Der Kleine

Text

von  Fridolin

Teil 1
Der Kleine bin ich immer gewesen. Der Jüngste auch, aber „der Kleine“ hat mich mehr geprägt. Zwergen und Mäusen - und auch Oskar Matzerath - fühle ich mich deshalb sehr verbunden. Gehasst habe ich den Namen „Bubi“, auch wenn es da eine Schicksalsgenossin, die Nachbarstochter „Babi“ gab. Aber die hieß schließlich auch Barbara, was in ihrem Fall das Epitheton als Kurzform erklärlich machte. „Bubi“ dagegen war einfach nur furchtbar, und davon konnte ich mich nach langem Kampf zwar befreien, aber klein bin ich nichtsdestoweniger mein Leben lang geblieben.
Es hat durchaus Vorteile, die Welt eher von unten zu sehen. Es erleichtert in vielen Fällen den Zugang; nicht zuletzt ist es kopfschonend, vor allem in alten Häusern mit niedrigen Decken- und entsprechenden Türhöhen; wobei Fehleinschätzungen natürlich trotzdem vorkommen können. So wollte ich einmal in vollem Tempo unter einem Briefkasten durchlaufen, der dann doch auch für mich zu tief angebracht war, was schmerzhaft endete und mit beträchtlichem Blutverlust. Das wäre allerdings wohl nicht passiert, wenn ich diesen Gegenstand des Anstoßes wirklich wahrgenommen hätte; dennoch blieb die Erkenntnis, dass man in gewissen Situationen auch mal nicht klein genug sein kann.
Man tut sich leichter mit der Suche nach einem geeigneten Versteck, und auch unversteckt wird man gelegentlich zum Vorteil nicht so schnell gesehen, was aber ungefähr ebenso oft auch ein Nachteil ist. Ähnlich verhält es sich bei gebrauchter Bekleidung. Es kommt sehr selten vor, dass ich irgendwo nicht hineinpasse, und kürzen kann man immer, während anstückeln meist aufwendiger und selten eine elegante Lösung ist. In der Kindheit, und wenn man wie ich auch der jüngste ist, leidet man dann allerdings häufig darunter, selten etwas neues zum Anziehen zu bekommen, und man beneidet ja auch die Geschwister nicht in jedem Fall um ihre Kleidungsstücke. Die waren nun mal oft einfach scheußlich. Bei den Lederhosen habe ich das Erbe aber immer gern angetreten.
Dass man schneller satt wird, habe ich immer für ein Gerücht gehalten. Denn schließlich lebt man doch mit dem Gefühl, aufholen zu müssen, was in der Regel schon einen gewissen Extrahunger nach sich zieht. Mit zunehmendem Alter verliert sich das jedoch; dann wünscht man sich tatsächlich oft, mit Blick auf die Waage, man wäre schneller satt.
Belebend wirkte sich in meinem Leben oft der Spruch „klein, aber oho“ aus. Er kann für meinen Geschmack nicht oft genug verwendet werden. Beim anderen Geschlecht zieht er allerdings häufig nicht so gut, wenn man sich mit gewissen Wünschen in der gleichen Altersgruppe bewegt. Auch viele Sportarten sind für kurz geratene nicht unbedingt empfehlenswert; von Basketball zum Beispiel würde ich kategorisch abraten. Man findet da selten Menschen, die einen in der Mannschaft haben wollen.
Lange Beine können also durchaus Vorteile haben; das gebe ich anstandslos zu und ohne mit meinem Schicksal zu hadern.
Man bedenke nämlich: Ein Kleiner verliert sich in einer Menge, der Kleine aber ist einzigartig wie der Nordpol, stellt immer, auch ohne Steigerungsform, einen Superlativ dar.

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Kommentare zu diesem Text

Browiak (67)
(23.02.22, 13:12)
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 Fridolin meinte dazu am 24.02.22 um 02:59:
Mein Bruder war (und ist vermutlich immer noch) Mitglied im "Club der langen Hälse"; vielleicht sollten wir den "Club der kurzen Beine" gründen?
Herzlichen Dank jedenfalls für diesen Kommentar, der, ich gestehe es gern, sehr gut tut. Und auch für die "Sternchen".
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