Wellen. Wellen.

Text zum Thema Allzu Menschliches

von  Walther

Wellen. Wellen.

Für Thomas Rackwitz



I

Die uns vor falschen Wegen oft bewahren,
Sind nicht oft die, auf die wir hören wollen.
Wir tun es nicht, wir gehen in die Vollen,
Als würde Dummheit sich mit Wagnis paaren.

Ich würde mir das nur zu gern ersparen:
Wie wahr, ich hätte einfach hören sollen,
Anstatt die ganze Zeit mit Inbrunst schmollen
Und dann mein Leben an die Wand zu fahren.

Ich hatte nichts als Widerwort im Kopf.
Wenn mich der Unsinn listig zu sich pfiff,
Ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf.

Ich war nur ungehobelt, ohne Schliff,
Ritt Stürme und das Meer im Suppentopf:
Die Wellen balzten lüstern um das Riff.


II

Die Wellen balzten lüstern um das Riff.
Die Wirklichkeit gab’s nurmehr als Chimäre:
Der Mensch spielt Argonaut auf einer Fähre
Und hat vom Ziel der Reise kein Begriff.

Das Rätsel löste man mit einem Kniff!
Stattdessen fuhr man los ins Ungefähre,
Man fraß, anstatt zu speichern, jede Ähre
Und hielt für höherwertig auch den Siff.

Ich lag an Stränden allzu vieler Meere
Und hatte niemand, der mich einmal kniff.
Ertränkte ich das Volle in der Leere,

Wenn der Klabautermann am schönsten pfiff,
Gereichte es den Wellen wohl zur Ehre:
Auf ihren Kämmen tanzte dieses Schiff.


III

Auf ihren Kämmen tanzte dieses Schiff:
Ich hatte lang schon jeden Kurs verloren.
Aus tiefster Not wird kaum ein Held geboren,
Nein, meist ein Feigling, auf den jeder pfiff.

Nicht immer half die Flucht als letzter Kniff.
Die Götter hatten sich doch längst verschworen,
Die rauen Wetter hatten sie erkoren,
Dass selbst der letzte Mensch sehr schnell begriff,

Worum es ging, wenn man die Meere schwebte.
War da der Kompass irgendwann abhanden,
Verfehlte man das Ziel, zu dem man strebte.

Ich stand allein da, und die Sinne schwanden,
Als unter mir das Schiff beim Krängen bebte:
Es wollte und es konnte nirgends landen.


IV

Es wollte und es konnte nirgends landen.
Die Wellen wurden flacher, Böen schwächer,
Ein Hai zog weite Kreise als ein Rächer
Und Warner, hatte ich sehr schnell verstanden.

Ich dachte an die Zeit, als wir empfanden,
Die Welt gehörte uns: Wir waren Zecher,
Wir tranken alles bis zum letzten Becher,
Bis wir uns in Verliesen wiederfanden.

Ich stieg hinauf zum Ausguck, es war Flaute.
Man sah nur Wasser, nichts von fernen Landen,
Soweit man auch die Horizonte schaute.

Es wollte eine Möwe bei mir landen.
Auf einmal schien’s, dass sie sich nicht mehr traute:
Der Wind kam auf, als mir die Sinne schwanden.


V

Der Wind kam auf, als mir die Sinne schwanden.
Halb wach konnt ich das stete Schwanken fühlen,
Die Winde, die mich wiegten, mit den kühlen
Und feuchten Böen. Zeit kam mir abhanden,

Der Tag geriet zur Nacht, und Sterne standen
Und malten mir das Kreuz des Südens. Fühlen
War, was ich suchte, doch des Lebens Mühlen
Zermahlten es – und ließen es versanden.

Die Wanten klatschten, und die Fische sprangen.
Ich fühlte, wie ein kleiner Krebs mich kniff
Und konnte mit der Hand mir Silber fangen,

Das über blanke Planken schlitternd schliff.
Dann war der Wachtraum aber schon vergangen:
Es war die Zeit, in der ich klar begriff.


VI

Es war die Zeit, in der ich klar begriff,
Dass Reisen meist nur eines war: ein Flüchten,
Ein Fallen aus dem Alltag, zu den Süchten,
Das mit dem hehren Ziel war bloß ein Kniff.

Die meisten Fahrten endeten am Riff.
Das Wellenraunen ähnelte Gerüchten,
Die in uns falsche Lebensbilder züchten.
Die Ozeane querte ich per Schiff,

Die Mannschaft war gebildet aus den Träumen.
Der Offizier, der bei acht Glasen pfiff,
Ließ Decks und die Quartiere plötzlich räumen:

Es muss ein Ende sein mit Dreck und Siff.
Und die Erkenntnis ließ sich nicht versäumen,
Dass es nichts nutzte, wenn man feige kniff.


VII

Dass es nichts nutzte, wenn man feige kniff,
War eine Binsenweisheit, die nichts brachte.
Die Mannschaft, die an Deck grad Ordnung machte,
Gab meinem Schiff den allerletzten Schliff.

Der Ausguck schwankte. Ich nahm einen Sniff
Vom Kokain, das machte, dass ich lachte,
Die Welt bekam den Glanzanstrich, und sachte
Glitt ich den Mast hinab, rutschte und vergriff

Mich, fiel ins Schwarz, schlug krachend auf die Planken:
Der Schmerz war Antwort auf das harte Landen.
Ich sah die Träume sich nach oben ranken,

Und hatte nichts und niemand mehr verstanden.
Die Masten würden sich vielleicht verschlanken:
Ein Unglück würde niemals nur versanden.


VIII

Ein Unglück würde niemals nur versanden,
Erkannte ich und kettelte den Riss
In meinem Glauben, als ein Möwenschiss
Mich wissen ließ, ich wär nicht von den Granden,

Ich wäre eher einer der Probanden,
Die der Versuch und auch der Irrtum biss,
Die allseits man als Tierversuch verschliss,
Weil sie, wohl Zufall, an der Stelle standen.

Ich wälzte mich voll Ekel in den Schatten.
Der Schiss begann rasch fürchterlich zu stinken,
Den meine Freunde für mich übrig hatten.

Es schien die Zeit, mich hier jetzt auszuklinken.
Doch Selbiges ging nicht so leicht vonstatten:
Es würde unter Dünen nicht versinken.


IX

Es würde unter Dünen nicht versinken.
Es würde vielmehr mit dem Sandberg wandern,
Die Küste lang von Hamburg bis nach Flandern.
Es war mir klar, dass diese Bilder hinken.

Am Horizont sah ich die Lichter blinken.
Die Augen hüpften hin und her: Mäandern
Die Hoffnungen? Kommt diesmal eins zum andern?
Es war, als würden sich die Karten zinken –

Am Spieltisch mit Klabautermann und Hein:
Wenn sich Versagen und das Unglück paaren,
Dann musste ich da immer mittenrein.

Sie soffen Rum und danach alten Klaren.
Das schlimmste Schicksal war am Ende mein:
Ich wachte auf mit Gischt in meinen Haaren.


X

Ich wachte auf mit Gischt in meinen Haaren.
Der Sturm erweckte mich, die Wellen rauschten,
Und Segel blähten, schlugen hart und bauschten,
Der Wind war scharf aus Nord in uns gefahren.

Wir kreuzten im Atlantik. Die Kanaren
Verschwanden rechts von uns. Die Ohren lauschten,
Als sich die Richtungen wie wild vertauschten
Und Spunten wimmerten wie die Fanfaren.

Ich wollte stehen, doch ich musste fallen.
Das Barometer musste schneller sinken,
Als je zuvor. Wie lautes Peitschenknallen

Zerhieb die Takelage Licht und Blinken.
Vor Müdigkeit begann ich leis zu lallen,
Verwünschte diesen Tag und müsste trinken.


XI

Verwünschte diesen Tag und müsste trinken:
Der Möwenschiss war durch den Guss zerflossen,
Das Schiff im Sturm schnell auf und ab geschossen;
Den Hein sah ich im Blitzschlag achtern hinken

Und den Klabautermann von Weitem winken.
Er schien bei sich sein und unverdrossen
Die Suppe anzurührn, als sich ergossen
Der Monsterbrecher drei – ich rief: Wir sinken!,

Als sich ein Wal vor uns erhob. Er blies
Fontänen in die Luft, die gülden waren.
War er es, dass man mich am Leben ließ?

Es war mein Schicksal, dieses Meer zu fahren.
Der Kiel glitt über Stein und Sand und Kies.
Die Wolken machten Platz dem Dunkelklaren.


XII

Die Wolken machten Platz dem Dunkelklaren,
Das Donnern fiel auf einmal rasch zusammen.
Ich fühlte plötzlich mich, den schweren, klammen
Und rauen Stoff, aus dem die Hosen waren.

Wir Menschen pflegen seltsames Gebaren,
Wenn Höllen sind durchlitten samt dem Flammen,
Die doch in Wahrheit aus dem Innern stammen.
Es waren Glücksmomente, von den raren,

Die man geschenkt bekam wie aus dem Nichts.
Die Sonne schien, und ich begann zu stinken,
Mit Salz in jeder Pore des Gesichts.

Des Schicksals Mantel schenkte mir ein Winken
Und aus dem Schatz des Glücks ein Strahl des Lichts
Dem Sternenhimmel, in dem Sonnen blinken.


XIII

Dem Sternenhimmel, in dem Sonnen blinken,
War Kälte eigen, Stille, Unbarmherzigkeit.
Ich hatte mich geübt und war bereit.
Der Raum war weiß, mit Türen ohne Klinken.

Mein Schatten wollte in der Wand versinken
Und mit ihm auch mein Sein und alle Zeit.
Ich schnitt aus meinem Mut mir Kraft und Kleid
Und wollte meine Rüstung grad verzinken,

Als diese Träume platzend mich befreiten.
Ich wollte lieber Sturm und Meer befahren,
Durch Sand und Wüsten auf Kamelen reiten,

Als Mäuschen sein am Hof von einem Zaren.
Es waren Leid und Schmerz, die uns begleiten,
Die uns von falschen Wegen oft bewahren.


XIV

Die uns von falschen Wegen oft bewahren,
Sind Freunde, das Gelernte und Verstand.
Gefahren wurden viel zu spät als sie erkannt,
Wenn Blindheit und die Wut am Steuer waren.

Das Ritterheer verlor. Der Sieg war den Tartaren.
Das Leichte, das das Schwere überwand,
Es war der schnellen Klugheit nah verwandt:
Die Ritter starben fürchterlich in Scharen.

Denn, als ich’s wusste, war die Schlacht geschlagen.
Ich hatte das Prinzip zu spät verstanden.
Jetzt blieben fast nur Scherben neben Klagen.

Mein Glück sah ich mit Sturm und Drang versanden.
Mit mir auf dieser Insel wohnten Fragen:
Ich stand am Strand, die Welt kam mir abhanden.


XV (Meistersonett)

Ich stand am Strand, die Welt kam mir abhanden.
Die Wellen balzten lüstern um das Riff.
Auf ihren Kämmen tanzte dieses Schiff:
Es wollte und es konnte nirgends landen.

Der Wind kam auf, als mir die Sinne schwanden.
Es war die Zeit, in der ich klar begriff,
Dass es nichts nutzte, wenn man feige kniff:
Ein Unglück würde niemals nur versanden,

Es würde unter Dünen nicht versinken.
Ich wachte auf mit Gischt in meinen Haaren,
Verwünschte diesen Tag und müsste trinken.

Die Wolken machten Platz dem Dunkelklaren,
Dem Sternenhimmel, in dem Sonnen blinken,
Die uns von falschen Wegen oft bewahren.


Anmerkung von Walther:

Sonettkranz mit Meistergedicht

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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (13.05.21)
Hallo Walther, so ein Produkt äußerster sprachlicher Kunstfertigkeit sollte nicht Sonettkranz, sondern -teppich heißen, es kommt mir vor, als hättest Du ihn mit seinen wiederkehrenden Zeilen und Motiven aus verschieden farbiger Wolle an einem Riesenwebstuhl gewoben ... Ich habe ihn (den Kranz oder Teppich) aufgeschlagen, weil der Titel mir die Erwartung, ja, Hoffnung eingab, Du könntest Dich mit einem der meistunterschätzten Romane der deutschen Literatur auseinandersetzen: "Wellen" von Eduard von Keyserling. Aber wie dort geht es um Meer und Schiffe auch bei Dir, aber bei Dir mehr in einem metaphorischen, nicht tatsächlichen Sinne, um auf Irren und Scheitern im Leben eingehen zu können (soweit ich es verstanden habe). Gruß Quoth

 Walther meinte dazu am 13.05.21:
lb Quoth,
danke fürs lesen und besprechen. den roman kenne ich nicht. das sollte ich vielleicht ändern, wenn ich dich recht verstehe.
ich betreibe mit einigen redakteur*innen gemeinsam ein kleines, unbedeutendes literatur- und feuilletonprojekt:  http://www.zugetextet.com/ wenn du eine besprechung schreiben magst, wende dich damit einfach an das redaktionspostfach. ich freue mich darauf.
in der tat habe ich mit dem kranz eine art essay geschrieben. das ergab sich einfach. ich werde dieses konzept in den kommenden monaten und jahren noch etwas ausarbeiten und einen kranz der kränze als sonnet-wreath-essay zu weben versuchen. mal schauen, ob das klappt. das wird sicherlich ziemlich dauern. so was schüttle nicht mal ich aus dem arm.
lg W.

 Quoth antwortete darauf am 14.05.21:
So wie Petrarca und Shakespeare das Sonett (sonnet) begründet haben, hat Montaigne für den Essay die gültige Form (Prosa) gefunden. Ich halte es für riskant, das zu ignorieren und Essayistisches in die Sonettform zu zwängen. Diese verlangt immer eine dramatische Situation, in der gerühmt, geklagt, bewundert, geschmäht werden kann: Also ein nicht zu geringes Maß an Emotion. Für beliebig befüllbar halte ich die Sonettform nicht. Aber ich weiß, dass viele ihrer Liebhaber anderer Meinung sind. Gruß Quoth

 Walther schrieb daraufhin am 14.05.21:
lb Quoth,
da ich kein literaturwissenschaftler und kein germanist bin, sondern autodidaktischer dilettant, mag ich dir nicht widersprechen. deine sonettdefinition stammt aus dem 19. jahrhundert, in dem ein herr Schlegel das kontinentale sonett, wie es oben steht, versuchte zu korsettieren. schon Goethe und Heine haben sich darum nur am rand geschoren. seit spätestens Trakl, Boldt und Rainer Maria, bekannt als Rilke, ist das aber nicht mehr der fall.
heute ist meiner unmaßgeblichen sichtweise nach das dialogisch-diskursive, das wir bereits in Barocksonett angelegt sehen, und das klingelnde-wohltönende (sonare) das, was das sonett im kern ausmacht. der rest ist schön, aber nicht mehr konstituierend. vielleicht noch der jambus. schon die strophenform und der reim sind nicht mehr bedingend.
dass ich mich daran halte, ist meine wahl. ich habe die form nicht als beengend empfunden, seit ich sie verstanden hatte. sie geht ins blut über, wenn man sich genug in ihr tummelt.
warum das essayistische? ganz einfach. das sonett diskutiert seine topoi. das essay ebenfalls. auch in diesem fall jedoch will ich mich mit dir nicht auf eine literaturwissenschaftliche debatte einlassen. ich bin nur ein autor mit einer gewissen versiertheit. mehr nicht.
dass ich wagnisse eingehe, deren scheitern ich bewusst in kauf nehme, ist eine wahl, die ich in vollem bewusstsein des risikos treffe. ob ich gut am anderen ufer des reißenden flusses ankomme, weiß ich nicht. er könnte den namen Rubikon tragen. oder schöne, blaue Donau.
lg W.

Antwort geändert am 14.05.2021 um 10:45 Uhr
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