Von der Bleiwüste, wo nur Kartoffeln wachsen

Aufruf zum Thema Schreiben

von  eiskimo

Warum kleben wir an Times New Roman, an der 12-Punkt-Schriftgröße, den immer gleichen Zeilenabständen, den langweilig-schwarz gedruckten Buchstaben und dem wie mit dem Lineal gezogenen Zeilenumbruch? Stecken wir geistig noch in der auf Einheitlichkeit dressierten Schreibwerkstatt, wo man tunlichst auf den armen Typographen und seinen mageren Bleisatz-Bestand Rücksicht nehmen musste?

Wo bleiben in unseren Sprachkunstwerken die frei korrrespondierenden Farben, die auch graphisch ineinander fließenden Textschichten, die visuell galoppierenden Ideen, der Mut zur beschwingten Kalligraphie?

Unsere Texte sehen aus wie Plattenbauten, uniform in Beton gegossen. Dabei sind unsere Gedanken vorher noch oft so wild-schillernd, ungezähmt und anarchistisch. Aber was tun wir? Wir bringen sie brav in "Form", stutzen sie zurecht auf "Normalmaß" - wie gesagt: literarische Plattenbauten.

Hätte man einen Picasso oder Dali derart auf "Konvention" getrimmt und auf ein 26er-Alphabet reduziert, beide hätten nichts von ihrem immensen Potenzial zeigen können.

Und wir?

Ab und zu trauen wir uns, tatsächlich ein Wort fett oder kursiv zu drucken. Wauw! Wir variieren auch schon mal die Zeilenanfänge. Ganz Mutige verlassen das Korsett und spielen mit den Wortklängen, ja, komponieren sogar ganz neue, am ehesten noch in Gedichten. Weil da ja "Freiheit" herrscht.

Nein. Es ist nur die Illusion von Freiheit.

Eigentlich könnten wir Schreib-Köche ein irres Festmahl zubereiten, ein auch im Schriftbild loderndes Freudenfeuer von sinnlichen Reizen, für die Ohren, die Zunge, die Augen, das Herz...

Aber wir haben uns im Sinne der "Konvention" darauf verständigt, für dieses Festmahl nur Kartoffeln zu benutzen. Kartoffeln können alle. Und die wenigsten vermissen da was.


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (16.12.21, 00:16)
Nicht klagen, vormachen! Ein Text, der ausschaut, als ob jemand Ketchup über die Kartoffeln gekippt hätte (farblich zumindest), macht mich nervös.
So besser?
Browiak (67) meinte dazu am 16.12.21 um 05:39:
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 eiskimo antwortete darauf am 16.12.21 um 08:16:
Ich will keinen Ketchup auf den Kartoffeln, und ich weiß auch, dass  begnadete Köche selbst mit ollen Kartoffeln noch Gourmets zum Jubilieren bringen können.
Was ich sagen will:  Wir versuchen stur, mit ein paar Holzbrettern zu fliegen. Das Instrumentarium, in dem wir uns ausdrücken, ist total arm und primitiv.  Plattenbauten...
Manche Kinderbücher haben im Ansatz das, was ich da meine.  Löcher im Karton (Fenster!), Texte, die sich buchstäblich entfalten oder hinter irgendwelchen "Gardinen" versteclen, Musik und Geräusche zur "Belebung". Farben!
Aber als Fan der gemeinen Kartoffel legen  wir spätestens mit 12 diese Vielfalt ad acta und werden "erwachsen".  Selbst Karikaturen (die genial die Dinge auf den Punkt bringen können!) , gelten als "nicht seriös".
So schmelzen wir dann an die bunte Vielfalt des Lebens runter auf zwei Dimensionen linksbündig. Willkommen in der Bleiwüste!

 Graeculus schrieb daraufhin am 16.12.21 um 11:01:
Was ich immer noch nicht verstehe: Warum schreibst Du einen Text, der genau so strukturiert ist, wie Du es kritisierst, statt Dich einmal an einer Alternative in Deinem Sinne zu versuchen?

 eiskimo äußerte darauf am 16.12.21 um 11:07:
Ich

übe 

      N O  C     H           

(Dein "so besser"  oben  ist ein echter Blickfang - das hat doch was!)

 Graeculus ergänzte dazu am 16.12.21 um 11:30:
Kollege Bluebird (um einmal diesen Namen zu nennen) pflegt ja alles in seinen Texten, was sich auf göttliche Eingebung bezieht, farbig zu schreiben- wobei ich mir dann denke: Ich hätt's auch so gemerkt, daß dir das wichtig ist.

Schön ist übrigens, wie Hölderlin in seinem "Schicksalslied", das unser Leben mit einem Absturz im Wasserfall vergleicht, die Zeilen in Stufen anordnet. Da ergibt das einen Sinn.

 eiskimo meinte dazu am 16.12.21 um 19:35:
Und was Hölderlin damals  - gegen alle Konventioenn - machte, können wir heute mit unseren ausgeklügelten Layout-Programmen doch sicher viel kreativer.
Nur Effeketehascherei meine ich aber nicht, es sollte schon sinndarstellend sein.

 AchterZwerg (16.12.21, 07:16)
ein auch im Schriftbild loderndes Freudenfeuer von sinnlichen Reizen, für die Ohren, die Zunge, die Augen, das Herz...
Das fehlte noch! :D 
Bestimmt ist es viel besser, bei seinen Leisten zu bleiben und die Ballettschuhe gegen Birkenstocktreter einzutauschen - an Bei-Fall wird es nicht mangeln. Das Tutu rutscht von allein ...

Kommentar geändert am 16.12.2021 um 07:18 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 16.12.21 um 08:25:
Die Inhalte in der richtigen Form zu transportieren, das ist die Kunst.
Kannst Du mit Deinen Birkis wirklich alles ´rüberbringen?  Oder sogar fliegen??
Versponnene Grüße
Eiskimo

 AZU20 (16.12.21, 10:47)
Da müssen wir uns wohl mehr anstrengen. LG

 eiskimo meinte dazu am 16.12.21 um 19:41:
... und den Mut haben, unsere "Schreibe" zu hinterfragen.  Ist da auf dem Papier nicht mehr möglich ?  Und wieso immer Papier?  Warum alles in Lettern verpacken ?
investigative Grüße
Eiskimo

 Létranger (16.12.21, 11:41)
Ich bin nicht der Ansicht, dass herkömmlich dargestellte Gedichte ausgedient haben sollten. 

Es gibt ja durchaus auch andere Gedichtformen z.B. die der konkreten Poesie und der Formgedichte - mit allerdings auch deutlich geringerer Leserschaft.

Mir kommt es regelmäßig so vor, dass Gedichte, die sich optischer, grafischer oder dramatischer Formen bedienen, um Aufmerksamkeit zu erheischen, in der Textqualität unterdurchschnittlich daherkommen. 

Deshalb gibt es für mich durchaus Sinn, weiter puritanisch herkömmlich zu schreiben, und sein Augenmerk auf sprachliche, rythmische und klangliche Aspekte zu konzentrieren.

LG Lé.

Kommentar geändert am 16.12.2021 um 12:00 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 16.12.21 um 13:45:
Hallo, Lé
Was Du sagst, kann ich sehr gut gelten lassen. Unsere "puritanischen" Mittel sind durchaus geeignet, tolle Dinge auszudrücken,differenziert und  allgemein verständlich, sofern im selben Kulturkreis weitergegeben.
Ich frage mich nur: Gibt es nicht mehr? Gibt es hinter den vorgestanzten Codes nicht noch ganz andere  Wahrheiten?  So, wie wir forrmulieren - es also auf eine bestimmte Auswahl von Zeichen reduzieren - filtern wir ja unwillkürlich Phänomene weg und lassen diese unausgesprochen. Sie sind aber trotzdem da.
Unsere Sprache und Schrift sind nur sehr grobe Transportmittel. Die Chinesen wären  da schon besser aufgestellt, wenn sie jetzt nicht im IT-Zeitalter ihren Ausdrucksreichtum ´runterfahren auf JTastatur-Größe
unbeholfene Grüße
Eiskimo
Agnete (66)
(16.12.21, 17:24)
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 eiskimo meinte dazu am 16.12.21 um 17:55:
Klar, man muss sich auf eine bestimmte Schreibung einigen, und dann müsste jeder denselben Inhalt vor sich sehen . Zum Beispiel HUND. 
Vier Buchstaben, die jeder kennt und jeder richtig zusammenfügt zu diesem nun benannten Objekt....und trotzdem liest sich in den Köpfen doch jede  "Übersetzung"  anders. Denn  der benutzte Code ist zu grob und zu schwammig,.
Ich überlege, ob unsere (schriftliche!) Kommunikation nicht noch andere Kanäle aktivieren könnte.  In einer live-Begegnung verlassen wir uns ja auch nicht nur auf die gesprochene Vokabel....
Auf gute Kartoffeln lass ich übrigens auch nichts kommen!
lG
Eiskimo
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