Deutung eines zentralen Celan-Gedichtes

Interpretation zum Thema Erlösung

von  HerzDenker


EINMAL,

da hörte ich ihn,

da wusch er die Welt,

ungesehn, nachtlang,

wirklich.

 

Eins und Unendlich,

vernichtet,

ichten.

 

Licht war. Rettung.




Meine Deutung

     
Das Gedicht beginnt wie die Kurzform der Einleitung der Märchen, die ja  „Es war einmal…“ lautet. Er verwendet auch die dort gängige Erzähl-Zeit, das Präteritum: da hörte ich ihn. Das „Hören“ wird also betont, zumal in Zeile Vier erwähnt wird, dass es sich um einen ohnehin unsichtbaren Vorgang handelt. Mit dieser Form der Wahr-Nehmung wird subtil eingeflochten, dass ein „Horchen“ ratsam ist, das sich ja sprachlich nahe am Ge-horchen bzw. hören befindet. Was da passiert, geschieht also mit hoher Autorität und verdient wohl menschlichen Gehorsam. Es muss sich überhaupt um eine sehr besondere Lichtgestalt handeln, denn sie ist in der Lage, die Welt zu waschen. In welchen Umständen geschieht diese globale Reinigung? Niemand sah ihm dabei zu, offenbar also ähnlich den „Dieben in der Nacht“, mit denen laut Bibel das Anbrechen der Gottesherrschaft verglichen wird. Das zweite Eigenschaftswort ist nachtlang: Die Waschung spielt sich also im verborgenen Teil der 24 Tages-Stunden ab, in denen das Dunkle, weniger Rationale und auch meist der dem Weiblichen zugeordnete Aspekt des Lebens im Vordergrund steht. Das dritte Adjektiv, mit dem die Umstände umschrieben werden, lautet Wirk-lich. Was ein Wort wie „real“ nicht so plastisch ausdrücken würde, wird hier markant deutlich: Es wirkt, was da geschah, der Prozess der Reinigung war also umfassend – wie wir in der zweiten Zeilengruppe gleich danach erfahren: Möglicherweise strahlte er sogar bis in die Unendlichkeit hinein. Eine Reinigung mit einer Allmacht also, die keinerlei  Grenzen kennt. Das Zahlwort „Eins“, mit dem die Zeilengruppe Zwei beginnt, greift nicht nur den roten Faden des „Einmal“ von oben auf; ein unteilbarer Vorgang, ein quasi göttliches Individuum ist hier offenbar am Werk. Wenn nun das Partizip Perfekt vernichtet allein in der zweiten Zeile steht, dann kann dies vom Gesamtsinn her eigentlich nur als triumphale Feststellung gesehen werden: Der Schmutz wurde gänzlich vernichtet, aller Schatten ist beseitigt. Ich verwende bewusst das Wort Schatten, denn Paul Celan geht nun in die immaterielle Ebene mit seinen Sprachbildern hinein: Licht war. Ein grammatisch unvollständiger Satz, denn „sein“ ist ein Hilfsverb, dem eigentlich noch ein  Objekt folgen müsste. Der Dichter sprengt die Gesetze der Grammatik mehrfach, er baut ein regelrechtes Mosaik aus Wort-Gefügen auf. Herausheben möchte ich noch das ungewöhnlichste Wort des Gedichtes, das dem Erscheinen des Lichtes am Ende von Zeilengruppe zwei vorangeht:  ichten Es bedeute
laut Grimm: Ich sagen, eine Frage mit Ich beantworten.

Zunächst handelt es sich wohl um eine weitere Betonung des starken Verbs „vernichten“, es wirkt förmlich  wie ein Echo. Zudem fällt mir dies auf: Es kommt zu einer Silben-Alliteration in dieser Form:                           

                                                  Ver-nicht-et

                                                           ichten

                                                         L-ich-t

  Damit wird eine Verbindung zwischen den im Inhalt einen ungewöhnlichen Ebenen-Wechsel vollziehenden drei Zeilen hergestellt. Außerdem wird subtil das Pronomen „Ich“ dem Leser eingeflüstert, was für mich einen Hauch von nietzscheanischer Selbstüberschätzung mitschwingen lassen könnte. Mit  dem Kunstwort ichten  tritt zudem das einzige Verb des Gedichts  in seiner Grundform auf. Auch hier darf nicht nach grammatischer Logik gesucht werden. Mir scheint, dass er zur vorher erwähnten Verstärkung von vernichten auch subtil ausdrücken will, dass mit dem beschriebenen Reinigungsprozess ein Stück Ich-Werdung für den Dichter verbunden ist. Er bringt sich sozusagen sprachlich sanft als Vorbereiter (oder gar Mitwirkender?) an diesem Reinigungsprozess ins Spiel. Mit dem letzten Wort wird der theologische Gehalt des Auftrittes von der reinigenden Licht-Bringung auf den Punkt gebracht: Jetzt ist Rettung da, denn Unrat und aller Schatten auf der Welt ist beseitigt.  

Ich möchte zum Schluss wieder den Versuch einer deutenden Nachgestaltung der Zeilen zur Veranschaulichung meiner Intention anfügen.

 

So geschah es,

dass ich eine Rettergestalt zu nächtlicher Stunde hörte,

die das Ungeheuerliche vollzog:

 

Er reinigte die Welt als Ganzes und erlöste sie damit von Schatten und Unreinheit,

nachhaltig und bis in fernste Fernen hinein.

 

Eine Einheit wurde lichtvoll geschaffen,

wo überschattete Trennung war.

 

Es ist vollbracht.

 

P.S.:  Es ist mir klar, dass in meiner Deutung der Theologe in mir voll durchgeschlagen hat. Ich sehe in Celans Gedicht einen visionären Entwurf der Hoffnung auf eine paradiesähnliche Zeit. Andere,  im Netz zugängliche Kommentare, sehen hingegen in diesen Zeilen eher einen Bezug zu den furchtbaren „Reinigungs“-Maßnahmen eines Pseudo-Propheten der deutschen Geschichte, eines gewissen Adolf H.  Wenn man dabei nun von Kusanus her den Zusammenfall der Gegensätze ins Spiel bringt, verlieren diese sehr unterschiedlich klingenden Deutungstendenzen allerdings Einiges von ihrer Unvereinbarkeit.

 

 



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Kommentare zu diesem Text

wa Bash (47)
(13.12.21, 17:42)
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 HerzDenker meinte dazu am 13.12.21 um 20:47:
Danke, wa Bash! In "einmal" schwingt ja -wie du richtig sagst- auch "einmalig"  mit -auch bei Märchen- denn man erzählt doch gerne Geschichten. So gesehen würde ich den Bezug zu Märchenhaftem nicht ganz wegräumen wollen.
wa Bash (47) antwortete darauf am 13.12.21 um 21:05:
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 HerzDenker schrieb daraufhin am 14.12.21 um 03:51:
Das mit dem Horrormärchen müsstest du m.E. nochmal begründen, denn das Wort "Rettung" steht nun mal am Schluss, wie das Märchen hat es also doch ein "happy end". Warum es immer das gute Ende in Märchen gibt, liegt wohl nicht an Schönfärberei oder dass Kinder nach dem Vorlesen am Abend besser schlafen mögen: Märchen hatten Lehrfunktion, weil sie in der Grundtendenz Heil-Erzählungen nach dem Motto waren: Wenn du die und die Prüfungen im Leben gut bestehst, wenn Du Dich an Schlüsselstellen des Lebens für das "Gute" (=Gott) entscheidest, dann wirst Du belohnt, indem die unerlösten Teile in Dir gelöst werden, die Polarität verschwindet und es zur Großen Alleinheit -symbolisiert oft durch die Hochzeit des Prinzen mit der künftigen Prinzessin als "missing piece" -kommt.
wa Bash (47) äußerte darauf am 14.12.21 um 10:01:
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 HerzDenker ergänzte dazu am 14.12.21 um 11:00:
Danke für Deinen tiefschürfenden Kommentar, lieber wa Bash (Ba wash würde hier noch besser passen :) ;) . ) Du rührst nun sehr am Philosophischen, denn bei der Auflösung des Ichs als Ego wird etwas vernichtet, das einem Leben im Fülle genau genommen bei uns allen sehr im Weg steht...Mystik und Buddhismus lassen grüßen. Und genau da löst sich der Verdacht auf, auch Märchen bestimme oft etwas Kaltblütiges, da wird aufgefressen und sonstwas passiert. -Celan und Eigendeutungen? Da werde ich wohl eher von meiner Art, ihn zu lesen, relativiert.  Aber letztlich ist es auch geschäftsschädigend, wenn man als Autor sagt, so und so habe ich es gemeint...Punkt. Diejenigen, die von einer anderen Seite kommend vom Meister fasziniert werden, fühlen sich dann ausgeschlossen...Celan ist der Poet, der Aufwühlendes bei völlig kontrastierenden Menschen meines Freundes- und Bekanntenkreises ausgelöst hat. Vielleicht ist das der Nachteil von Interpretationen: Man will mit dem Verstand ran, verhackstücken und verstehen. Vielleicht sollten wir manchmal nur den Sprach-Klang in uns wirken lassen. Nicht zufällig stammt das Wort Lyrik von einem Musikinstrument ab.
wa Bash (47) meinte dazu am 14.12.21 um 11:11:
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 HerzDenker meinte dazu am 14.12.21 um 12:07:
Sehr gerne, sie werden etwa im Tagestakt folgen. Bei so vielen engagierten Kommentaren macht es einem besonders viel Freude!

 Tula (13.12.21, 21:31)
Hallo
In der Tat denke ich beim ersten Lesen an so etwas wie ein Erlösungsgedicht. Auch als Warnung für jene, die sich einbilden, im nächsten Waschgang (irgendwann wird der Heiland schon erscheinen) ungeschoren davonzukommen. 
Ich denke, die Sintflut wird ja auch als solche gedeutet, eine Strafe und Reinwaschung zugleich.
Die Stelle mit -ichten in der Tat verwirrend. Sprachlich nicht unbedingt schön. Celan darf das ...

LG
Tula

Kommentar geändert am 13.12.2021 um 21:33 Uhr

 HerzDenker meinte dazu am 14.12.21 um 03:57:
Danke, Tula, für diesen überzeugenden Kommentar!  Die dunklen Stellen in uns und in der Welt werden mit einem Schlag gereinigt, auch die Pharisäertypen, die schon immer bauchladenartig allen zu zeigen meinten, dass sie doch eine "weiße Weste" haben, kriegen ihr Fett ab, mglw. deutlicher als manches angebliche Schmuddelkind.

 Willibald meinte dazu am 16.12.21 um 14:31:
Licht war. Rettung.

Das Verbum "war" kann als Hilfsverb eine Ergänzung verlangen. Es kann dann trotz Punkt das Lexem "Rettung" in seinen Valenzrahmen einsaugen. Allerdings findet sich dabei eine Konnotation des Bedauerns, insofern das Präteritum etwas nicht mehr Vorhandenes signalisiert. Schließlich lässt sich das "war" auch als Vollverb lesen (Gott ist: Gott existiert). Hier also soviel wie Licht existierte/kam einmal auf. Aber das ist jetzt vorbei.

Antwort geändert am 16.12.2021 um 14:32 Uhr

 HerzDenker meinte dazu am 16.12.21 um 15:03:
Danke für diese sehr qualifizierte Kommentierung! Zum Licht würde deine Deutung evtl. heißen, dass schlaglichtartig Licht aufblitzte, vielen wachen Menschen (Doppelsinn!) klar war, was diese Welt und wir Menschen für manchen Unrat hier hinterlassen und wir nun eine erneute Verschmutzung etwas bewusster zu verhindern trachten. -Auch Dein erster Gedanke ist stimmig: Mit dem Licht war die Richtung, aus der die zu mehr Reinheit führende Rettung kommen sollte, für Momente recht offensichtlich.
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