Neue Bahnen

Sonett zum Thema Befreiung

von  Möllerkies

»Es gibt ein Vorbild, das mein Werk befeuert«,
so hör ich manchen jungen Dichter sprechen.
»Ich will ihm folgen, statt mit ihm zu brechen.
Wenn das gelingt, hab ich genug erneuert.«
 
Um solche Dichter mach ich einen Bogen.
Denn steht beim Schreiben nur das Alte Pate,
entstehen haufenweise Plagiate –
ums Schöpferische werden wir betrogen.
 
So nett Gedichte alter Meister klingen,
sie nachzuahmen kann’s doch wohl nicht bringen –
das sei an dieser Stelle klar beteuert.
 
Sei mutig, Dichter, und zerschlag die Formen
und lache Hohn den hergebrachten Normen:
Sonette schreiben ist total bescheuert.


Anmerkung von Möllerkies:

Als verspäteter Willkommensgruß an  Ralf_Renkking

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (03.08.21)
Oder auch Robert Gernhardt (leider ohne Ralfi-Widmung):

"Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs

Sonette find ich sowas von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut

hat, heute noch so'n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
... "

*hüstel)

Der schöne Rest findet sich unter:

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/materialien-zu-einer-kritik-der-bekanntesten-gedichtform-italienischen-ursprungs-2962

Die meisten werden das Sonett ja eh kennen.

Liebe Grüße
der8.

Kommentar geändert am 03.08.2021 um 17:20 Uhr

 Möllerkies meinte dazu am 03.08.21:
Danke für den Hinweis, Achter, das kannte ich noch gar nicht. Martin

 FrankReich antwortete darauf am 04.08.21:
😂😂

 EkkehartMittelberg (03.08.21)
Hallo Mölli,
ich räume ein, dass ich lieber einen Autor lese,, der anmutig auf alten Pfaden wandelt als einen, der auf neuen torkelt.
Aber ich freue mich dennoch über jeden Versuch auf neuen Wegen und bedaure, wenn es nur bei einem bleibt.

LG
Ekki

 Möllerkies schrieb daraufhin am 03.08.21:
Moin Ekki,

das geht mir ähnlich, aber das lyrische Ich ist partout anderer Meinung. Behauptet es jedenfalls.

Viele Grüße
Martin

 Graeculus äußerte darauf am 03.08.21:
Wunderbar paradox.

 Möllerkies ergänzte dazu am 03.08.21:
Ich hoffe, dein Kommentar bezieht sich auf das Gedicht. Und genau darum ging es mir in dem Gedicht: um Paradoxe. Danke, Graec. Martin

 Graeculus meinte dazu am 03.08.21:
Ich nehme das in meine Sammlung von Paradoxien auf (bisher knapp 800), aus der ich gerne ein Buch machen möchte.

Hier ein anderes schönes Beispiel:
Ein Richter lebte – sagt uns Seneca –
Der zornig war. Und eines Tags geschah,
Daß von zwei Rittern, die durch Zufall grade
Zusammen zogen auf demselben Pfade,
Der eine heimkam und der andre nicht.
Gleich schleppte man den Ritter vor Gericht,
Und der erwähnte Richter sprach sodann:
Du tötetest den andern Rittersmann!
Drum mußt Du sterben! – Und darauf gebot
Er einem andern Ritter, ihn zum Tod
Zu führen. – Doch, vom Richtplatz nicht mehr fern,
Sah auf dem Wege man denselben Herrn,
Den man für tot gehalten, noch lebendig.
Und mithin dachten sie, es sei verständig,
Sie abermals dem Richter vorzustellen,
Und sprachen: Herr, er hat den Mitgesellen
Nicht umgebracht. Hier steht er lebend noch!
Bei Gott! – rief er – des Todes seid ihr doch!
Eins, zwei und drei, ihr alle, Mann für Mann!
Du bist – fuhr er den ersten Ritter an –
Des Todes, weil Dein Urteil schon gefällt!
Du aber wirst ihm gleichfalls beigesellt,
Denn jenes Ersten Tod liegt Dir zur Last.
Und zu dem Dritten sprach er: Und Du hast
Nicht ausgeführt, wozu Befehl gegeben!
Und so verloren alle drei ihr Leben.
(Geoffrey Chaucer: Die Canterbury Tales. München 1974, S. 391 f.; die Vorlage bei Seneca: De ira I 18, 3-6; der Richter: Gn. Calpurnius Piso)

 Möllerkies meinte dazu am 03.08.21:
Ja, aber das Gedicht geht doch noch weiter, oder?

Doch später plagt den Richter sein Gewissen:
Drei Ritter hat er in den Tod gerissen.
Am selben Tag, noch vor dem Abendbrot,
verurteilt sich der Richter selbst zum Tod.

 Möllerkies meinte dazu am 03.08.21:
Und dann noch dieses Fragment:

Schon griff man ihn, da fiel der Blick des Richters
auf die Gestalt des hier zitierten Dichters.
»Du schreibst Gedichte voller Zier und Pracht.
Gib zu, du hast dir alles ausgedacht!
Drei Ritter ruhen schon in ihren Särgen,
und schuld bist du!« – Dann rief er seine Schergen.
Ein Scherge sprach zum Dichter: »Ihr erlaubt?« –
Und zieht sein Schwert und spaltet ihm –

Hier bricht das Manuskript ab.

Antwort geändert am 03.08.2021 um 22:13 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 03.08.21:
Die erste Ergänzung genießt gewisse Vorteile, denn in der Tat ist Calpurnius Piso durch Suizid gestorben.

Geoffrey Chaulcer resp. sein Übersetzer hätten ihre Freude an an Deinem Schaffen gehabt. Bedauerlicherweise sind auch sie tot. Ich nicht, ich kann es noch genießen.

 AZU20 (03.08.21)
Kann man sich so befreien? LG

 Möllerkies meinte dazu am 04.08.21:
Es käme auf einen Versuch an. Danke, Armin. Martin

 FrankReich (04.08.21)
Danke, und nee, ist klar. 👋😂👍

Ciao, Frank

 Möllerkies meinte dazu am 04.08.21:
Na, dann ist ja gut. Danke, Frank. Martin

 plotzn (08.08.21)
Na das ist mal ein Willkommensgruß, Martin!

Sonette wären leider oft,
so sprach der Dichter, viel zu soft -
vor allem die der klass'schen Art.
Er mag's moderner, mag's gern hart.

Liebe Grüße,
Stefan

 Möllerkies meinte dazu am 29.08.21:
Danke, Stefan, das erinnert mich ans Schachspiel:

Ein Turm, der hinter Springern harrt,
hat manche Dame schon genarrt.

;-) Martin
klausKuckuck (71)
(28.08.21)
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 Möllerkies meinte dazu am 29.08.21:
Tatsächlich, Klaus! Und hätte Seidel statt "verzwickte" und "verzwackte" etwas drastischere Reimwörter verwendet, hätte er Gernhardts Sonett eigentlich vorweggenommen.

Martin

 niemand (29.08.21)
@ Möllerkies
Ich finde Dein Sonett echt Klasse. Egal ob jemand damit
einverstanden ist, oder daran herumnölt. Es liest sich leicht und beschwingt, was man von so manchem verregelten und Silben durchgezählten Werk kaum behaupten kann. Vielles von dem "Korrekten" liest sich dann schwer und pampig. Aber Deines hier nicht. Das fließt und fließen lassen ist Können.
Mit lieben Grüßen, Irene

 Möllerkies meinte dazu am 29.08.21:
Vielen Dank, Irene, für die freundliche Rückmeldung. Regeln befolgt und Silben gezählt habe ich allerdings auch, und ich hoffe, alles ist korrekt. Schön, dass es trotzdem fließt.

Viele Grüße
Martin

 Fridolin (04.09.21)
Manche Dinge sind tatsächlich so bescheuert, dass sie schon wieder gut sind ...
Vielleicht haben wir hier aber auch echtes Leid vor uns, einen, der an Sonettitis permagna leidet, eine hartnäckige Zwangsstörung. und Zwänge sind ja immer bescheuert.
Aber letztlich werd ich das Gefühl nicht los: Das muss ihm Spaß gemacht haben ....

 Möllerkies meinte dazu am 04.09.21:
Genau, Fridolin. Man muss sich allerdings fragen, ob man nicht schon von einer handfesten Sonettose sprechen muss, verursacht durch degenerative Prozesse im lyrischen System und nur symptomatisch therapierbar durch regelmäßige Applikation freier Rhythmen. Das ist zwar bescheuert, aber solange es Spaß macht ...
;-) Martin
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