Mein wunderbarer Opa

Geschichte

von  indikatrix

Mein wunderbarer Opa bleibt bei mir auf dem Küchensofa. Weil Oma sagt, dass ich nicht aufstehen darf, bevor ich nicht alles aufgegessen habe, sitze ich schon gefühlte Stunden hier, und er liest mir aus der Zeitung vor: Mekki, bunte Bildergeschichten von Abenteuern, - mit einem Igel.  An der Wand hängt die Kuckucksuhr, aber kein Kuckuck ist darin, sondern ein Mann und eine Frau aus Holz. Der Uhr gegenüber hängt das Kreuz mit Jesus daran und eine Kette. Ich habe Oma nie beten gesehen. Im Kindergottesdienst heißt es,  dass Gott unser wirklicher Vater ist. Die Eltern auf der Erde sind so zusagen Ersatz- oder Pflegeeltern, also Eltern auf Z,eit. Das leuchtet mir sofort ein. Wer, wie ich und alle anderen, an Gott glaubt, kommt später zu ihm in den Himmel, und alles ist gut.

Mein wunderbarer Opa erklärt mir, dass das Jesus ist, am Kreuz und was ein Rosenkranz ist. Ich habe gelernt, dass ich allein mit Gott sprechen kann, beim Beten. Einen Rosenkranz kenne ich nicht. Opa betet nicht und er glaubt auch nicht an den Himmel und nicht an Gott. Das ist schrecklich: ich will doch mit ihm zusammen sein, im Himmel, später. Bitte, Opa, du musst!

Mein wunderbarer Opa sagt, er möchte lieber in die Hölle, denn im Himmel oben ist es sehr kalt. Man muss zu Fuß dorthin, immer den Berg hoch, höher und höher und es wird kälter und kälter. Oben dann sitzen lauter langweilige Leute. Zur Hölle dagegen geht es gemütlich bergab. Mit dem Auto fahren wir hinunter und dort geht es lustig zu: Musik gibt es und lauter lustige Leute. Ich überlege lange - lieber mit Opa in die Hölle zu fahren als ohne ihn in den Himmel.

Es gibt Suppe. Opas Hand zittert stark und mit jedem Löffel verschüttet er die Hälfte zurück auf den Teller. Das hat er aus dem Krieg mitgebracht, sagt Oma. Mein Opa lächelt mich verschwörerisch an beim Löffeln und zum Nachtisch sagt er: Pudding zittre nicht, ich fress dich doch!  Wir lachen viel und laut.
Auf dem Weihnachtsfoto blickt er direkt in die Kamera. Er hat die weisesten Augen der Welt.

Im Garten meiner Großeltern wächst ein kleiner Baum. Er hat einen weißen Stamm und eine dünne durchsichtige Haut, die man abziehen kann. Darunter ist es wie Kreide. Es wachsen Möhren im Garten, die man essen kann und Erbsen. Möhren und Erbsen schmecken süß. Es wachsen Stachelbeeren und rote und weiße Johannisbeeren, die schmecken sauer, - sauer macht lustig, sagt mein Opa.

Ich kann jetzt viel essen. Zwei Brote, drei, fünf, immer weiter, egal. Ich sage etwas Böses beim Abendessen und Opa steht auf und geht weg in den dunklen Flur. Jetzt ist er traurig, sagt Oma. Das will ich nicht. Ich gehe hinter ihm her in den langen Flur. Ich habe Angst, aber ich gehe weiter. Plötzlich kommt er hinter dem Vorhang hervor und ich erschrecke mich, aber ich bin bin froh, dass er wieder da und nicht mehr böse auf mich ist. Mein Opa.

Mein Opa stirbt. Er liegt in einem anderen Bett im Schlafzimmer. Meine Eltern, meine Tanten und Onkel sind da. Er hat komische Geräte am Körper und sagt nur: bringt die Kinder hier raus. Er schaut mich nicht an. Die Oma steht vor mir in der Küche, sie  weint. Ich frage sie, ob sie glaubt, dass der Opa in den Himmel kommt, auch wenn er nicht an Gott glaubt. Sie sagt, sie denkt schon, denn er war immer so ein guter Mensch, immer gewesen. Das glaube ich auch: Gott ist gut und er wird ihn in den Himmel lassen, weil er ein guter Mensch war, ob Opa an ihn glaubt oder nicht. Ich sage, sie braucht nicht traurig zu sein, denn bald werden wir ihn wiedersehen., im Himmel, er ist nur vorher da. Ich bin auch nicht traurig, ich werde auch bald bei ihm sein und alles ist gut. Es ist nur eine Frage der Zeit.

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (11.07.21)
Alte Zeiten, schöne Zeiten, unmoderne Zeiten.

"Sag mir wo die Blumen sind".

Herzliche Grüße
TT

 indikatrix meinte dazu am 12.07.21:
Großeltern als Helden, und wenn ich im Lied bleibe,
sind sie es vielleicht, die " versteh'n " können.
Vielen Dank für die Empfehlung und liebe Grüße,
Indikatrix
Nola (53)
(11.07.21)
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 indikatrix antwortete darauf am 12.07.21:
Vielleicht ein Missverständnis... die Geschichte erzählt aus der Perspektive eines Kindes,..vielleicht nicht deutlich genug,. Danke für deinen Eindruck,
LG Indikatrix
Nola (53) schrieb daraufhin am 12.07.21:
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 EkkehartMittelberg (11.07.21)
Hallo Indi, das ist glaubwürdige Kindheit, aber nicht die übliche Idylle. Man muss ein sehr feines Erinnerungsvermögen haben, um sie wieder so heraufbeschwören zu können.

Liebe Grüße
Ekki

 indikatrix äußerte darauf am 12.07.21:
Die Bedeutung von Großeltern für ihre Enkel sollte nicht unterschätzt werden,
Vielen Dank für deinen Kommentar!
LG
Indi

 harzgebirgler (12.07.21)
einst lag wohl ein hütender schimmer
auf kindheit mit großeltern immer.

lg
harzgebirgler

 indikatrix ergänzte dazu am 13.07.21:
kleine gernegroße mögen
große gernekleine
sind dann einfach
weniger alleine
Vielmals Danke!!
und
lg
indikatrix

Antwort geändert am 14.07.2021 um 09:13 Uhr

 Willibald (13.07.21)
"bringt die Kinder hier raus",

Was für ein guter Text!

 indikatrix meinte dazu am 14.07.21:
Vielen Dank, Willibald,
Liebe Grüße,
Indikatrix

 Quoth (16.07.21)
"Das (Zittern) hat er aus dem Krieg mitgebracht, sagt Oma."
Über den Opa wüsste ich gern mehr!
Danke - und Gruß, Quoth

 indikatrix meinte dazu am 17.07.21:
Viel konnte ich leider nicht über ihn erfahren, aber:
er hatte am "Russlandfeldzug teilgenommen", "heimlich Bücher gekauft, die er auf dem Dachboden verstecken musste", eine sozialdemokratisch orientierte Familie in Aussig/Karbitz, die 1947 vertrieben wurde. Danke!
LG
Indikatrix

 Quoth meinte dazu am 18.07.21:
Ich hatte einen Klassenkameraden aus dem Sudetenland. Wir kamen uns näher, weil wir beide während des Religionsunterrichts eine Freistunde hatten: Ich, weil ich bekenntnislos war, er, weil er altkatholisch war und zwischen allen konfessionellen Stühlen saß. Vielleicht interessant für Dich! Gruß Quoth

 indikatrix meinte dazu am 18.07.21:
Vielen Dank!

 Fridolin (17.07.21)
So würde ich auch gern in Erinnerung bleiben.
Vielen Dank für diesen Text

 indikatrix meinte dazu am 17.07.21:
Ich bedanke mich auch!
Und vielleicht wirst du es ja!
LG
Indikatrix
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