie die brutalsten Fotos aus den Kampfgebieten in die Redaktionsstuben sendeten – den Lauf der Geschichte nicht wesentlich verändern konnten. Im Gegenteil: Vielleicht haben sie uns, die wir dann hinter dem warmen Kamin ihre fürchterlichen Bilder wahrnehmen konnten, nur abgestumpft?
Darum wird meine Eingangsfrage, was denn aus den androgynen Models dieses Herren Hamilton geworden ist, für viele die viel spannendere sein. Deren Karriere und heutigen Lebenswandel zu recherchieren, daraus eine berührende Home-Story zu machen, noch einmal die zarten Romantic-Girls von damals ins Licht zu holen und sie als welkende 70jährige daneben zu stellen, das hätte doch echt etwas Packendes. Endlich mal keine Kriegsbilder. Endlich ein schönes Frauenthema.  Etwas tiefer Gehendes. Auch fotografisch.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (18.08.20)
Ja, kümmer Dich doch mal drum. Wäre gespannt. LG

 Dieter_Rotmund (18.08.20)
Wieso sollten Fotografen den Lauf der Geschichte ändern wollen?

 eiskimo meinte dazu am 20.08.20:
Sie haben den Lauf der Geschichte verändert. Die USA z.B. haben den Vietnam-Krieg zu Hause verloren. Die Bilder aus dem Dschungel und von den verzweifelten, kaputten GIs zermürbten die US-Öffentlichjkeit. Filme und Fotos haben damals den "ehrenvollen" Rückzug der Vereinigten Staaten eingeläutet...

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 21.08.20:
Ja, aber war das die Intention der Fotografen?

 eiskimo schrieb daraufhin am 21.08.20:
Er zeigte, was er vor Ort gesehen hat. Kaputte Soldaten, die nicht wussten, wofür sie da ihr Leben lassen sollten... Die Generäle hätten diese erntlarvenden Fotos gerne verhindert.

 Thomas-Wiefelhaus (28.08.20)
Ich denke: Fotos können schon die Welt verändern, im Idealfall verbessern, aber heute werden sie oft manipuliert.
Welcher Ausschnitt wird gewählt? Usw.

Was natürlich auch die Welt verändern kann, ist die Sprache. Auch sie wurde in der Vergangenheit oft manipuliert, gekürzt oder falsch übersetzt. Das kann, wie die Geschichte zeigt, zu Kriegen führen (Beispiel Emser Depesche) , oder einen Atomwaffeneinsatz auslösen.

Wenn ich mich recht entsinne, hat Hamiliton damals Minderjährige fotografiert? Nach dem heutigen Jugendschutz eine Straftat?! Aber jugendschutz wurde damals sowieso oft klein geschrieben.

 eiskimo äußerte darauf am 29.08.20:
Danke für die vertiefenden WORTE - klar, Sprache ist wahrscheinlich noch "bewährter" in der Verdrehung unangenehmer Tatsachen....
Ein Bild sagt mehr als 1000 (krumme) Worte!
lG
Eiskimo
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