Krach im Haus

Drama zum Thema Stille

von  eiskimo

Neben uns das Haus ist verkauft worden. An junge Leute. Irgendwas mit Medien. Und dann ein Reihenhaus. Okay, Face-lifting ist da angesagt. Aus Vorstadt-Barock muss Bauhaus werden. Geld, so meine Einschätzung, kann bei denen keine Rolle spielen. Zeit auch nicht, denn von Kaufakt im September bis erstem Spatenstich sind schon locker acht, neun Monate vergangen.
Wir waren dann lange in Ferien, bewusst lange. Nicht lang genug. Erst als wir zurück waren, ging es nebenan los. Aber brachial! . Es wurde entkernt. Zwei Wochen lang. Ich wusste gar nicht, wie lange und intensiv man an einem Reihenhaus herumbohren kann. Container-Idylle vor unserer Tür. Staub. Vibrierende Wände. Aber: Nette junge Handwerker, die abends pünktlich Schluss machten. Weil sie morgens Punkt Sieben die Hiltis anwarfen.
Wir erwischten den Architekten. Der schwärmte. Der Käufer setze auf Licht, überall Licht.  Wir durften den Plan sehen. Rot markiert die Wände, die raus mussten. Viel Rot. Was ich bei all der Schwärmerei behalten habe: Die Küche kommt ins Wohnzimmer.  Bad und Schlafbereich werden Eins. Das Wohnzimmer kriegt Anschluss an den Wintergarten, der Garten ein ganz neues Design – mediterran oder so. Jedenfalls muss auch die Garage von Grund auf neu gestylt werden. Und das Dach erst. Panorame-ähnlich: Beidseitig Gauben, na klar.
Im Herbst ruhte die Baustelle über Wochen. Trotzdem sind wir wieder in Ferien gefahren. Mitten in dieser Ruhe-Phase. Normandie. Vierzehn Tage fast nur Regen. Bei Freunden konnten wir noch eine Verlängerungswoche dranhängen. Heimweh hatten wir nicht. Trotzdem waren wir wieder viel zu früh zurück. Nebenan hatte sich gar nichts getan. Drei Wochen verschenkt, null Baufortschritt.
Warum dieser Ablauf? Ha! Der Elektriker, die Zimmerleute, Heizungsbauer und Sanitärfritzen hatten auf uns gewartet. Ohne Zuhörer wollten sie nicht Hand anlegen. Kleiner Witz.
Umso heftiger sind sie jetzt aktiv, sozusagen symphonisch, nur für uns.  Im Keller, in den Zwischengeschossen und auf dem Dach. War das Entkernen nur einfach dumpf und laut, so lernen wir jetzt die unterschiedlichsten Fräs-, Schlitz-, Stemm- und Bohrgeräusche unterscheiden. Leiser, wenn sie von uns weg arbeiten, schön markig, wenn sie direkt unsere Wände mit  perforieren. Die Gläser im Schrank vibrieren. Aber noch hält die Bude.
Sorgen macht mir meine Frau. Sie versucht tatsächlich, diesen Lärm als eine Form der Kommunikation anzunehmen. Ich muss immer ganz still sein.  "Morsezeichen! " ruft sie dann. Inzwischen glaubt sie sogar,  Melodien herauszuhören, Ansätze von klassischen Partituren. Ich höre nur Schlagzeug und Bässe.
Mein Verdacht: Sie hat das Stockholm-Syndrom. Denn geschickt legt sie schon unsere Mahlzeiten genau in die Pausen unserer „Musiker“ nebenan. Wie kooperativ! Wie unterwürfig! Leider haben die Jungens da sehr unterschiedliche Zeitraster. Spätestens beim Nachtisch geben sie uns  wieder "Begleitung".
Darum gehe ich nun vermehrt spazieren. Weite  Strecken. Meine Frau muss da nicht bei sein. Nee, muss sie nicht. Die hat mich nämlich verraten. Zuletzt, gerade als ich in einem mittleren Lärm-Inferno wutverzerrt die Fäuste in Richtung Nachbarhaus  ballte, da hat sie mich böse verraten.
Was hat sie mir noch um die Ohren gehauen, einfach so?  „Dein Schnarchen ist auch nicht viel anders!“

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Quoth (03.11.21)
Hallo Eiskimo, eine schöne Satire auf Egoismus und Selbstherrlichkeit der Medien-Schickeria. Für den Fall, dass sie einen realen Kern haben sollte, empfehle ich: https://earmuff.de/

Zum Schluss hätte ich statt "schwang" lieber "ballte"!
Gruß Quoth

 eiskimo meinte dazu am 03.11.21:
Danke für die mitfühlende Rückmeldung - was die earmuffs angeht, da möchte ich nicht wie Mickey Mouse rumlaufen.
Deswegen: Wenn ich allein zu Hause bin, stelle ich meine Musikanlage an, und das ziemlich laut. Carmina Burana z.B. ist eine wirkungsvolle Abwehrmaßnahme.
Wenn meine Frau da ist, muss ich die "Musik" der Handwerker ertragen.
Blöd ist, wenn mir Leute am Ende sagen
hau rein...
Eiskimo

 tueichler (03.11.21)
Wart's ab, mein Lieber, bald kommst auf den Balkon zum Schlafen. Kenn ich. Morbus Makita Nokturnii ...

 eiskimo antwortete darauf am 03.11.21:
Morbus Makita, den merk ich mir!
Die Zimmerleute mit ihren Gauben haben uns übrigens auch für nachts ein bisschen Beschallung ermöglicht. Da, wo die Fenster hineinsollen, flattern lustig ihre schlecht fixierten Planen.
Morbus Gorch Fock?

 Graeculus (03.11.21)
Die Pointe gibt dem amüsanten Text ein witziges Ende. Soll so sein.

 AchterZwerg (04.11.21)
Lieber Eiskimo,
das kann ich gut nachfühlen. Aber sowas von.
Ich bin mal wegen anhaltender Maßnahmen (Rodung mit anschließendem Bau einer riesiger Altenwohnanlage) ausgezogen, um dann ... ja, man kann es sich denken.
Laubsauger und Baulärm gehören zu den Prüfungen der Götter.
Nur der Starke überlebt!

Stille Grüße
der8.

 eiskimo schrieb daraufhin am 04.11.21:
Danke für die Anteilnahme! Du spendest auch guten Trost, selbst an einen, der Monotheist ist.
Noch ist es verdächtig ruhig nebenan. Es wird denen doch nichts zugestossen sein - der Zoll?
Wackere Durchhaltegrüsse
Eiskimo

 indikatrix (04.11.21)
Wunderbare Ideen : Musik und das Morsen, Stockholm-Syndrom und Schnarchvergleich, Verrat!
Viele lachende, aber auch Grüße Mit - gefühl
Indikatrix

 eiskimo äußerte darauf am 04.11.21:
Ja, lach Du nur....Ich schicke Dir die bulgarische Abbruchbrigade, die kloppen auch den ganzen Samstag.
Kleiner Scherz
Eiskimo
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram