Der Diplomat unterm Tisch (Fortsetzung)

Anekdote zum Thema Reisen

von  EkkehartMittelberg

Endlich erhielt der albanische Diplomat die Schuhe seiner Angebeteten zurück und er konnte sich ihr weiter mit Inbrunst widmen. Das Bild auf der Tanzfläche ließ an Farbigkeit nichts zu wünschen übrig. Da waren einerseits die fein gekleideten Diplomaten und andererseits Proleten aus unserer Reisegruppe, die ihre Tätowierungen - damals noch eine Seltenheit-  und Herkuleshosenträger mit Klassenbewusstsein trugen. Das wilde Geschiebe der Tänzer wurde mit den Schlagern aus der Nazi-Zeit untermalt, an deren ideologischer Herkunft sich aber niemand störte.
Schließlich wankte die Gesellschaft mehr oder weniger betrunken in die Betten und riss Witze darüber, dass die Zimmer verwanzt seien.
Am anderen Morgen wurden wir in aller Frühe geweckt, um sozialistische Errungenschaften zu besichtigen. Albanien war 1971 stolz darauf, total atheistisch zu sein. Das wurde unterstrichen mit Gewändern früherer geistlicher Würdenträger, die im Nationalmuseum als überholte Geschichte ausgestellt waren. Der Reiseführer mokierte sich süffisant darüber, dass man den Plunder abgeschafft habe. Das war Wasser auf die Mühlen des Kölners, der dem kubanischen Diplomaten die Uhr abgeluchst hatte, die er ganz ungeniert trug. Er rief dem Reiseführer zu: „Sag mal Panu, wann habt ihr denn den letzten Priester ufjefressen?“ Da herrschte eisiges Schweigen und jeder spürte, dass es gefährlich wurde, denn dem Reiseführer stieg die Zornesröte ins Gesicht.
Meiner Frau rettete die Situation, indem sie dem Zornentbrannten gut zuredete.  Er solle bitte dem Schandmaul nichts übel nehmen. Der sei unser Hofnarr. Panu, der in der DDR studiert hatte, wusste zu unserem Glück mit dem Begriff Hofnarr etwas anzufangen und er beruhigte sich wieder. Jetzt schien selbst der Kölner gemerkt zu haben, dass man in Albanien Enver Hodschas nicht scherzen durfte wie daheim in der Bütt.
Unsere nächste Station war das Fußballstadion, im dem kurz zuvor die deutsche Nationalmannschaft mit 1:0 geschlagen worden war. Wir erinnerten uns, dass der deutsche Reporter nach Deutschland von einem unbespielbaren Acker berichtet hatte. Der hatte wohl in derselben Taverne wie wir mit den deutschen Spielern zu tief ins Glas gesehen und versuchte deren miserable Leistung mit dem unbespielbaren Feld zu entschuldigen. Das konnte ja niemand überprüfen außer unserer kleinen Gruppe, die etwas später Tirana bereiste.
Die dritte Station an diesem Tage war das antike Duris, heute Durres, eine Hafenstadt. Das jodhaltige Klima bekam uns nach der durchzechten Nacht sehr gut und der Strand war am Wochenende von Einheimischen stark frequentiert, die das Badeleben genossen und keinen unglücklichen Eindruck machten trotz der ständigen Kontrolle des Diktators Hodscha. Aber vielleicht hätte ich dort  beinahe einen großen Fehler gemacht. In dem Hotel, wo wir zu Mittag aßen, waren in Safran-Leder gebundene „Mao-Bibeln“ ausgelegt, die man spottgünstig erwerben konnte.
Man musste freilich seine Anschrift in Deutschland angeben. Ich war zu dieser Zeit gerade ins Beamtenverhältnis übernommen worden und der Verfassungsschutz war zur Zeit der Neuen Linken recht rührig. Meine Frau fragte mich, ob ich scharf darauf sei, mit meinen Mao-Schriften von denen besonders gewissenhaft beobachtet zu werden. Ich habe schweren Herzens auf die ästhetisch schöne Mao-Ausgabe verzichtet. Der erlebnisreiche Besuch in Albanien hat mich aber keineswegs gereut.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (01.06.21)
Interessant.
Ludwig Wittgenstein hat einmal bemerkt, das Kennzeichnendste an den Nationalsozialisten sei ihr völliges Fehlen von Humor.
Wie man sieht, standen dem die Stalinisten in nichts nach. Aber was soll man in dieser Hinsicht über den bundesdeutschen Verfassungsschutz und sein Verhältnis zu Mao-Bibeln sagen?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.06.21:
Merci, Graeculus, Humorlosigkeit kennzeichnet sicher Diktaturen jeder Art.. Ich könnte mir freilich vorstellen. dass sich Diktatoren an zynischen Witzen weideten. Ich vermute, dass es sie gab, dass sie aber so unsäglich sind, dass man sie nicht zitieren kann?

 harzgebirgler (01.06.21)
lebendig geschrieben & gerne gelesen!

die mao-bibel in leder
hatte sicher nicht jeder
doch drauf zu verzichten
war unklug mitnichten.

lg
henning

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 01.06.21:
Merci, Henning,

Mao hasste bekanntlich jeden Überfluss,
doch seine Worte in Safran-Leder bereiteten ihm keinen Verdruss.

LG
Ekki

 FrankReich (01.06.21)
Hi Ekki,

auf Deine Frau kannst Du wirklich stolz sein.

Ciao, Frank

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 01.06.21:
Merci, Frank, da wir sehr früh in wenig erschlossene Regionen reisten, kamen wir unausweichlich in gefährliche Situationen, die ich ohne die Diplomatie und den Instinkt meiner Frau nicht immer gemeistert hätten.

 GastIltis (01.06.21)
Lieber Ekki,

deine beiden Albanien-Texte habe ich inzwischen gelesen. Das ist eine fremde Welt. Überhaupt waren die „sozialistischen“ Staaten für uns Normalverbraucher ein schwieriges Terrain. 1968 und 1970 war ich im September jeweils einmal (Nessebar und Warna) für vierzehn Tage in Bulgarien. Das war insofern unschön, da ich von den zugewiesenen Lewa-Talons leben musste und man mir bei der zweiten Reise auf dem Flughafen in Schönefeld auch noch 300 Mark, die ich illegal mitnehmen wollte, abgenommen hatte. Ich war als junger Mann quasi mittellos. Die Talons hatten einen Wert von 70 Lewa. Als ich das ein paar Leuten eines Kegelklubs aus Niedersachsen erzählte, kriegten sie sich vor Lachen nicht ein: „Das haben wir am ersten Abend auf den Kopf gehaun!“ Als ich einmal mit „Wessis“ am Tisch saß und mein „Kleingeld“ zählte, fragten mich die wirklich netten Leute, ob sie mein Essen mit bezahlen dürfen. Ich wäre vor Scham am liebsten raus gerannt. Ähnliche Erlebnisse hatte ich mehrere. Das war alles 1970. Da habe ich beschlossen, nicht mehr dort hin zu fahren.
Ich war dann zwar später noch einmal eine Woche im Rahmen eines betrieblichen Austausches dort und konnte die Gastfreundlichkeit nicht nur in allen Facetten genießen, sondern bekam die Gelegenheit geboten, mir die schönsten Talsperren bis in 2000 m Höhe und in landschaftlich herrlichster Lage ansehen zu dürfen. Vor allem die Mittags-Empfänge auf den Baustellen in Sofia und Plowdiw sind mir in bleibender Erinnerung dauerhaft haften geblieben.

Es waren schon komische Zeiten!
Sei herzlich gegrüßt von Gil.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 01.06.21:
Hallo Gil, dein Kommentar ist für mich hochinteressant. Unsere ersten Reisen führten uns fast ausschließlich in sozialistische Länder, weil die für uns (ich war noch Student bzw. Referendar) preisgünstiger waren. Da konnte ich gut beobachten, wie Menschen aus der BRD mit denen aus der DDR umgingen, leider manchmal mit gönnerhafter Leutseligkeit. Aber schlimmer war, wie sozialistische Bruderländer Reisende aus der BRD als Devisenbringer gegenüber denen aus der DDR maßlos bevorzugten. Ich werde davon noch berichten.
Herzliche Grüße
Ekki
Sin (56)
(01.06.21)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 01.06.21:
Vielen Dank, Sin, hoffentlich erlauben Corona und die materiellen Verhältnisse bald wieder möglichst vielen Menschen zu reisen, denn richtig verstanden bringen Reisen nicht nur Abwechslung, sie ermöglichen auch Selbsterfahrung.
LG
Ekki

 Bergmann (01.06.21)
Der albanische Botschafter wohnte in Bonn drei Häuser neben uns. Wir schreiben das Jahr 1990. Sommer.
Mein Sohn nahm Fahrstunden.
Unser VW parkte gegenüber dem Haus des Albaners.
In der frühen Nacht, ich saß noch am Schreibtisch, ging im Zimmer über mir das bierselige Zusammensein meines Sohnes mit Freunden zu Ende. Sie waren nicht laut, aber sie soffen mehr, als ich ahnte.
Denn plötzlich stand mein Sohn vor mir und beichtete, er habe mit unserem VW das parkende Auto des Nachbarn gerammt. Er wollte seinen Freunden zeigen, wie gut er rückwärts einparken kann. Beide Autos waren schrottreif.
Der Botschafter stand neben seinem Auto, als ich kam und rief mir zu, indem er auf sein zerbeultes und gestauchtes Auto zeigte: "Eine stolze Leistung!" Dann bot er mir an: "Nehmen Sie's auf Ihre Schuld, ich lege Ihnen keinen Stein in den Weg." Und so geschah's.
-
Ich weiß, das hat nichts zu tun mit deiner Geschichte, lieber Ekki. Aber ich wollte heute einfach mal plaudern.
Herzlichst: Uli

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.21:
Merci, Uli, du erlaubst sicher, dass ich im Plauderton fortfahre: Dein persönliches Erlebnis hat doch eine Beziehung zu meiner Story. denn in ihr geht es ja hauptsächlich um Diplomaten in Tirana und der albanische Botschafterin Bonn war gewiss nicht bar jeder Diplomatie.
Herzlichst
Ekki

 TrekanBelluvitsh (02.06.21)
Wenn du die Adresse von Helmut Kohl angegeben hättest, wäre Deutschland einiges erspart geblieben.

 FrankReich meinte dazu am 02.06.21:
😂

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.21:
Ich fürchte, der Riese hätte auch damals schon auf den Verfassungsschutz einschüchternd gewirkt.

 AchterZwerg (02.06.21)
Die Mao-Bibel in Safran wäre in den Siebzigern bei der Westdeutschen Linken mit Sicherheit d e r Hit gewesen! Vermutlich mit der innig-wichtigtuerischen Frage verbunden: "Was bedeutet die für den Klassenkampf hier?"
Trotzdem. Selbst heute besäße ich gern ein Exemplar dieser raren Ausgabe. Weit oben im Regal, neben den sog. Blauen Bänden, könnte die Bibel von meiner schillernden Vergangenheit zeugen.

:D Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.21:
Grazie, Piccola, heute stelle ich dankbar fest, dass die schillernde Vergangenheit unser politisches Bewusstsein geschärft hat. Andererseits räume ich ein, ä bissi nebe der Kapp gewese zu sein.
Naja, Sturm und Drang gibt es im Leben nur einmal.

Ekki

 TassoTuwas (02.06.21)
Hallo Ekki,
jetzt hab ich es gefunden, das kleine rote Büchlein, "Worte des Vorsitzenden Mao Tse-Tung", erste Miniatur-Ausgabe von 1968.
Immerhin 370 Seiten und 33 Kapitel stark.
Gleich auf der ersten Seite ist rot eingestempelt "China - Vietnam - Albania", zeigt wie dicke sie miteinander waren.
Übrigens Kapitel 32 befasst sich mit Kultur und Kunst, vielleicht beflügelt mich das!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.21:
Vielen Dank, Tasso, jetzt weiß ich echt nicht, ob du Spaß machst oder ob du tatsächlich das kleine rote Büchlein besitzt?
Herzliche Grüße
Ekki
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