Wenn Menschen zu Tieren werden

Rezension zum Thema Anpassung

von  eiskimo

Eine Schullektüre, die bei mir auch nach mehr als 50 Jahren noch ihren festen Platz inne hat, ist ein zerfleddertes Reclam-Heftchen, ziemlich dünn. Aber die Story, die hatte es in sich. Der Held darin hieß Bérenger, und warum ich den immer noch vor Augen habe ?

Nun, Bérenger war eigentlich gar kein Held, kein so ein Übermensch mit IQ 150 und nur Einsen auf dem Zeugnis. Er war eher ein bisschen eine verkrachte Existenz, ein bisschen verpeilt, jedenfalls nicht geeignet für die große Karriere.

Als um ihn herum die Menschen reihum einer merkwürdigen Verwandlung anheimfallen und sich zurück verwandeln in primitive Schreihälse und Mitläufer, verweigert sich dieser Bérenger. Nein, er widersteht der Faszination dieser Massenhysterie, die so radikal und  erfolgreich um sich greift.

Es wird klar:Die Menschheit mit ihren mühsam aufgebauten Werten ist in Gefahr, denn schon droht diese primitive Zivilisation, die „Humanisten“  platt zu machen. Mit einer Kollegin, der hübschen Daisy, hofft Bérenger noch, ein Stück der alten Welt retten zu können. Doch am Ende lässt auch Daisy unseren Helden im Stich, und sie wird – wie ihre Artgenossen vor ihr – ebenfalls zum Nashorn.

„Die Nashörner“, so heißt meine kleine Schullektüre. Es gibt sie als Novelle und als Theaterstück. Am Ende bleibt mein Held allein. Was mich daran besonders bewegt: Er widersteht nicht mit klugen Sprüchen oder einer akademischen Moral, sondern aus dem Bauch heraus. Er kann nicht anders. Standhaft wiederholt er den Satz, der mir sehr im Gedächtnis geblieben ist: „Non, je ne capitule pas!“

Der Autor meiner kleinen Schullektüre ist ein großer:  Eugène Ionesco, Frankreichs bedeutendster Dramatiker, der eigentlich Rumäne war. Geschrieben hat er die Novelle 1957 vor dem Hintergrund des Algerienkriegs, für den in Frankreich vehement Propaganda gemacht wurde… mit merkwürdigen kriegslüsternen Auswirkungen. Das Theaterstück durfte darum in Frankreich nicht uraufgeführt werden; Ionesco brachte es 1959 in Düsseldorf auf die Bühne.

Als wichtiger Vertreter des Absurden Theaters machte er sich einen Namen, der bis heute weltweit etwas gilt.

Eugène Ionesco, der 1994 in Paris mit 85 Jahren starb, hätte jetzt am 26. November Geburtstag

 

 

 



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (24.11.21, 17:40)
Gut, daß Du an Ionesco erinnerst.
Mit den "Nashörnern" - spät gelesen und nie im Theater gesehen - bin ich nicht recht warm geworden.
Agnete (66) meinte dazu am 24.11.21 um 18:49:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 eiskimo antwortete darauf am 24.11.21 um 19:02:
Danke für eure Anmerkungen. Ich frage mich immer noch, ob die "Rhinoceritis"  eine Krankheit ist, für die man nichts kann, oder eine selbst gewollte Veränderung. Anders gefragt: Ist Berengers Widerstand  nur ein subjektiver Reflex oder könnte man ihn auch argumentativ anderen vermitteln?

 AchterZwerg (25.11.21, 07:19)
Lieber Eiskimo,

kann mich kaum noch an die Nashörner erinnern, werde sie mir aber wieder einmal vornehmen.
Eunesco ist, inhaltlich gesehen, offenbar brandaktuell.

Herzlichst
der8.

 eiskimo schrieb daraufhin am 25.11.21 um 08:13:
Hallo, liedbe(r) Achter!
Für mich ist er aktuell. Man muss ja täglich Nein sagen und steht dann auch schon mal allein da. Frage: Ist das ein Gen in uns, diese Widerborstigkeit, oder haben wir das mal iin einer Sternstunde des Politikunterrichts gelernt?
grübelnde Grüße
Eiskimo
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram