Bernstein

Skizze zum Thema Erinnerung

von  nadir

… es gibt auch Minuten, Stunden, Tage, die sich einen schwarzen Panzer übergezogen haben. Dem Blick, der rückwärts über ihre Oberfläche läuft undurchsichtig geworden. Dann aber wieder Stunden und Tage, in denen alle Bilder in einen, sagen wir – durchsichtigen Stein des Erinnerns eingeschlossen sind, so wie das tote Insekt in den Bernstein. Den Blicken unverborgen, doch in seiner ganzen, vollständig erhaltenen Gestalt bloß konserviert und lange schon über die Seufzerbrücke des Lebens gegangen. Und wollte einer sie wirklich einmal mit den Fingern ertasten, so stößt er stets nur auf Stein und rührt sie nicht an.

Einen solchen Stein hält er, der Unglücklichste, in den Händen und will ihn zerbrechen. Mit dem Hammer seines rasend gewordenen Willens zerschlägt er den Stein und rührt mit den Fingern an das freigelegte Bild einer einzigen Stunde. In seinen Händen wurde sie grau und fahl und zuletzt zerfiel sie zu Staub.

Andere Erinnerungen gibt es, die für ihn wie Scheinsonnen sind. Bleibt der Unglücklichste ihnen fern, senden sie ein wärmendes Licht, das golden und schön ist. Je näher er aber an sie herantritt, desto kälter wird ihr schneidendes Licht und zuletzt wird es kalt wie das Eis. Solche Erinnerungen bewahrt er sich und hält Abstand. Manchmal schläft er, in die Gärten der Gegenwart gestellt, in ihrem Licht ein. Und ist glücklich.

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Kommentare zu diesem Text

Sin (56)
(13.04.21)
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 nadir meinte dazu am 13.04.21:
dankeschön sin :)

einen roman? hab einen bei mir rumfliegen, der ist aber eher so ... lala

und um einen zweiten anzufangen, bin ich gerade einfach zu faul, die ganze strukturarbeit, die charaktere, die handlung ... darauf habe ich momentan mal so gar keinen bock.

lg
nadir
Sin (56) antwortete darauf am 13.04.21:
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 DanceWith1Life (13.04.21)
Text und Kommentar scheinen im selben Licht, das passiert hier eher selten, gerne gelesen.
Jetzt hätte ich fast meinen eigenen Kommentar vergessen, lach.
Passt ja zum Text.
Ich fühle mich an Rückblicke erinnert, die sich nur in der Facette ihrer eigenen Zeit erschliessen.
Der Stein wäre damit fast ein Symbol des Wandels, schon eigenartig. Es gibt diesen oft nicht wirklich bewusst geäusserten Spruch, jeder Augenblick ist einzigartig. Und ja, erinnert an den tragenden inneren Monolog vieler Romane, wobei die diesen umgebende Szenerie....
Menschen sind wohl ein größeres Rätsel, als wir alle glauben.

Kommentar geändert am 13.04.2021 um 18:09 Uhr

 nadir schrieb daraufhin am 13.04.21:
dankeschön dir, der du mit 1nem leben tanzt. deine interpreation ist ungeheuer interessant! weiß du, mich erinnert es fast eher an die essenz eines dramas, als an einen roman.

lg
nadir

Antwort geändert am 13.04.2021 um 20:31 Uhr
wa Bash (47)
(13.04.21)
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 nadir äußerte darauf am 13.04.21:
danke dir :) schön, das du vorbeigeschaut hast!

lg
nadir

 EkkehartMittelberg (13.04.21)
hallo nadir, du hast mit dem Bernstein das Symbol schlechthin für Erinnerung gefunden und du hast seine Substanz trefflich charakterisiert.
Beeindruckte Grüße
Ekki

 nadir ergänzte dazu am 13.04.21:
vielen dank ekki. freut mich, das dir der text zusagt. vorallem aber, dass du das bild für treffend erachtest.

lg
nadir

 AchterZwerg (14.04.21)
Gaaanz toll!
Die mit dem Hammer freizulegende Erinnerung, die sich trotzdem nicht einstellen will, die Furcht, dass eines Tages alles Vorherige versiegen könnte ... und das zeitweilige Glück im Augenblick.

:)

 nadir meinte dazu am 14.04.21:
danke dir :)

erinnerungen sind schon eine seltsame sache ...

lg
nadir
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