Julia

Erzählung zum Thema Aktuelles

von  Mondscheinsonate

Und das Wetter war gleich wie vor acht Jahren, genau dasselbe Wetter, da lag meine Schwester in den Wehen, sie lag da, der Schweiß hing in kleinen Tropfen auf ihrer Stirn, ich tupfte ihn mit einem Tuch immer wieder ab und sie schrie nie, nein, niemals, wimmerte still in sich hinein, war nicht in der Realität, wimmerte sich in eine andere Welt, während ich acht Stunden lang tupfte und immer wieder tupfte, neben mir der Herzmonitor für das Kind, der schnelle Geräusche von sich gab. Hie und da ging ich hinaus ins Freie, einfach Luft schnappen, acht Stunden ohne Essen und wenig Trinken, ich war nervös, aber rauchte eine Zigarette in der Sonne. Vielleicht war es gemein zu denken, dass ich eine Geburt nicht sehen möchte, nein, ich wollte sie nicht sehen, konnte den Gedanken nicht ertragen, ich hatte Angst davor, allerdings wurden meine Gedanken erhört und es kam dann schließlich zu einem Kaiserschnitt. "Wollen Sie mit in den OP?" fragte mich die Ärztin. "NEIN!" sagte ich, nein, das wollte ich nicht. Ich saß weiter und zwar draußen, draußen vor der Türe und es waren die schlimmsten Minuten meines Lebens, ich hatte so Angst um meine Schwester, das kann ich nicht in Worte fassen, ganz und gar nicht, keine Ahnung wieso, es war so und dann öffnete sich die Türe und die Ärztin kam heraus mit einem Bündel Mensch, eine Decke in der meine kleine Nichte gehüllt war und sie war ein hässliches Kind, ein wirklich hässliches Baby, unwahrscheinlich hässlich, aber Liebe strömte durch meinen Körper, eine Liebe, die man nicht erklären kann, die ich nie zuvor gespürt habe, niemals, von der kleinen Zehenspitze zur Nasenspitze war Liebe da und ich sah das hässliche Baby an und musste weinen vor Glück, es überrollte mich das Glück und die Ärztin sagte, dass das Kind zur Beobachtung muss, die Nabelschnur war um den Hals gewickelt und ich folgte ihr auf die Babystation und sie legten sie unter Beobachtung. So saß ich verzückt und etwas besorgt bei meiner kleinen Nichte und starrte sie an, ja, ich sah die Hässlichkeit, aber für mich war sie das größte Glück und ich erzählte ihr von Gott und der Welt und alles was mir einfiel, hörte nicht mehr auf zu reden und dann erst fiel mir meine Schwester ein, das tat mir leid und ich konnte gar nicht weg von der Kleinen, aber ich musste. Meiner Schwester ging es gut, sie schlief, so ging ich um halb neun am Abend nachhause, vollgepumpt voll Glück, der schönsten Droge, die ich selten kannte, eigentlich fast gar nicht, nicht so ein Glück, nein, gar nicht, noch nie vorher gespürt.

Die Jahre vergingen und die kleine Maus wurde zur Schönheit, ihre blonden langen Haare sind gepflegt und ihre strahlend blauen Augen sehen mich stets verliebt an und ich bin auch ganz verliebt, so muss ich mich immer zusammenreißen, dass ich nicht allzu weich bin, denn das Kind wickelt mich stets um den kleinen Finger, zwischen uns ist eine große Liebe, eine wirklich große Liebe von der ersten Sekunde an. Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz!

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(18.09.20)
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 Mondscheinsonate meinte dazu am 18.09.20:
Lieb, aber du bist der Papa, ich die Tante. Ich war da wirklich froh, dass es ein Kaiserschnitt wurde.

 idioma (18.09.20)
SCHÖN !!!
Raffinierter Textbeginn
"wie vor acht Jahren, genau dasselbe Wetter"
und schließlich der knappe allerletzte Satz, der den ganzen Text zur Hymne auf den 8.Geburtstag macht !
Sehr schön !
Der große Textblock mit den dramatischen Erinnerungen und der kleinere Textblock für die Gegenwart ergeben ein klares Textbild.

Ja, wie gut, dass es ein Kaiserschnitt war.
Ich kannte einen kleinen Bub, der war schwer beschädigt, weil die Ärzte meinten : "Des kriegn wr ohne hin !"

Kommentar geändert am 18.09.2020 um 21:14 Uhr

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 18.09.20:
Danke! Sie ist mein größtes Glück!

 Willibald (18.09.20)
Die Atemlosiigkeit der Geschichte, der Blick und der verweigerte Blick auf das Kind, ie das Bewusstsein flutenden Bilder, die tanzenden Spiegelneutronen des Lesers, die Nabelschnurgedahr, die Mündlichkeut des Erzählens .....technische Register für eine beeindruckende Erzählung.
Wow.

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 18.09.20:
Merci!

 Dieter_Rotmund (31.03.23, 19:13)
Zum Schluss wieder mal arg sentimental, liebe MSS!

Bis "unwahrscheinlich hässlich" aber super!

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 31.03.23 um 19:39:
Beim Kind werd ich halt weich.
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