Erinnerungen an Afghanistan

Erzählung zum Thema Reisen

von  Regina

Im Kabul der 70er Jahre herrschte das absolute Gastrecht, das besagt, dass der damalige (Hippie-)Gast machen durfte, was immer er wollte. Da besaß ein Österreicher eine Kneipe in der Stadt, wo er mitten auf muslimischem Gebiet Schweineschnitzel briet, und die Händler verschenkten ihre Waren, wenn ein hübsches Mädchen lange genug seine Augen auf einem Kleid oder anderem Gegenstand ruhen ließ. Einheimische Frauen trugen, wie in Pakistan, die Vollverschleierung als Burka, bei der man auf den ersten Blick nicht feststellen konnte, wo vorne und hinten ist. Sie nahmen aber niemals Anstoß an westlicher Frauenkleidung.
Später habe ich gehört, dass sie glauben, der Gast bringe einen Engel mit. Einen Engel mit Devisen, wenn auch damals Kost und Logis spottbillig und Drogen wohlfeil angeboten wurden. Manch einer nahm dann aber die Einladung in himmlische Gefilde zu ernst, der Friedhof in Kabul nennt noch immer die Namen der Drogentoten, die hier von der Freiheit, Heroin oder Opium zu konsumieren, reichlich Gebrauch gemacht hatten. Afghanistan und die umliegenden damaligen Sowjetrepubliken gehören zu einem riesigen Mohnanbaugebiet. Natürlich wird keine Regierung offiziell zugeben, dass sie an diesem Geschäft interessiert ist.
Nicht genehmigt war allerdings die Ausfuhr der teuren Afghanenhunde. Aber wie so oft erlagen manche Leute auch hier dem Reiz des Verbotenen und transportierten Welpen, die sie mit Schlaftabletten ruhiggestellt hatten, in einer Tasche über die Grenze. Die Grenzbeamten waren aber mehr an denjenigen Autos interessiert, die größere Mengen an Haschisch mit sich führten, was sie von den Drogenhändlern wussten. Die Rauschmittel wurden dann konfisziert und flossen wieder zurück in den Handel. Eine Hand wäscht die andere. Gültiger Impfausweis oder Geld war ebenfalls eine Forderung, die den Grenzverkehr in Asien geschäftlich aufwertete.
Die Stadtbewohner in Kabul warnten vor den Taliban, unzivilisierte Stämme, die im Gebirge hausten und untereinander grausame Fehden austrugen, wie z.B. Häuten bei lebendigem Leib. Am Khyberpass nahe der Grenze zu Pakistan sammelte der Busfahrer von jedem Rucksacktouristen 20 Dollar Passiergeld ein, das die Taliban entgegennahmen. Wurde nicht gezahlt, dann musste mit einem Überfall auf den Bus gerechnet werden.
Die saubere Höhenluft und die kühleren Temperaturen erfrischten auf dem Rückweg, nach dem Aufenthalt in der tropischen Hitze, dem Smog und dem Gedränge in indischen Großstädten. Bei Kabul ändert die alte Seidenstraße ihre Richtung in einem rechten Winkel und führt wieder geradeaus nach Westen. An der Grenze zum Iran liegt die Wüste Gobi, die mit ihrer Weitläufigkeit eine nie gekannte innere Ruhe schenkte.
1979 baute man eine Pipeline durch das afghanische Gebiet, was der Auftakt zu internationalen Spannungen und Militäroperationen gewesen sein dürfte. Den Taliban fiel eine politischere Rolle zu, die sie zuvor nie inne gehabt hatten. Afghanen fliehen seither in den Iran, nach Pakistan, Indien und, wenn es möglich ist, nach Europa, USA oder Australien.


Anmerkung von Regina:

Ein Teil des Textes befand sich schon im Kommentarstrand zu EkkehardMittelbergs Artikel "Afghanistan, das Vietnam der Deutschen"

Afghanistan 1973/74

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (22.08.21)
Kabul war eine relative Idylle in Afghanistan. Nicht die Taliban haben es pervertiert, sondern kapitalistische Interessen.

LG
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 22.08.21:
Wie recht du hast. LG

 Dieter_Rotmund (22.08.21)
Regina, du warst einst in Afghanistan?

 Regina antwortete darauf am 22.08.21:
1973/74. Lang, lang ists her.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 22.08.21:
In der Wendezeit Königreich/Republik? Spannend!

 Regina äußerte darauf am 22.08.21:
Die Änderung der Staatsform hat das Alltagsleben, glaube ich, nicht allzu sehr beeinflusst. Da ging es darum, zu handeln, bäuerlich zu leben, einen Fuß in der Gastronomie zu haben oder etwa schneidern zu können. Erst 1979 gab es zwei Ereignisse, die sich auf die Bevölkerung in Afghanistan entscheidend auswirkten: die Besetzung durch die Sowjetunion und die Übernahme der iranischen Regierung durch Ayatollah Chomeini. Ab diesem Zeitpunkt konnte der Iran von den Individualreisenden nicht mehr durchquert werden. So fielen sie als Einkommensquelle weg.

Antwort geändert am 22.08.2021 um 19:21 Uhr
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