Diese verfluchte Hitze

Novelle zum Thema Warten

von  Terminator

Hinten im Schlafzimmer spielten zwei Degeneraten Galaxian, der Balkon war voll mit rauchenden Halbstarken, in der Küche wurde gesoffen und Flaschendrehen gespielt. Derjenige, der sich ekelte, nannte sich seit diesem Morgen Riki, denn als er auf dem Weg zur Schule aufs Geländer stieg, um sich von der Brücke zu schmeißen, da kam ein Mädchen auf ihn zu, und fragte, wer er sei, und was er zu tun gedenke. “Ich bin ein Nichts”, sagte er, aber das aufgeweckte Kind wusste eine bessere Antwort: “Du bist General Riki. Nur du weißt, wie man sie besiegt”. Und so stieg Riki aufs Fahrrad und fuhr weiter zur Schule, und an jenem Abend ging er zum ersten Mal zu einem Klassentreffen. Im Flur wurde er in ein Gespräch darüber verwickelt, was man denn im Leben wirklich will. Riki sagte es geradeheraus, und alle sahen ihn so an, als hätte er sie beleidigt, obwohl das, was er sagte, harmlos und kindlich war. Wie dem auch hatte gewesen geseint, er fuhr nach Hause, und schlief in der Nacht zum Freitag ganz gut.

Auf dem Schulweg sah Riki, wie die Polizei zwei Subpassionarier abführte, wahrscheinlich nach einem Drogenbeschaffungsdiebstahl der Sorte Peinlich. 18, bald 18, knallte Riki die ganze Mathestunde hindurch durch den Kopf, 18, und die Jugend vorbei, ohne eine gehabt zu haben. Ein Urlaub vom Leben, das wäre jetzt geil. Dass die Zeit stehen bleibt, und dann halt drei Wochen entspannen. Aber das Leben ging weiter, auf die dritte Stunde folgte die vierte. In Deutsch musste Riki eine Buchrezension präsentieren, die er mit den Worten abschloss: “Es ist freilich kein Wunder, dass das Machwerk unseres wenn auch gealterten so doch immer noch Zeitgenossen die Klasse von Spenglers Untergangsgemälde nicht erreicht, jedoch ist unbestritten, dass die Selbstabschaffung eines Kulturvolkes zutreffenderweise empirisch festgestellt wurde, wenngleich auf tiefgründige psychopolitische Analyse weitgehend verzichtet wurde und stattdessen banale und angreifbare Statistiken zu Demografie und Genetik...” Der Lehrer wollte den Satz nicht zu Ende hören. Was er nicht wusste, war, dass Riki nur so tat, als würde er vom Hausaufgabenheft ablesen. In Wirklichkeit rezensierte er den roten Bestseller life. Ach, endlich. Zwei Stunden Schwimmen.

Nächstes Jahr Abitur, Scheiße. Schulzeit vorbei, wie Haftstrafe abgesessen. Und nun diese verfluchte Hitzewelle, dieses abartige Scheusal eines scheußlichst beschissenen Wetters, diese idiotesk-affenpenisartige Unzivilisiertheit, diese zum Wetterrassismus einladende Stinkscheiße von Hochsommertemperatur, diese schwüle arschartige abnormale missgeborene kakerlakerale Krankheit, genannt 32 Grad. Ein Gewitter hoffentlich. Und dann vom Blitz getroffen werden, das wärs. Auf dem Weg zum Fahrrad kam der Deutschlehrer auf den müden schwitzenden Häftling zu und dankte ihm für sein Engagenment gegen Rassismus, Sexismus und Fremdenfeindlichkeit, welches für Riki doch eine Selbstverständlichkeit war. Ja, in der 11. Klasse hatte er jedeste Menge Gutes getan, nur leider nichts Gutes erlebt. Und nein, schlechter bis mittelmäßiger Sex mit der da oder der da hätte nicht gezählt. Scheiße, was solls. Noch eine Woche Schule, dann in den Sommerferien auswanderungstauglich Englisch lernen. Von Deutschland hatte Riki genug.

Als es blitzte, stieg er auf sein Fahrrad und fuhr los, einfach dem Donner hinterher. Der Wind blätterte im zweiten Band des Untergangs des Abendlandes, der auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums lag. Ein Baum wurde getroffen und verfehlte den Radfahrer beim Fallen nur knapp. Es fing an zu regnen, Riki stellte das Fahrrad ab und ging in den Konsumtempel. Er wusste nicht wohin, also schritt er immer weiter nach oben, in die Schlafmöbel-Abteilung, wo er einen Nicki machte, bis der Laden schloss. Und wenn er mal Nicki machte, dann machte er meistens einen kräftigen Nicki. Er ging zum überdimensionalen Fenster und sah auf den leeren Parkplatz. Cool, dachte Riki, und versuchte, irgendwo eine Tasse schwarzen Tee aufzutreiben. Der Sücherheitsdienst war nicht anwesend, und auch sonst schien sich niemand im Gebäude aufzuhalten. Cool, dachte Riki, und fand in unmittelbarer Bälde einen Wasserkocher und eine Packung English Breakfast.

Riki duschte und suchte nach einer Schlafmöglichkeit. Auf einem Ehebett für früher 5999, jetzt und nur noch bis Dienstag für 3499, richtete er sich ein, und schlief in der Nacht zum Samstag ganz gut. Er träumte davon, wie zwei Degeneraten in seinem Schlafzimmer Galaxian spielten, lachte aber auf, als er sich erinnerte, dass er doch gar keine Nintendo-Konsole hatte, und der Traum somit luzide wurde. Cool, dachte Riki, und entführte in seinem luziden Traum eine Polizeikarre, mit der er Cruisin USA auf den Straßen seiner norddeutschen Mini-Großstadt spielte. Er wachte auf, und sah sich um nach einem passenden Frühstück. Gar nicht so schlecht, dachte er, eigentlich so, als wäre gerade Zombie-Pokalypse, und er hätte sich an einem geilen Ort verschanzt. Draußen war nichts. Keine Autos, auch keine Subpassionarier, die außerhalb der Geschäftszeiten den riesigen Parkplatz mit Skateboards zweckentfremdeten. Aber etwas schreckte ihn auf. Höre ich etwa Galaxian, dachte er und schaute nach. In der Spieleabteilung saß eine wunderschöne Mieze in einem riesigen Sessel und spielte Super Mario 64 auf Nintendo 64. “Setz dich”, sagte diese wahrscheinlich-so-um-die-18-jährige Maus von einer Mieze, “ich habe gerade angefangen”. Und so begann ein vielstündiger Walkthrough, während Riki entspannt danebenlag und nebenbei beobachtete, wie weder Degeneraten noch Subpassionarier, sondern das ultimative Endprodukt langsam den Parkplatz füllte.


Anmerkung von Terminator:

6.2019

2019 Großer Kuschelbär (von einem süßen 18-jährigen Mädchen)

2020 Neunzehn weitere Preise und Auszeichnungen (unwichtig)

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