under cover of darkness

Erzählung

von  minze

Die Straßen sind breit, haben ebenso breite Fahrradwege, an den Seiten stehen riesen Monumente, in der Mitte der Straße zweispurige Straßenbahnen. Sie verzweigen sich in ein weites Netz, was ich nicht benötige, meistens brauche ich es nicht, weil man in dieser ebenen Stadt ohne Mühe mit dem Fahrrad fahren kann. Auch in der Nacht gibt es keine dunkle Stelle. Das werde ich später in Heidelberg anders sehen: die dunklen Wege durch die Schrebergärten, in denen mir ein kleines Schwein reinrast, die Bahntrasse, die in der Nacht nicht befahren ist; es gibt hier keine Lichter. Es ist ausnüchternd, durchs Dunkle, womöglich Nasse zu hetzen, bis man wieder ans Licht kommt. Mehr Risiko und Aufregung.

 

In Karlsruhe ist es weitläufig, wie abgesichert. Ich höre laut die Strokes durch die Kopfhörer und denke, ich lasse jetzt alles zurück. Ich bin sehr alleine und will an diesem Zustand lange Zeit nichts ändern. Ich ignoriere bei den Flügen, dass ich eigentlich einige Optionen eingebunkert habe, einige Haken schon. Ich rufe gelegentlich Matze an, aber an diesem Tag ruft er mich an. Er fährt von Berlin nach München, dazwischen zu mir. Es ist an meinem zweiten Wochenende in der Stadt. Ich sage Ja. In diesen ersten Tagen habe ich kaum mit den Mitbewohnerinnen gesprochen, sie sind nicht viel zu Hause, sie haben Semesterferien, wie ich mit dem Sozialen Jahr beginne. Es ist komisch, als würde mir eine Wohnung gehören. In dieser Wohnung gibt es eine Zweitassenfiltermaschine und einen Balkon, auf den ich kann, wenn ich durch Anjas Zimmer gehe. Sie ist da und arbeitet, aber sie ist dann viel arbeiten, am Tag kann ich schichtumgekehrt auf dem Balkon Kaffee trinken. Auf dem gegenüberliegenden Balkon zwei Stockwerke oben steht ein Skelett, ich schau es immer an, wenn ich da bin. Ich sitze auf dem Tisch, weil ich dann weiter schauen kann. Seit Matze sagt, er kommt, rufe ich gar nicht mehr an, ich trinke in einem aufgeregten Zustand Kaffee, lasse mich sonst von der Arbeit im Heim ganz aufbrauchen, sauge die Abläufe in mir auf, versteh schnell, wie es geht.

 

Ich denke daran, was ich mache, wenn mich Matze wieder verlässt und zu seiner Freundin nach Berlin fährt. Ich denke daran, wen ich dann abbekomme. Ich sehe lauter Männer in der Stadt. Sie sind alle auf dem Fahrrad und viele studieren. Sie fahren vorbei, ich sehe keine Gelegenheit, Kontakt zu kriegen. Aber eigentlich will ich auch nicht und ich kann es nicht. Ich sitze sehr lange am Computer und schreibe auf und wenn ich nichts aufschreiben kann, macht es mich zufrieden und ich mach es mir am großen offenen Fenster, was neben meinem Bett ist.

 

Gleichzeitig kommen Matze und die zwei Mitbewohnerinnen aus ihrem Urlaub zurück, sie sind zusammen in einem Zimmer, sie sind ein lesbisches Paar, von denen eine mir ihr Zimmer lässt, weil sie ins Auslandsjahr geht. Die Abschiedsfeier war bereits vor meiner Ankunft. Die andere ist mir gegenüber ganz kurz angebunden. Ich bin im Zimmer ihrer Frau jetzt. Die dritte, die kommt, ist Edna und auch neu. Sie studiert BWL, hat einen strengen Zopf und ist zierlich, wir kommunizieren über ICQ. Wenn ich einen Witz mache, schaut sie weg, manchmal schreckhaft, übers Chatten finden wir eher eine Sprache.

 

Matze kommt sehr spät am Abend, wahrscheinlich schauen alle DVDs, er schleicht sich kichernd in die Wohnung mit mir und ich glaube, ich bin ein Dieb, aber vielleicht ist er es auch, er hat auch einen langen Mantel und lange Haare und meine Zimmertüre ist sofort neben der Haustüre links, rechts das Bad, wir können hier und dort hin, ohne bemerkt zu werden, wir werden nur gehört. Wir werden so laut gehört, dass ich eine ganze lange Zeit ein ziemliches Bild abgebe, denn ich antworte am Montag, als wir uns zu einer normalen Uhrzeit begegnen, dass ein Kumpel da war. Edna nebendran fragt mich danach und eine andere hört vom Schreibtisch her zu. Ich denke nicht mehr darüber nach. Auch in der Nacht nehme ich es nicht wahr, dass wir nicht alleine sind im Haus. Wenn ich so dran bin, kann ich viel in ein paar Stunden packen, eng und explosiv, dass es für einige Wochen ausreicht. Und es reicht so aus, dass ich gar nicht dazukomme, explizit etwas zu ersehnen danach. Weil es aus mir herausdrückt, Tag um Tag, es tropft so, wie Honig. Daran denke ich noch, wenn er später in den wenigen Telefonaten erzählt, dass er jetzt Brotbackmischungen kauft, um Geld zu sparen.

 

Ich kann über Wochen mich alleine fühlen, nur, weil ich weg von meinen Eltern bin. Nur, weil ich nicht belagert bin vom Morgen bis zum Abend mit dem, was sie will. Weil ich ihr nicht Antwort sein muss, keine Reaktion abgeben muss, weil ich es mir nicht mehr abverlange. Ich fühle mich frei, obwohl ich eigentlich ein Response zu diesem und jenem suche, obwohl ich in mir ausgerichtet bin nach den Ecken, die er vielleicht gesehen hat, die er gemocht hat oder die ihn geängstigt haben, als er in Karlsruhe war, wohin er gekotzt hat, wo etwas notiert. Wo er weggegangen ist, so stehen geblieben und wo nur hin, weil er jemanden gefolgt ist oder einfach mitgegangen.

 

Mein Ort wird der Alte Flugplatz, ich gehe manchmal hin. Es fühlt sich an wie im Biosphärengebiet auf der Schwäbischen Alb, das war einmal vermint und ist es noch immer, aber man geht auf sicheren Wegen. Beide Orte haben diese Ähnlichkeit: sie sind unberührt seit sehr langer Zeit, weil sie einen Zweck hatten, den sie jetzt nicht mehr erfüllen müssen. Und beide haben eine flache, eine zarte Heidelandschaft, die nur von Tieren begangen wird. Sie sind unbesorgt darauf, auch unberührt, denn sie bewegen sich ja darauf, aber nicht die Menschen. Auf der Alb sind es Schafe, es sind wohl immer Schafe dort unterwegs auf der Heide. Hier sind es Esel, sie haben Haare wie Dreadlocks zum Teil. Die weitere Verbindung ist, dass auf dem Ferienhaus meine Großeltern ein brauner Esel die Schafherde begleitet, dessen Name ich vergessen habe. Er begleitet sie, kein Hund. Er läuft mit und lässt sich streicheln, anders als die Schafe. Und hier in Karlsruhe auf dem Alten Flugplatz ist es eine Eselherde, die auf der Weide grast. Ich gehe immer die gleichen Trampelpfade, bis ich anfange, hier zu laufen.

Ich werde noch häufiger gehen, als ich meinen neuen Freund kennenlerne, ihn tröstet der Ort hier sehr. Aber es ist ein innerer Verrat, weil ich meinen Frieden damit preisgebe, aufgebe, jetzt, wo er sich hier hin klettet. Das merke ich, als der Ort droht, mir verloren zu gehen. Wir sind oft hier, wenn er zu Besuch ist. Meistens eine Runde, bevor er vom Bahnhof in die WG geht, die er feindselig findet; so verliere ich die WG als ersten Ort, den ich halb gefunden hab – und zwischendrin, wenn er nicht reden kann, sind wir da. Einmal renne ich aus dem Wohnheim heraus, ich gebe vor, sehr krank zu sein und finde ihn dort.

 

Er akzeptiert später nicht das Studium in Heidelberg, einmal fahre ich mit dem Zug hier her, um vom Flugplatz mit ihm zu telefonieren. Aber ihn in der Umgebung so vorwurfsvoll, so wütend zu hören, lässt mich vom Flugplatz fliehen und nicht mehr wiederkommen. Ich werde viele Jahre in Heidelberg bleiben.

Dort begegnet mir wieder Edna, auf einer großen Party. Sie spricht mich auf die Männer an, relativ gelöst. Ich bin sprachlos, versuche mit ihr zu lachen. Sie ist versöhnlich dabei, aber es ist alles falsch. Als ich von der WG-Party auf die Straße rausgehe, denke ich, dass alles falsch ist, aber ich es nicht mehr. Ich habe befürchtet, dass Edna jetzt in Heidelberg studiert, aber sie besucht nur die Kommilitonin einer Freundin. Ich verabschiede mich von ihr mit einer Entschuldigung.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (03.01.22, 13:38)
Der Lokalkolorit ist nett, aber insgesamt ist das zu sehr Emotionsbeschreibung des Ich-Erzählers. Dieser Judith-Hermann-Stil ist nicht schlecht, aber  dieses halbdepressive Larifari-Studentenleben, wirklich spannend zu lesen ist das nicht. Es fehlt der Höhepunkt. Die Sache mit den verlorenen Orten ist gut angelegt, die könnte man z.B. in den Mittelpunkt rücken.,

 Graeculus meinte dazu am 03.01.22 um 14:24:
In diesem Falle stimme ich einmal mit Dieter_Rotmund überein (Ausnahme: das Kolorit). Es fehlt etwas, das die Ich-Erzählerin interessant, ihren Bericht lesenswert macht. Das kann in einer besonderen Sprache, einem speziellen Humor (fehlt komplett!) oder einer spannenden Handlung bestehen. Hier: nichts von alldem.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 03.01.22 um 14:31:
Stimmt, hab's zur Sicherheit auch nachgeschlagen: Das Lokalkolorit. Danke für den Hinweis.

Was mir noch aufgefallen ist: "Als ich von der WG Party rausgehe" - das ist zu schnoddrig formuliert und passt deswegen nicht zum Rest des Textes. Mal abgesehen davon, dass es "WG-Party" heißen müsste...

 minze schrieb daraufhin am 03.01.22 um 16:52:
Ich bin auch über die Formulierung gestolpert, finde es so stimmiger. Mit dem Restkommentar kann ich weniger anfangen. 
Was innen und außen im Umbruch geschieht, scheint mir vll sogar fast sehr viel, ..naja ich gehe nicht drauf ein, empfinde es in jedem Fall nicht spannungslos oder als etwas, was xmal so geschrieben worden ist, weder sprachlich, bildlich, dynamisch, szenisch noch inhaltlich. ich denke, ich werde es noch ergänzen.

 Graeculus äußerte darauf am 03.01.22 um 17:36:
Es ist Dein Text, die Entscheidung liegt bei Dir. Ob ein Werk spannend wirkt, kann man allerdings als Autor (also mit einer gewissen Voreingenommenheit) schlecht beurteilen; da ist das Leser-Urteil schon besonders informativ. Daß das x-mal so beschrieben worden sei, hat hier wohl niemand behauptet, war jedenfalls keines der von mir genannten Kriterien.

Nun sind Dieter-Rotmund und ich als Leser sicher nicht repräsentativ; man mag also abwarten, ob sich noch andere dazu äußern. Ohne weitere Resonanz - das erschiene mir als ungünstiges Zeichen.

 minze ergänzte dazu am 03.01.22 um 17:50:
:D
es erschiene mir nicht als ungünstiges Zeichen. weil ich, leider, tatsächlich im Bezug auf meine Texte selten Kommentare lese, die ich als tatsächlich spannende Reflexion oder Feedback zu meinen Texten sehe.
glücklicherweise kann ich sie aber ganz gut reflektieren und auch in eine Distanz zu ihnen gehen. voreingenommen muss ich natürlich sein. ich finde meinen Ton special und verfolgenswert.

 Graeculus meinte dazu am 03.01.22 um 17:54:
Das ist eine Frage des Autoren-Stils: Wofür schreibe und - vor allem! - veröffentliche ich? Manche freuen sich über viel Resonanz, andere über sachkundige, mag sie auch selten sein.

 minze meinte dazu am 03.01.22 um 18:02:
Oh schön, da kann ich dir zustimmen. Ich freue mich über Resonanz, die sich auf meine Texte einlässt, da brauche ich wohl eine gewisse ähnliche Empfindung oder Antennen. 
Eine möglichst große Resonanz oder breites Veröffentlichen brauche ich tatsächlich nicht. Eher eine fruchtbare Interaktion in und über Texte. Mal sehen, ob und wo da die Reise hingeht.

Ich habe durchaus deine Kategorien angeschaut. Ich finde manches komisch bei den Details meiner Erzählung, die Handlung bei der Neuorientierung und Umwegen der Protagonistin sowieso. Also ich habe es nicht überlesen .

 Graeculus meinte dazu am 03.01.22 um 18:14:
Dann ist es traurig, daß Du, wie Du schreibst, hier selten solche Kommentare liest, wie Du sie Dir wünschst. Ist halt schon ein spezielles Publikum hier, ohne professionelle Literaturkritiker.

 minze meinte dazu am 03.01.22 um 20:30:
So traurig bin ich gar nicht, glücklicherweise habe ich schon einen (bzw mehrere) ganz guten Austausch hier erleben können. Vll nicht immer als Kommentarzeilen, aber da gibt's ja auch noch andere Austausch und Begegnungsformen.

 Mondscheinsonate (03.01.22, 19:19)
Also, nein, es muss nicht immer zum Höhepunkt kommen. Schöne Sätze, mir gefällt am Besten:"Weil ich nicht ihre Antwort sein muss, ..." wie hübsch diese Formulierung ist! Ich denke, das ist nur meine Ansicht, wenn du nur aus deiner Perspektive schreibst, Abläufe, Bewegungen, Emotionen, dann ist es äußerst gelungen. Diesmal kann ich sehr viel nachvollziehen, spüre intensiv.

 minze meinte dazu am 03.01.22 um 20:32:
Danke. Der Satz gefällt mir auch. Ich muss noch viel verändern, weil ich beim überarbeiten einiges verwatscht hab, auch nochmal ein paar Sachen ausbalancieren mit innen/außen, also wo aus welcher Perspektive was gut passt.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 03.01.22 um 20:41:
Ich mag auch die Szene mit dem Anruf, großartige Sätze, wirklich. Bleib bei dir und es ist großartig! Übe noch ein wenig, was das Ich am Anfang angeht, das habe ich bereits erwähnt, ein Ich am Anfang ist nicht fein. Ich hoffe, heute war ich konstruktiver in meiner Kritik!

 minze meinte dazu am 03.01.22 um 21:04:
(: da waren wir ja uns schon einmal uneins.
Ja, fand's interessant, was dich anspricht!
edit: das Telefonieren auf dem Flugplatz meinst du?

Antwort geändert am 03.01.2022 um 21:31 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 04.01.22 um 06:36:
Ja.
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