Psychiatrie-Tagebuch, Teil 4

Tagebuch

von  Koreapeitsche

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jedoch um meine bisherigen Affären ging, sprach er das Thema Orgasmusprobleme und Erektionsstörungen an, ohne dass es dafür eine Veranlassung gab. Das fand ich etwas daneben. Als ich vom Holsteiner erzählte, dem Ärger mit den Skins, hakte er noch einmal nach, ob die Leute wirklich rechtsradikal waren. Ich sagte ja, es war allerdings nur eine Einschätzung. Dr. Kruse ist mir ehrlich gesagt suspekt.

 

 
 
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Di. 24.02.2009
 
Die Richterin Fr. Dittmann sagte mir eben, ich solle das Ganze als Chance begreifen. Das werde ich beherzigen. Gegen 14 Uhr wurden der Kasache, der hier mit untergebracht ist, und ich von einer  Krankenschwester mit Taxi in die Zahnklinik gefahren. Ich traf erst Hr. Ulbrich, den Zahnarzt, wieder. Er entschied, dass ich in der zweiten Etage weiterbehandelt werden soll. Ein netter Araber sagte mir bereits, im sechsten Stock würden nur Personen behandelt, die auch tatsächlich Schmerzen haben. Ich füllte zum zweiten Mal ein Formular aus, wurde von zwei Zahnmedizin-Studenten behandelt, ergänzend noch von einer Zahnärztin. Schließlich wurde mir eine Plombe aus Ketacks-Silber eingesetzt. Ich soll mich in zwei bis drei Monaten wieder in der Zahnklinik vorstellen, dann soll die richtige Plombe  eingesetzt
 

 

 
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werden. Es hieß, ein Zahnnerv solle sich erholen. Die eine Zahnmedizin-Studentin war ganz süß, auch wenn sie einmal recht grob war. Wieder im Zip legte ich mich hin, nachdem ich erfuhr, dass zehn   Minuten nach unserer Rückkehr _ftn1">[1] Hr. Wichmann, der Sozialpädagoge da war. Er rief später noch einmal an und arrangierte mit mir ein Treffen für Donnerstag um 15 Uhr hier im Zip. Er ist 48, fährt Kajak und taucht. Das Gespräch mit Richterin Dittmann dauerte heute rund 45 Minuten. Hr. Fitza war auch  anwesend. Ich hatte zuvor einen Text geschrieben, der mir als Leitfaden oder Orientierungsgrundlage diente. Fr. Dittmann sagte, dass ich frühestens nächsten Montag hier herauskommen könnte. Ich habe heute wieder meine 100 Zukis _ftn2">[2] gemacht, aber bisher keine Yoga-Übungen. Ich machte auch wieder Ki-Karate.
 

 
 
 
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Mi. 25.02.2009
 
Heute Morgen war wie gewohnt Arztvisite. Dr. Kruse unterhielt sich rund fünf Minuten mit mir, nachdem er sich mit Marcel unterhalten hatte, während ich draußen wartete. Dr. Kruse sagte mir, dass er mit mir einen Psychosetest machen wolle, bei dem ich Multiple-Choice-Antworten geben müsste. Als Beispiel nannte er mir vorab zwei Sprichwörter, die ich erklären sollte: „Morgenstund hat Gold im Mund“. Darauf gab ich als Erklärung: „Wer früh aufsteht hat mehr vom Tag.“ Er nannte auch das Sprichwort „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Darauf sagte ich: „Wie der Vater, so der Sohn!“ Ich sagte auch, dass ich hier von meinem hohen Arbeitslevel herunterkomme, der trotz Arbeitslosigkeit recht hoch sei. Ich sagte, dass ich viel am Computer arbeite, bis auf Sonntag jeden
 

 
 
 
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Tag. Ich las diesen Vormittag auch die “Time“ und in der „KN“ von heute. Derzeit wird stark über die Wirtschaftskrise berichtet. Es scheint sich das zu bestätigen, was ich bereits vermutet habe, dass Wirtschaftsmanager absichtlich Unternehmen in den Ruin steuern. So stand es auch über die dt. Firma Scandlines in der Zeitung. Meine Befürchtungen gehen aber noch weiter, dass einige Wirtschaftsbosse sogar Krieg wollen. So, ich werde jetzt erst einmal essen gehen. Wegen des heutigen Streiks des Klinikpersonals gibt es nur eine Mindestverpflegung. Beim Abendbrot fehlte mir der Joghurt. Andere schienen zwei Joghurts auf dem Tablett zu haben. Ich dachte einen Moment, jemand hatte mir meinen Joghurt gestohlen. Wir haben eine ältere Frau seit vorgestern Abend neu hier. Sie ist sehr schwach und schreit häufig. Morgen soll sie wieder ins Pflegeheim zurück. Ich habe jetzt einen Bescheid
 
 
 

 
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von Richterin Dittmann erhalten, der besagt, dass ich noch bis zum zweiten März hierbleiben muss, vorbehaltlich der Entscheidung von RA Fitza. Nach dem Abendbrot fragte ich erneut nach Obst oder Gemüse. Ich hatte den ganzen Tag noch keines. Frau Metzner, eine attraktive Frau „im ärztlichen Dienst“, die morgens immer das Blut abnimmt, gab mir später, nach dem Mittagessen eben diesen Bescheid unterzeichnet im Auftrag für drei Richter und dazu einen SKID II Fragebogen. Ich schaute mir diesen Fragebogen kurz an, sah, dass auch Fragen zum Thema „Rüpelhaftigkeit in der Jugend“ und Schlägereien gestellt wurden, fragte mich, weshalb es sich bei den Fragen um Kopien eines  Originalfragebogens handelte, von dem es hieß, dass davon keine Duplikate angefertigt werden dürfen. Ich wurde schließlich erneut zu Dr. Kruse in den
 
 
 
 
 
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Behandlungsraum gebeten. Fr. Metzner war auch anwesend. Er sagte: „Soll die Klinik denn jedes Mal für 50 oder 60 Euro die Vordrucke für die Befragung bestellen?“ Er sagte zuvor: „Es finden pro Woche nur zwei bis drei solche Befragungen statt.“ Ich blätterte noch einmal durch den Fragebogen, den er lapidar Interview nannte. Ich kritisierte das gleich, sagte, das sei kein Interview sondern ein Fragebogen. Ich erkannte vor Frage 21. Einen Strich, als sei dort eine Zäsur gesetzt. Im weiteren Verlauf des Fragebogens fand ich Kopierflecken. Der Bogen endete bei Frage 117. Doch Nr. 117 stand ganz unten auf der Seite, sodass ich annehmen musste, dass der Bogen mehr als sechs Seiten besitzt. Schließlich nahm Dr. Kruse mir den „Text“ weg, heftete die sechs Seiten zusammen und legte sie in eine kleine  Plastikschublade oben rechts in
 
 
 

 
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seiner Schrankwand rechts neben dem Fenster. Danach konnte ich allmählich sein Büro verlassen. Morgen um 15 Uhr kommt Hr. Wichmann. Wir machten heute ein Tischtennisturnier mit sechs  Personen, das ich gewann. Ich gewann alle 5 Spiele. Ich nahm das Turnier sehr ernst. Es brachte Spaß. Mal sehen, vielleicht steht der eine Joghurt noch im Kühlschrank. Hr. Rodewald, der hier mit auf Station ist, hat eine Schädelverletzung. Seine linke Seite ist deformiert. Er hat auch eine Aphasie, meiner Meinung nach jedoch eine Mischform aus Broca- und Wernicke-Aphasie. Er hat das angestrengte, nahezu monotone in der Stimme, wie es für Broca-Aphasie charakteristisch ist. Auf der anderen Seite besteht seine Sprache in erster Linie aus Repetitionen. Er sagt häufig etwas, das so klingt wie:
 
 
 
 
 
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„Gib den Ball!" oder „Wo ist der Ball?", jedoch manchmal mit unterschiedlicher Betonung. Er wirkt, als kann der nicht mehr alle phonologischen Konzepte verwirklichen. Die Repetitionen sind ja typisch für die Wernicke-Aphasie. Der Defekt soll ja bei einem Treppensturz passiert sein. Ich mache dir vorhin ja mal wieder Übungen, macht der auch 100 Zukis. 40 Zukis machte ich ja aus dem Zenkutsu-Dachi heraus. Mir wurde zum ersten Mal klar, dass ist so etwas wie Gyaku-Rengeri geben muss, wenn der Karateka als erstes den Gyaku-Zuki in der Zweierkombination macht. Dasselbe gilt vielleicht auch für Sanbon-Zuki, der klassischen Dreier-Kombination. Dazu müsste ich mal einen Fachmann wie Michael Gehre, Norbert Steuer oder Bernd Hartlieb befragen. Zu den Mischformen zwischen Broca- und Wernicke-Aphasie könnte vielleicht die folgende Zeichnung
 
 

 
 
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weiterhelfen:
 
(Skizze über die Sprachzentren)
 Sprachzentrum, Broca-Bereich, Wernicke-Bereich
 
Die Zeichnung _ftn3">[3] zeigt, dass ich von neurologischen Themen und psychiatrischen Themen jetzt  während meines Krankenhausaufenthaltes besonders angetan bin.
 
 
 
 
 
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Do. 26.02.2019
 
ich habe vorhin am Frühsport teilgenommen. Die bei den Gymnastinnen bzw. PhysiotherapeutInnen sehen ganz nett aus. Sie haben jedoch ziemlich breite Hüften. Ich müsste sie im Bikini sehen, um sie besser beurteilen zu können. Wir machten Übungen mit Schlägern und Luftballons, später mit Hula Hoop Ringen. Die eine Krankengymnastin machte mir sehnsüchtig liebe Augen. Leider klebten ein paar Stühle Tische und der Boden. Frau Kaminski findet das mit der zum Teil mangelnde Hygiene nicht so schlimm. Heute Morgen, vor dem Frühsport, sollte ich zwei ein Milligramm Tabletten Risperidol  nehmen. Das stieß bei mir zunächst auf leichte Widerstände. Ich sagte der schwarzhaarige Schwester, dass ich sonst immer 1 Milligramm Tabletten, eine morgens eine abends gekommen hätte. Da erzählte sie mir, dass die Dosis schon vor ein paar Tagen erhöht wurde auf 2 x 2m. Davon wurde mir

 

 
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jedoch nichts erzählt. Das finde ich traurig. Als würde es mich nichts angehen, wie hoch ich mit Risperidon dosiert werde. Ich habe gar keine Lust, das bei Dr. Kruse anzusprechen, da er wieder so liebenswert total sein wird. Er würde mir die Sache liebenswert taktlos plausibel machen. Das kommt ansatzweise wie der Zynismus der Nazis. Ich hatte eben die Arztvisite, nachdem ich einen Artikel im time über Stammzellen zu Ende gelesen hatte. Dr. B. Kruse offenbarte mir, dass ich ab heute schon Ausgang habe, das bedeutet, dass ich bereits heute ab 14 Uhr einen einstündigen Spaziergang machen kann. Ich darf dabei jedoch nicht das Klinikgelände verlassen, dürfte nicht einmal ins Düsternbrooker Gehölz. In den Folgetagen dürfte ich auch in den kleinen Wald gehen. Offiziell bin ich ab Montag 12 Uhr entlassen. Dr. B. Kruse fragte mich jedoch, ob ich darüber hinaus
 
 
 


 _ftnref1">[1] Falsche Wortwahl. Es hätte hier „Abfahrt (ins Zip)“ anstatt „Rückkehr“ heißen müssen.
 _ftnref2">[2] Das sind Karate-Übungen, die beim Uni-Karate erlernt wurden.
 _ftnref3">[3] Die Zeichnung gibt den Lerninhalt einer früher besuchten Univeranstaltung wieder.

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