Vom Sehen und möglichen Gründen für ein Nichtsehen

Erörterung zum Thema Wahrnehmung

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)

Erstaunliche Gnade, wie süß der Klang,
Die einen armen Sünder wie mich errettete!
Ich war einst verloren, aber nun bin ich gefunden,
War blind, aber nun sehe ich. (1. Strophe aus "Amazing Grace")
Immer wieder berichten Menschen davon, dass sie Erfahrungen mit Jesus gemacht hätten. Das sie Dinge gesehen und erlebt hätten, die sie nicht anders als Sein Wirken oder Offenbaren interpretieren könnten. Schon seltsam, oder?

Wenn  nun Atheisten und eingefleischte Skeptiker  davon hören oder lesen, halten sie das in der Regerl für "Unsinn" oder "Einbildungen". Sind der Ansicht, dass da nichts zu sehen ist und wir Christen uns da was zusammenphantasieren würden, weil wir es halt gerne glauben wollen , dass es es so sei.
  Haben sie Recht oder entgeht ihnen da einfach etwas? Fehlen ihnen einfach nur entsprechende Erfahrungen und Einsichten?

Die Bibel sagt dazu, dass es für den natürlichen Menschen quasi unmöglich ist, Gottes Wirken und Handeln umfänglich zu erkennen. Man bekommt hier und da was Außergewöhnliches mit, aber insgesamt bleibt seltsam vage und verschwommen.
Woran könnte das liegen?
Laut Bibel trennen uns (normalerweise) unsere Sünden von Gott, ist unser Geist in Übertretungen und Sünden tot, haben wir keine funktionierenden Antennen für Gott.
Erst im Moment einer spirituellen Neugeburt, die sich vorgeblich in Bekehrung zu Jesus, Buße und Taufe vollzieht, erwacht der eigene Geist, werden die Antennen auf göttlichen Empfang gestellt. Erkennt man das Wirken Gottes voll umfänglich.

Gedankenimpuls:
Grau ist alle Theorie. Aber könnte es nicht doch sein, dass die hier die beschriebene Neugeburt den Unterschied macht, warum die einen etwas sehen/wahrnehmen, was die anderen nicht sehen/wahrnehmen können?

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (03.11.20)
Wie eigentlich immer tust Du so, als ob es Gotteserlebnisse und Wunder nur im Christentum (und allenfalls noch bei den Juden) gäbe.
Dem ist natürlich nicht so.
Das stellt das Problem der Erklärung solcher Erlebnisse auf eine ganz andere Grundlage, denn dann gilt nicht mehr: Naturalismus oder Jesus.

 Bluebird meinte dazu am 03.11.20:
Da hast du vollkommen Recht!
Dazu habe ich vor einiger Zeit mal in einem Video Stellung bezogen:  hier

 Graeculus antwortete darauf am 03.11.20:
Ich habe für mich den Gedanken noch fortgesetzt:

Der Gegensatz lautet Naturalismus/Physikalismus v. magisches Weltbild.
Innerhalb des magischen Weltbildes ist das Christentum eine Religion unter vielen, nichts Besonderes. Gotteserscheinungen und Wunder gibt es überall bzw. werden überall berichtet.

Das eigentlich Spezifische des Christentums ist a) die Ethik (wie Kant betont), b) die Menschwerdung Gottes (wie Hegel hervorhebt).
Man kann zu beidem stehen, wie man will, aber das findet man so leicht bei keiner anderen Religion.

Auffallend ist nun Deine Fokussierung gerade auf den Bereich, der am wenigsten typisch christlich ist: den magischen.
Warum?

 Graeculus schrieb daraufhin am 03.11.20:
Es gab und gibt natürlich immer Menschen, die von Gotteserscheinungen und Wundern fasziniert sind - warum das so ist, weiß ich nicht, aber es ist so.
Missionsstrategisch sollte man allerdings das Alleinstellungsmerkmal betonen, und das liegt eben nicht in den magischen Aspekten des Christentums.

 Bluebird äußerte darauf am 03.11.20:
Das Alleinstellungsmerkmal des Christentums ist natürlich die Erlösungslehre (Das Sühnopfer Jesu/freiwilliger Tod am Kreuz und Auferstehung am dritten Tage)
Dies ist beispielsweise für die Muslime eine Unvorstellbarkeit und wird im Koran ( ich meine in Sure 2) ausdrücklich abgelehnt!

Wenn ich also theologisch etwas betobe, dann diese Erlösungslehre. Aber wie sollte sie sich als richtig erweisen außer durch übernatürliche Evidenz?

Antwort geändert am 03.11.2020 um 15:24 Uhr

 Graeculus ergänzte dazu am 03.11.20:
Tod und Auferstehung eines Gottessohnes sind kein christliches Alleinstellungsmerkmal: Osiris, Dionysos usw., lange vor dem Christentum übrigens.
Sie tauchen häufig im Zusammenhang mit Vegetationsgöttern auf, welche das Sterben und die Wiedergeburt in der Natur verkörpern.
Die Kreuzigung mag spezifisch sein, doch auf die Art des Todes kommt es ja nicht entscheidend an, oder?

Und vor allem bei Dionysos (bei Osiris kenne ich mich nicht gut aus) ist dies der Überlieferung zufolge immer wieder durch Wundertaten bekundet worden.
Dionysos gilt übrigens - wie Jesus Christus - als Erlösungsgott, und überhaupt sind die Parallelen zahlreich:
• Beide sind Mischwesen teils göttlicher, teils menschlicher Herkunft.
• Beide sind, ungeachtet der menschlichen Mutter, nicht auf normalem biologischem Wege entstanden: Dionysos von seinem Vater geboren, Jesus ohne menschlichen Vater gezeugt.
• Der göttliche Ursprung beider wird zunächst nur von wenigen anerkannt; sie müssen eigens durch Wunder beweisen, wer sie sind.
• Beide werden getötet und wiederbelebt.
• Ihnen und ihren Anhängern drohen Verfolgung und Tod.
• Beide sind Erlösergestalten und können ihre Anhänger ekstaseartig überkommen.

 Graeculus meinte dazu am 03.11.20:
Unvergleichlich ist in beiden Kulten wiederum die Ethik. Kant hat Recht: es kommt auf die Ethik an, nicht auf die Wunder.

 Bluebird meinte dazu am 03.11.20:
Bei Dionysos handelt es sich um eine Sagengestalt. eingewoben in eine ziemlich verworrene Göttergeschichte ... und eine Erlösungsfunktion kann ich da auf die Schnelle nicht erkennen. Wen oder was soll Dionysos denn erlöst haben?

Jesus war eine historische Gestalt und die Art der Darstellung ist vorgeblich historisch:
Da es nun schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben, wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Wortes gewesen sind,
habe auch ich's für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, auf dass du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist. (Lukas 1, 1-4)

 Graeculus meinte dazu am 03.11.20:
Ja, Jesus ist wohl eine historische Person. Aber daß er Sohn Gottes ist und selber Gott, dürfte wohl kaum historischer sein als die Göttlichkeit des Dionysos.
Das ist wie bei den römischen Kaisern: Augustus ist eine historische Person - aber divus Augustus, das ist Sache des Glaubens.
Mithin ist auch dies, daß das Christentum eine historische Person vergöttlicht, kein Alleinstellungsmerkmal.

Wenn Du dich über seinen - in der Forschung unbestrittenen - Charakter als Erlösungsgott informieren möchtest, empfehle ich Dir Die Bücher von Walter Otto, Joseph Campbell, Erika Simon und Mircea Eliade ... u.a. mit antiken Abbildungen eines gekreuzigten Dionysos.
Du würdest Dich wundern, wie in dem von Dir geschätzten frühen Christentum die Dinge durcheinandergingen, vermischt wurden.
Und noch heute: Wenn Du einer Gospelmesse beiwohnst und die Ekstase erlebst, weißt Du nicht, ob es sich um einen christlichen Gottesdienst oder um einen dionysischen Kult handelt. Rausch, Ekstase, Enthusiasmus (= Gotterfülltheit) - das ist die Erlösung durch Dionysos.

P.S.:
Das umfangreichste aus der Antike erhaltene Epos, die "Dionysiaka", ist dem Dionysos gewidmet ... und verfaßt von einem christlichen Bischof namens Nonnos.

P.P.S.:
Sowohl die Tragödie (das Drama) als auch die Komödie, also das Theater, sind aus dem Dionysoskult hervorgegangen; die Aufführungen fanden in Griechenland an den Dionysien statt. Sein Kult war vielfältig und sehr reichhaltig.

 Bluebird meinte dazu am 04.11.20:
Sagen wir mal so ... das mit einem gekreuzigten Dionysos klingt mir doch sehr nach einer christlichen Einfärbung, kann ich jetzt auf die Schnelle natürlich nicht überprüfen. Inwiefern ein dionysischer Rausch eine Erlösungsfunktion haben soll, bleibt mir allerdings schleierhaft.

Und wenn manche Christen ekstatische Gottesdienste feiern, dann ist das eine spezielle Ausdrucksform. Dies hat aber nichts mit christlicher Erlösung zu tun, ist höchstens eine Folge davon. Erlöste, die gerne in ekstatischer Weise einen Gottesdienst feiern.

Also den geheimen Voorwurf, dass hier die Christen ein greichischen Erlösungsmythos kopiert oder adaptiert hätten, halte ich für doch sehr weit hergeholt. Allerdings habe ich mich mit diesem Thema noch nicht intensiv beschäftigt.

 Graeculus meinte dazu am 04.11.20:
1. Die Bilder (Graffiti) liegen mir vor, in einem Buch. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Wer sie einst in die Wände geritzt hat, ist nicht bekannt.
Ikonographisch taucht Dionysos mit seinem Gefolge, den Silenen, im Christentum als Teufel auf, inkl. Hörnern.

2. Daß das Christentum heidnische Mythen kopiert bzw. sich dort bedient hat, ist zwar richtig (denke nur an die in der Antike verbreitete Isis-Horus-Ikonographie --> Maria-Jesuskind), aber mir kommt's hier nicht darauf an, wo ich nur mein Staunen darüber ausdrücken möchte, daß Du Dich bei Deiner christlichen Missionsarbeit nicht auf das fokussierst, was im Christentum einzigartig ist, sondern Dich immer wieder auf göttliches Eingreifen & Wunder beziehst, wie es sie in jeder Religion gibt.

3. Daß Du die erlösende Funktion des Rausches und der Ekstase nicht nachvollziehen kannst, glaube ich Dir gern. Zu denken geben sollte Dir jedoch, daß die einschlägigen 'kultischen' Veranstaltungen (inkl. Drogen) in unserer Gesellschaft weit populärer sein dürften als christliche Gottesdienste. Wohin zieht es Jugendliche massenhaft? Ist Dir fremd, ich weiß.

 Graeculus meinte dazu am 04.11.20:
1. Die Bilder (Graffiti) liegen mir vor, in einem Buch. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Wer sie einst in die Wände geritzt hat, ist nicht bekannt.
Ikonographisch taucht Dionysos mit seinem Gefolge, den Silenen, im Christentum als Teufel auf, inkl. Hörnern.

2. Daß das Christentum heidnische Mythen kopiert bzw. sich dort bedient hat, ist zwar richtig (denke nur an die in der Antike verbreitete Isis-Horus-Ikonographie --> Maria-Jesuskind), aber mir kommt's hier nicht darauf an, wo ich nur mein Staunen darüber ausdrücken möchte, daß Du Dich bei Deiner christlichen Missionsarbeit nicht auf das fokussierst, was im Christentum einzigartig ist, sondern Dich immer wieder auf göttliches Eingreifen & Wunder beziehst, wie es sie in jeder Religion gibt.

3. Daß Du die erlösende Funktion des Rausches und der Ekstase nicht nachvollziehen kannst, glaube ich Dir gern. Zu denken geben sollte Dir jedoch, daß die einschlägigen 'kultischen' Veranstaltungen (inkl. Drogen) in unserer Gesellschaft weit populärer sein dürften als christliche Gottesdienste. Wohin zieht es Jugendliche massenhaft? Ist Dir fremd, ich weiß.
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