Meine Klavierlehrer

Erzählung zum Thema Spiel(e)

von  EkkehartMittelberg

Meine Mutter glaubte, dass ich musikalisch sehr begabt sei und bemühte sich, mir im Alter von zehn Jahren professionellen Klavierunterricht zukommen zu lassen. Um es gleich vorwegzunehmen, ich war allenfalls mittelmäßig begabt und erkannte das bald selbst.  Deshalb wollte ich nur, dass mir das Klavierspielen persönlich Freude bereitete. An öffentliche Auftritte habe ich nie gedacht.  Ich hatte vier Klavierlehrer. Vielleicht ist es heute interessant zu hören, welche Methoden sie in den Fünfziger Jahren verfolgten.
Mein erster Lehrer war ein gütiger alter Herr, der den klangvollen Titel „Generalmusikdirektor“ führte. Seine Methoden waren sehr konventionell und weckten bei dem Knaben wenig Lust an den Übungen. Ich musste Tonleitern rauf und runter spielen und er legte mir bei den ersten Etuden ein 5-Markstück auf den Handrücken, das nicht hinunterfallen durfte. Die Etuden waren auf technische Perfektion abgestellt und überhaupt nicht angetan, die Lust eines Zehnjährigen am Klavierspiel zu wecken. Ich empfand damals zwei Melodien als große Auflockerung der Monotonie, die heute wohl jungen Menschen nur noch ein gelangweiltes Gähnen entlocken: von Johann Sebastian Bach: “Menuett G-Dur, Aus dem Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach“ und von Robert Schumann „Der fröhliche Landmann“. Da mich der alte Herr niemals schalt, wenn ich einmal weniger fleißig geübt hatte, ging ich ihm zuliebe brav zu seinen Klavierstunden, die aber bald aufhörten, weil er an einen anderen Ort versetzt wurde.
Sein Nachfolger leitete eine Musikschule. Es kann sein, dass unter seinen Schülern welche waren, die zu Hoffnungen Anlass gaben. Ich gehörte bestimmt nicht dazu. Er war völlig humorlos, beanstandete sofort jeden Fehler und lobte mich nie. Ich brauchte lange, mich umzugewöhnen, denn er wollte, dass ich die Handgelenke beim Spielen senkte und verstand nicht, dass es Zeit dauerte, bis die andere Gewohnheit der gehobenen Handrücken sich verloren hatte.
Er kam auch nicht auf die Idee, dass ein pubertierender Junge mal etwas Populäres spielen wollte.
Sein Programm bestand nur aus klassischen Sonatinen und Sonaten. Wegen seiner übertriebenen Strenge mischte sich Angst in meine Lustlosigkeit und ich war immer froh, wenn die Klavierstunden vorbei waren. Als er im Kollegenkreise eine despektierliche Äußerung über mich gemacht hatte, die meiner Mutter zugetragen wurde, beendete sie zu meiner großen Erleichterung diese quälenden Exercitien.
Mein dritter Klavierlehrer hatte schnell erkannt, dass in mir kein Franz Liszt steckte und dass es sinnvoller war, mich mit Vergnügen spielen zu lassen. Ich durfte meinerseits Vorschläge machen, welche Melodien wir einüben wollten. Aber er wäre wie seine Vorgänger nie auf die Idee gekommen, dass man auf dem Klavier tatsächlich auch Tanzmusik und Jazz spielen konnte und ich wagte das in den konservativen 50er Jahren nicht vorzuschlagen. Aber  immerhin machte mir der Klavierunterricht zum ersten Male Spaß, obwohl dieser joviale Lehrer meinen Ehrgeiz nicht anstachelte und ich auf der Stelle klimperte.
Inzwischen besuchte ich die Tanzstunde und wenn wir uns an den Wochenenden privat zum Tanzen trafen, war ich stolz wie Oskar, wenn ich auswendig einen der damals populären Schlager vorspielen konnte, den ich nach sehr teuren Noten einstudiert hatte.  Aber mein Repertoire war sehr begrenzt und ich musste passen, wenn ich aufgefordert wurde, etwas anderes zu spielen. Meine Mutter hatte endlich auch begriffen, dass ihr Sohnemann über Tanzmusik nicht hinauskommen würde und so beendeten wir in beiderseitigem Einvernehmen die kostspieligen Klavierstunden.
Jetzt dilettierte ich ein paar Jahre vor mich hin, aber mich wurmte, dass ich kaum etwas auswendig spielen konnte. Ich verdiente inzwischen selber Taschengeld mit Nachhilfestunden. Als ich hörte, dass es einen Klavierlehrer gäbe, der seinen Schülern beibrächte ohne Noten zu spielen, beschloss ich bei ihm Stunden zu nehmen und sie selbst zu bezahlen. Der kluge Mann ließ sich zunächst meine Erfahrungen mit seinen Vorgängern berichten und erkannte sofort, dass ich nur just for fun spielen wollte. Er schlug mir vor, mich in Hamonielehre zu unterrichten. Wie glücklich war ich, als ich schon nach kurzer Zeit fast alle mir bekannten Lieder und Schlager mit selbtgewählten Akkorden begleiten konnte. Die früher sturen Übungen verwandelten sich nun in Spiel und wenn ich jetzt die Vorlage von Noten nutzte, erfasste ich die Notenbilder auch viel schneller, weil ich die „Kompositionsgesetze“ erkannte. Meinem vierten Klavierlehrer blieb ich noch als Student, der seine Heimatstadt verlassen hatte, freundschaftlich verbunden.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (02.11.20)
Was man machen will, sollte das Wie eigentlich bestimmen. Aber manche Lehrer projizieren ihre Ambitionen zu sehr auf die Schüler.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.11.20:
Merci, Trekan, meine ersten Lehrer haben nur Disziplin gefordert. Spaß am Spiel war kein Kriterium.

 franky (02.11.20)
Hi lieber Ekki, das kommt mir, noch 10 Jahre zurückversetzt recht bekannt vor.
Die Lehrmethoden waren jedoch damals schon so, wie du sie beschreibst.

Herzliche Morgengrüße von Franky

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 02.11.20:
Grazie, ich freue mich über deine Zustimmung, Franky; denn ich weiß, dass du die "Richtigkeit" meiner Erinnerungen aufgrund von eigenen Erfahungen beurteilen kannst.
Herzliche Grüße zurück
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(02.11.20)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 02.11.20:
Vielen Dank Sigi, ja, eines der entscheidenden Themen meiner Erzählung ist die Motivation. Meine ersten beiden Klavierlehrer haben ihre Bedeutung nicht erkannt.
Herzliche Grüße
Ekki

 Moja (02.11.20)
Lieber Ekki,

ich finde es erstaunlich, dass Du trotz der langweiligen Lehrer Klavierspielen gelernt hast, vor allem zeigt Deine Geschichte, dass Du selbst genau wusstest, was Du wolltest, nur mit Freude kann man gut spielen. Ich klimpere gleich mal ein bisschen auf dem Akkordeon herum angeregt durch Deine Erinnerung.

Liebe Grüße,
Moja

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 02.11.20:
Merci, Moja, du hast es erkannt. Wenn ich nicht gewusst hätte, was ich wollte, hätte ich viel früher aufgegeben.
Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (02.11.20)
Hallo Ekki,
wieder einmal weckst du Erinnerungen
Man müsste Klavier spielen können, wer weiß das nicht?
Für ein Klavier reichte bei uns nicht aber für ein Akkordeon. Allerdings ist das auch keine große Hilfe, wenn der Sohn weder Lust noch Talent hat. Eine Tatsache, die für einen Violine und Tenorhorn spielenden Vater und eine vorzeigbare sopransingende Mutter schon eine herbe Enttäuschung war und zu der Frage führte, "Hat das Kind denn gar keine Talente"?
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 02.11.20:
Gracias, Tasso, schade, dass zu deiner Zeit noch nicht die Humoroline erfunden worden war. Auf der hättest du es sehr weit gebracht. :)
Herzliche Grüße
Ekki

 GastIltis (02.11.20)
Hallo Ekki,
ein wunderbarer Text, der mit der Weisheit und dem nötigen Abstand des Alters erkennen lässt, dass die Freude an der Musik nicht zum Leid und zum Unverständnis werden darf. Wie schön du die Unterschiede in der Bewertung des Lernens und der Begabung herausgearbeitet hast, ist schon bewegend. Ich kann dir da unbedingt folgen, da mir die Musik quasi auch in die Wiege gelegt worden ist (mein Urgroßvater mütterlicherseits war Barbier, Heilgehülfe und Musikus lt. Zeugnis von 1867) und die Musik hat mich mein Leben lang begleitet. Dass sie auch von Nutzen war, will ich mit zwei Beispielen belegen. Während der Lehrzeit spielten mein Freund Rolf K. und ich Akkordeon und waren so „Mitglied“ einer Musikgruppe. Damit entfiel für uns die Ausbildung bei der GST (Gesellschaft für Sport und Technik, eine Art Vorläufer der Kampfgruppe). Dass ich dabei Variationen über „Ein Männlein steht im Walde“ noch halbwegs gesanglich beherrsche, sei nur am Rande erwähnt. Und zweitens habe ich während meines späteren Abis im Chor gesungen und war damit wiederum von dieser Ausbildung befreit. Dass wir uns dabei erfolgreich um Werke von Händel bemüht haben, erwähne ich mit dem gleichen Stolz, mit dem der Chorleiter russische und polnische Volkslieder mit uns eingeübt hatte, die einen besonderen Klang ausstrahlten.
Und eine Kleinigkeit möchte ich nicht unerwähnt lassen. Währen der Lehrzeit haben wir Montags immer in der Werkhalle zum Wochenbeginn einige Lieder gesungen. Besonders in der Erinnerung sind „Hoch auf dem gelben Wagen“ und „Heut ist ein wunderschöner Tag“ haften geblieben.
Heute ist echt ein wunderschöner Tag, dank deines Textes, lieber Ekki.
Viele Grüße vom nach wie vor musikbegeisterten Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.11.20:
Besonderen Dank, lieber Gil, ich habe es immer beim Lesen deiner Lyrik gespürt, dass du ein musikbegeisterter Mensch bist. Wenn ich deine Erlebnisse lese, springt der Funke sogleich über. Eine kleine Anekdote möchte ich auch beisteuern. Ich habe mit Freunden in der Weihnachtszeit auf Vereinsfeiern Weihnachtslieder gespielt, u.a. auch auf einer Feier der Heimatvertriebenen, die die schon damals überwiegend bejahrt waren und glaubten, wenn sie andante sangen, das sei allegro vivace. Wir waren bei "Stille Nacht" schon bei "Schlaf in himmlischer Ruh" angekommen, als die noch beim holden Knaben im lockigen Haar waren .Wir haben uns dann an Gottes Sohn Owie erinnert, der bekanntlich lachte, und gemeinsam desgleichen getan.
Herzliche Grüße
Ekki

 harzgebirgler (02.11.20)
ich finde es bemerkenswert
daß du dich nicht gleich abgekehrt
hast nach dem ersten unterricht
und gesagt hast: aus, ende, schicht!

lg
henning

ps
Kleist sagt übrigens (und hätte das deinem ersten Klavierlehrer auch durchaus ins Stammbuch schreiben können): "Es ist so schwer, auf
ein menschliches Gemüt zu spielen und ihm seinen eigentümlichen Laut abzulocken, es verstimmt sich so leicht unter ungeschickten Händen...".

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.11.20:
Merci, Henning, ich staune immer wieder über deine vielseitige Bildung und bin froh, dass sie mir in deinen Kommentaren zugute kommt.
Beste Grüße
Ekki

 LottaManguetti (02.11.20)
Toller Text, Ekki! Inhaltlich und erzählerisch wertvoll!
Ich habe am Ende lächelnd genickt.
Schön, dass du dabei als Ich-Erzähler auftrittst.

Lotta

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.11.20:
Grazie, Lotta, ein Kompliment von dir erfreut mein Herz und spornt mich an.
Herzliche Grüße
Ekki
Agnete (66)
(02.11.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.11.20:
Merci, so ist es, Monika. Inzwischenm weiß ich, dass man von Lehrern nicht mehr erwarten sollte als von anderen Menschen auch.
LG
Ekki

 Regina (02.11.20)
Mit der Musik ist es wie mit jedem anderen Fach. Kommt man nicht weiter, ist schnell ein Schuldiger gefunden, der Lehrer nämlich. "Talent" ist auch eine etwas undefinierbare Qualität. Es heißt, Musiker zu werden bedeute 95% Arbeit und 5% Talent. Ich kenne Konzertpianisten, die durch eine ganze Reihe von Lehrern hindurchgegangen sind. Wenn sie bei dem einen nichts mehr lernten, nahmen sie den nächsten. Ihre intrinsische Motivation ließ sie nicht die Flinte ins Korn werfen. In Russland verfolgt man meistens von Anfang an eine professionelle Musikerausbildung mit großer Strenge und Zwang. Da kommen Perfektionisten heraus, die sich mit ihrer Kunst kaum identifizieren können, weil es niemals Spielfreude war. Im Westen mühen wir uns mit Motivationskasparei ohne die notwendige Disziplin, eine Transferfähigkeit der Musikausübung. In unseren Orchestern sitzen darum kaum noch deutsche Musiker, weil das nicht ausreichend gefördert wird. Stattdessen werden die Kinder am Computer fett. Dein letzter Klavierlehrer war wohl am geschicktesten, einen Kompromiss zwischen deiner Intention und der notwendigen Spieltechnik sowie der Harmonielehre zu finden. Es grüßt eine ehemalige Klavierlehrerin. LG Gina

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.11.20:
Hallo Gina, ich denke, dass du in allem recht hast. Ungeachtet dessen war es in meinem Falle so, dass ich nie nach meiner Motivation gefragt wurde. Ich wollte ja nur zu meiner eigenen Freude Klavier spielen.
Merci und LG
Ekki

 Didi.Costaire (02.11.20)
Eine klare Angelegenheit, wie sich zeigt, wenn man das Wort mal in seine Einzelteile zerlegt:

Kla 4 Lehrer

Schöne Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.11.20:
Spasibo, Didi, ich sagte es immer, es bleibt famos, Didis Ideen sind grenzenlos.
Schöne Grüße zurück
Ekki

 AchterZwerg meinte dazu am 03.11.20:
*lach

 AchterZwerg (03.11.20)
Wie schön, dass sich auch hier, trotz aller gut gemeinten Belehrungen, ein angeborenes Talent durchgesetzt hat: die Fähigkeit, mit Kunst Freude zu bereiten!

Liebe Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.11.20:
Merci, Lilith, das sehe ich auch so. Freude ist der Sinn aller Kunst.
Liebe Grüße
Ekki
Sätzer (77)
(03.11.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.11.20:
Danke, Uwe, wir wissen das.
LG
Ekki

 monalisa (03.11.20)
Lieber Ekki,
ich könnte mir vorstellen dass du vor allem deswegen durchgehalten hast:
"Man müsste Klavier spielen können, wer Klavier spielt hat Glück bei den Frauen.
Ich habe seinerzeit auch Stunden genommen, bin aber über den zweiten Lehrer nicht hinaus gekommen (der erste war stinklangweilig, der zweite ein Sadist, der mich bei jedem Fehler lächerlich gemacht hat). Das "Glück bei den Frauen" 😉 war dann für mich nicht Anreiz genug, das weiterhin über mich ergehen zu lassen. Schade eigentlich!
Hast du sehr anschaulich beschrieben und, wie man sieht, nicht nur bei mir alte Erinnerungen aufgerufen.

Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.11.20:
Merci, Mona, ich stelle mir erst jetzt ernsthaft die Frage, warum ich durchgehalten habe. Es war wohl das befreiende Gefühl psychischer und physischer Lockerung, das ich verspürte, wenn ich einfach nach meinem Gusto spielte. Darauf wollte ich nicht verzichten.
Ich danke dir sehr dafür, dass du mich mit deinen Kommentaren immer auf wesentliche Fragen führst.
Herzliche Grüße
Ekki
INS (55)
(03.11.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.11.20:
Vielen Dank, Ins. Du bist ein sehr wohlwollender Kommentator. Hoffemtlich bleibst du mir noch lange erhalten.
LG
Ekki

 AZU20 (05.11.20)
Unser Sohn ist uns heute noch böse, dass wir damals nicht die richtige Klavierlehrerin für ihn ausgewählt hatten. Nun steht das Klavier seit 20 Jahren ungenutzt bei uns im Wohnzmmer. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.11.20:
Danke, Armin, das ist sehr schade. Gibt es keinen Enkel oder Freund, der es bisweilen bespielen kann?
LG
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 05.11.20:
Mein ältester Enkel ist 5 Jahrer alt. Mal abwarten. LG
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