Mein Text zu Pfingsten

Gedanke zum Thema Missverständnisse

von  eiskimo

Dieser Text gehört zum Projekt    Corona-Texte
Auf dem sehr schönen Friedhof Melaten in Köln muss ich immer innehalten am Grab einer Frau, die nur ihren Namen hinterlassen hat und dazu auf weißem Stein diese Inschrift: „La vie est ridicule“.
Da ich des Französischen einigermaßen mächtig und auch mit dem Leben schon ein bisschen vertraut bin – deutlich über sechzig Jahre – scheint mir die Übersetzung einfach, lächerlich einfach: „Das Leben ist lächerlich.“ Okay.
Nicht weit von diesem schlichten weißen Grab entfernt liegen auf Melaten auch illustre Kölner „Jecken“ und  Karnevalsgrößen, etwa Willy Milllowitsch. Dirk Bach ist in der Nähe, neuerdings auch Ex-RTL-Frohnatur Willi Herren.
Da wäre ja meine weiße Dame ja nicht total falsch mit ihrem „lächerlich“. Sie hätte ihre neuen Wegbegleiter aus der Narren-Szene sozusagen vorab begrüßt.
Aber meinte sie wirklich dieses geringschätzige, etwas „von oben herab klingende“  Pejorativ? Wollte sie sich wirklich erheben – das läge dann ja nahe – über unsere Spaßkultur und hiesigen Ruhmesgrößen?
Immer häufiger zweifle ich an meiner spontanen „Lächerlich-Übersetzung“.  Meinte die Dame nicht eher „Das Leben ist zum Lachen“?  Oder „Das Leben ist zum Lachen da“? Klingt doch schon ganz anders. Viel positiver jedenfalls, viel versöhnlicher.
Mit „Das Leben ist lachhaft“ wäre ich wieder dicht an dem „Lächerlich“, aber man bräuchte noch eine Ergänzung wie „lachhaft kurz“ oder „lachhaft oberflächlich“.
Zuletzt war ich kurz bei „Das Leben ist ein Witz“.... , um das aber als grobe Verkürzung wieder zu verwerfen. Eher ginge da noch „Das Leben ist witzig“, aber das wiederum hätte nicht den Tiefgang von „ridicule“. Immerhin, es könnte fast moderne Jugendsprache sein – was finden wir heute nicht alles witzig?  Trump war für viele witzig, Seehofer mit Corona ....die kleine Thunberg...alles irgendwie witzig.
Letzter Versuch: Life is ridiculous...?  Gosh!
La vie est ridicule. Auf Französisch hat es einfach was. Da hat es auch im Tod noch Savoir Vivre . Und es beschäftigt mich weiter. Kompliment an die Dame in Weiß.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter Wal (24.05.21)
Sie hätte auch DON'T WORRY, BE HAPPY. einmeißeln lassen können. Doch bin ich mir darüber unklar, ob dann nicht ein Anwalt des Bobby Mc Ferrin-Managements für Künstler und Texter Schadensersatz geltend gemacht hätte. Ich vermute ähnlich Dir, dass die Verstorbene nicht einfach ihrem Pessimismus Ausdruck verlieh, und falls doch, fände ich es sinnvoll, dass man diesen Wunsch respektierte. Vielleicht bedeutet es ja tatsächlich auch etwas im Sinn von "Lächle und nimm nicht immer alles ernst. Das Leben ist wundervoll."

 eiskimo meinte dazu am 24.05.21:
D' accord pour .. wundervoll! Vielleicht ist es ja auch voller Wunder, die wir nur nicht wahrnehmen.
Salut
Eiskimo

 EkkehartMittelberg (24.05.21)
Kennst du von Nikolaus Lenau "Drei Zigeuner sah ich einmal"? für ihn war das Leben auch ridicule.

LG
Ekki

 eiskimo antwortete darauf am 24.05.21:
Kenne ich leider nicht... muss das heute nicht umbenannt werden, Stichwort politische Korrektheit?
Lg
Eiskimo

 Quoth (24.05.21)
Hallo Eiskimo, Danke für den anregenden Pfingsttext! Interessant ist, dass die Verstorbene es auf Französisch sagte. Im französischen Denken spielt das Lächerliche, die Lächerlichkeit, die Angst davor, sich lächerlich zu machen, eine für mein Gefühl viel größere Rolle als im deutschen. "Cherchez le ridicule en tout, vous le trouverez." Jules Renard. Eins von vielen Zitaten auf der Seite https://www.mon-poeme.fr/pensees-ridicule/ Auch könnte ich mir denken, dass die Verstorbene viel Schweres erlebt hat, dass ein Moment des Trotzes in ihrer Grabschrift steckt: "Bloß nicht das Leben zu ernst nehmen!" Dies Trotzmoment ist auch in Lenaus Gedicht von den drei Zigeunern enthalten: https://www.deutschelyrik.de/die-drei-zigeuner-1490.html
Gruß Quoth

 eiskimo schrieb daraufhin am 24.05.21:
Danke für diese Vertiefung- das überzeugt mich und macht mich gleichzeitig neugierig, deinen Anregungen mal nachzugehen!
Salut
Eiskimo

 Quoth äußerte darauf am 25.05.21:
War die Verstorbene Französin? An ihrem Vornamen wäre das erkennbar ...

 eiskimo ergänzte dazu am 25.05.21:
Nein, da steht ein sehr deutscher Name. Aber das muss nichts heißen- viele Deutsche waren sehr Frankreich-orientiert. Heute hat das ziemlich nachgelassen...

 Graeculus (25.05.21)
Gedacht habe ich spontan an das Schluß-Rondo in Verdis Falstaff: "Tutto nel mondo è burla, l’uom è nato burlone. (Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren.)"
Fast könnte es eine Übersetzung davon sein.

Das Motto ist jedenfalls altehrwürdig, und wenn ich lange genug nachdenke, wird es mir auch aus der Antike einfallen. Zum Beispiel bei der Legende von den beiden Philosophen, deren einer immer lachen mußte, wenn er unter Menschen ging (Demokrit), während der andere weinte (Heraklit).
Da fällt die Wahl doch nicht schwer, oder?

 Graeculus meinte dazu am 25.05.21:
Ich hoffe, niemandem zu nahe zu treten, wenn ich sage, daß die italienische Version schöner klingt, musikalischer. Wird ja auch gesungen.

 eiskimo meinte dazu am 25.05.21:
Toll! Ich lerne dazu... und Italienisch ist einfach sexy, wie man heute sagt
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