Spalierobst

Parabel zum Thema Maske

von  Quoth

Dieser Text ist Teil der Serie  Parabeln
An einer langen Betonmauer entlanglaufen ohne Ziel, nur den einen Gedanken im Kopf: Mein Projekt ist gut! Es passt genau in die Zeit und ist doch über sie erhaben. Eine Dreiecksgeschichte zwar, doch eine notwendige, ja, zwingende! Buridans Esel kann sich nicht entscheiden, welchen Heuhaufen er fressen soll – und verhungert. Mein Held kann sich nicht entscheiden, ob er der Tugend oder der Wollust den Vorzug gibt, der Tugend möchte er das Kleid vom Leib reißen und die Wollust darin verhüllen … Und die Verkapselung in das Peru des 17. Jahrhunderts ist ein genialer Schachzug, um die Zensur mattzusetzen! Jeder wird diese Maske durchschauen, nur die Zensur nicht, weil in der Zensur immer diejenigen mit den Tomaten auf den Augen landen. Die Maske ist zentrales Element aller Wahrhaftigkeit, deshalb ist mein Projekt auf schneidende Weise gut, und die Ablehnung, auf die es stößt, bestätigt es. Das Scheitern ist der höchste Triumph, Erfolglosigkeit das Mal des Siegers. Warum nimmt diese Mauer kein Ende? Ach, sie gefällt mir. Man sollte Spalierobst daran züchten!

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Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (02.11.20)
"Auf schneidende Weise gut!"
Ich mag es, wenn ich schon beim Lesen in Gedanken abdrifte, zwei Schritte vorwärts, einen zurück ... und genau das passiert mir bei deinem Text, egal, wie oft ich ihn lese.
Das Gleichnis mit Buridans Esel geht mir nicht aus dem Kopf, es ist Thema und (für mich) Erklärung für alles, was folgt. Dort, wo eine Entscheidung nicht möglich scheint, entscheide dich für etwas Schönes.
Und als Quintessenz lese ich die positive Sichtweise, die aus einer Entscheidungsnot sogar noch etwas (nun ja) Sinnvolles entstehen lässt: Spalierobst. Spalierobst, das die Kritiker erneut auf den Plan rufen wird, denn Spalierobst ist nur optisch ein Schmankerl - eigentlich (:-)) gibts das gar nicht ohne menschliche Eingriffe.
Ein, wie ich finde wundervolles Bild, das mir sehr zusagt, das sich fortsetzt wie eine Spirale.

Herzlichen Dank für diesen Genuss!

Lotta

 Quoth meinte dazu am 02.11.20:
Und danke Dir für Deine erlebten Gedanken, die angeregt zu haben ich immer noch verwundert bin. Gruß Quoth
Danke auch für Empfehlung und Wahl.

 EkkehartMittelberg (02.11.20)
Wenn deinSpalierobst weiter so gut schmeckt wie die erste Probe, werde ich weiter an der Mauer entlang laufen.
LG
Ekki

 Quoth antwortete darauf am 02.11.20:
Ist das eine Aufforderung, mehr davon zu liefern? Dürfte mir nicht so leicht fallen. Dank für Kommentar und Empfehlung.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 02.11.20:
ja, so ist es gemeint.

 Ralf_Renkking (02.11.20)
Nun ja, und wenn das Obst gegessen ist, eignet sich der Rest ja immer noch zum Spalier stehen, gesetzt den Fall, dass keine Sitzgelegenheit vorhanden ist. 🙃

Ciao, Frank

P. S.: Apropos Mauer und Spalier stehen. Dieser Text weckt schon eigenartige Assoziationen. Wie komme ich jetzt bloß auf Stuhlprobe? 😂

Kommentar geändert am 02.11.2020 um 10:01 Uhr

 Quoth äußerte darauf am 02.11.20:
Zur Darmkrebsvorsorge angeregt zu haben, wäre eine durchaus verdienstliche Nebenwirkung des Textes! Danke für Kommentar und Empfehlung! Gruß Quoth

 Lluviagata ergänzte dazu am 22.07.21:

 Dieter_Rotmund (02.11.20)
Flüssig geschrieben, aber ums was geht es denn?
" Verkapselung in das Peru des 17. Jahrhunderts " - da und an anderen Stellen im Text wird nur vage angedeutet, nichts ist konkret, d.h. der Textinhalt hängt in der Luft.

 Quoth meinte dazu am 02.11.20:
Ich fürchte, Buridans Esel konnte sich mal wieder nicht entscheiden: Konkretion und Abstraktion - beide sind doch gleich schön! Vielen Dank für den Kommentar!

 Songline (02.11.20)
Eine tolle Betonmauer, die solche Gedanken anregt. Ich lief per Kopfkino mit und flüsterte dem Helden zu: "Es geht auch beides."

Liebe Grüße
Song

 Quoth meinte dazu am 02.11.20:
Guter Einfall, Songline: Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch. Genau, nach diesem Prinzip wäre der Esel nicht verhungert!
Danke für Kommentar und Empfehlung! Gruß Quoth

 AchterZwerg (03.11.20)
Ein interessanter Text.
Ähnlich dem Spalierobst, das sich "rücksichtslos" seinen Weg sucht, sollte der Held beide (Tugend und Wollust) umranken und so die Mauern im Kopf zu Fall bringen.

Äscht nettä Einstand
:)

 Quoth meinte dazu am 04.11.20:
Hallo AchterZwerg, guter, weiblicher, monistischer Ratschlag, aber ich bin ein Freund von unauflöslichen Gegensätzen, zumindest in der Kunst. Alles andere wird leicht zum Kompromiss ... À propos Einstand: Ich bin doch schon fast zwei Monate hier! Danke für Kommentar und Empfehlung! Quoth

 Willibald (22.11.20)
Ich mag diesen Kurztext , sein Sprecher ist offensichtlich ein Autor, befangen im Gang an einer Mauer und in seinem Bewusstseinsstrom. Dann gibt es hier noch das Signal des realen, textexternen Autors: Parabel. Ein Signal, dass man die Position der Überschau einnehmen sollte als Leser. Und dann ein Exempel der besonderen Art genießen kann. Ein Dieterich für die Zeilen....

Sucht man man nun jenseits der so avisierten Parabel-Bildebene, findet man sich im Bewusstsein eines nicht allzu zuverlässigen Mannes . Ziemlich gewiss, dass er sich die schriftstellerische Situation halbbewusst bis illusionsverhaftet schönredet:

Das Projekt ist gut, Ein "genialer Schachzug"

Eine Maske für die Dreiecksgeschichte, die temporale Transformation in das Peru des 17. Jahrhunderts, funktioniert so, dass das Publikum die Maskierung als Spiel durchschaut, nicht aber die Zensur. Sie hat ja "Tomaten auf den Augen".

Die Ablehnung (durch die Verleger?) ist der Beleg für die Qualität des Projektes. Erfolglosigkeit das Mal des Siegers.

Die unendliche Länge der MAUER, an der der Protagonist und sein Bewusstseinsstrom vorbei läuft, die gewisse Ausweglosigkeit wird weggedeutet: Die Mauer gefällt, Ein Monument für Spalierobst.

So lässt sich denn im Deutungsspielraum, den der Text ausspielt, "das Mal des Siegers" nicht nur als Selbstbetrug lesen, sondern auch als das "Mal" dessen, der alles andere als ein Sieger ist. Die Triumphikonographie verlangt einen errungenen Triumph in dem, was man Realität nennt. Die Imagination ist der Illusion sehr nahe.

Aber gut, die Lesarten dieses Textes sind durchaus "mehrere". Und - diese Spitze sei unlauter und erlaubt - unser Dieter hat in seinem Bewusstsseinstrom nichts Falsches gemeint, als er im Stillen das Horazwort ventillierte: "Wohin soll
das wirre Zeug führen?"

greetse
ww

Kommentar geändert am 22.11.2020 um 21:06 Uhr

 Quoth meinte dazu am 23.11.20:
Vielen Dank, Willibald, so weiß ich bei Deiner Empfehlung doch, woran ich bin! Die Horazfrage finde ich bei Erasmus zitiert, aber auf welches "wirre Zeug" mag er sich bezogen haben? Wenn Du Vieleswisser das weißt, schreib's mir - vielleicht ist es mit meinem "wirren Zeug" (un)vergleichbar! Gruß Quoth

 Willibald meinte dazu am 23.11.20:
Ich vermute mal, Erasmus fasste so das Verdikt im Eingang der Ars Poetica zusammen (das wirre-wüste-absurde-gestückelte Lebewesen als Metapher für wirre Dichtung).
Und ich habe unseren Dieter diesen Erasmus dann fiktiv (!) zitieren lassen. Hier der Antike:

. HORATII FLACCI ARS POETICA

Humano capiti ceruicem pictor equinam
iungere si uelit et uarias inducere plumas
undique collatis membris, ut turpiter atrum
desinat in piscem mulier formosa superne,
spectatum admissi, risum teneatis, amici? 5
Credite, Pisones, isti tabulae fore librum
persimilem, cuius, uelut aegri somnia, uanae
fingentur species, ut nec pes nec caput uni
reddatur formae. "Pictoribus atque poetis
quidlibet audendi semper fuit aequa potestas." 10
Scimus, et hanc ueniam petimusque damusque uicissim,
sed non ut placidis coeant immitia, non ut
serpentes auibus geminentur, tigribus agni.

p.s.
Du siehst in der Spalierobstparabel plausible Lesarten jenseits der Ausflüchte und der Realitätsverkennung? Nun, hilfreich mag diese Art des Bilderstroms durchaus sein. Andererseits...

Antwort geändert am 23.11.2020 um 13:06 Uhr
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