Eine Mordswut - aber der Klügere gab nach!

Erzählung zum Thema Lebensweg

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)
Der Geduldsfaden riss dann eines Abends, als ich oben in meiner kleinen Dachkammer in der Bibel las, während von unten aus  Mannis Bereich wieder einmal Schlagermusik  an mein Ohr drang.
    Im Prinzip hatte ich mich an diese der Beschallung  gewöhnt und es auch akzeptiert. Aber an diesem Abend schien es mir lauter als üblich zu sein und störte mich gewaltig in meiner Konzentration. Ich stand auf und rief durch die Luke nach unten: „Könntest du das Radio bitte mal was leiser stellen. Ich lese hier oben in der Bibel und kann mich bei dem Lärm nicht konzentrieren!“
    Eigentlich eine ganz normale Ansage, wie ich fand. Vielleicht war das Wort „Lärm“ ein wenig provozierend, aber durchaus im Rahmen üblicher häuslicher Kommunikation. Nichts, was das nun Folgende auch nur ansatzweise gerechtfertigt hätte.

Unten trat augenblicklich Stille ein und dann nach einigen Sekunden vernahm ich Mannis tiefe, wütend-bedrohlich klingende Basstimme: „Jetzt habe ich aber endgültig die  Schnauze voll. Immer wollen die Christen einem vorschreiben, was man zu tun und zu lassen hat und der da oben wird schon sehen, was er davon hat. Das lasse ich mir nicht länger bieten!“
    Geschockt stand ich  an der offenen Luke, während Manni unten weiter vor sich hinschimpfte. Dann plötzlich Schritte im Zimmer, die Türe wurde geöffnet und knallend wieder zugeschlagen. Manni, der Seebär,  hatte das Zimmer verlassen.

Dies war der Beginn einer tagelangen Krise mit einem schweren Alkoholrückfall Mannis und auch Morddrohungen in meine Richtung. Natürlich bekamen das alle im Hause mit, aber keiner wusste einen Rat. Manni schien völlig außer Rand und Band und durch nichts zu besänftigen zu sein. „Ich bring den um“, sagte er mehr als einmal. Angesichts seiner Körperkraft würde ihn nichts daran hindern können. Das stand mal fest.
  Ja, ich hatte wirklich Angst und fühlte mich  von den anderen Archebewohnern auch etwas im Stich gelassen. Ihr Schweigen oder ihre Neutralität in der Sache irritierte mich. Wieso bezogen sie in der Sache nicht eindeutig für mich Stellung?

Dann kam eine Nacht, die ich bis heute nicht vergessen habe. Manni war schon anderthalb Tage  weggeblieben und ich hatte die stille Hoffnung, dass sich das Problem jetzt vielleicht von alleine gelöst hätte und er einfach nicht wiederkäme. 
  Doch gegen drei Uhr nachts wachte ich auf und vernahm deutlich Mannis Stimme: „So, jetzt ist Schluss. Jetzt gehe ich rauf und bringe ihn um!“ Ich sprang aus dem Bett auf und stellte mich an die Luke. Unten hörte ich ihn hantieren und laut sagen: „Ich schmeiße ihn jetzt  aus dem Fenster!“
  Ich war auf das Schlimmste gefasst. Schreckerfüllt wartete ich darauf, dass er die Leiter hochkommen würde.
Aber nichts geschah. Stattdessen absolute Stille unten. Sekunde um Sekunde verstrich. Dann wagte ich den Blick nach unten in den halbdunklen Raum. Niemand zu sehen!

Vorsichtig kletterte ich die Leiter runter. Manni war nicht im Raum. Sein Bett war völlig unberührt, auch ansonsten kein Hinweis auf eine vormalige Präsenz Mannis.
  Er konnte aber auch nicht gegangen sein, dass hätte ich spätestens beim Öffnen und Schließen der leicht knarrenden Türe gehört. Ich stand komplett vor einem Rätsel! Er konnte sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!?

Irgendwann am nächsten Tag tauchte Manni dann plötzlich unten in der Arche auf und bat Joachim, den Leiter der Arche, um ein Gespräch. Wenig später kam der zu mir hoch und sagte: „Du musst dich bei Manni entschuldigen!“
  Ich schaute ihn fassungslos an: „Wie bitte? Ich soll mich entschuldigen. Nach all dem, was er hier abgezogen hat? Das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein!“ Er schaute mich ruhig an: „Spring über deinen Schatten. Sonst kehrt hier keine  Ruhe ein! Du weißt doch: Der Klügere gibt nach!
 
Wenig später saßen Manni, Joachim und ich an einem Tisch und ich sprang über meinen Schatten: „Manni, ich möchte mich bei dir entschuldigen wegen der Sache mit dem Radio!“
  Augenblicklich erhellte sich seine bis dahin  finstere Miene und er strahlte mich an: „Kein Problem! Ich vergebe dir!“ „Danke, Manni!“, lächelte ich gequält und der Burgfriede war wieder hergestellt.
 
Ein paar Tage später, als wir wieder ganz normalen Umgang miteinander hatten, fragte ich ihn beiläufig: „Hör mal, Manni! Warst du Donnerstag nacht mal kurz hier?“ (Also in jener besagten Nacht, wo ich seine Stimme unten gehört hatte). „Nein, sagte er, ich habe mit ehemaligen Kumpels die Nacht durchgemacht!“
    „Ganz sicher?“
„Ganz sicher, warum fragst du?“ „Ach nur so, ich dachte, ich hätte dich unten gehört. Habe ich mich wohl geirrt!“
  „Ja, ich war zwei Nächte unterwegs und bin erst am Freitag wieder in die Arche gekommen!“
   
Manni war, wie schon erwähnt, eine ehrliche Haut! Oft ziemlich schroff und direkt, manchmal auch parteiisch und wirklichkeitsverzerrend, aber bewusst die Unwahrheit sagen, das war nicht seine Art.
    Wer aber hatte dann da in jener Nacht  geredet, wenn Manni es nicht gewesen war? War es eine dämonische Imitation und Attacke gewesen?

Gedankenimpuls:
Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als uns die Schulweisheit glauben machen will.


Anmerkung von Bluebird:

Bremen 1988

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Regina (18.12.20)
Wahrnehmung kann, gerade unter großer Anspannung, ein Problem sein.

 IDee (18.12.20)
Sehr interessant geschrieben. Gerne gelesen, gerne mehr davon.
Gerhard Joseph Lindenthal (70)
(14.03.22, 17:06)
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