Brief an Daniel

Brief zum Thema Wahrheit

von  Bluebird

Lieber Daniel,
deinen letzten Brief habe ich mit großer Freudigkeit sofort  geöffnet und dann mit viel Interesse gelesen. Großartig,  wie sich die Dinge seit letzem Sommer bei dir so weiterentwickelt haben.
    Ich freue mich mit dir, dass du eine Anstellung an der philosophischen Fakultät gefunden hast. Dies wird auch Edith beruhigen, wenn sie, wie du schriebst,  jetzt „Mutterfreuden“ entgegensieht.
 
Weniger erfreut war ich aber über deine nach wie vor ablehnende Haltung dem christlichen Glauben gegenüber. Ich verstehe deine Argumente, aber du irrst. Der christliche Glaube hat sehr wohl Hand und Fuß!
  Anstatt weitschweifiger Ausführungen kopiere ich dir hier mal etwas aus einem theologischen Essay von mir herein: 

Ich möchte noch einmal kurz erklären, wie sich das mit dem *christlichen Glauben* - aus meiner Sicht - in etwa verhält:
1. Man hat gewisse Informationen über den Glauben, hält sie aber nicht für wahr
2. Plötzlich geschehen Dinge, die sich mit Zufall nicht mehr erklären lassen. Man spürt, dass es sich hier um Fügungen und Lenkungen handelt Eine Art "höhere Regie" hier am Werke ist
3.  Dann folgen ein oder mehrere *Schlüsselerlebnisse*
4. Bekehrung, Taufe und Nachfolge Jesu
5. Der Glaube erlebt a) viele weitere Bestätigungen und b) läßt einen immer deutlicher erkennen, dass Gott generell die Geschicke der Menschen lenkt.
6. Aber man sollte die Rechnung nie ohne den Teufel ( und seine Dämonen) machen. Der lauert und trickst, verführt und verblendet, führt in die Irre und versucht zu Fall zu bringen.

So, das war es dann auch schon für heute. Ich hoffe, dass wir uns im Sommer dann erneut von Angesicht zu Angesicht sehen werden.

Es grüßt dich und Edith herzlich
Euer Heinrich

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (15.07.21)
Man erkennt hier gut das Dilemma, das für geschlossene Weltbilder typisch ist.
Von entscheidender Wichtigkeit ist Satz 6, denn er ermöglicht es, sämtliche Einwände, widersprechenden Erfahrungen etc. in das Weltbild zu integrieren: Das sind dann halt alles Tricks und Verführungen des Teufels. Ein großer Vorteil zur Wahrung des Weltbildes.
Für diesen Vorteil muß man allerdings einen hohen Preis zahlen: Dieser Satz 6 hat unmittelbar Konsequenzen für die Sätze 2, 3 und 5: Sobald man Lüge und Trug als Möglichkeit eingeführt hat, kann es keine Sicherheit mehr in 'Schlüsselerlebnissen' und 'weiteren Bestätigungen' geben.

Sobald man die Möglichkeit von Lüge und Betrug einsieht (z.B. deus malignus), ist alles möglich. Dann bleibt nur noch der Glaube, aber die Gewißheit hat sich verabshiedet.

Daß der gesamte Brief mit kleinen Namensänderungen vom Standpunkt jeder Religion geschrieben werden könnte, erwähne ich am Rande.

 Bluebird meinte dazu am 15.07.21:
Genau, es gibt letztlich im Glauben keine objektiven Gewissheiten, subjektive aber schon. Die Erlebnisse und Argumente können einen solchen Grad der Schlüssigkeit erreichen, dass es - rein menschlich gesehen - keinen (berechtigten) Zweifel mehr gibt.
Aber natürlich könnte man von unsichtbaren, übelgesinnten Wesen getäuscht und in eine Falle gelockt worden sein. Die Schlüssigkeit ein Trugbild und die eigentliche Wahrheit eine andere sein.
Glaube heißt nun mal auch - bis auf den Beweis des Gegenteils oder einer überzeugenderen Alternative - zu vertrauen, dass die einen führende und lenkende Macht es wirklich gut mit einem meint!

Antwort geändert am 15.07.2021 um 13:54 Uhr

 Graeculus antwortete darauf am 15.07.21:
Glaube und Vertrauen - das sind die Schlüsselwörter: nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Einen Beweis der Gegenteils wird es schon wegen Satz 6 nicht geben. Und die Entscheidung, dem Glauben den Vorzug zu geben, impliziert natürlich eine Entscheidung gegen den Unglauben und seine Argumente.

Die Frage ist, inwiefern man bei Missionierungsbemühungen redlichkeitshalber auf solche subjektiven Einschränkungen hinweisen sollte. Etwa: "Ich habe es so erlebt und gedeutet; darauf baue ich. Andere haben anderes erlebt und anders gedeutet. Wer von uns objektiv recht hat, wissen wir nicht."

Ein religiöser Mensch müßte eigentlich einen höheren Anspruch haben als ein Verkäufer, der die Mängel des eigenen Produkts ebenso verschweigt wie die Vorzüge des Konkurrenzangebots.
Das ist jedenfalls meine Meinung.

 Bluebird schrieb daraufhin am 15.07.21:
Was dann wohl auch beweist, dass ich - entgegen vielfachen Vorwurfs - kein Missionar in einem klassischen Sinne bin. Sondern eher ein den eigenen Glauben reflektierender Theologe/Christ bin.

Und noch einmal, man kann an einen Punkt persönlichen Erkennens kommen, wo sich redlicherweise eine Entscheidung gegen den Glauben verbietet. Oder man würde willentlich und wissentlich gegen sein Gewissen handeln!
Ich könnte redlicherweise nicht sagen, dass - nach menschlichem Ermessen - die Offenbarungen Gottes in meinem Leben nicht eindeutiger Natur gewesen wären. Sie waren zahlreich, sehr konkret und unmissverständlich.
Dies zu ignorieren oder nachträglich umzudeuten, wäre mir eine innere Unmöglichkeit. Gleichwohl bleibt natürlich ein Rest-Risiko, nämlich das einer mich und andere bewusst in die Irre führende höhere Macht!

 Graeculus äußerte darauf am 15.07.21:
So klingt es für mich völlig akzeptabel!
Deine Texte sind dann eher autobiographischer als missionarischer Natur.

 Bluebird ergänzte dazu am 15.07.21:
Nun, ich versuche schon zu überzeugen, aber mit -aus meiner Sicht - redlichen Mitteln

 Graeculus meinte dazu am 15.07.21:
Womit willst du denn andere überzeugen, wenn dein Glaube auf subjektiven Erlebnissen und deren Deutung beruht und es in anderen Religionen genau analoge Erlebnisse samt Deutung gibt?

Was ich beobachte, ist nur, daß du dich auf die Wiedergabe von Erlebnissen aus dem christlichen Bereich beschränkst und du diese Beschränkung einmal augenzwinkernd damit erklärt hast, daß es dir (subjektiv!) eben auf diese eine Sichtweise ankomme.
Das hat mich schon damals daran erinnert, daß ein VW-Händler 'natürlich' nicht erwähnt, daß die Autos von Ford, BMW usw. genauso gut sind - objektiv.

Das hat das Subjektive eben so an sich, daß es sich eben nur subjektiv und damit nicht als objektiv besser als die anderen darstellen kann.

 Bluebird meinte dazu am 15.07.21:
Das hat mich schon damals daran erinnert, daß ein VW-Händler 'natürlich' nicht erwähnt, daß die Autos von Ford, BMW usw. genauso gut sind - objektiv.
Ich denke nicht, dass andere Religionen mit dem christlichen Glauben mithalten könn(t)en. Wie kommst du darauf?
Ich denke, dass ich mehr als einmal deutlich zu verstehen gegeben habe, dass - aus meiner Sicht - der christliche Glaube eine altenativlose Wahrheit ist. Und ich meine, für diese Überzeugung stichhaltige Gründe ins Feld führen zu können und dies auch schon desöfteren getan zu haben. Beispielsweise   hier

Dein Versuch, mich hier als einen Religionsvertreter hinzustellen, der im Grunde genommen weiß, dass die anderen auch richtig liegen, weise ich hiermit entschieden zurück. War ein netter Versuch, mehr nicht!

Antwort geändert am 15.07.2021 um 18:51 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 15.07.21:
Wie ich darauf komme? Weil alles, was du an Argumenten für das Christentum in Stellung bringst (Wunder, Erscheinungen etc.), genauso von anderen Religionen in Anspruch genommen werden kann.
Das versuche ich dir seit langem klarzumachen - aber dann tritt bei dir Satz 6 in Kraft: Bei den anderen ist das alles dämonisches Wirken. Und das ist nun wirklich eine bloße Behauptung, kein Argument.
Nein, argumentativ stehen alle Religionen auf ein und derselben Stufe - jedenfalls was Wunder u.ä. angeht.

 Graeculus meinte dazu am 15.07.21:
So kann, wie ich oben bereits schrieb, dein 'theologischer Essay' von jedem Juden oder Moslem genauso für sich in Anspruch genommen werden, wenn man nur "Jesus" durch etwas für ihn Passendes ersetzt.
Das ist ein argumentatives Patt.

 Bluebird meinte dazu am 16.07.21:
Was du nicht verstehst ist, dass wenn zwei oder drei dasgleiche sagen, es nicht inhaltlich dasselbe bedeuten muss.

Ich habe nie spirituelle Erfahrungen in anderen Religionen bestritten, bin aber der festen Überzeugung - und kann dies auch mit unzähligen Beispielen untermauern, dass sie nicht der göttlichen Quelle entspringen dürften, die ich kennengelernt habe.

Wenn ich also behaupte, meine Quelle sei göttlichen Ursprungs und die der anderen nicht und du sagst, die anderen behaupten dasgleiche, also Aussage gegen Aussage=Patt, dann ist das nur für dich als Außenstehenden so.
Für mich ist das keine Pattsituatiom. Ich sehe glasklar, dass die anderen Behaupter irren. Aber ich muss das niemandem beweisen.
Ich kann meine Argumente ins Feld führen, aber wenn jemand sich nicht darauf einlassen möchte oder kann, ist das nicht mein Bier!

Wenn die biblische Prämisse einer göttlichen und einer teuflischen Quelle für Übernatürliches stimmt, - und dafür kann ich unzählige Belege ins Feld führen - befinden sich zwei von dreien im Irrtum!

 Graeculus meinte dazu am 16.07.21:
Daß du (!) die 'spirituellen Erfahrungen' in anderen Religionen nicht auf göttlichen Ursprung zurückführst, besagt ja schon dein Satz 6. Der ist für dein Weltbild ganz entscheidend.

Was du nicht vestehst, ist, daß du dich nicht gleichzeitig einerseits auf subjektive Erfahrungen als Entscheidungskriterium berufen und andererseits eine argumentative und damit objektive Überlegenheit für deinen Glauben beanspruchen kannst.

Da eierst du ziemlich herum. Manchmal betonst du das Entscheidende deiner persönlichen Erlebnisse, manchmal behauptest du, Argumente zu haben, die dann allerdings letztlich immer auf deinem persönlichen Glauben beruhen.

All das kann jedem anderen Gläubigen jeder anderen Religion passieren. Das ergibt ein Patt - objektiv.
Und objektiv bedeutet in diesem Falle auch: Da wird sich keine Seite durchsetzen.

Daß du es subjektiv für keine Patt-Situation hältst, sondern für eine grandiose Überlegenheit deines Christentums, dafür sehe ich bei einem neutralen Standpunkt keinerlei Grundlage.

Aber vielleicht ist subjektiv auch TuRU 1880 davon überzeugt, den FC Bayern München schlagen zu können.

 Dieter Wal meinte dazu am 30.09.21:
An Bluebird:

"Ich habe nie spirituelle Erfahrungen in anderen Religionen bestritten, bin aber der festen Überzeugung - und kann dies auch mit unzähligen Beispielen untermauern, dass sie nicht der göttlichen Quelle entspringen dürften, die ich kennengelernt habe."

Selbstverständlich fühlt sich ein Gebet an Luna, Selenä völlig anders an, als ein Gebet an Aton-Ré, Cernunnos oder an JHWH. Denn alle Genannten entspringen völlig verschiedenen Kulturen, Zeiten und religiösen Weltbildern.

Bei Luna sind wir im Frühhellenismus, Aton-Ré einer Phase des Altäyptischen Monotheismus, aus dem sich die jüdische Vorstellung des einen Gottes sehr viel später herauskristallisierte, Cernunnos einem keltischen wohl legendären Schamanen und späteren Wald- und Schamanen-Gottes, dem die Kelten viele Tempel weihten, bei JHWH dem zumindest wie der Schamasch berichtet einzigen und sicher einzigartigen Gottes. Die nach Jahrhunderten schließlich erfolgreichem Ringen um Monotheismus überlieferten Schriften belegen Zweierlei: Monotheismus war immer umrahmt von polytheistischen Umwelten einerseits, andererseits polytheistischen Gläubigen, er musste in jahrtausendelangen kulturellen Entwicklungsschritten innerhalb Israels zäh errungen werden, und war keineswegs idealiter vorhanden. Die Mosesbücher sind ein spätes Relikt von König Josia, und durchaus nicht Moses selbst, wie es die Bücher behaupten, in denen erst sehr viel später eine Wirklichkeit konstruiert wurde, die keineswegs vorher so gegeben war, wenn auch die Schrifen ältere aufgriffen und teils übernahmen. Die josianische Schriftreform war ein gewaltiges Unternehmen. Deren Ergebnisse wörtlich als Tatsachen zu verstehen, ist töricht und unbiblisch.

Jede religiöse Erfahrung erweckt andere Gefühle. Die des jüdischen Gottes ist eine besonders reine monotheistische und sehr viel Raum für individuelles Erleben offene, was bedeutet, dass sie auch als sehr große Projektionsfläche taugt, in die jeder hineingeheimnist, was beliebt. Solches ist systemimmanent und positiv.

Antwort geändert am 30.09.2021 um 06:23 Uhr

 DanceWith1Life (15.07.21)
lach, Verfehlung = Teufelswerk, versteh ich das so richtig, wiederholte Verfehlung grenzt an Besessenheit, und dagegen habt praktische "Was-auch-immer" , an wie vielen der in den letzten Jahren angezeigten geistlichen wurden diese erfolgreich angewendet?

 Bluebird meinte dazu am 15.07.21:
Wann "Sünde" zur "Besessenheit" wird, läßt sich nicht klar definieren. Aber dass es beides gibt, scheint mir außer Frage zu stehen!

 DanceWith1Life meinte dazu am 15.07.21:
Meine Frage war, ob "Besessenheit" bei"Geistlichen" erfolgreich ausgetrieben wurde, oder ob das nur bei "Ungläubigen" funktioniert oder vielleicht erst gar nicht versucht wird?

 LotharAtzert meinte dazu am 15.07.21:
Und was bedeutet "läßt sich nicht klar definieren". Wenn du das nicht kannst, heißt das noch gar nichts.

 Bluebird meinte dazu am 15.07.21:
Gut, ich(!) kann das nicht immer klar definieren. Aber es gibt natürlich schon recht eindeutige Fälle von Besessenheit. Sünde kann, muss aber nicht zwingend zur Besessenheit führen ...

Es gibt aber, beispielsweise im Schamanismus, Voodookult und tibetischen Buddhismus die bewusste, temporäre Inkorporation eines Geistes.
Ich habe in jüngeren Jahren viel mit psychisch Erkrankten zu tun gehabt, und in einigen Fällen waren - aus meiner Sicht - schon deutlich Anzeichen einer (möglichen) Besessenheit da ... aber eher die Ausnahme als die Regel. Das wäre jetzt aber noch einmal ein ganz anderes Thema

Antwort geändert am 15.07.2021 um 17:28 Uhr

 DanceWith1Life meinte dazu am 15.07.21:
ja, solche Details sind natürlich von Bedeutung.
Aber die Frage bleibt, wann sich das von Dir so "heilbringende Glaubensbekenntnis" von der eigenen "Besessenheit" befreit, diese mag zwar nicht die von dir erwähnten Kriterien erfüllen, aber zweifelsohne eine sehr weit verbreitete Form des "ganz normalen Wahnsinns" sein.

 LotharAtzert (15.07.21)
"Euer Lothar"?
- Heinrich, mir kraut vor dir.

 Bluebird meinte dazu am 15.07.21:
Den Namen "Lothar" habe ich tatsächlich gewählt, ohne bewusst dabei an dich zu denken. Später allerdings kam es mir in den Sinn, aber ich beschloß mich an Pilatus zu halten: "Quod scripsi, scripsi!" (Johannes 19,22)

 DanceWith1Life meinte dazu am 15.07.21:
naja, das "bewußt denken" ist nicht gerade die starke Seite dieses Textes.

 Bluebird meinte dazu am 15.07.21:
Habe den Namen jetzt doch umgeändert. Bin halt kein Pilatus

 Dieter Wal (16.07.21)
Von Punkt 6 abgesehen, fragte ich mich in Interaktion mit Daniel mehrfach, ob diese Art Behinderung auf Daniels mutmaßliche Mossad-Angehörigkeit und wirklich beschissene Tarnung zuzurückzuführen ist oder ob er echt neben der Rolle ist. Ich mag ihn und deshalb: Schmierenkomödie. Shalom, Jekesch, Daniel ben Chorin.

Ich mag den warmherzigen Ton deiner fiktiven Email. Gut gemacht. Buch Daniel; HOT LOVE.

 DanceWith1Life meinte dazu am 16.07.21:
Bibelcodes vom Feinsten, die Kreuzritter haben nichts verlernt, ich mag eure Märchenstunden.
Falls das irgendjemand verstehen soll, also ausserhalb der Dunstglocke Pöblingens, her mit der Dechiffrierung.
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