12 - In einem richtigen Leben

Erzählung zum Thema Beziehung

von  Moja

Der Sommer ging dem Ende entgegen. Elkes Situation hatte sich grundlegend verändert. Als in ihrer Firma über Entlassungen gemunkelt wurde, war sie zwar skeptisch gewesen, doch hoffte sie auf eine Weiterbeschäftigung. Dann wurde das Firmenkonto gesperrt. Und eines Tages stand sie unverhofft vor verschlossener Bürotür. Insolvenz. Von einem Tag zum anderen verlor sie ihre Arbeit. Sie meldete sich beim Jobcenter an. Sie hatte nun Zeit durch die Straßen zu gehen und nachzudenken. Fühl dich frei, sagte sie sich, du wirst durchkommen, auch wenn die Miete zum Jahresende erhöht wird, wenigstens die Wohnung wollte sie behalten. Die Gegend, durch die sie lief, erschien ihr heruntergekommen, nichts interessierte sie wirklich oder zog sie an, aber das Herumlaufen tat ihr gut. Sie wünschte sich, ihrem Leben einen Ruck zu geben und neu zu beginnen, vielleicht im Ausland. Zielgerichtet durchsuchte sie Stellenanzeigen und bewarb sich bei aussichtsreichen Unternehmen.

Keine zwei Monate waren vergangen, als Tariq begann, sie täglich anzurufen, unter dem Vorwand sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Er ging davon aus, dass ihre Beziehung weiterbestünde, und verlangte sie zu sehen. Sie sollte nur von ihm träumen, er wäre der einzige Mann in ihrem Leben. „So geht das nicht“, klagte er. Er wäre ein Mann, wenigstens einmal in der Woche wollte er sie treffen, er träume ständig von ihr. Genervt legte sie auf.
Am nächsten Tag rief er wieder an. Er hätte einen Brief erhalten, den er nicht verstünde. „Hör endlich auf, lass mich in Ruhe“, rief sie aufgebracht ins Telefon und brach das Gespräch ab.
Als Elke an diesem Tag nach Hause kam, hörte sie aus der gegenüberliegenden Wohnung laute Klänge arabischer Musik vermischt mit Trillern. Die Fenster standen weit offen. Rot, Türkis und Gold leuchteten die Kleider, die Frauen klatschten rhythmisch, mit erhobenen Armen bewegten sie sich tanzend im Kreis. Die Nachbarn feierten eine große Party. Freude überkam sie beim Zusehen und eine unbestimmte Sehnsucht. Unwillkürlich musste sie an Tariq denken, an seine Blicke und Worte. Worte, die betören, Gefühle erwecken, zum Träumen verleiten, gefährliche Worte. Er war ein Verführer, setzte seinen Charme gezielt ein. Die Magie schöner Worte, mit denen Herzen geöffnet werden, spottete sie über sich selbst und schlug sich die Gedanken gleich wieder aus dem Kopf.

Ihre Freundin Sabine saß am Fenster vor einer Mappe mit Unterlagen, sie wirkte blass und mürrisch, als Elke das Café betrat. Sie begrüßten sich und Elke bestellte Milchkaffee und versank im Polster. Sabine streute Zimt auf den Milchschaum und fragte nach Tariq. Elke bemerkte, wie sie ein Typ mit Rastalocken anstarrte, während die jungen Frauen an seiner Seite sich zum Kuchenbuffet entfernten. „Aus und vorbei“, sagte sie scheinbar gleichgültig. Der Rastamann zwinkerte Elke zu und grinste herüber. Die Freundin musterte sie kritisch. Als Elke in ihrer Verwirrung versuchte sich Sabine zu öffnen, die rechten Worte nicht fand, ihr Anliegen nicht klar formulieren konnte, erkannte sie den Ausdruck von Ungeduld und Ablehnung über das Gesicht der Freundin huschen. Elke nahm sich zusammen, sie bereute ihre unbedachten Äußerungen, überspielte ihre Traurigkeit und wechselte das Thema. „Wie läuft es bei dir?“ fragte sie. „Alles Ablehnungen“, sagte Sabine und schob ihr missmutig die Mappe zu. An ihrer Bewerbung feilte sie seit Wochen. Elke stellte die Tasse ab. „Heute Abend kommt er“, sagte Sabine leise. „Wer?“, fragte Elke und überflog ein Schreiben. „Er ist verheiratet. Und er weiß, was er will. Aber er sagt, er macht, was ich möchte.“ Sabine starrte in ihre Tasse und stöhnte. „Es ist spät. Ich bin zu müde für heute Abend, zu müde auch um abzusagen. Ich fühle mich nicht wohl.“ Elke legte das Blatt zur Seite. Der Rasta-Typ sah sie unverwandt an. Sie wollte nicht wissen, was der wollte und wandte sich brüsk ab. Überdrüssig rührte sie im Schaum. „Und was willst du?“ fragte Elke und blätterte in der Mappe. „Ach, hör doch schon auf, ich bin eben nicht gut drauf“, sagte Sabine und trank den letzten Schluck.

Als Elke nach Hause kam, rief Tariq an, er wollte sie unbedingt besuchen. Er war in Berlin, ganz in der Nähe. Sie höre sich krank an, behauptete er. Er wollte sofort für sie einkaufen gehen und kochen. „Ich brauche nichts. Ruf mich nicht mehr an“, sagte Elke müde und legte auf. Von da an nahm sie sich in Acht, wenn sie das Haus verließ.

Zwei Jahre später.
Elke hatte bald darauf eine anspruchsvolle Arbeit angenommen, die ihr andere Perspektiven eröffnete. Beruflich war sie häufig im Ausland unterwegs, sie fand neue Freunde, es ging ihr gut.
Eines Tages erhielt Elke einen Anruf von Tariq. Er lud sie zu seiner Hochzeitsfeier ein. Sie nahm die Mitteilung gelassen auf, aber nicht gleichgültig. Überrascht gratulierte sie ihm, die Einladung lehnte sie ab, sie würde nicht kommen, fügte sie hinzu.
„Meine junge Frau ist schwanger,“ sagte Tariq selbstzufrieden, „ich möchte dich wieder besuchen, wann passt es dir?“
Sie wusste genau, was er meinte. Er hatte es also geschafft! Jetzt, zumal mit einem Kind, konnte ihm niemand mehr etwas anhaben, überlegte sie kühl. „Überhaupt nicht. Nein!“, sagte Elke entschlossen, wünschte ihm Glück – und legte auf. 

(Auszug - Ende)

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (14.10.20)
Viel zu viel vorgekaut, nur sehr wenig dem Leser überlassen, es selbst zu entdecken/erkennen.

 FrankReich meinte dazu am 14.10.20:
Ha, Dieter, das dürfte dann doch endlich mal ein Text sein, den Du verstehst, also eigentlich kein Grund zur Beschwerde, nicht wahaar? 😂😂

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 14.10.20:
Tu' doch nicht so, als würdest DU das ganze hermertische Gelaber, das einem hier auf kV aufgetischt wird, verstehen.
In der Tat ist Mojas Text sehr unkryptisch. So unkryptisch wie ein Enid-Blyton-Jugendroman.

 Moja schrieb daraufhin am 15.10.20:
Kannst Du mir als Beispiel eine Stelle zeigen, die zu ausführlich beschrieben ist?

Moja

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 16.10.20:
Es ist nicht zu viel beschrieben, es ist zu viel vorgekaut, d.h. du lieferst die Wertungen für den dann entmündigten Leser gleich mit: "widerwillig", "gleichgültig", "verwegen", "unbedacht" usw.

 Moja ergänzte dazu am 16.10.20:
Danke, ein wichtiger Hinweis, damit kann ich etwas anfangen!

Gruß,
Moja

 AchterZwerg (14.10.20)
Liebe Moja,

mir erscheint dieses Ende schlüssig..
Die neue Errungenschaft soll stolz vorgeführt, nicht ohne ein unhörbares: Das hast du nun davon!

Herzlichst
der8.

 Moja meinte dazu am 15.10.20:
Lieber 8.,

Du nennst einen wichtigen Aspekt, der Stolz des Vaters. Heirat, Familie und Kinder sind Pflicht in seiner Kultur (Religion), daneben will er leben wie zuvor, nämlich frei. Die Heirat und das Kind garantieren ihm seine Aufenthaltsberechtigung. Ich bin mir unschlüssig, ob ich das genügend herausgearbeitet habe.
Aber erst einmal bin ich froh über das Ende und danke Dir für die Begleitung!

Liebe Grüße,
Moja

 Regina (14.10.20)
Jetzt müsste ich zurückblättern. War er nicht in der Heimat verheiratet?
Ja, Solche Hasardeure gibt's wie Sand am Meer.

 Moja meinte dazu am 15.10.20:
Ja, war er, Regina, er verließ Frau und Kinder aus Zwängen (Erpressung). Ich kenne zu viele Lügengeschichten, so dass ich seinen Hintergrund nicht weiter ausbaue, nur andeute, denn auch in der Realität erfährt man selten, wie es wirklich war.

Lieben Gruß,
Moja

 TassoTuwas (14.10.20)
Das ist das Ende und das ist ein Anfang!
Es war spannend geschrieben und mit viel Einblick in die weibliche Gefühlswelt
Liebe Grüße
TT.

 Moja meinte dazu am 15.10.20:
Du sagst es, Tasso, und ich bin froh, zum Ende gekommen zu sein.

Die Erzählung geht weiter, Tariq spielt keine Rolle mehr, war eher der Anstoß für Elke Familiengeheimnissen auf die Spur zu kommen und die Ursache ihrer Ängste zu verstehen, dieser Teil führt zurück in die Kriegszeit.

Vielen Dank fürs Lesen und Deine Kommentare
sei gegrüßt,
Moja

 franky (15.10.20)
Hi liebe Moja


Du hast den Spannungsbogen ganz toll zu Ende geführt.
Gerne gelesen und dafür 2*chen

Liebe Grüße von Franky

 Moja meinte dazu am 15.10.20:
Oh, danke, lieber Franky,
die Sternchen stecke ich mir gleich an!

Grüße Dich funkelnd & glitzernd
Moja

 monalisa (17.10.20)
Liebe Moja,
neben meiner Lieblings-KommentatorInnen- und Lieblings-AutorInnen-Liste führe ich noch eine To-do-Liste und da steht deine Erzählung mit Priorität 1A ganz oben 😊. Ich hatte so wenig Zeit in den letzten Tagen/Wochen und wollte doch mehr als eine flüchtig hingeworfene Notiz dalassen.
Auch wenn ich mich nur hier, in deinem letzten Abschnitt der Beziehungsgeschichte zwischen Tariq und Elke, zu Wort melde, habe ich doch jeden aufmerksam verfolgt. Es war mir ein Vergnügen, das Zusammentreffen verschiedener Welten in der von dir gezeichneten Vielschichtigkeit mitzuerleben. (Orient/Okzident, Mann/Frau, Asylwerber/Staatsbürgerin, Soziale Schichten, Sprachen, Berufswelten, Bildungsniveau ...) Ich denke, es ist dir sehr gut gelungen, all das mit wenigen Worten zu skizzieren und auch da und dort in üppigen Farben auszumalen, genau im richtigen Verhältnis!
Ich mag deine sorgfältig gewählte Sprache und den wohlüberlegten Aufbau bis hin zum Happy End, von dem man ahnt, dass es nur vorläufig ist. Natürlich fällt es mir viel leichter, mich in Elke einzufühlen und natürlich bin ich deshalb froh, dass sie sich von Tariq lösen konnte. Aber ich denke, dass du auch Tariq in deiner Beschreibung gerecht wirst. Rür uns ein bisschen schwierig zu verstehen, diese besitzergreifende, überschwängliche Liebe, die ihn streckenweise in die Nähe eines Stalkers rückt. Andererseits ist seine offen gelebte Emotionalität auch anziehend, seine Weichheit und Verletzlichkeit ...
Ich denke, dass deutlich genug wird, dass die Aufenthaltsbewilligung auch ein nicht unwesentlicher Grund für die Heirat ist, vielleicht sogar der Hauptanreiz.

Kurzum, ich finde deinen Mehrteiler sehr gelungen und kann jede einzelne Sequenz nur wärmstens empfehlen.

Liebe Grüße
mona

 Moja meinte dazu am 17.10.20:
Ich danke Dir sehr herzlich, liebe Mona,

dass Du Dir soviel Zeit genommen und Dich so eingehend mit meiner Erzählung beschäftigt hast, für Deine lobende Worte, das Einfühlen in die beiden Figuren und nicht zuletzt für Deine Weiterempfehlung!

Die Geschichte war bisher unveröffentlicht, das ist also meine erste Rückmeldung darauf - und bedeutet, dass ich weitermachen werde. Das ist ein gutes Gefühl!

Also, ganz liebe Grüße & Dank an Dich,
Moja

 EkkehartMittelberg (17.10.20)
Hallo Moja, nach dem ausgezeichneten Kommentar von Mona, dem ich in allen Punkten zustimme, gibt es nicht mehr viel zu sagen. Es bleibt aber eine wichtige Frage: Warum scheitert diese Beziehung, in der sich beide Partner eine Zeitlang attraktiv finden und auch bemüht sind, sich für die Seele des anderen zu öffnen. Durch deine behutsame Schilderung wird deutlich, dass die beiden an einer kulturellen Differenz (im Sinne von Unterschied) scheitern. Die wird immer spürbarer, ohne dass du die jeweils andere Kultur abwertest. Die behutsame Erzählung, die es dem Leser überlässt, zu der entscheidenden Erkenntnis zu kommen, macht für mich den besonderen Reiz deiner Erzählung aus.
Liebe Grüße
Ekki

 Moja meinte dazu am 17.10.20:
Lieber Ekki,
auch Dir herzlichen Dank für Dein geduldiges Lesen und Kommentieren, das ist ja schließlich auch ein ziemliches Stück Arbeit - und am PC lesen sich Texte nicht so leicht wie in einem Buch.

Ich hoffe trotz dieser Geschichte auf funktionierende binationale Partnerschaften in der Zukunft. Als grundlegende Voraussetzung sehe ich, dass eine Aufenthaltsgenehmigung nicht von einer Heirat abhängen darf, Zwänge wie Abhängigkeit voneinander und der daraus resultierende Druck würden wegfallen.

Dann hängt immer noch viel vom Zufall der Begegnung ab, von biografischen Prägungen, Wertvorstellungen, eigenen Erfahrungen, Erwartungen, der Art der Konfliktbewältigung, aber vor allem von der Ehrlichkeit und dem Vertrauen, dass daraus entwächst. Denn allein auf erotischer Anziehung lässt sich keine dauerhafte Partnerschaft aufbauen.

Herzlichst,
Moja

 harzgebirgler (18.10.20)
seine rechnung ging noch auf
trotz mehr schleppendem verlauf -
ihr instinkt, der trog sie nicht,
lebend voller zuversicht.

lg
harzgebirgler

 Moja meinte dazu am 19.10.20:
Komplikationen gab es zuhauf -
Harzgebirgler dichtet 'n Reim darauf.

Schönen Gruß + Dank,
frei & frank,

Moja
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