Gedanken 2012

Dokumentation zum Thema Idee(n)

von  Terminator

28.12.2011. Erodizee

Liebe (ihre reinste, höchste Form) ist Projektion des eigenen Ich-Ideals auf eine andere Person. Ist diese, romantisch genannte Liebe deshalb immer egoistisch? Gewiss. Aber ist das ein Einwand gegen sie?

Versuchen wir doch die altruistische Seite der Liebe zu beleuchten: das dem Egoismus entgegengesetzte Handeln hat das Beste für mein Gegenüber im Sinn, d.h. wenn ich wirklich die andere Person liebe, und nicht nur mich selbst, in diese projiziert, muss ich das Glück dieser Person befördern, wo es nur geht, und ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Anstatt von der geliebten Person zu schwärmen und sie romantisch anzubeten, erarbeite ich mir ein großes Vermögen und schenke alles der geliebten Person, damit sie sich all ihre Wünsche erfüllen kann, - damit habe ich sie doch aufs Höchste und am Uneigennützigsten geliebt? Nun kann ich mein Vermögen nicht bloß einer bestimmten Person übereignen, sondern den Beglückten durch den Zufall bestimmen lassen, - die Würfel entscheiden, wen ich wahrhaft und uneigennützig lieben werde, was die Exklusivität der Liebe ad absurdum führt.

Wenn ich aber mein Ideal-Ich, mein Innerstes, mein Herz einer anderen Person anvertraue, so liebe ich diese wahrhaft und verbindlich; die Projektion meines Ideals ist eine notwendige Bedingung, da ich nur ein Herz zu vergeben, nur ein Ich an eine andere Person binden kann. Hinreichend ist die Projektion allein noch nicht, da mit ihr die bestimmte Person, die ich liebe, nur äußerlich, als Projektionsfläche, aber nicht als sie selbst gemeint ist. Die notwendige Bedingung für das Zustandekommen von etwas zu verwerfen, weil sie noch keine hinreichende Bedinung ist, ist jedoch eine Absurdität: nur weil von Luft allein keiner leben kann, wäre es eine seltsame Idiotie, die Atemluft für tödlich zu halten.



15.1.2012. Ich kann nicht zaubern

Sollte ich in meinem aktuellen Leben Kinder zeugen, so werden sie nicht in eine meiner Traumwelten gesetzt, sondern in diese eine, von der wir alle wissen, wie sie ist: selbst in der Frage, ob es gut ist, dass sie ist, und nicht stattdessen nichts, besteht keineswegs Einigkeit unter den in ihr lebenden vernunftbegabten Wesen. Da ich nicht zaubern kann, muss ich davon ausgehen, dass meine Kinder es nicht besser haben würden, als ich selbst, und ich hatte es folgend: alle Herzenswünsche wurden mir - von mir unverschuldet - versagt. Nun handelt derjenige gut, der in der Hinsicht auf sich selbst aus vernunftgemäß eingesehener Pflicht (nach dem kategorischen Imperativ) handelt, und in der Rücksicht auf seine Mitwesen versucht, deren Glückseligkeit zu befördern, solange dies dem Ersteren nicht zuwiderläuft. Ich kann es aus moralischen Gründen nicht verantworten, Kinder in die Welt zu setzen, und alle Gründe außer den von mir genannten sind amoralisch, wie rührend sie auch sein mögen.



23.1.2012. Freisexbettflucht

Ein Himmelreich, welches als ein bloß physisches Paradies, als ein berauschendes Fest der Sinne, ohne die Bedingung der Würdigkeit, glücklich zu sein, vorgestellt, ist für jeden, der in seinem Lebenswandel anstrebt, der Glückseligkeit würdig zu sein, nur ein schwüler Harem für niederträchtigste Schurken, worin er bei aller Bescheidenheit in Anbetracht seiner Selbst, und doch bei der mindesten Achtung seines moralischen Ideals, niemals ein erstrebenswertes Ziel für sich sähe, und vielmehr bestrebt sein müsste, der übelriechenden Umarmung des über das jenseitige Schicksal obwaltenden Willkürherrschers durch konsequente Verweigerung jeglicher Ehrerbietung, oder gar durch gezielte Missachtung, Beschimpfung und Verletzung seiner Majestät, hierbei in allen moralischen Dingen ungeachtet dessen gleichwohl nach Perfektion strebend, zu entkommen.



23.1.2012. Willenwesen

Wäre Gott mit bloßer Vernunft zu erfassen, wäre er letztlich ein Automat, und die Gesetze der Freiheit von keiner anderen Beschaffenheit, als die Gesetze der Natur, was, obgleich die Ersteren einer Prüfung an den Letzteren, als einem Probierstein für ihre Form der Gesetzmäßigkeit bedürfen, sie doch zu nichts Erstrebenswertem machen könnte, wie auch das Gesetz der Schwerkraft nicht erstrebenswert ist, sondern bloß faktisch, - folgte also auf einen guten Lebenswandel oder, bei einem despotischen Gott die Befolgung besonderer, in dessen Willkür Ursache habender Gebote, automatisch das Himmelreich, so wäre es mit der Menschheit nicht anders bestellt, als mit einem Haufen von Schwerstverbrechern, welcher durch die Zusage noch größerer Ausschweifungsmöglichkeiten in einem anderen Leben sich im gegenwärtigen Leben ihrer Gewalttaten enthielte, und dennoch fortwährend nichts im Sinn hätte, als die Befriedigung rohester Triebe, weshalb es einem durch die Vernunft einsehbaren und als unmittelbare Pflicht zu erkennenden moralischen Gesetz zu den Bedingungen seiner Möglichkeit gehört, einen übervernünftigen Gott vorzustellen, als ein Willenwesen, welches sich obzwar der Vernunft bedient, und die Welt vernunftgemäß gestaltet, und dennoch von ihr nicht fassbar ist, damit sie ebenfalls frei sein kann.



23.1.2012. Aufrichtige Keuschheit

Die Keuschheit ist die Tugend überhaupt, sowohl als Symbol der Reinheit und Vollkommenheit, wie als physisch vergegenständlichte Wirksamkeit der tadellosen Gesinnung, die sich an dem ersten und  unverlierbaren Eigentum des freien Willens, dem eigenen Körper, unmittelbar zu äußern hat, weshalb z.B. eine tugendhafte Frau mit größter Eitelkeit sorgsamst ihren Körper pflegt, und dabei jedweden Missbrauch der Schönheit des Letzteren vermeidet, wenngleich der Keusche die Enthaltsamkeit nicht als ein Mittel der Weltflucht benützen soll, die sich einerseits die Tugend selbst und andererseits die damit einhergehende Verweigerung seiner Selbst gegenüber den Freuden der Fleischeslust als ihren Verdienst anrechnet, sondern ihre Wirksamkeit dort entfalten, wo die Unzucht die Regel ist, erstens als strahlendes Vorbild, und zweitens als ein frei von Eigendünkel lebender Mensch, dem es weder um die eingebildet heroische Pose noch um die Erweichung göttlicher Gnade angesichts des erbrachten Opfers zu tun ist, - gar als Opfer verstanden, ist die Keuschheit nur die Unterstreichung willentlich bejahter Wollust, welche in der Enthaltsamkeit lediglich eine zwecks der künftigen Vermehrung der Lust getätigte Kapitalanlage betrachtet.



23.1.2012. Die Hoffnung ist frei

Der Gegenstand des jenseitig gerichteten Hoffens ist, sofern er nicht als Bedingung des guten Lebenswandels, sondern als dessen mögliche Folge gedacht wird, frei wählbar, und darf nicht durch einen religiösen Glauben fest vorgeschrieben sein, und es ist mithin nicht geboten, ein alle Grenzen der gesunden Scham überschreitendes kitschig-klaustrophobisches himmlisches Jerusalem als den Zielort für alle vorzuschreiben, ja vielmehr ausdrücklich erlaubt, dass sich jeder selbst davon ein Bild mache, wo er seine letztendliche Glückseligkeit erfühlen wolle, ob in einer Welt wie der gegenwärtigen, nur ohne alles Ekelhafte, oder in einer magischen Phantasiewelt, oder in einem Gefühl der All-Einheit und der Ich-Auflösung; ein aufgezwungener Gegenstand des Hoffens macht alle Hoffnung zunichte, so dass einer, dem gesagt wird, dass er sich allenfalls auf ein ewiges Kaffeekränzchen mit senilen Kirchgängern im Jenseits freuen könne, sich gänzlich enttäuscht vom religiösen Glauben abwenden, und entweder - bei starkem Charakter - dem heroischen Nihilismus eines guten Lebenswandels ohne einen Bezug zur Transzendenz, ohne eine höchste Idee, zuwenden, oder - bei schwachem Charakter - dem Guten abschwören würde, um sich lieber, ungeachtet der Kürze der Zeit sowie der Elendigkeit der Glücksmittel, schnellstens sein irdisches Himmelreich zu besorgen.



5.2.2012. Die Lust am Bezwungenwerden

Wunsch ist nicht gleich Wille: der Wunsch ist von Trieben und Neigungen bestimmt, der Wille frei; ein Wille, der sich durch den Wunsch leiten lässt, ist heteronom, fremdbestimmt. Der Wille ist frei und will unmittelbar sich selbst. Menschen mit hohen moralischen Grundsätzen haben ihr Selbst in den Letzteren, sind moralische und nicht bloß physische Menschen. Amoralische Menschen richten ihren Willen auf ihren Körper, ihre Psyche, ihr empirisches Ich, - das ist ihr Selbst.

Nur ein moralischer Mensch kann verführt werden, denn bei ihm fallen Wunsch und Wille nicht zusammen. So wünscht sich z.B. ein Lehrer, von einer Schülerin verführt zu werden, wehrt aber willentlich diesen Wunsch ab, - wäre er amoralisch, würde er nach Gelegenheiten Ausschau halten, sich verführen zu lassen. Ein amoralischer Mensch kann mit seinem heteronomen Willen nicht verführt werden, denn er will immer zugleich das, was er wünscht. Sein Wille kann nur durch direkte Gewalteinwirkung gegen sein eigentliches Selbst, sprich seinen Körper, angegriffen werden.

Ob der Grund dazu thermodynamischen Ursprungs ist, wissen wir nicht. Fakt ist, dass jedes Willenwesen insgeheim eine Lust am Zerbrochenwerden empfindet, also danach trachtet, in seinem Willen bezwungen zu werden. Wird ein moralischer Mensch körperlich misshandelt, ist sein freier Wille nicht tangiert, da er sich auf das moralische Gesetz bezieht, und nicht auf den eigenen Körper. Das von bösen Zungen als amoralisch verschrieene Weib empfindet hingegen die Vergewaltigung als einen Angriff auf den eigenen Willen, und wünscht sich unterbewusst, auf diese Weise bezwungen zu werden. Sexismus hin oder her, es gibt jedoch Tatsachen, die ein jeder, der von einer Welt ohne Vergewaltigungen träumt (und in der die Vergewaltigungsrate bei Null läge, wenn jeder Mensch so wäre wie er), beachten muss, um zu verstehen, weshalb das Vergewaltigungswesen floriert und diese für die Würde des Menschen so schändliche Seuche bei allem guten Willen bisher nicht ausgerottet werden konnte.



14.3.2012. Wiedergutmachung der Geburt

Das Schuldbewusstsein über die Kinderzeugung durchläuft in der Geistesgeschichte drei Stadien:

1) Vatermord,

2) Sohnesmord,

3) Selbstmord,

und entspricht den Religionen

1) Judentum,

2) Christentum,

3) coming soon.

Die konservative Kraft im religiösen Bewusstsein will vor den Vater zurück in den Ursprung, die revolutionäre Kraft will die Vollendung im Tode. Der Konservative will die verlorene Unschuld zurück, und negiert die Geburt, die als objektive Existenz der subjektiven Negation entgegen bestehen bleibt; der Revolutionär bemächtigt sich der Existenz, um sie in sich selbst zu negieren, womit er den Geburt (im Christentum noch als Tod verstanden) ihren Stachel nimmt.



21.3.2012. Warum Gott Abel lieber mag

Nomandentum ist die Suche nach dem verlorenen Paradies, Hochkultur ist die innere Emigration nach dem Scheitern dieser Suche. Der Nomade jagt nach dem Glück, das er irgendwo da draußen weiß, der Staatsbürger projiziert seine Vorstellungen vom Paradies in den Staatskult.

Der Nomade ist unterwegs, der Sesshafte wartet. Der Nomade ist tapfer und gütig, der Sesshafte feige, jedoch kriegslüstern und aggressiv. Der Nomade will Frieden, der Sesshafte sehnt sich nach Zerstörung. Der Nomade ist frei, der Sesshafte ein Sklave selbst angelegter Fesseln, zu feige, sie zu sprengen, zu wütend, um sich zu befrieden. Der Nomade ist Poly- oder Henotheist, der Sesshafte ist Monotheist. Die Religion des Nomaden ist natuverbunden-ästhetisch, die des Sesshaften repressiv-moralisch.

Der Nomade spielt, der Sesshafte arbeitet.



29.3.2012.  Antidehumanisierungskrieg

Dadurch, dass der Mensch ein vernünftiges Wesen, und somit eine Person ist, erhält er eine Würde, einen absoluten Wert, und ist damit ein Zweck an sich. Hieraus folgt mit den Worten von Immanuel Kant: "Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest". Ist nun eine Gesellschaftsform so eingerichtet, dass die Gesetze des Zusammenlebens in ihr diesem Imperativ zuwider laufen, so ist sie ihrem Wesen nach verbrecherisch und daher illegitim, - sie ist das Falsche, in welchem es kein Richtiges geben kann. Eine solche dehumanisierende Gesellschaft erfordert von jedem verantwortungsbewussten Menschen die Bereitschaft zu einem Antidehumanisierungskrieg gegen alle, die sie verteidigen. Es gibt keine Rechtfertigung für Dehumanisierer und ihre Mitläufer; für Einzelne wie für Kollektive gilt: kann das Prinzip, nach dem du handelst, kein allgemeines Gesetz werden - und eine dehumanisierende Gesellschaft lebt nach einem kannibalischen Prinzip, welches zwar abstrakt rechtlich möglich ist, dem aber kein vernünftiges Wesen zustimmen kann, da es einen Raubbau an der Persönlichkeit betreibt, den Wert der Würde mit der Preis der Hure ersetzt, und auch nicht die rein verstandesmäßige Zustimmung aller bekommen kann, da es das Unglück der einen zur Bedingung für das Glück der anderen macht - , so stehst du außerhalb des Rechts und bist ein Schurke.



21.5.2012. Anhaltspunkt

Die Mannigfaltigkeit der äußeren Dinge, auch bekannt als Welt, brachte mir bisher einen Glücksertrag von exakt 0 (in Worten: Null). Das ist nicht weiter tragisch: ich bin dennoch glücklich, und zwar durch mich selbst und das Wirken des Absoluten in mir. Dennoch stellt sich die Frage, weshalb ich Zeit und Kraft in den gesellschaftlichen, politischen und zwischenmenschlichen Bereich investieren sollte, wenn ich dort draußen keinen Funken Kultur finde, der meinen Geist erfreute, keine Vernunft im Handeln der Menschen entdecken kann, zwar mir ähnliche Geister und Schicksale, aber nie wirkliche Seelenverwandte getroffen habe. Das Anhäufen von Geld und der Aufbau einer bürgerlichen Existenz von hohem Status könnte bei gegebenem Befund nur einer krankhaften Eitelkeit, aber niemals meinem Glücke dienen; Freundschaften und Aufzucht von Schülern scheitern stets an einer grundsätzlichen Verschiedenheit meiner Seele und der Seelen der anderen, so dass jede Kommunikation Schwerstarbeit ist, und in der Regel einen faden Beigeschmack hinterlässt, - mich fallen lassen kann ich nur in mein einsames Bett, ich selbst sein kann ich nur, wenn ich mit mir selbst bin.



6.6.2012. Perversion der Menschenwürde

Die Würde des Menschen sei, heißt es, unantastbar, und dabei ist unverlierbar gemeint, denn wenn die Menschenwürde unantastbar wäre, wäre eine Gesellschaft, in der sich Menschen gegenseitig ausschließlich als Mittel und nicht als Selbstzwecke behandeln dürfen (wem etwas wirklich heilig ist, gilt als verfassungsfeindlicher Fundamentalist; der Mensch hat nicht, sondern ist seine Arbeitskraft; die geliebte Person wird allein nach ihrer Funktion Partner genannt), verbrecherisch. Die Unverlierbarkeit der Menschenwürde wird postuliert, um moralische Freiheit zu verhindern, und alles moralisch (dem Erdboden) gleich zu machen: eine Würde, die durch keine Abscheulichkeit verwirkt werden kann, negiert den Menschen als moralisches Wesen, und ist keine Würde der Person, sondern eine Existenzwürdigkeit des bloßen vegetativ-animalischen Lebens, eine auf sich selbst angewandte Tierschutzbestimmung.



4.7.2012. Der Mann ist immer nur ein Blatt

Die Knospe oder das Kleinkind ist die präexistente innere Vollkommenheit: alles, was sie ist, ist sie an sich, und als Potentialität. Die Blüte oder das Mädchen hat ihre Bestimmung in sich, und ihr Ansich zugleich außer sich, und ist in ihrer Schönheit die ästhetische Vollkommenheit. Die Frucht oder die Frau hat ihre Bestimmung außer sich, und ist somit nichts mehr an sich, und nur noch als Mittel zum Zwecke der Gattung, deshalb die teleologische Vollkommenheit.

Das Kind ist reiner Zweck für andere, und noch kein Zweck für sich. Das Mädchen ist Selbstzweck und Zweck für andere, Selbstzweck an und für sich, zugleich Mittel für sich, Selbstzweck zu sein, und Mittel für andere, Zweck für diese zu sein. Die Frau ist reines Mittel für andere, und andere sind ihr reines Mittel für den Zweck der Gattung.



5.7.2012. Sein ist, wo ich nicht bin

Durch mein Ichsein (Subjekt = Objekt) bringe ich all das hervor, was ich für Dinge außer mir halte, und hierzu noch den Raum und die Zeit: um mich von mir selbst unterscheiden zu können, brauche ich wechselnde Erscheinungen, die nebeneinander im Raum und nacheinander in der Zeit vorgestellt werden; ich schaue nur mich selbst an, und erscheine mir dadurch als ein Sinnenwesen in einer raumzeitlichen Welt. Wenn ich nun alles selbst hervorbringe, so ist alles von mir abhängig, und es ist nichts außer mir, - da ich selbst aber nur Ich (Subjekt, welches sich selbst Objekt ist) bin, und nicht noch durch ein von mir unabhängiges Sein Bestimmtes, so ist auch das, was ich hervorbringe, nichts. Etwas kann nur sein, wenn es an sich selbst ist, und nicht durch mich, und doch kann ich jedes Ansich nur als meine Vorstellung fassen und als meinen Gedanken erkennen. Was ich erkennen kann, ist nichts; was ich nicht erkennen kann, ist nicht, denn es es existiert nicht für mich.



20.9.2012. Der erotische Verlust

Kein Verlust ist süßer als dieser. Besitzverlust ist ärgerlich, Ansehensverlust ist ehrabschneidend, Machtverlust macht ohnmächtig. Ein Junge aus der 11. Klasse, der ein Mädchen aus der 10. Klasse begehrt, erfährt eines Tages, dass sie sich von einem anderen hat vernaschen lassen. Welch bitterer Verlust! Tatsächlich? Nur schade, nichts weiter. Allerdings kann dieses Schade sehr weh tun, wenn der Junge im ganzen Schuljahr kein begehrenswertes Mädchen mehr trifft. Doch kaum erfährt er, dass es in 9. Klasse ein noch süßeres Mädchen gibt, als dieses für ihn verlorene aus der 10., wird er sich im Nachhinein freuen, nicht vorschnell das falsche Mädchen gegriffen zu haben. Was bedeutet dies denn konkret für den Verlust selbst? Dass der erotische ein eingebildeter Verlust ist, und im Nu revidiert, und zum "Verlast", zum Verlust einer möglich gewesenen Last werden kann. Allein der thymotische Verlust ist unersetzlich und von existentieller Bedeutung (Exkurs: thymotisch ist die Liebe, erotisch ist die Begierde): da der Junge sein Ich-Ideal in das geliebte Mädchen setzt, verliert er mit diesem Mädchen sich selbst, wird innerlich zerrissen. Ein solcher Verlust wirkt lange nach, und kann auch durch scheinbar nichtige Ereignisse als Entzweiung wiederkehren, ja selbst durch ein wiedergehörtes Lied oder durch eine Filmszene wieder zur Selbstentzweiung führen. Für den erotischen Verlust aber gilt: er ist für den, der Geduld hat, stets ein Gewinn, außer man pokert so hoch, dass einem das Beste nicht gut genug ist (nicht weil es bestimmte prinzipielle Anforderungen nicht erfüllt, sondern weil man erfahrungsbedingt hofft, etwas noch Besseres zu finden), und man mit leeren Händen und hungrigen Sinnen dasteht.



12.10.2012. Hegel ein Optimistensadist?

Hegels angeblicher Seinsoptimismus, den viele seit Schopenhauer als eine Apologie des Bestehenden im metaphysischen Sinne gedeutet haben, ist angesichts dessen, mit welchem Zynismus derselbe Hegel überall die Grausamkeit und Sinnlosigkeit allen endlichen Daseins formuliert, vieleher die Euphorie eines Forschergeistes, der sich über seine Entdeckungen freut. Wie Naturforscher fasziniert von den selbst entdeckten und Grausamkeiten im Tierreich berichten, so ist auch die affirmative Haltung Hegels zu deuten: nicht als Zustimmung zum Bestehenden, sondern als Lust an der Erkenntnis, was die Welt so zusammenhält.



19.10.2012. Wo ist die Liebe?

Für zu viele Menschen ist Liebe nur dort, wo eine Beziehung ist, weshalb es für sie keinen Sinn hat, von Liebe zu sprechen, wenn es sich um einseitige oder (nicht "und", weil auch einseitige Liebe erfüllt sein kann) unerfüllte Liebe handelt. Sie sprechen dann lediglich von Verliebtheit.

Auf Beziehungsebene bedeutet Liebe nun, dass das geliebte Mädchen beschützt und verwöhnt wird, in der ursprünglichen Unschuld bewahrt und gegen alle Feinde der Unschuld verteidigt. Verehren statt Verzehren, wenn es sich um Liebe, und nicht um eine sexuelle Beziehung handelt. Nun aber wird ein anständiger Mensch jedes Mädchen so behandeln, als sei er in dieses verliebt: er wird sie tätlich lieben, sprich genauso ihre Unschuld verteidigen und alles zu ihrer Verwöhnung dienliche tun. So unterscheidet sich gelebte Liebe auf der Beziehungsebene überhaupt nicht von der allgemeinen Ehrfurcht vor dem Mädchen, einer süßen Herzenspflicht, deren Erfüllung unmittelbar glücklich macht, weil in ihr das Ästhetische und das Moralische übereinstimmen.

Liebe ist also im Inneren des Liebenden zu verorten: sie ist kein äußeres Verhältnis, sondern eine innere Haltung des Liebenden. Äußerlich betrachtet ist die Liebe somit monadisch und solipsistisch, ja nichts als Selbstliebe. Eine einseitige äußerliche Betrachtungsweise wird jedoch der Wahrheit nicht gerecht: das Wahre ist das Wesentliche, nicht die bloß zufällige, beliebig gewählte Seite eines Gegenstands. Wenn du liebst, ist die Liebe in dir, und keiner kann sie dir nehmen, sie zerstören oder entweihen. So ist rachsüchtiger Liebeszorn unehrlich, - und ein bloßer Vorwand, um selbstsüchtige Aggressionen zu kanalisieren. Das Gebot der äußersten Härte bei der Verteidigung des - geliebten oder nur aus Herzenspflicht verehrten - Mädchens bei realer Bedrohung ist nicht mit selbstsüchtigem Ehrgehabe zu verwechseln.



25.10.2012. Sinnloses Leid

1. Nicht die Sinnlosigkeit des Leidens macht das Leben wertlos, sondern die Kosten-Nutzen-Rechnung, die das Leiden gewinnbringend verwerten will.

2. Um dem Leiden Sinn zu geben, deutet man es irrtümlicherweise als Mittel zu einem höheren Zweck, - jedoch kann alles Beliebige anstelle des Leidens als Mittel zu höherem Zweck genommen werden, was das Leid beliebig, und somit zwecklos macht.

3. Aus der moralischen Verpflichtung, der Glückseligkeit würdig zu werden, entstehendes Leid ist zufällig, und nicht ursprünglich im moralischen Gebot enthalten. An einem äußerlich auferlegten schweren Schicksal kann erst recht nichts verdienstvoll sein.

4. Es leiden notwendigerweise, die ohne Hoffnung sind. Hoffnung ist das intakte subjektive Verhältnis zur Glückseligkeit. Wer keine Hoffnung hat, versucht durch das Leiden einen Anspruch auf Glückseligkeit zu erpressen.



9.12.2012. Das Rätsel Sie

Otto Weiningers berühmter Spruch, das Weib sei nur sexuell, der Mann aber sexuell und darüber hinaus, ist die ontologische Negation des Femininums. Das Weib (es) entspricht nach Weininger dem bloß tierischen, ichlosen, amoralischen Leben; der Mann (er) hat einen freien Willen und kann gut oder böse sein, ein geistiges Wesen. Wo bleibt sie, die als Komplement zum Maskulinum gemeinte Geliebte? Niemand verliebt sich in ein Es.

Das Wesen, das der Mann in der Frau liebt (die Frau (Kultur), nicht das Weib (Natur)), wenn er eine Frau liebt, ist immer eine Sie. Ein Es kann nicht geistig sein, und somit auch kein Gegenstand der Liebe. Ein Es kann ein Gegenstand der Begattung sein: Männchen und Weibchen kopulieren im Dienste der Gattung, wobei der Mann zum Männchen, einem Es, herabsinkt. Wo bleibt sie also, die Sie? Ist in Weiningers Geschlechtermetaphysik kein Platz für sie? Ist sie bloß eine Erfindung von Verliebten, Dichtern und Romantikern - von verrückten Geistern, die Geister sehen?

Weininger definiert Weiblichkeit als bloßes Fehlen von Männlichkeit. Eine durchaus elegante Lösung, denn aus drei ontologischen Seinsweisen (Er, Sie, Es) werden zwei (Er und Es). Er und Sie wären zusammen Natur plus Kultur, Es ist bloße Natur. Wenn Weininger irrt, und eine Sie genauso existiert, wie ein Er, wo ist sie dann, die Sie? Wenn sie ein Komplement zur (geistigen) Männlichkeit sein soll, muss sie ein transzendentales Ich haben und in einem moralischen Verhältnis zu sich selbst stehen. Sie muss genauso rational sein wie Er, und nicht Gefühle schon für Gedanken halten. Was sagt die Erfahrung? Wohin man schaut: Männchen statt Männer, kein Er weit und breit, und schon lange keine Sie.

Es ist bloße Natur, Er ist Natur plus Geist, und Sie? Womöglich ist Sie kein Komplement zum Geistig-Männlichen, sondern eine weitere Steigerung. Der männliche logische Verstand ist diskursiv, erfasst die Dinge nacheinander, - hat Sie einen intuitiven Verstand, und sieht das große Ganze? Das Paradebeispiel des Geistig-Männlichen ist Kant; ist Hegels intuitiver Verstand eine Sie? Es ist bloße Natur, Er ist Natur plus Geist, und Sie reiner Geist? Es ist das Tier, Er ist der Mensch, und Sie eine Gottheit?


Anmerkung von Terminator:

"Der steil-steinige Weg des Wahren war gegangen, der helle Stern des Guten ging gerade erst auf. Das Jahr 2012 brachte zahlreiche Selbstbeben nach psychotektonischen Spannungen der Widersprüche, die sich ab 2004 abzeichneten" (aus einer Biographie anlässlich des 100. Todestages des Autors).

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