Home-Office! Wenn das so einfach wäre...

Erörterung zum Thema Arbeit und Beruf

von  eiskimo

Die neue Waffe gegen Corona heißt Home-Office. Alle schreien danach, alle versprechen sich davon weniger Infektions-Risiko, signifikante Rückgänge bei den Fallzahlen,  seelisch entlastete  Teilnehmer und – na klar –die gleiche Qualität der Arbeitsleistung. Alle?
Nein, ich kenne einen, der ist tatsächlich dagegen: Fabian M., einer meiner Nachbarn. Er ist in der  Verwaltung eines großen Süßwarenherstellers tätig und schon ein paar Wochen lang im Home-Office.  Fabian leugnet nicht die Gefahren von Corona und er erzählt auch keine Verschwörungsgeschichten. Trotzdem ist für ihn  Home-Office „definitiv ein Riesen Verlust!“ Vor allem hatte er es sich viel, viel leichter vorgestellt.
Und dann legt er los:
„Wenigstens in der Woche mal abtauchen. Morgens vor den lieben Quälgeistern aufstehen, in Ruhe frühstücken, sich alleine absetzen. Mann, das ist alles weggefallen!  Den Weg zur Arbeit genießen wie ein Abnabeln,  wie ein Loslassen! Weg mit dem ganzen Multi-Tasking  zu Hause. Das allein war für mich schon wertvoll und absolut wichtig!“
Und dann vergleicht er sein Büro mit einer Bühne. „Da konnte ich jeden Tag  mein Rollenspiel starten, das ich durchaus als befreiend empfinde!  Da schlüpfe ich hinein in meinen geschützten, präzise definierten Aufgabenbereich! Mein Job! Da finde ich klare Abläufe und Zuständigkeiten, ich habe da meinen aufgeräumten Arbeitsplatz und meinen Plan.  Nebenbei klinke ich mich ein in die lockere Routine mit den Kollegen, in ein bisschen Small Talk, Witzchen machen, Flirten. Toll!“
Fabian vermisst das – ich sehe es ihm an.
„Oder dass ich im Büro auch einfach für mich bleiben  kann, dass ich dann ungestört bin! Dass mein Arbeitstag eine Struktur hat,  dass das Ganze von außen geregelt ist. Dort, das war  nie so vereinnahmend, nie so fordernd  wie meine Familie!“
Dabei  hat Fabian M., das kann ich hier ausdrücklich sagen,  eine nette Familie,  eine patente Frau !. Da herrscht kein Chaos. Nur der ganz normale Wahnsinn, wie er gerne anmerkt. Aber Fabian mag halt auch seine Arbeit, seinen Arbeitsplatz, das ganze Drumherum.
„Da konnte ich mich auch mal zurücklehnen, mich als Teil eines Teams fühlen. Ein Team,  zu dem man immer etwas beiträgt, das einen aber auch selber mit trägt – auch an Tagen, wo  man mal schlecht drauf ist.  Jetzt,  zu Hause, wo ich immer zwischen allen Fronten stehe und für alles zuständig bin, muss ich rund um die Uhr kämpfen!“
Und dann wird er sehr psychologisch, fast ein wenig bitter:
„Diese parallele Welt, diese zweite Identität , die man am Arbeitsplatz haben kann,  das fehlt mir schon. Was bekomme ich stattdessen?  Ich muss mit meiner ebenfalls zu Hause eingesperrten Familie die Quadratur des Kreises vollziehen, nämlich Privates mit Beruflichem zur Harmonie bringen  ….  in Räumlichkeiten , die für derartige Experimente nicht ausgelegt sind, mit einem Equipment, das oft überlastet  ist und  mit Teilnehmern, die mich und sich nicht schonen wollen.  Halleluja!“

Also sprach mein Nachbar Fabian M.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich unterstütze alle Maßnahmen, die geeignet sind, Corona-Infektionen zu vermeiden.  Sicher macht dabei auch Home-Office Sinn.  Aber, denke ich,  die Voraussetzungen müssen stimmen!

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (14.01.21)
Fabian argumentiert psychologisch nachvollziehbar, also gut.
LG
Ekki

 Terminator (14.01.21)
Home-Office in der Altenpflege: "Herr Waldwiesewaldwiesewaldwiesemann, möge die Macht Sie aus Ihrem Bett heben, und ich starre derweil vorschriftsgemäß 10 Minuten auf meinen Bildschirm!"

 Regina (14.01.21)
Dabei hat Fabian noch nicht einmal die Katastrophensituation mit einem Kleinkind am PC/Telefon erwähnt. Du hast mal wieder ein sehr reales Thema gewählt und stellst es dar, wie es ist. LG Gina

Kommentar geändert am 14.01.2021 um 14:22 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 14.01.21:
Ich habe auch die Schilderungen meines Sohnes vor Augen: der verbarrikadiert sich, um wenigstens ein bisschen arbeiten zu können. Zwei kleine Jungens lauern im Hinterhalt; die Wohnung ist modern geschnitten, keine wirklich abgetrennten Bereiche.... Also legt er regelmäßig Nachtschichten ein.
lG
Eiskimo

 AZU20 (15.01.21)
An den Voraussetzungen mangelt es zuoft. LG
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram