Von philosophischer Ehrfurcht und einem inneren moralischen Kompass

Essay zum Thema Gut und Böse

von  Bluebird


Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. (1. Mose 3,22)
Laut Bibel ist in uns Menschen das Wissen um gut und böse hineingelegt oder gewährt worden. Als eine Art göttlicher Kompass oder Maßstab, mit dem wir objektiv richtig zwischen gut und böse unterscheiden könn(t)en.
    Kein geringerer als der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) hat von dem moralischen Gesetz in unserem Innern geschrieben, das ihn zunehmend mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllen würde. Und dies ist im Grunde genommen nichts anderes als was auch Paulus meinte, wenn er  in seinem Brief an die römische Gemeinde schrieb: Denn wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz.  Sie beweisen damit, dass des Gesetzes Werk in ihr Herz geschrieben ist (Römer 2,14+15)
  Aber haben die Bibel, Paulus und Immanuel Kant wirklich Recht? Gibt es so einen objektiven inneren Maßstab, der uns hilft gut und böse voneinander zu unterscheiden?

In Zeiten, in denen Viele die Evolution für eine objektiv bewiesene Tatsache halten, müßte diese Überzeugung eines objektiven inneren Maßstabes von gut und böse in Abrede gestellt werden.
    Wie könnte es denn so etwas wie gut und böse überhaupt geben, wenn wir denn reine Naturprodukte wären? Dann wäre gut und böse bestenfalls Definitionsache und läge mehr oder weniger im Auge des jeweiligen Betrachters.
  Aber ist dem wirklich so? Wissen wir denn nicht objektiv gesichert, dass die Befreiung der Geiseln von Mogadischu gut und der Holocaust oder die Mansonmorde böse waren?
    Spüren wir denn nicht angesichts extremer Heldentaten oder abscheulicher Gräueltaten unseren inneren Kompass, der uns mit allergrößter Sicherheit die Dinge richtig beurteilen läßt?
    Das  es so etwas wie Nächstenliebe und Schuld wirklich gibt und nicht nur menschlichem Gefühl und Vereinbarung entspricht?

Ein Gedankenanstoß:
Wenn man ganz ehrlich ist, wird man einräumen müssen, dass sich Evolution und dieser innere moralische Kompass nicht unter einen Hut bringen lassen. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass dieser innere moralische Kompass, weit über unsere natürliche Existenz hinaus, auf eine höhere Gerechtigkeit hinweist.
    Wenn wir aber die Existenz dieser höheren Gerechtigkeit einräumen, ist es bis zum biblischen Gott nicht mehr weit. Denn wo anders als in der Bibel wird dieses Thema in solcher Ausführlichkeit und Präzision behandelt und durchdacht?
    Vielleicht ist das ja eine Anregung zum weiteren Nachdenken! Werden wir am Ende von Ehrfurcht und Bewunderung ergriffen wie seinerzeit der Philosoph Immanuel Kant! Wer weiß?

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (30.10.20)
Laut Bibel ist in uns Menschen das Wissen um gut und böse hineingelegt oder gewährt worden. Als eine Art göttlicher Kompass oder Maßstab, mit dem wir objektiv richtig zwischen gut und böse unterscheiden könn(t)en.
Gemäß meiner Bibelkenntnis war das keine Gabe Gottes, sondern die Verheißung der Versucherin, der Schlange: "Eritis sicut Deum, scientes bonum et malum." Deswegen hieß das verbotene Objekt ja auch „Baum der Erkenntnis“, nämlich von Gut und Böse. Gott wollte uns also dieses Wissen verwehren.
Müßte es dann nicht eher Teufelsgabe genannt werden (obgleich man die Schlange nicht ohne weiteres mit dem Gottseibeiuns identifizieren wollte)?

P.S.: Die Entstehung der Moral aus der Evolution untersucht die sog. Soziobiologie.

 Bluebird meinte dazu am 30.10.20:
Ja, gewünschte und gewährte "Gottesgleichheit" hat sich im Laufe der Geschichte durchaus als schwere Hyphothek erwiesen ... der Teufel verführte, aber Gott hatte den Baum der Erkenntnis vorher im Garten Eden plaziert.
In diesem Sinne:
Gottes Werk, des Teufels Beitrag und ein schwerer menschlicher Fehltritt

 Graeculus antwortete darauf am 30.10.20:
Gott hatte den Baum (als Versuchung?) gepflanzt und verboten. Deine Antwort beantwortet nicht meinen Einwand, daß die Stimme unseres Gewissens lt. biblischem Bericht nicht dank des Willens Gottes zu uns spricht, sondern als eingehaltenes Versprechen der Schlange.

Schon gar nicht erklärt sie die Paradoxie, die darin liegt, daß Gott uns etwas verbietet, uns das dazu erforderliche Wissen um Gut (erlaubt) und Böse (verboten) jedoch vorenthält. Wie soll man dann auch nur sein Gebot verstehen?

 Bluebird schrieb daraufhin am 30.10.20:
" Und Gott der HERR gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben. ( 1. Mose 2, 16+17)
"
Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, 5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist 1. Mose 3, 4+5).
Lassen wir mal außen vor, ob mit sterben auch sterblich gemeint gewesen sein könnte. Aber in der Tat kann man der Schlange zumindest bezüglich des zweiten Teiles nicht vorwerfen, dass sie gelogen hätte.
Allerdings wird man ihr wohl eine böse Absicht unterstellen dürfen, denke ich mal.

Und ansonsten:
Einfach den Worten Gottes zu glauben und zu gehorchen, hätte gereicht!

Antwort geändert am 30.10.2020 um 15:34 Uhr

 Graeculus äußerte darauf am 30.10.20:
Einfach den Worten Gottes zu glauben und zu gehorchen, hätte gereicht!
Das eben nicht, denn ohne die Kenntnis des Unterschiedes zwischen Gut und Böse hätte man den Befehl Gottes ja gar nicht verstehen können: es ist böse, von diesem Baum zu essen, und es ist gut, nicht von ihm zu essen.

Außerdem gehören keine große psychologischen Kenntnisse dazu, um zu wissen, daß es keinen sichereren Weg gibt, einen x-beliebigen Baum äußerst faszinierend zu machen, als ihn für tabu zu erklären.
Das ist für mich sonnenklar: der eigentliche Verführer in dieser Szene ist nicht die Schlange, sondern Gott.

Antwort geändert am 30.10.2020 um 18:20 Uhr

 Bluebird ergänzte dazu am 30.10.20:
Gehorsam setzt nicht unbedingt Verständnis /Einsicht voraus. Ich kann mich an ein Manöver erinnern, wo wir Befehle erhielten, die wir ausführten ohne zu verstehen, was eigentlich insgesamt vor sich ging.

Und denke mal an Kinder ... wenn da eine liebevolle Beziehung herrscht, gehorchen sie auch wenn sie nicht unbedingt den Sinn des Ganzen verstehen. Sie vertrauen einfach, dass es schon einen Sinn macht!
Gewiß, ein Verbot hat seinen Reiz, aber wie gesagt, in liebevollen Beziehungen wird man dem Reiz widerstehen können.
Ich denke, hätte die Schlange es direkt bei Adam versucht, wäre sie - möglicherweise - gescheitert. Denn der hatte zu dem Zeitpunkt schon jede Menge Gutes mit Gott erlebt. So etwas schützt ein wenig vor Versuchungen!

Nun gut, das ist nur ein Gedankenspiel. Eigentlich geht es ja darum, dass wir solch einen inneren Kompass nun mal haben und der ja irgendwie in uns hineingelangt sein muss

 Graeculus meinte dazu am 30.10.20:
Dieser innere Kompaß ist vorhanden. Woher stammt er? Biblisch (Buch Genesis) gesehen von der Schlange, kantisch ist es die Stimme der Vernunft in uns.
Bemerkenswerterweise sagen beide nicht: von Gott.

Das mit der Vernunft ist für einen Menschen der Aufklärungsepoche nicht überraschend, aber das, was Genesis dazu äußert, ist wahrhaft verblüffend. Gott verbietet uns, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, die Schlange empfiehlt es uns! Warum? Hast Du darüber einmal nachgedacht? Für mich war es schwer zu verstehen.

Übrigens meinte ich mit dem Verstehen eines Verbotes etwas ganz Simples, und das ist jedoch elementar: Gott sagt mir, daß es gut ist, X zu tun, und böse, Y zu tun.
Das zumindest, diesen Unterschied, muß jeder verstehen, der einen Befehl befolgen soll. Das mußtest Du auch als Soldat.
Warum es gut oder böse ist, das muß man in der Tat nicht verstehen.
Ich habe mich lediglich auf die elementare Einsicht beziehen wollen.

 Bluebird meinte dazu am 31.10.20:
Die menschlich Erkenntnis von gut und böse war eine "Fruchtwirkung", Der Fluch der bösen Tat, sozusagen.
Warum der Baum im Garten Eden überhaupt stand, wissen wir nicht. Da er aber von Gott geschaffen war, geht auch die spätere Fruchtwirkung auf Ihn zurück.
Die Verführung Evas war letztlich des Teufels Beitrag zum Ganzen

Das Kant mit dem "moralischen Gesetz in mir" die Vernunft gemeint haben könnte, würde ich bezweifeln wollen. Sollte es aber dennoch so sein, würde ich das als eine kantsche Fehlinterpretation bezeichnen wollen. Denn Vernunft hat etwas mit Verstand zu tun, und muss nicht unbedingt moralisch gebunden sein ...

Wenn Elisabeth I. ihre Schwester hinrichten ließ, so mag dies politisch gesehen eine vernünftige Handlung , moralisch gesehen aber doch eine eher zweifelhafte Tat gewesen sein.
Ersteres sagt uns der Verstand, Letzteres unser Gewissen!

 Graeculus meinte dazu am 31.10.20:
1. Zur Fruchtwirkung: Wenn ich ein Feuerzeug in der Wohnung liegen habe und meinen Kindern ausdrücklich verbiete, es zu benutzen, sie es aber (erwartbar) doch tun und damit einen schrecklichen Schaden anrichten, dann bin ich natürlich verantwortlich, das ist klar. Aber es war nicht meine Absicht, daß es so geschah.

2. Zu Kant: Da liegst Du völlig falsch. Vernunft ist bei Kant nicht Verstand, und Vernunft ist - in Form des kategorischen Imperativs - die Quelle der Moral:
"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde."
Der Sinn des "durch" ist schwierig zu verstehen und kann hier einmal vernachlässigt werden.
Auf Dein Beispiel bezogen, vertritt Elisabeth I. die Maxime: "Ich töte meine Schwester, wenn sie mir politisch hinderlich ist."
Als allgemeines Gesetz formuliert, hieße das: "Jeder darf seine Geschwister töten, wenn sie ihm (politisch) hinderlich sind." Oder noch abstrakter: "Jeder darf einen Menschen töten, wenn der ihm hinderlich ist."
Diese allgemeine Gesetz kann Elisabeth I. nicht bzw. nicht widerspruchsfrei wollen. Und zwar deshalb, weil dann auch sie selbst getötet werden dürfte, sofern sie ihrer Schwester/irgendeinem Menschen hinderlich ist.

Da sie das nicht will, müßte Elisabeth I. zwei einander widersprechende Regeln vertreten:
- Man darf seine Geschwister bzw. einen Menschen töten. (Diese Regel vertritt sie, sofern es in ihrem Interesse ist, einen Menschen zu töten.)
- Man darf seine Geschwister bzw. einen Menschen nicht töten. (Diese Regel vertritt sie, sofern sie das potentielle Opfer ist.)

Nach ihrem Prinzip, sich nicht zu widersprechen (ein logisch-vernünftiges Prinzip) muß Elisabeths eigene Vernunft (keine externe Instanz, kein Gott) ihr sagen, daß eine solche Maxime böse, weil zu einem Widerspruch führend, ist.
Das Kriterium (principium diiudicationis) für das, was böse ist, ist also rein vernünftig.

Ein anderes Beispiel: Muß man einem Menschen in Not helfen?
- Nein, sagst du, sofern du ein Egoist bist und den dafür notwendigen Aufwand scheust.
- Ja, sagst du, sofern du selber der Mensch in Not bist.
Und damit widersprichst du dir selber. Einen Widerspruch aber kann die Vernunft nicht gut heißen.

Ein Vorteil dieser rein vernünftigen Herleitung eines moralischen Prinzips besteht darin, daß es für alle Menschen in allen Kulturen und Epochen einsichtig ist (sofern sie überhaupt zu logischem Denken fähig sind), im Gegensatz z.B. zu religiösen Herleitungen, die immer von einem spezifischen und nicht allgemeingültigen Glauben abhängen.

(Kant vertritt - man erkennt es an dem erwähnten "durch" - den Standpunkt, daß die Vernunft auch das principium executionis, also der Beweggrund/das Motiv, eines guten Willens ist. Das zu erklären, ist hier wohl nicht der Platz.)

Eine geniale Sache ist das.

 Graeculus meinte dazu am 31.10.20:
Noch ein Nachtrag im Sinne Kants:

Gott und jede andere externe Instanz kann immer nur an unseren Egoismus appellieren: die Vorteile des Gehorsams, die Nachteile des Ungehorsams.
Kants Prinzip der Moral ist frei von Egoismus: Nicht daß Elisabeth I. sich mit einer bestimmten Maxime schadet, ist entscheidend, sondern daß sie sich selbst widerspricht.
Möglicherweise hat sie keinerlei Vorteil, vielmehr nur Nachteile davon, wenn sie ihre Schwester nicht tötet. Dennoch ist es moralisch geboten, nämlich vernünftig.

Und nochmal: Das ist nicht der Vernunftbegriff, von dem Du ausgehst. Für Dich ist Vernunft sowas wie Klugheit.

 loslosch (30.10.20)
selbst die nazis hatten einen inneren kompass. was das alles mit gottes willen zu tun hat, erschließt sich mir nicht. (allerdings hat himmler sich tgl. zweimal massieren lassen. stressabbau?)

gebote und verbote kennen sogar die schimpansen. sie beklauen einander. wenn einer eine beute verstecken will und merkt, dass er vom kollegen beobachtet wird, geht er weiter und tut so, als wolle er kein versteck anlegen.

 Graeculus meinte dazu am 30.10.20:
Die nichtmenschlichen Tiere kennen m.W. nur das "do ut des" sowie das simple Gebot "Du sollst dich nicht erwischen lassen!"
Nimmer (45) meinte dazu am 30.10.20:
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 Graeculus meinte dazu am 31.10.20:
Stimmt. Allerdings ist kooperatives Verhalten eine Variante des Eigennutzes (do ut des); von dort bis zu dem, was Religionen und Philosophie unter Moral verstehen, ist ein weiter Weg, an dem die Soziobiologen sich abarbeiten. Man denke nur an die in der Bergpredigt gebotene Feindesliebe oder die im Buddhismus empfohlene sexuelle Enthaltsamkeit, die man schwerlich (so meine Annahme) biologisch wird erklären können.
Nimmer (45) meinte dazu am 31.10.20:
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RufusThomas (20)
(01.11.20)
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