Wir kleinen Schöpfer

Anekdote zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Hamm (Westf.) mit dem damals größten Rangierbahnhof Europas war im Zweiten Weltkrieg oft Ziel von Fliegerangriffen der Alliierten. Wir wohnten am Rande der Stadt und hinter meinem Elternhaus erstreckten sich Felder. Auf diesen gab es mehrere Trichter von Bomben, die ihr Ziel verfehlt hatten. Nach meiner Erinnerung wurde erst 1948 der letzte dieser Trichter beseitigt.
In den Trichtern sammelte sich Grundwasser und damals war kein Gewässer vor uns Jungen mit unseren selbstgefertigten Käschern und Angeln sicher. Aber so schnell bildet sich kein Leben und unsere Versuche waren erfolglos.
Wir kannten ein kleines Flüsschen, das unter einer Eisenbahnüberführung sehr flach und fischreich war. Dort fingen wir im Herbst mit unseren Käschern unterschiedliche Fische, deren Namen wir nicht wussten, und setzten sie in einem der Trichter aus. Wir hatte keine große Hoffnung, dass unser Experiment gelingen würde,weil wir die Fische aus einem Bach in ein stehendes Gewässer überführten. Es gab damals schon wieder ein Geschäft für Aquarien, wo wir Wasserflöhe und Fischfutter für unsere Sätzlinge kauften.
Über den Winter hatten wir unser Experiment vergessen. Doch im Frühjahr erzählte einer von uns, er habe in dem Trichter einen Fisch erblickt. Voller Neugier rannten wir mit unseren Käschern los
und tatsächlich hatten einige Fische von unserem Herbstfang überlebt.
Einer war jedoch skeptisch, ob das neue Leben in dem Trichter unserer Aktion geschuldet war. Wir wollten es wissen und fischten die übrigen Trichter ab, ohne einen Fisch zu fangen.
Jetzt waren wir überzeugt, dass wir den einen Trichter belebt hatten, und waren mächtig stolz auf uns, wir kleinen Schöpfer.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (19.10.21)
Kleine Götter, Christiansche Morgensterne der Trichter, treiben hier ihr Unwesen.
Das nenne ich wahrhaft Konkrete Posie!

Lächelnde Grüße
der8.

Kommentar geändert am 19.10.2021 um 06:55 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.10.21:
Merci, Piccola, zum Glück störte kein Prometheus ihr Spiel.
Schmunzelnde Grüße
Ekki

 TassoTuwas (19.10.21)
Moin Ekki,
ein Bombentrichter als Ort der Schöpfung könnte auch eine glaubwürdige Entstehungsgeschichte unser chaotischen Welt sein!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 19.10.21:
Gracias. Wie wahr ist diese Beobachtung!
Herzliche Grüße
Ekki
Tod (56)
(19.10.21)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 19.10.21:
Gracias Tod. "Schläft ein Lied in allen Dingen... ."
LG
Ekki
Agnete (66)
(19.10.21)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 19.10.21:
Grazie, Agnete. Wie gut, dass Kinder Schreckliches schnell vergessen. Bei den Bombenangriffe wackelten die Wände unseres Hauses und ich fürchtete mich sehr. Ein Jahr später hatte ich angesichts der Bombentrichter nur die Fische im Sinn und die Gefahr für Leib und Leben verdrängt.
LG
Ekki
Agnete (66) ergänzte dazu am 19.10.21:
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 AZU20 (19.10.21)
Das Leben musste langsam wieder in Gang kommen. Schön, dass ihr mitgeholfen habt. Feine Geschichte. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.10.21:
Merci, Armin, mit kindlicher Unbekümmertheit, die nicht den Makel der Oberflächlichkeit hat.
LG
Ekki

 harzgebirgler (19.10.21)
lebendig erzählt & gerne gelesen!

...der große schöpfer lächelte und dachte
dass er sich das einst etwas leichter machte.

lg
harzgebirgler

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.10.21:
Merci, Henning, gut, dass der große Schöpfer es sich damals nicht leichter gemacht hatte. So erhielt er uns die Experimentierfreude.
LG
Ekki

 Graeculus (19.10.21)
Erschaffung hängt oft mit Forschung zusammen, wie man hier gut sehen kann. Ist jemand von den Beteiligten später Biologe geworden?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.10.21:
Gracias, Graeculus, leider habe ich meine damaligen Spielgefährten aus dem Blick verloren. In der Rückschau muss ich mich selbst ein wenig wundern, dass Acht- bis Zehnjährige schon so methodisch dachten, um sich ihres Erfolgs zu vergewissern.

 GastIltis (18.11.21)
Hallo Ekki,
wenn man wie ich an einem Fluss, nämlich der Mulde in Sachsen-Anhalt, groß geworden ist, liest man solche Geschichten wie die von dir, mit wahrer Begeisterung. Dass der Fluss um die Stadt herum, in der mein Elternhaus steht, ein paar Altarme hatte, macht die Sache insofern verständlicher, weil die Mulde ziemlich verschmutzt war, die Altarme aber überwiegend durch Sickerwasser gespeist wurden und dadurch verhältnismäßig sauber waren. Obwohl in der Nähe im Ort Pouch bei Bitterfeld Faltboote gebaut worden sind (und noch werden), neigten wir als Jungen dazu, uns Bretter zu „besorgen“, um Boote selbst zu bauen. Meist waren wir zu dritt, was nach der Fertigstellung dann zu Zerwürfnissen führte. Auf jeden Fall haben wir zwei Boote (nicht see-) aber altarmtüchtig zustande gebracht und zeitweilig genutzt.
Wir haben auch, aber das ist ein ganz anderes Kapitel, ehemalige Schützenlöcher an Waldwegen ausgebaut, um sie als unterirdische Verstecke zu nutzen. Wir, das waren die gleichen Jungen, mit denen ich auch in Sachen Bootsbau unterwegs war.
Ob mein Berufswunsch, später mal Wasserbau zu studieren, wohl da seinen Ursprung hatte?
Danke für die schöne Geschichte und sei herzlich gegrüßt von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.11.21:
Gracias, Gil, wieder einmal ist es dir gelungen, eine Anekdote von mir kreativ weiterzuerzählen. Das freut mich natürlich ganz besonders.
Eine Kurzgeschichte, die dich interessieren könnte: Georg Britting: Brudermord im Altwasser
Herzliche Grüße
Ekki
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