Heiligabend

Kurzgeschichte zum Thema Weihnachten

von  Der_Rattenripper

Tom hetzte durch die belebten Einkaufsstraßen. Menschen schubsten, fluchten und drängelten sich durch die Gassen um die letzten Besorgungen für das heilige Fest zu machen. Es roch nach Zimt und Bratäpfeln und irgendein dicklicher Mann mit weißem Bart sang I´m dreaming vor the White Christmas vor einem Spielzeugladen. Männer mit dicken Bäuchen standen lallend am Glühweinstand. Wie konnte man sich in so einer Zeit nur besaufen, diese Leute konnten ihm fast leidtun. Hatten sie keine Frau oder Kinder um die sie sich kümmern mussten? (Falls doch wäre dieses Verhalten mehr als nur verantwortungslos.) Tom ballte die Hände zu Fäusten, er hasste das Lied und er hasste diese ganze scheiß Heuchelei. Die Geschäfte waren mit Girlanden und Holzvertäfelungen verziert, in denen Lichterketten hingen. Tom verstand nicht warum die Leute zu Weihnachten überall Kerzen, Engel und Kugeln aufhingen. Wer von denen ging den abgesehen von Heiligabend wirklich in die Kirche? Dann dieser Scheiß mit dem Weihnachtsbaum, was sollte das? Wenn er einen Baum sehen wollte, würde er in den Wald gehen, dort gab es lebende Bäume. Das ganze Jahr über war Tom Zuhause in Washington, er war Texter von Beruf und schrieb für die unterschiedlichsten Auftraggeber Artikel, Kochbücher oder Produktvorstellungen für Firmen. Manchmal schrieb er auch Kurzgeschichten oder Romane. Leben konnte er von seiner Tätigkeit als Texter zwar nicht, aber er würde diesen Beruf gegen keinen Beruf der Welt eintauschen, auch wenn er mit einer Tätigkeit im Büro wahrscheinlich wesentlich mehr verdienen würde. Es war Heiligabend, seine Frau Sophia hatte heute Einsatzbereitschaft bei der Feuerwehr und würde erst morgen früh von der Nachtschicht nach Hause kommen. Seine Frau und er selbst wollten sich nichts schenken, auch seine Neffen und Nichten bekamen nichts von ihm außer einer Weihnachtskarte. Er sah seine Neffen und Nichten eh nur selten, vielleicht einmal im Jahr. Von seinen Geschwistern wollte Tom eh nichts wissen, da sie ihn nicht akzeptierten, was er tat, außerdem hatte sie keine Ahnung von diesem Beruf. Er würde mit niemanden von ihnen tauschen wollen, nur weil sie ein wenig mehr Geld verdienten. Was brachte einem das ganze Geld, wenn man nicht mehr glücklich war? Ein Passant rempelte Tom von der Seite an und rief: „Pass doch auf, hast du keine Augen im Kopf?“ Tom ignorierte ihn, als die ersten Schneeflocken auf seiner Jacke landeten. Schnee auch das noch? Tom hasste Schnee, er mochte ihn nicht auch nicht am Heiligabend. Tom beschleunigte seine Schritte er wollte nur noch eines nach Hause, die Einkaufstüten in seinen Händen wurden mit jedem Schritt schwerer, er hatte einen Rindergulasch, einen Rotwein, einen Jim Beam Double Oak und einen Liter Milch gekauft. Morgen Mittag
(meistens eher abends oder später Nachmittag wenn seine Frau von der Nachtsicht kam) wollte er seine Frau verwöhnen und ihr ein besonderes Essen kochen. Dazu ein Glas Rotwein und vor dem Schlafen gehen, dann noch ein Glas Whisky und der Abend wäre perfekt. Man musste sich nichts schenken, die meisten Kinder wussten doch eh nicht warum die Leute Weihnachten feierten und was es mit dem Heiligabend wirklich auf sich hat. Was war das nur für eine Welt? Eine Frau mit einem Kind an der Hand rempelte ihn an, dann rief sie: „Pass doch auf, hast du keine Augen im Kopf?“
Tom reagierte nicht, sondern schüttelte nur den Kopf, als die Frau dem plärrenden Baby an ihn vorüber ging, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Das war es, was er meinte, Weihnachten war das Fest der Heuchler. Man traf sich mit seinen Eltern, die man wohl wissentlich in ein Altenheim abgeschoben hatte und bei denen man eh nur als Pflichtbesuch an Tagen wie Weihnachten, Ostern oder an Geburtstagen vorbeischaute, um sie anschließend wieder zu vergessen. Seiner Meinung nach wurde zu keiner Zeit des Jahres mehr gelogen wie an Weihnachten. Die Menschen waren Heuchler und Schauspieler, (die in Wahrheit nur ihren eigenen Vorteil sahen),  dachte Tom. Diese gesamte Weihnachtszeit ging ihm am Arsch vorbei. Tom atmete erleichtert auf, als er seine Wohnungstür erreichte. Als er in den Hausflur trat, roch es nach Bratwurst. Bratwurst und Kartoffelsalat, dachte Tom, das typische Weihnachtsessen. Nur die Menschen von der älteren Generation aßen an den Feiertagen eine Gans, oder eine Ente. Bei dem Gedanken daran lief ihm das Wasser im Mund zusammen und sein Magen meldete sich. Als er gerade dabei war die Haustür aufzuschließen, trat Frau König in den Hausflur und sagte: „Entschuldigen Sie Herr Winkler frohe Weihnachten, aber ich habe einige Pakete und Päckchen für Sie angenommen. Könnten Sie bitte kurz warten, ich hole sie.“
Na toll, dachte Tom. Pakete, Päckchen? Wer sollte ihm ein Paket oder ein Päckchen senden? Seine Geschwister, das taten sie doch sonst nicht. Seine Frau hatte keine Geschwister, sie war Einzelkind gewesen und ihren Eltern waren bereits seit einigen Jahren tot. Doch was Tom sah, als Frau König wieder kam, verschlug es ihm die Sprache. Die Frau brachte nicht nur ein zwei Pakete nein, Frau König kam gleich mit einem ganzen Einkaufskorb voller Frachtgut schön bunt verpackt von unterschiedlicher Form und Größe. Tom schätzte, dass es sich um weit mehr als vierzig Pakete handelte.
„Frau König sind Sie sicher, dass diese Päckchen alle für mich sind?“, fragte Tom.
„Überall steht Ihr Name und Ihre Anschrift drauf, nehmen Sie und überzeugen Sie sich selbst. Den Korb können Sie mir die Tage zurückgeben und frohe Weihnachten.“
„Vielen Dank auch Ihnen ein frohes Fest.“, sagte Tom und runzelte die Stirn, als der den Korb entgegennahm.
Tom trat in seine Wohnung und stellte den Korb auf den Küchenboden ab. Anschließend wählte er die Nummer seiner Frau. Seine Frau würde ihm die Geschichte niemals abkaufen.
„Der Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar.“, meldete sich eine monotone Stimme. Tom stecke das Smartphone wieder in die Hosentasche und betrachtete neugierig die Pakete. Auf alle Paketen standen ohne Zweifel sein Name und seine Adresse. Tom runzelte die Stirn, wer verschickte knapp dreißig Pakete? Die Handschrift war überall dieselbe, soweit er das mit seinen laienhaften Kenntnissen beurteilen konnte. Irgendjemand schien viel Zeit und Geld zu haben. Tom nahm ein Küchenmesser aus der Schublade und begann langsam das Klebeband des erstens Päckchen aufzuschneiden. Im Innerem befand sich Papier und Plastikfolie. Tom griff abermals mit der Hand in das Paket. Er spürte etwas Hartes, es ließ sich nicht eindrücken. Doch als er den Gegenstand hinaus holte stockte ihm der Atem. In seiner Hand hielt er den abtrennten Fuß einer Frau. In Panik riss er die anderen Pakete auf. Er fand einen rechten Arm, eine linke Hand, an welcher ein goldener Ehering steckte. Das konnte doch nicht wahr sein, wollte sich jemand einen Scherz mit ihm erlauben? Was war das für ein krankes Schwein? In dem größten Paket fand er den Kopf seiner Ehefrau.

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 Teichhüpfer (21.04.21)
Der Sutrig kommt zum Schwein.
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