Maximillian

Erzählung zum Thema Depression

von  Mondscheinsonate

Der Maximillian hat sich aufgehängt, irgendwann, es war im Rausch. Aber, er war heroinabhängig, das wusste ich damals noch nicht, ich dachte, er wäre stets besoffen. So hatte er rechts neben dem Eisentor zu  unserem Haus ein Lampengeschäft, denn links war ja der Hermann, aber auf jeden Fall, das war sehr exklusiv und eigentlich waren niemals Menschen drinnen. Nach ihm zog eine Jungdesignerin ein und verkaufte dort ihre Kollektionen. Irgendwie absurd, eingeklemmt zwischen Herrn Bauers Gebäudereinigung und unserem Eisentor zu einer alten Welt. Nun ja, der Maximillian ging immer wieder mit meiner Mutter saufen, da saßen sie dann im Cafe Theo und fabulierten über Gott und die Welt. Die Renate war auch dabei und der Peter, der Bücher schrieb und aus Höflichkeit dem Verstorbenen gegenüber, nenne ich nicht seinen Nachnamen, obwohl, der Maximillian, die Renate und der Peter sind schon lange tot, sie haben sich alle zu Tode gesoffen, bis auf das Aufhängen, das ist ein starkes Stück und das ist so stark, dass es so war, dass ich den Maximillian aufgehängt fand, das heißt, ich fand ihn nicht, ich sah ihn eher, denn er hängte in der Mitte seines Geschäftes, die Auslage ließ den Blick zu, ich sah ihn hängen, es war fünf Uhr in der Früh, mein Hund hatte Durchfall, ich musste gehen, die Mutter war wieder einmal nicht da, also ging ich und da hing Maximillian in der Mitte, aber baumelte nicht, er hing nur da. Ich schrie so laut, so extrem laut, hörte nicht mehr auf zu schreien, so dass der Hund sich duckte, er dachte, ich schrie wegen ihm, aber ich schrie wegen Maximillian und man muss ihn sich wie Sigmund Freud in jungen Jahren vorstellen, so einen Bart hatte er und eine Nickelbrille, aber er hing da und hatte keine Brille auf, gar keine Brille, nur im weißen Hemd hing er und in der Unterhose, er hatte die Hose ausgezogen, hing er da und baumelte nicht, also, da schwenkte nichts, er hing nur und man konnte sein Gesicht sehen, sein erwürgtes Gesicht, das Gesicht, das man macht, wenn das Genick gebrochen ist, nein, das kann man nicht beschreiben, Maximillian hing auf jeden Fall und ich schrie.
Der Goldi kam gerade mit dem Auto und parkte sich ein, es war bald Zeit das Geschäft aufzusperren, er parkte sich ein und sah mich schreien, lief zu mir, sah, dass ich etwas anstarrte und schrie und so begann auch Goldi Maximillian anzustarren und er erstarrte, er wurde blass, er schrie dann nicht mehr, so fand er sich gleich wieder und drückte mein Gesicht an seine Brust, so stand ich mit einem an Goldis Brust gedrückten Gesicht, der Hund ganz nah an uns gedrückt, weil die Leine noch in meiner Hand war, aber ich bekam nichts mehr mit, das erzählte mir Goldi dann, denn ich bekam einfach nichts mehr mit und die Frau Bleicher von gegenüber, die riss das Fenster auf, wollte vorhin schon RUHE schreien, aber sie sah, da stimmte etwas nicht, sie sah es, weil sie sich weit aus dem Fenster beugte und rief die Polizei an, zur Sicherheit, man konnte nicht wissen, ob das Kind nicht jetzt verrückt geworden ist und sie rief die Polizei an und die kam auch mit Blaulicht und der Goldi machte eine Handbewegung zum Schaufenster und deutete den Polizisten, sie sollen auf das Kind Rücksicht nehmen, das Kind sei ganz verstört, da funkte die Polizei nach einer Rettung, nach einem Rettungswagen und der Feuerwehr, die das Geschäft aufbrechen sollten, das macht die Polizei nicht und sie stellten sich vor die Scheibe bis die Kollegen kamen und dann war alles voller Polizeiwägen und Rettung und Feuerwehr und ein Arzt kümmerte sich erst um Maximillian, aber da war nicht mehr viel da, wo er sich kümmern konnte, da füllte er nur Formulare aus, ja, das tat er und dann ging er zu mir, ich saß am Rand vom Rettungswagen, der Hund zu meinen Füßen, mein Hund war brav, und da redete der Arzt mit mir, fragte, wie es mir geht, aber ich bekam irgendwie nichts mit, schon, aber als ob es in weiter Ferne wäre, alles, so wirklich alles und da gab er mir eine Spritze und ein Sanitäter nahm den Hund, denn der Hund musste Gassi, der hatte Durchfall und der Hund machte zwischen den Autos und da gab er mir danach wieder die Leine und ich ging zurück ins Haus, da hinein, sperrte das Eisengittertor auf und ging hinein, war verschwunden, so wie Maximillian im Metallsarg verschwand. Da ging dann im Lampengeschäft das Licht aus.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (17.09.20)
Aus meiner Sicht: Perfekt!.
Ich mag diese umgangssprachliche, scheinbar aufgeregte Art des Schreibens, die trotzdem stets im vorgesehenen Rahmen bleibt.

:)

 Mondscheinsonate meinte dazu am 17.09.20:
Dankeschön! :)

 minze (17.09.20)
Es lebt sehr!das ist gut

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 17.09.20:
:-) Dankeschön!

 minze schrieb daraufhin am 18.09.20:
deine Alternative zu dem Licht aus ist spannend, jetzt wird mir der Bezug zum Lampengeschäft deutlicher. Allerdings wäre es subtiler, einfacher noch cooler meines Erachtens nach. Vielleicht nur
....sperrte das Eisengittertor auf und ging hinein, war verschwunden, so wie Maximillian im Metallsarg verschwand

[...] und sah, dass die Lampen aus waren/gingen.

Also so als pompösen Abschlusssatz ist er mir fast etwas zu dramatisch, zu konstruiert, aber wie ich dich gelesen habe, wünscht du das diesem letzten Satz auch. Ich finde die Verbindung schöner und wirksamer, wenn sie weniger exponiert ist, gleichsam ist das Bild des verschwindenden Mädchens hinterm Eisentor für mich das Abschlussbild, wo die Lampen nur die Nebenbeleuchtung wären/sind.
Nur mein persönlicher Leseeindruck.
LG

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 18.09.20:
Ja, aber auch der Satz bei der Designerin, dass da das Alte ist, wirkt schützend. Bei Max gingen die Lichter endgültig aus. Da ist mir das zu zeigen schon sehr wichtig.

 minze ergänzte dazu am 18.09.20:
Alles klar.verstehe.

 ViktorVanHynthersin (17.09.20)
Da schließe ich mich meinen Vorschreiberinnen an.
Herzlichst
Viktor

 Mondscheinsonate meinte dazu am 17.09.20:
Ganz lieben Dank!

 idioma (17.09.20)
Das ist wirklich heftig liebe Mondscheinsonate !
Ein emotionaler Grenzgang entlang Abgründen, dennoch ganz UNübertrieben lapidar ehrlich und authentisch erzählt.
Schon mit dem ersten Satz stürzt das Thema herein
so als wär es gerade jetzt soeben geschehn - - -
umso wirkungsvoller dieses " , irgendwann, " was dann genauere Angaben und gewisse Umwege und neues Ausholen und diverse Neuansätze ermöglicht, dies "starke Stück " Kindheitserinnerung zu erzählen. Die Emotionen wirken sooo gegenwärtig, dass der Leser selbst gegenwärtig dabei ist und alles miterlebt und vor sich sieht.... und sie sind immernoch sooo stark, dass die Erzählerin erzählend wieder Kind wird und die Sprache das vollauromatisch widerspiegelt, indem die Sprache selbst kindlich wirkt mit den unbeholfenen holprigen Satzbruchstücken voller stotternder Wiederholungen und voll dieser kindlichen Panik angesichts der Reglosigkeit des Hängens, als wäre ein "Baumeln" wenigstens ein Rest von Leben, ein Trost gewesen.....das hilfsbedütftige Kindsein variiert und nochmals anrührend gespiegelt im ausgerechnet Durchfall-kranken Hund, für den das Kind aus trostlos traurigen Gründen sorgen musste...... Nur ein kurzes Satzbruchstück bricht mittendrin aus dem Kindsein aus : " man muss(te) sich ihn wie Sigmund Freud in jungen Jahren vorstellen, so einen Bart hatte er und eine Nickelbrille, aber er hing da und hatte keine Brille auf, gar keine Brille,......." ich plädiere deshalb an dieser Stelle für Präsens muss anstatt musste !
Unglaublich beschrieben das Auftauchen des "Goldi", der Nachbarin und der "Rettung"...... und das drohende "Verücktwerden" und "In-die-Ferne-Rücken" gespiegelt in der Sprache, indem nur noch vom "Kind" die Rede ist...... und erst dann, mit einer Spritze, kommt die Ich-Erzählung wieder zurück..........
Alles in allem einfach TOLL !!! viele viele weitere detaillierte Begründungen wären möglich aber müßig, deshalb Vollbremsung.
Nur der allerletzte Satz ist mir ganz unverständlich und unnötig. Das Verschwinden des Kindes hinterm Eisengittertor und das Verschwinden des Maximillian im Metallsarg wäre meiner Meinung nach der viel stärkere Schluss : beide "Verschwinden" gleich metallisch kalt und schier gleich mörderisch...............................
idi

 idioma meinte dazu am 17.09.20:
PS doch noch ein Satz mit Frage ( er oder ich ? )
und mit Vorschlag (auch) :
"Der Goldi kam gerade mit dem Auto und parkte sich ein, es war bald Zeit das Geschäft aufzusperren, er parkte sich ein und sah mich schreien, lief zu mir, sah, dass ich etwas anstarrte und schrie und so begann auch Goldi Maximillian anzustarren und er erstarrte, er wurde blass, er (er??? >> ich !!!) schrie dann nicht mehr, so fand er sich gleich wieder und drückte mein Gesicht an seine Brust, so stand ich mit einem an Goldis Brust gedrückten Gesicht, (auch) der Hund ganz nah an uns gedrückt, weil die Leine noch in meiner Hand war,"

 Dieter_Rotmund (17.09.20)
Bei aller Begeisterung möchte ich dennoch anmerken, dass das Thema "Drepression" extrem überrepräsentiert ist bei kV (warum auch immer). Dies nur am Rande.

 idioma meinte dazu am 17.09.20:
ganz einfach das eigentliche Urbedürfnis schlechthin,
weise verkörpert in Orpheus, der seine Trauer singt....
Lustig ist leicht und kennt außer Lyrik noch viele Ventile,
nur mit der Traurigkeit war und ist´s halt immer difficile...
idi

 Mondscheinsonate meinte dazu am 17.09.20:
Oder, weil Maximillian sich wegen Depressionen umgebracht hat, warum das die anderen angeben, weiß ich nicht.

Danke Idi, habe das Präsens gewählt. Ganz herzlichen Dank für deine tolle Kritik.
Nun, der letzte Abschnitt ist aber wichtig, wenn das Kind zurückgeht, so ist sie behütet, siehe oben den Satz bei der jungen Designerin, von der alten Zeit. Max hatte ein Lampengeschäft, was glaubst du, ist da? Da brennt immer Licht, er hatte seinen letzten Auftritt. Das Leben ist eine Bühne, idi, wenn man abtritt, gehen die Lichter aus.

Antwort geändert am 17.09.2020 um 13:57 Uhr

 idioma meinte dazu am 17.09.20:
Danke für die Erklärung !
Tatsächlich hab tatsächlich am Ende nicht mehr ans Lampengeschäft gedacht und deshalb nicht geschaltet....
idi

 Mondscheinsonate meinte dazu am 17.09.20:
Dein Kommentar ist herzallerliebst passend.
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