Tathagatagarbha

Glosse zum Thema Frieden

von  Terminator

Die Chinesen und Tibeter lernten den Buddhismus nicht als das ursprüngliche Theravada kennen, das eine soteriologische Negation des indischen Brahmanismus war, sondern als Mahayana, dessen Ziel nicht mehr die Erlöschung war. Der chinesische Chan- und der tibetische Vajrayana-Buddhismus setzen nicht auf den graduellen, stufenweisen Aufstieg zur Erleuchtung, sondern auf unmittelbare Erkenntnis. Die sofortige Erleuchtung im Chan (und dem daraus entstandenen japanischen Zen) und die unmittelbare Erkenntnis der Buddha-Natur im Dzogchen sind für den dekadenten Westler verführerisch, der ohne Beweise behaupten darf, die Erleuchtung erlangt und die Buddhaschaft erreicht zu haben. Mit solchen faulen Selbsterlösern aus dem Nihilismus der eigenen Bedeutungslosigkeit in den Nihilismus der narzisstischen Selbstimmanenz füllen sich die buddhistischen Zentren der westlichen Metropolen.

Für den wahren Buddhisten des Westens indes liegt die Faszination des Chan/Zen oder Dzogchen in der paradoxen Natur der Erleuchtung. Auf die Frage des Zen-Schülers, wann er endlich die Erleuchtung erreicht, kann der Meister nur mit „Nie“ antworten, denn der Weg zur Vollkommenheit kann nicht durch ein bestimmtes Zeitquantum bemessen werden. Und dennoch gibt es die Erleuchtung. Das bedeutet, dass sie nur erreicht werden kann, wenn man aufhört, in der Zeit danach zu streben. Wer strebt, verfehlt das Ziel. So kommt es auf das taoistische „Wu wei“, das Nichttun, hinaus. Die Koans des Zen-Meisters und der Unterricht des Dzogchen-Lamas sollen den Schüler eben nicht auf dem Weg zur Vollkommenheit anleiten, sondern nur dessen Geist befreien, ihn von allem leer machen, auch vom Streben nach Vollkommenheit.

Ohne die nihilistische Grundlage des Hinayana, sondern auf der Basis des nicht-seinsverneinenden und damit nichtseins-verneinenden Mahayana lässt sich mit dem Shan/Zen oder Dzogchen der spirituelle Materialismus, der dem Nihilismus der Erlöschung entgegengesetzte Pol, umgehen. Jeder Weg zur Erleuchtung, der über Stufen geht, führt letztlich dazu, dass das Zählen der Stufen mit dem Ziel selbst verwechselt wird. Die Stufen sind aber nur der Weg, und es ist egal, wie viele Geisteszustände bis zur Erleuchtung durchschritten werden müssen: man schafft es nicht, wenn man seinen spirituellen Fortschritt über die Höhe seines Geisteszustandes definiert, erstens, weil von jeder noch so hohen Stufe der Unvollkommenheit der Weg zur Vollkommenheit immer noch unendlich ist, und zweitens, weil je höher die Stufe, umso größer das Anhaften daran, und umso schwerer die Einsicht, dass trotz der vielen Jahre der Meditation die Vollkommenheit genauso weit weg ist wie am Anfang des Weges.


Anmerkung von Terminator:

Ultrahocherhitzt und homogenisiert; vereinfacht und popularisiert.

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Kommentare zu diesem Text


 LotharAtzert (12.05.21)
"Die sofortige Erleuchtung im Chan (und dem daraus enstandenen japanischen Zen) und die unmittelbare Erkenntnis der Buddha-Natur im Dzogchen sind für den dekadenten Westler verführerisch, der ohne Beweise behaupten darf, die Erleuchtung erlangt und die Buddhaschaft erreicht zu haben."
Behaupten darf jeder alles. Eine andere Frage ist es, ob der Behaupter ernst genommen wird.

Im Vajrayana, der auch der kurze Pfad genannt wird, ist der Lehrer unabdingbar. Ohne seine Belehrungen, Einweihungen und Kraftübertragung geht nichts. In der "Guruyoga" genannten Praxis visualisiert der Schüler seinen Lehrer, der für ihn Buddha ist, über seinem Haupt im tausenblättrigen Kraftfeld und verschmilzt am Ende der Praxis mit ihm. Bevor er wieder in den Alltag zurückkehrt, wird der Segen, der aus diesen Übungen entsteht, an alle Wesen verschenkt, ohne etwas für sich selbst zurückzubehalten.

Anzunehmen, das Vajrayana verzichtet auf die Lehren des Hinayana vollständig, wäre ein Irrtum. Gerade am Anfang stehen Achtsamkeitsmeditationen u.ä. Nur ist es von Schüler zu Schüler verschieden, für wie lange diese gemacht werden.
Verbindlich für alle tibetische Schulen ist zu Beginn dagegen die "Ngöndro" genannte "Vorbereitung", die aus drei Schritten besteht:
1. 100 000 Prostrationen vor dem Buddha.
2. 100 000 mal Vajrasattva-Reinigungsmantra (hundertsilbiges) mit Visualisation.
3. 100 000 mal Mandala-Opferung.
Falls du das schon wusstest, dann ist es für die Leser zur Information.

tashi delek

 Terminator meinte dazu am 12.05.21:
Der Leser soll erstmal denn Sinn des Buddhismus verstehen, bevor er zur Praxis übergehen kann. Dafür sind vereinfachende Einführungen hilfreich. Redet man gleich über die Praxis, denkst sich der Leser, neeeee, ich will erstmal so richtig Honig von der Rasierklinge ablecken; samsarasüchtig halt.

 LotharAtzert antwortete darauf am 12.05.21:
Welcher Leser?
Stand 21:40 Uhr - dieser Text wurde bereits 12 mal aufgerufen - abzüglich meine 2 macht das 10 Leser.

Bei Graeculus sind es 180.

 Terminator schrieb daraufhin am 12.05.21:
Graeculus schreibt in der Regel bessere Texte, die dann natürlich das Wenigfache der Klickzahlen erreichen. Dass der Leser nach dem Prinzip der Auslese des Schlechtesten liest und kommentiert, ist nicht Graeculussens Schuld, aber da hat er sich ausnahmsweise einen Ausflug in die Niederungen des Massengeschmacks geleistet und hat das Äquivalent dessen bekommen, was ein Pick-Up-Artist "Erfolg bei Frauen" nennt. Vor 10 Jahren erfand die Jugendsprache das Wort "Niveaulimbo"...
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