Es geht weiter im bizarren Wort-Vulkan, den Paul Celan für Viele entfacht. Wieder versuche ich eine Deutung danach:
WORTAUFSCHÜTTUNG, vulkanisch,
meerüberrauscht.
Oben
der flutende Mob
der Gegengeschöpfe: er
flaggte – Abbild und Nachbild
kreuzen eitel zeithin.
Bis du den Wortmond hinaus-
schleuderst, von dem her
das Wunder Ebbe geschieht
und der herz-
förmige Krater
nackt für die Anfänge zeugt,
die Königs-
geburten.
WORTAUFSCHÜTTUNG
Ein Dichter arbeitet ständig mit Worten und wenn er eine Reihe von diesen gefunden und aufeinander abgestimmt hat, mag er sie als eine Art geistiges Materiallager zusammenbringen: So mag der Titel Wortaufschüttung entstanden sein; er mag auch eine Anspielung auf seinen a-grammatischen Schreibstil in den Gedichten sein, auf seine Neigung, regelarme Wortgefüge zu bilden. In jedem Fall stellt Celan in seiner ersten kurzen Zeilengruppe den für ihn typischen Bezug zur Natur als physikalischer Welt her: Feuer (vulkanisch) und Wasser in Form des Meeres, das dann gleich eine dionysische Komponente erhält: meerüberrauscht. Die Worte des Dichters sollen als geistiger Vulkan die Menschen in einen Erkenntnis-Rausch versetzen. Die für den dichter typische Neigung zur gelegentlichen Selbstüberschätzung (bei gleichzeitig schweren Zweifeln an seinem Talent, was ja oft einander bedingt), wird hier deutlich.
Celan arbeitet gerne mit Gegensätzen: So wird der sicher als honorig angesehenen Arbeit von Dichtern wie ihm gleich der krasse Gegensatz gegenübergestellt: Flutender Mob agiert oben und zeigt gar Flagge, womit ausgesagt wird, dass sich der geistige Kleinmut -von seiner zahlenmäßigen Stärke beflügelt- meist selbstbewusst gibt und in der Dominanz befindet. Gegengeschöpfe wollen das Tun der „Priesterdichter“ konterkarieren. Dort wird viel abgekupfert, so seine Ansicht: Abbild und Nachbild kreuzen und die Eitelkeit der Akteure schwingt stets mit.
Dieses Gesamtbild mit den Wissenden in der beargwöhnten Defensive wird erst enden, wenn es durch eine an einen tatsächlich so geschehenen kosmischen Einbruch erinnernden Vorgang zur Erinnerung an königliche (=hochwertigste, geadelte,…) Wahrheiten kommt:
Bis du den Wortmond hinausschleuderst Hier mag der Dichter sowohl in einen Dialog mit sich selbst getreten sein als auch einen geistig nahestehenden (evtl. fiktiven) Dichterkollegen meinen. Er oder sie werden „ein Wunder auslösen“, das dem durch den Mond ermöglichten Gezeitenwechsel vergleichbar sein wird, der ja auch stets als „Wende“ (des Atems der Erde) zu sehen ist, womit eine Verbindung zum Titel der Gedichte-Sammlung hergestellt wird. Interessant auch, wie die emotionale Ebene wieder mit Naturphänomenen in Wortneubildungen verknüpft wird: Herzförmig wird der Krater nun, die Bedeutung der Gefühlsmitte gegenüber einer einseitigen Rationalität wird also betont, die der alten Epoche wohl zueigen war. Uralte Wahrheiten kommen unverfälscht wieder zutage, denn dieses Gefühls-Phänomen zeugt nackt für die Anfänge, unverfälscht wird alles freigegeben. Welchen Geistes sind diese Anfänge, die möglicherweise Assoziationen zum Paradies wecken sollen? Mit der Formulierung die Königsgeburten wird der Uranfang als einer höchsten Herkunft bezeichnet. Was der Dichter ahnend skizzieren will, sieht er also selbst als Königsweg. Mit ihm wird jeder flutende Mob auf seine wirkliche kulturelle Bedeutung zurückgestutzt.