Das letzte Gedicht

Hermetisches Gedicht zum Thema Aufbruch

von  MagunSimurgh

Das letzte Gedicht trifft dich plötzlich,
wie ein Schrei vor einer sehr langen Stille,
vor dem schon lange Stille war.

Das letzte Gedicht ist die Erkenntnis,
dass du schon lange verstummt bist
wie eine tote Weltraumsonde.

Das letzte Gedicht hat keine Taschen,
nimmt nichts und niemand mit, denn
mit ihm kannst du niemand berühren.

Man kann das letzte Gedicht nicht singen,
sondern nur verlesen mit der Stimme
eines untoten Beamten.

Das letzte Gedicht ist das letzte,
bevor dir das nächste
in die Glieder fährt.

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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (24.06.21)
Hallo MagunSimurgh, deinen Text verstehe ich so: Man sollte ein Gedicht immer so schreiben, als ob es das letzte wäre. Es soll sozusagen ein Vermächtnis enthalten. Ja, verlies es mal mit der Stimme eines untoten Beamten! Könnte gefallen! Gruß Quoth
Und Dank für Deine Empfehlung von "Relativitätstheorie" - ein Kommentar wäre mir noch lieber gewesen!

 MagunSimurgh meinte dazu am 24.06.21:
Hallo Quoth,

danke für deinen Kommentar.

Ich weiß nicht, ob man es überhaupt schreiben "soll". Für mich geht es in dem Text eigentlich um dieses Gefühl der Dringlichkeit. Wenn man das Gefühl hat, einen Text unbedingt schreiben zu müssen, darin steckt für mich eine gewisse Lebendigkeit – für mich sind diese Momente der Dringlichkeit aber enormen Schwankungen unterworfen und phasenweise so selten geworden, dass man das Gefühl haben könnte, das letzte Gedicht wäre das letzte gewesen. Wenn aber in dieser Dringlichkeit die Lebendigkeit steckt, ist man dann tot, wenn man sie nicht mehr verspürt? Mein jugendliches Ich hätte das sicher befürchtet. Vielleicht ist es aber nicht ganz so, denn dann fährt einem doch das nächste in die Glieder - etwas Hoffnung besteht also noch. ;)

Ich würde den untoten Beamten nicht hinbekommen, aber wenn er hier Zeit hätte, würde ich ihn so gerne einladen, das zu lesen:
https://www.youtube.com/watch?v=RlVPM0ZjWB4

Und zu dem Kommentar: der reift noch. Der Text hat mich auf mehreren Ebenen berührt, die ich noch sortieren muss.

 minze (29.06.21)
ich finde es sehr schön, es wirkt vor allem durch die Umkehrung, die letzte Strophe, es zeigt sehr schön den Umbruch: das Dringende, das gesagt werden muss, im Verdruss, der Leere, die man empfindet, weil man es nicht sagen kann, oder fassen kann, - vielleicht auch die Leere und Haltlosigkeit, die man braucht, um etwas "Letztes", etwas Sagenswertes, sagen zu können, um rückhaltlos in Abkehr zu etwas "Gewollten" zu sich kommen zu können, um dann ins Nichts hinein/hinaus, etwas aus sich heraus sagen zu können.
Ich glaube, ich bin wieder zu kryptisch und emotional, aber gerne will ich dir einfach das Gefühl von mir hierzu da lassen.

Und aus diesem Zustand heraus, der Akzeptanz des Zustandes ensteht doch die Reinheit eines "letzten Gedichtes" - was im Abschluss einen Anschluss ermöglicht.

Zur Form - ich finde es besonders berührend in der Ruhe, in der Klarheit und zunächst wirkt es abgeklärt, es wirkt abgeschlossen - und dann aber darunter, unter dem stillen Wasser, spüre ich den Aufruhr, spüre ich die Wünsche, Sehnsucht, Dringlichkeit. das ist sehr schön, wie der Inhalt durch die Form schimmert, bricht, wummert, für mich.

Grüße von der untoten Beamtin :D

 MagunSimurgh antwortete darauf am 03.07.21:
Vielen Dank für deinen Kommentar. Ich finde, du hast das schon sehr sehr gut erfasst, worum es (mir) ging. Nämlich genau um diese Dringlichkeit, etwas (Künstlerisches) machen zu müssen. Für mich ist das wirklich ein (relativ langsam gewordener) Zyklus von der Dringlichkeit, etwas machen zu müssen und der Ruhe dazwischen fast so als wäre das letzte wirklich das letzte, bis es mich dann doch nochmal überkommt.
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