Die Weltformel

Schauspiel zum Thema Inspiration

von  Terminator

Die Welt ist entzaubert und entschlüsselt - fragt den, der sie verzaubert und verschlüsselt hat. Unsere Rettung liegt darin, das Offenbare zu verrätseln, das Offensichtliche zu Unbegreiflichem zu verklären. Ich will aber nicht gerettet werden, - ich will wissen, wie die Dinge sind. Machen wir freie Bahn für reinen Tisch. Reden wir mit dem Demiurgen, dem Weltenbauer, der für unsere kleine Matrix verantwortlich ist. Wir werden sehen, es ist alles gar nicht so bierernst, wie wir meinen. Es ist weitaus schlimmer: die ganze Welt ist womöglich ein Witz.



§1. Die Glücksformel


- Was ist Glück?

- Glück ist etwas, das sich verflüchtigt, sobald die Frage so gestellt wird.

- Wie werde ich glücklich?

- Schon besser. Glücklich wirst du, indem du die Last abwirfst, die du, wie ein Sklave, auf deinen Schultern trägst.

- Welche Last ist es?

- Es ist die Last der Erwartung.

- Warum ist sie eine Last?

- Weil durch völlige Ungewissheit aus der Hoffnung Furcht wird.

- Wie werfe ich diese Last ab?

- Indem du begreifst: wenn nach deinem Tod nichts mehr kommt, dann ist alles hier so furzegal, wie es nur sein kann. Wenn da noch etwas kommt, dann kannst du dein Leben so leicht nehmen, wie du es nur kannst.

- Weil ich nicht zu fürchten brauche, dass ich mit jeder neuen Entscheidung weitere Möglichkeiten für immer ausschließe?

- So ist es. Wenn es weiter geht, brauchst du nur zu leben. Wenn es nicht weiter geht, brauchst du nur zu sterben.



§2. Die Unsterblichkeit


- Gibt es ein Leben nach dem Tod?

- Falsche Frage.

- Darf ich jemals die endgültige Gewissheit erlangen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt?

- Nein.

- Warum nicht?

- Weil es dann kein Leben mehr vor dem Tod gibt.



§3. Die Idioten


- Sind die meisten Menschen Idioten?

- Formuliere erneut.

- Sind Idioten Menschen?

- Das frage ich mich auch andauernd.

- Was sind sie denn?

- Keine Substanz, nur Funktion.

- Wozu erschaffst du sie?

- Sie dienen mir als Verdünnungsmittel. Stell dir vor, alle wären wie du.

- Es wäre ganz schön eng hier. Ich brauche viel Freiraum, viel Privatsphäre, große Entfaltungsmöglichkeiten.

- Das ist unwesentlich. Du wurdest als Kind schon nicht "artgerecht gehalten", hattest nie viel Freiraum, und nur ansatzweise Privatspähre.

- Was ist dann der wahre Grund?

- Würdest du dich fortpflanzen?

- Nie.

- Siehst du. Und das ist nur ein Beispiel. Gäbe es nur Menschen - das was du unter dem Begriff des Menschen verstehst - , gäbe es keine Welt. Menschen sind diskret. Sie neigen zur Einzigartigkeit, und machen sich rar. Menschen sind extrem intovertiert, und leben im Geist und für den Geist. Um die Weltgeschichte am Laufen zu halten, braucht man eine zähflüssige formlose Masse. Ihr Anteil an der Weltbevölkerung variiert zwischen 98,99% und 99,96%. Da er nicht exakt vorbestimmt ist, sondern dem Zufall unterworfen - es ist immer eine Wahrscheinlichkeitsrechnung - , sind schon mehrere Menschheiten ausgestorben, als der Mindestidiotenanteil unterschritten wurde.

- Wurde auch schon einmal der Höchstidiotenanteil überschritten?

- Wesentlich öfter. In solchen Fällen verwandelten sich Menschen in Affen zurück. Alle heute lebenden  höheren Primaten stammen von bestimmten Leuten ab.



§4. Das Universum


- Wie alt ist das Universum?

- Meins knapp 10²³ Jahre.

- Und meins?

- Drei Billionen.

- Ich dachte, 13 Milliarden.

- Du dachtest auch, wahre Liebe wäre zwangsläufig gegenseitig.

- Aber die Physik...

- Die Physik kann nur bis zum letzten "Urknall" zurückgehen.

- Gab es noch was davor?

- Jede Menge.

- Auch intelligentes Leben?

- Ich kann dich beruhigen: du bist der Erste.

- Gilt das Kompliment der ganzen Menschheit?

- Nein und ja, der ganzen vernünftigen Menschheit.

- Gab es davor Welten mit schöneren Mädchen?

- Nur Vernunftwesen können Schönheit wahrnehmen, also nein.

- Gab es vor dem letzten Urknall glückliches Leben?

- Reichlich. Doch ohne das Licht der Vernunft erfreute es sich nur am Angenehmen, nicht jedoch am Schönen.

- Wie muss ich mir das vorstellen?

- Wie Sex im Dunkeln.



§5. Die Matrix


- Wer hat die Matrix entdeckt?

- Kant.

- Indem er die allgemein subjektiven Formen der Anschauung - Raum und Zeit - sowie die zwölf Kategorien des Verstandes beschrieben hat?

- Ja. Doch das ist noch nicht die Matrix: das zeigt nur, wie die Matrix funktioniert.

- Was ist die Matrix?

- Sie ist die Tatsache, dass es keinen objektiven Zusammenhang des Weltganzen gibt: die Einheit der Welt entsteht im Kopf.

- Ist die Welt also Illusion? Ist sie nur im Kopf?

- Nein. Nur die Idee ihrer Einheit: als Welt, als Ganzes, ist sie im Kopf, als Mannigfaltigkeit aber tatsächlich da draußen.



§6. Die Mädchen


- Wo sind denn all die schönen Mädchen?

- Ich höre nicht auf zu lachen, bis du eine andere Frage stellst.

- Existiert alles, was ich mir vorstellen kann, in dieser Welt?

- Nein, denn diese Welt ist endlich, die Kategorie der Möglichkeit aber prinzipiell unendlich.

- Wie entscheidet sich, was aus dem Möglichen in die Realität tritt?

- Durch innere Reflexion des Realitätsprozesses.

- Und in Laiensprache?

- Höhere Seinsstufen, nennen wir sie Luxus des Seins in Abrenzung vom Luxus des Habens, kommen erst vor, wenn sich die Evolution des Welthauptwesens als erfolgreich erwiesen hat.

- Des welchen Wesens?

- Des vernunftbegabten Wesens.

- Unsere menschliche Evolution wird misslingen, und sich nie vollenden, nicht wahr?

- Wieso? Willst du dich umbringen?

- Stimmt. Das könnte ich nicht, wenn ich nur die leiseste Hoffnung hätte, dass vielleicht, in ferner Zukunft...

- Darum darfst du auch nicht wissen, ob es jemals welche geben wird.



§7. Der Flirtratgeber


- Es wäre schon geil, bei Frauen anzukommen.

- Sie sind auch nur Menschen. Sei wie du bist - und du bist ja kein schlechter Mensch.

- Du weißt, welche Frauen ich meine.

- Ach, die Frauen.

- Ja, genau die.

- Das ist ziemlich traurig für dich.

- Dass ich bei denen landen will? Wieso denn? Will doch jeder.

- Das bestreite ich nicht. Sag mal, magst du dich selbst?

- Doch, durchaus.

- Dann gibt es ein Problem, denn es wird nicht so bleiben, falls dein Wunsch in Erfüllung gehen sollte.

- Warum denn nicht?

- Wie musst du denn sein, um denen zu gefallen?

- Ich weiß nicht... männlich?

- Ja, und zwar eine Karikatur von Männlichkeit. Cool und unsensibel. Visualisieren wir das mal: du hättest statt deiner dünnen Haut Schuppen wie bei einer Eidechse.

- Witzig. Aber im Ernst: ich muss mich doch durchsetzen können!

- Und wie setzt man sich durch? Man setzt sich ja nicht einfach nur durch, sondern man setzt sich gegen Mitmenschen durch.

- Indem man sich unter den Schutz von Regeln stellt, die für alle gelten, und gleichzeitig diese Regeln bricht.

- Indem man also ein Arschloch ist. Keine Augen, keine Ohren im Kopf, und ein Arschloch anstelle der Nase. Und man muss hart zubeißen können. Ein Krokodilsmaul noch dazu. Und was ist im Endeffekt das Allerwichtigste?

- Reich zu sein.

- Und wie wirst du reich?

- Durch Opportunismus.

- Also muss du in Ärsche kriechen.

- Das ist deprimierend. Um Frauen zu gefallen, denen ich gefallen will, muss ich ein Reptil mit einem Arschgesicht sein. Ich will aber bleiben wie ich bin.

- Dann müssen sich aber Frauen, denen du gefallen willst, ändern.

- Solange die Welt so bleibt, dass sie gutaussehende Frauen schon in ihrer Kindheit verdirbt, wird das nicht möglich sein.



§8. Der Weltveränderer


- Die Welt muss verändert werden!

- Ja, das haben wir im vorigen Gespräch festgestellt. Was willst du tun?

- Eine Diktatur der Vernunft errichten!

- Nicht schlecht, aber das kann nicht gelingen: wie willst du mit einer Handvoll vernünftiger Menschen Milliarden von Idioten unter Kontrolle bringen?

- Nehmen wir doch an, es wäre möglich. Eine Welt, wie sie sein sollte... Nur leider werde ich meine Lebenszeit darauf verschwendet haben, sie zu errichten, und selbst nichts mehr davon haben.

- Also lass es.

- Warum so egoistisch sein? Dann tu ich es eben für die nächste Generation.

- Wird sie es dir danken? Wird sie die Welt, wie sie sein sollte, denn überhaupt schätzen?

- Wohl nicht, denn sie wird das Elend, das heute vorherrscht, nicht kennen, und es noch zu eigenen Lebzeiten wieder herbeiführen.

- Und alle Anstrengungen werden umsonst gewesen sein.

- Ist das vielleicht Absicht?

- Was?

- Dass die Welt beschissen ist, aber so eingerichtet, dass sie auch nicht zum Besseren verändert werden kann?

- Nein, das ist nur ein Gesetz der Thermodynamik. Der zweite Hauptsatz, oder, für euch Sterbliche, Artikel 1 der Weltverfassung.



§9. Die Maus


- Können wir von der Natur lernen?

- Natürlich.

- Zum Beispiel?

- Tiere sind Metaphern. Guck dir die Maus an.

- Wahrlich eine Metapher... für das Mädchen?

- Gewiss.

- Aber die Maus ist immer Maus, bis sie stirbt.

- Richtig, sie wird nie Ratte.

- Und der süße liebe Hund, Metapher für den Jungen, wird nie Schakal. Was sagt uns die Natur damit?

- Dass ihr das sogenannte Erwachsenwerden selbst erfunden habt. Die einen bringen sich mit 19 um, die anderen bleiben physisch am Leben, und bringen ihre Seelen um. Diesen Selbstmord, nach dem sie weiter am Leben bleiben, nennen sie Erwachsenwerden.

- Was meinen dann Eltern, wenn sie zu ihrem Kind sagen: "Werde doch endlich erwachsen"?

- Was denn wohl?

- "Bring dich endlich um"?

- Gemein, nicht?

- Ja, aber wieso tun sie das?

- Um sich an deren Eltern zu rächen, die sie ihrerseits einst zwangen, sich umzubringen.

- Dann also zurück zur Natur? Heißt das nun, sei wie du bist?

- Nein, das heißt einfach: sei! Bring dich nicht um!



§10. Was tun?


- Alles kreatürliche Leben ist nichtig und verlogen.

- Meinst du das auch so?

- Wie denn sonst, als so?

- Etwa, dass du dein Leben als gescheitert ansiehst, und darum die conditio humana verwirfst.

- Nein. Ich sage: alles kreatürliche Leben ist nichtig und verlogen. Ich sage nicht: ich bin im Leben gescheitert.

- Dann hast du die Wahrheit begriffen. Und nun weißt du nicht, was du tun sollst?

- Alles ist nichtig. Alle möglichen Erfolge sind eitel. Es gibt nichts, was mich zu irgendeiner Tat begeistern könnte.

- Denk an die anderen. Hilf ihnen.

- Wobei denn? Wieso soll ich das kreatürliche Leben der anderen befördern, wenn ich mein eigenes nicht mehr so leben will, weil alles Kreatürliche nichtig ist?

- Du hast es erkannt. Also hilf ihnen.

- Wobei denn?

- Dies auch zu erkennen.

- Und dann?

- Eine kreatürliche Frage. Bei dir dient die Erkenntnis keinem Zweck, sie ist Selbstzweck. Die anderen brauchen auch keine kreatürliche Belohnung für den Fall, dass sie der Erkenntnis teilhaftig werden. Oder hast du gehofft, dafür, dass du die Wahrheit erkennst, ein paar Bananen zu bekommen?


Anmerkung von Terminator:

8.2012

2013 Der Große Prinz

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