Lernen aus der Antike #1

Essay zum Thema Krieg/Krieger

von  Graeculus

Daß Demokratien friedfertiger seien als andere politische Systeme, ist eine Annahme, welche vor allem die US-Politik seit Woodrow Wilson beeinflußt und das oft weltweite Engagement der USA zur Verbreitung der Demokratie legitimieren soll.


Explizit ausgesprochen wird dieser Gedanke, bezogen auf Republiken, meines Wissens erstmals in Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“. Das Argument besteht darin, daß bei einer Entscheidung des Volkes (oder der Volksvertretung) über Krieg und Frieden diejenigen entscheiden, die die Lasten des Krieges, insbesondere das Risiko, in ihm zu Tode zu kommen, auch tatsächlich tragen müssen, wozu sie nicht so leicht bereit seien wie andere Systeme, in denen der Krieg von den einen befohlen, von den anderen ertragen wird.


In der Antike hat schon der attische Politiker Perikles die Bedeutung des Umstandes hervorgehoben, daß die Beschließenden eigene Kinder hatten, die sie gegebenenfalls in den Krieg schicken mußten. Nun, dies wird vermutlich die Frauen noch ein wenig mehr betroffen haben, obgleich sie weder in der attischen Demokratie noch zu Kants Zeiten in der Politik ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hatten. Das mindert den grundsätzlichen Wert des Argumentes freilich nicht.


Auffallend ist aber, daß speziell die attische Demokratie sich keineswegs als sonderlich friedfertig erwiesen, sondern in ihrem Attischen Seebund und vor allem im Peloponnesischen Krieg als ausgesprochen macht- und kriegsfreudig gezeigt hat, und zwar in einer sehr brutalen Weise; das wird vor allem in dem von Thukydides überlieferten Melier-Dialog belegt, wo die attischen Gesandten den Bewohnern der Insel Melos knallhart vor Augen führen, daß Macht vor Recht geht.


Zusammen hängt das damit, daß das attische Volk von der Unterdrückung und Ausbeutung anderer Städte in hohem Maße profitierte, sich davon sogar die Wohltaten der eigenen Demokratie finanzieren ließ. Demokratisches Engagement erfordert Zeitaufwand, und Zeitaufwand hält von Erwerbstätigkeit ab. Dazu sind breitgestreute Diäten erforderlich, die mit Einnahmen bezahlt werden müssen. Wie angenehm, wenn andere dafür bezahlen müssen!


In den „Schutzflehenden“ (Ἱκέτιδες) des Euripides, aufgeführt 421 v.u.Z. während des Peloponnesischen Krieges, den das demokratische Athen mit dem Ziel seines eigenen Vorteils gegen große Teile Griechenlands führte, heißt es dann noch:

 

ἐλπὶς γάρ ἐστ‘ ἄπιστον, ἣ πολλὰς πόλεις

συνῆψ‘, ἄγουσα θυμὸν εἰς ὑπερβολάς.

ὅταν γὰρ ἔλθῃ πόλεμος ἐς ψῆφον λεώ,

οὐδεὶς ἔθ‘ αὑτοῦ θάνατον ἐκλογίζεται,

τὸ δυστυχὲς δὲ τοῦτ‘ ἐς ἄλλον ἐκτρέπει.

 

Die Hoffnung hat schon manche Stadt in Krieg

Verwickelt, die Gemüter überspannt.

Wird über Krieg und Frieden abgestimmt,

Berechnet keiner seinen eignen Tod

Und meint, solch Ende sei für andre.

[V. 479-483]

 

Daher ist es wohl ein Trugschluß, Demokratien grundsätzlich eine größere Friedfertigkeit zuzusprechen. Diese Idee ist gut gemeint, aber nicht gut.



Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (18.01.22, 09:40)
Trekans Senf:

Es geht bei Gesellschaften und ihrer allgemeinen Gewaltbereitschaft immer darum, wem man zugesteht, dass er ein Teil der Gesellschaft ist und wer nicht. So war z.B. im "Dritten Reich" Mord selbstverständlich ein Straftatbestand. Trotzdem durfte Hitler und seine engste Umgebung die " "abtrünnige" SA-Führung - und alle, mit denen sie meinten, noch eine Rechnung offen zu haben - im Juni/Juli 1934 ungestraft ermorden.  Was später in den Konzentrations- und Vernichtungslager geschah, stellte das dann problemlos in den Schatten.

Dies war möglich, weil behauptet wurde, dass diese Menschen nicht Teil der Gesellschaft sind (die Behauptung, dass sie eine Gefahr darstellen, impliziert das).. Tendenziell sieht man so etwas auch heute noch, wenn es um die Anwendung des Rechtsgrundsatzes "In dubio pro reo" geht, Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Unschuldsvermutung im öffentlichen Diskurs nur gilt, solange man nicht angeklagt wird (Achtung: Ironie!)

In der Außenpolitik wie auch im Kriege geht es hingegen per definitionem um "die Anderen", um eine Gruppe von Menschen, die nicht nur von Außen, sondern auch aus sich selbst heraus als nicht-zur-eigenen-Gesellschaft-gehörig beschrieben werden. In diesem Fall ist es also nicht überraschend, dass die Schutzregeln die in der eigenen Gesellschaft gelten, nicht ohne weiteres auf diese übertragen werden. Dies gilt nicht allein im Kriege, sondern auch in einer Phase der friedlichen Koexistenz.

Bezeichnenderweise erkennt man dieses Verhalten der Regierungen UND(sic!) der Regierten bei allen Versuchen, dass bestehende Ordnungsprinzip unserer Welt, welches "die Nation" ist, aufzubrechen. Völkerbund, UN oder EU tun sich schwer. Der sogenannte "Brexit" hat noch einmal eindeutig vor Augen geführt, dass die Inklusion anderer Nationen für viele Menschen nicht denkbar ist. Denn entgegen der öffentlichen Diskussion in Deutschland ging es dabei in erster Linie nicht um wirtschaftliche Gründe, sondern um die Freizügigkeit in der EU, d.h. die britische Nation wollte sich gegen andere Nationen - hauptsächlich jene aus Ostmitteleuropa (Polen, Ungar, Rumänien, Bulgarien) die den gemeinen Briten doch viel zu sehr an Russland erinnern und die Briten vertrauen Russland überhaupt nicht - abschotten. Und als ihnen von Brüssel diese Extrawurst nicht zugestanden wurde,machten sie gegen die EU mobil - schon lange vor dem "Brexit" wurde alles politische Versagen in London der EU in die Schuhe geschoben.

Fazit:
Clausewitz hatte recht. "Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln". Das bedeutet aber eben auch, dass im Krieg nichts geschehen kann, was in den kriegsführenden Gesellschaften sonst auch geschieht. Es ist für uns nur leichter auszumachen, weil es im Krieg extremere Auswirkungen zeigt, die nicht so leicht wie im Frieden ignoriert werden können.

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 14:09:
Das stimmt. Wir müssen dabei festhalten, daß es 'ganz normale Menschen' sind, die diese Ausschließung betreiben - in ihrem Alltag und im Großen. Insofern ist eine Demokratie keine Absicherung gegen kriegerische Gesinnung.

Ragt in dieser Hinsicht das männliche Geschlecht hervor (wie es schon Aristophanes in seiner "Lysistrata" behauptet hat)? Ich zweifle.

Vielleicht gefällt Dir der folgende Witz, den ich in der FAZ gelesen habe:

Ein Geschichtslehrer im Unterricht: "Am 22. Juni 1941 haben deutsche Soldaten die Sowjetunion überfallen."
Eine Schülerin: "Soldaten und Soldatinnen!"

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 18.01.22 um 17:29:
Die Frage ist, ob Demokratie überhaupt etwas mit Krieg zu tun hat? Besonders knifflig wird es, wenn man den Spieß mal umdreht und sich nicht auf den Verursacher konzentriert.

Im Sommer 1980 überfiel der Irak den Iran. (Wer hier wen angriff ist unbestritten.) Nun handelte es sich beim Iran damals bereits um die islamische Republik Iran. Durfte sich der Iran, weil er keine Demokratie ist überhaupt zur Wehr setzen? Oder durfte er es, weil der Angreifer der Irak war, einen Diktatur unter Saddam Hussein?

Oder nehmen wir den September 1939. das von Deutschland überfallene Polen war keine Demokratie. Unter Pilsudski hatte es sich zu einem autokratischen Staat entwickelt, in dem es sogar antisemitische Gesetze gab. (Daran hatte sich bis 1939 nichts geändert, auch wenn Pilsudski 1936 bereits gestorben war.)Kein Recht zum Widerstand, weil keine Demokratie? Oder hatten Polen im September 1939 kein Recht auf Widerstand, erwarb sich den jedoch "im Nachhinein", weil es die deutsche Schreckensherrschaft während des Krieges ertragen musste?

Ich fürchte, die Diskussion "Krieg <-> Demokratie" - so verlockend sie auch sein mag, endet recht schnell in einer Sackgasse.

 Graeculus schrieb daraufhin am 18.01.22 um 17:44:
Wie kommst Du zu der Annahme, nur Demokratien dürften sich gegen einen Angriff wehren? Hat das jemand jemals behauptet?
Mir geht es nur um die von Kant aufgestellte und später von Woodrow Wilson populär gemachte These, Demokratien seien weniger zum Krieg geneigt als andere poltische Systeme, weil in jenen die, welche über den Krieg entscheiden, ihn auch "im Schützengraben" (oder auf den attischen Trieren) führen müssen.
Das halte ich für falsch.

 Graeculus äußerte darauf am 18.01.22 um 17:51:
Notabene: Weder im Irak noch im nationalsozialistischen Deutschland ging der Krieg auf die Entscheidung einer Volksversammlung oder eines gewählten Repräsentationsorgans des Volkes zurück. In Athen, beim Peloponnesischen Krieg, aber schon: das sog. megarische Psephisma (ein Handelsboykott über das eng mit Sparta verbundene Megara), das diesen Krieg auslöste, war ein Beschluß der attischen Volksversammlung. Es war auch in Sparta die Volksversammlung, die diesen Affront mit der förmlichen Kriegserklärung zum Schutze seiner Verbündeten beantwortete.

 TrekanBelluvitsh ergänzte dazu am 18.01.22 um 17:51:
Dann empfehle ich die das Buch "Wendepunkte" von Ian Kersahw. Dort kannst du den Weg der USA 1940/1941 in den Krieg nachlesen. Spoiler: Quoths Kommentar ist derart reduziert, dass er in seiner vereinfachenden Aussage - die in so einem Forum ja nun einmal nötig ist - so tatsächlich falsch ist.

Überhaupt ist es ein Buch über die Zeit - nach Ende des Westfeldzuges 1090 bis zur deutschen Kriegserklärung an die USA Ende 1941 - in der der Zweite Weltkrieg sein Gepräge erhält und die zu oft als entscheidend übersehen wird. Eine wirklich empfehlenswertes Werk.

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 22:53:
Kershaws Buche kenne ich nicht; unmittelbar trägt es ja, so scheint mir, nichts zu meinem Thema bei, denn im WK II haben die USA weder Japan noch Deutschland den Krieg erklärt, und weder Japan noch Deutschland waren damals Demokratien.
Anders im WK I, wo die Kriegserklärung an Deutschland von den USA ausging.

Schon als Du den Irak und Polen ins Gespräch gebracht hast, hatte ich den Eindruck, daß wir nicht über dasselbe Thema reden.
Ich weiß aber nicht, wie ich das noch klarer machen sollte.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 18.01.22 um 23:13:
Sorry, aber du weißt über den Weg der USA in den Zweiten Weltkrieg scheinbar sehr wenig. Wenn dem nicht so wäre wüsstest du, dass dieser gerade beispielhaft für dein Thema ist.

Um es kurz zu machen: Die USA wurden durch Pearl Habor im Dezember 1941 NICHT vom Isolationismus - den es so auch niemals gab - nicht in den Krieg gebombt. Die US Regierung stand vom 1. September 1939 an auf der Seite der Gegner Deutschlands. Dies verstärkte sich noch nach der Niederlage Frankreichs im Sommer 1940. Das Standhalten der Briten in diesem Jahr und ein Jahr später das der Sowjetunion wäre ohne US-amerikanische Hilfe nicht möglich gewesen. Und de facto führten die USA seit dem Sommer 1941 bereits aktiv Krieg gegen das Deutsche Reich. Das US-amerikanische Engagement verstärkte sich stufenweise, was (auch) sehr stark mit der Demokratie in den USA zu tun hat.

 Graeculus meinte dazu am 19.01.22 um 13:10:
Ja, Geschichtskenntnisse sind eine Schwachstelle bei mir.

Ich hatte, wie Du oben nachschauen kannst, einen unmittelbaren Beitrag von Kershaws Buch zu meinem Thema bezweifelt (eingestandenermaßen ohne das Buch zu kennen), und das entscheidende Wort auch noch kursiv geschrieben.
Daß die USA weder Japan noch Deutschland damals freundlich gegenüberstanden, sondern deren Kriegsgegner schon vor dem eigentlichen Kriegseintritt materiell unterstützten, ist mir immerhin bekannt.
Wenn Du das mit ihrem demokratischen System in Verbindung bringst und so den Blick über den eigentlichen Krieg hínaus auf eine zum Krieg führende Politik richtest, ist mir das recht. Ist doch auch im Falle des Peloponnesischen Krieges die Kriegserklärung selbst von Sparta (Volksbeschluß!) ausgegangen, wenn sie auch vom demokratischen Athen durch das erwähnte Psephisma bewußt provoziert wurde.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.01.22 um 17:56:
Nur eine kurze Episode um dein Interesse zu wecken.

Im Mai 1940 besetzten die Briten Island um es vor einem möglichen deutschen Zugriff zu sichern. Im Juni 1941 zogen die britischen Truppen ab - sie wurden an anderer Stelle dringend benötigt - und statt ihrer kamen US-Truppen auf die Insel. Diese Truppen waren US-Marineinfanteristen und damit ausschließlich Berufssoldaten, damit die Roosevelt Administration sich nicht dem Vorwurf aussetzte, sie würde "our boys" einer potentiellen Gefahr in den Krieg verwickelt zu werden aussetzen.

 Graeculus meinte dazu am 20.01.22 um 22:20:
Weißt Du, so wie Du in Deinem Leben Deinen Schwerpunkt auf das 20. Jhdt., speziell auf den WK II gelegt hast (so erscheint es mir jedenfalls), habe ich mich inzwischen auf die Antike fokussiert. Mit dem Nationalsozialismus habe ich mich in meinem Berufsleben mehr beschäftigen müssen, als mir lieb war.
Im Prinzip ist es möglich, daß wir einander auf diese Weise ergänzen.

 Quoth (18.01.22, 09:59)
Mit der isolationistischen und friedliebenden Politik der Vereinigten Staaten war es nach Pearl Harbour schlagartig vorbei, und dieselben Mütter, die ihre Söhne nicht auf fernen Kriegsschauplätzen verlieren wollten, waren nun stolz auf sie, wenn sie Soldat wurden, und gingen arbeiten in Munitions-und Flugzeugfabriken. Im Krieg geht es nicht nur um Leben und Tod, es geht auch um Stärke und Schwäche, Vorteil und Nachteil, Landgewinn und Landverlust - und vor allem auch um Gefühle wie verletzten Stolz, Rache, Besitzgier, Lust auf Ausbeutung, Versklavung und Vernichtung - und zu diesen Gefühlen ist auch das Volk fähig, sie werden  dann meist durch Propaganda noch verstörkt. Bin ganz Deiner Meinung, Graeculus!
Franklin Delano Roosevelts Verwandlung vom Friedens- in einen Kriegspräsidenten sehr gut zu verfolgen in der norwegischen Serie "Atlantic Crossing", bis Anfang Februar noch zu streamen in der ARD Mediathek.

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 14:13:
Die USA sind selber natürlich ein gutes Beispiel für eine demokratische und kriegerische Gesellschaft. Kant konnte das noch nicht wissen. Aber die Geschichte des Peloponnesischen Krieges hätte er kennen können.

Danke für Deine Auseinandersetzung mit meinem Essay. Den Gedankenaustausch mit Dir empfinde ich als wohltuend.

 EkkehartMittelberg (18.01.22, 11:36)
Hallo Graeculus, ich sehe wie du, dass Demokratien nicht friedfertiger als andere Regierungsformen sind, aber stellen moderne Demokratien durch das Prinzip der Gewaltenteilung Kriegswilligen nicht höhere Hindernisse entgegen?

 GastIltis meinte dazu am 18.01.22 um 13:59:
Hallo Graecu, wir haben ja zum Glück eine Demokratie! Und da spielt die Rüstung, die der Verteidigung unserer Rechtsstaatlichkeit dient, eine hochrangige Rolle. Dazu hatte ich mir vor einiger Zeit einige Gedanken gemacht, die ich hier der Einfachheit halber mal einstelle. Dass sie ein paar andere Themen berühren, wirst du mir als Verfasser des historischen Textes hoffentlich verzeihen.

Unser Land hatte 2020 Rüstungsausgaben in Höhe von rund 53 Milliarden Dollar. Das sind deutlich weniger als zehn Prozent von Amerika und beinahe soviel wie Russland (Russland halte ich für fragwürdig!).

Das ist ein Drittel dessen, was für die Bildung zum Fenster hinaus geworfen worden ist. Obwohl schlecht gelüftet wurde. Gut, zwei Kriege im Jahr zu verlieren, den gegen Corona und den gegen die Bildung, ist eine ganze Menge.
Obwohl der gegen Corona noch eine Vielzahl von Toten gekostet hat. Der richtige Krieg hat uns nur drei abverlangt. In Afghanistan. Die kann man, auf die Ausgaben umgerechnet, vernachlässigen.

Nun weiß man natürlich nicht, wie hoch die Ausgaben im Gesundheitswesen in Bezug auf Corona 2020 gewesen sind. Wird man auch nicht erfahren. Schon wegen der ganzen Fehlkäufe. Die kämen sonst noch dazu! Ob zur Rüstung oder Bildung, muss man von Fall zu Fall entscheiden.

Dennoch: Dass man den Grundstein für die Niederlage im Verteidigungskrieg am Hindukusch schon 2020 nach gut 19 Jahren vergeblichem Kampf mit gelegt hat, darf nicht unerwähnt bleiben. Auf jeden Fall sind die Ausgaben gegenüber 2020 noch auf etwas mehr als 53 Milliarden Dollar gesteigert worden.

Nun wissen wir, dass wir Kriege nicht gewinnen können. Vielleicht gar nicht wollen. Peinlich werden sie nur, wenn sie das eigene Land erreichen. Wuhan, Ischgl, Spanien, Brasilien, alles noch OK. Zur Not auch noch Sachsen und Thüringen.
Aber wehe, wenn es die Schlachthöfe oder die Fußballstadien trifft. Oder die Autoindustrie. Dann muss man die Notbremse ziehen. Die Bundesnotbremse. Übrigens ein viel viel besseres Wort als Wellenbrecher. Denn der gilt doch nicht im Kriegsfall! Oder?


Über die Frauen in führenden Positionen und deren Haltung bei der Beschaffung von Offensivwaffen oder ähnlichen Problemen, z.B. der Haltung männlicher Generäle dazu, muss man sich gar nicht äußern.
Viele Grüße von Gil.

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 14:30:
An Ekkehart:

Die Gewaltenteilung ist eine sinnvolle Sache. Was bedeutet sie in Deutschland? Die Kriegserklärung muß vom Bundestag (Legislative) erfolgen (außer im Falle, daß Deutschland angegriffen wird). Der Bundestag beschließt - in aller Regel - auf einen Antrag der Bundesregierung (Exekutive) hin. Kann das Bundesverfassungsgericht (Judikative) im Ernstfall einem Eilantrag dagegen stattgeben? Vermutlich.
Das sind dann, wenn ich es recht gedeutet habe, hohe Hürden. Dennoch hat sich die Bundesrepublik an zwei Kriegen beteiligt: gegen Serbien und gegen Afghanistan (habe ich keinen vergessen?). In keinem dieser beiden Fälle war sie angegriffen worden.
Es ist ja zu den in der Antike bekannten Kriegsursachen eine weitere, für Demokratien besonders verlockende hinzugekommen: der Interventionskrieg zum Schutz von Menschenrechten.

Dennoch ist die Gewaltenteilung eine zusätzliche Hürde - darin gebe ich Dir recht.

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 14:41:
An GastIltis:

Das Argument für Rüstungsausgaben, Rüstungsexporte (und manches andere) sind die Arbeitsplätze. Und das ist insofern ein 'demokratisches' Argument, als es 'das Volk' betrifft.
Das Volk agiert ja selten sua sponte, sondern wird durch seine führenden Politiker (und heute auch durch Medien) beeinflußt; das galt selbst für die attische Demokratie, die bei Ausbruch des Peloponnesischen Krieges von Perikles gelenkt wurde. Sie liefern dem Volk diejenigen Motive, auf die es anspringt. Von denen gibt es eine Menge.
Die Kosten, ja, die berechnet man hinterher, seufzend.

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 17:17:
Von kritischen Überlegungen einmal abgesehen, hat Euripides das schön ausgedrückt, oder?
Sollte aus der Reihe "Lernen aus der Antike" etwas werden, werde ich bemüht sein, sie mit klassischen Versen zu schmücken.

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 17:29:
Den bei Volksführern beliebten Trick, von inneren Schwierigkeiten durch einen Krieg abzulenken, hat schon Aristophanes in seiner Komödie "Der Frieden" (V. 603-611) über Perikles und die Phidias-Affäre ausgesprochen.

 Teichhüpfer meinte dazu am 20.01.22 um 11:14:
Da stimmt die Triebader nicht, Wissen ist etwas anderes.

 Graeculus meinte dazu am 20.01.22 um 15:07:
Was verstehst Du unter Wissen?

 Teichhüpfer meinte dazu am 21.01.22 um 05:51:
Ich habe mal geschrieben, auch wenn du alles weißt, und die anderen sind dumm und sagen Nein.

 Graeculus meinte dazu am 21.01.22 um 17:18:
Ich für meine Person wäre nie sicher, absolut sicher, etwas zu wissen, und schon gar nicht alles. Daß mir andere als dumm erscheinen, wenn sie "nein" sagen, das kommt schonmal vor.

 TassoTuwas (20.01.22, 10:53)
Wen wundert es, dass die Menschheit nichts aus der Geschichte lernt?
Sie hat ja auch aus den letzten hundert Jahren nichts gelernt, geschweige aus der jüngsten Vergangenheit!
Ich glaube in den Schulen ist "Geschichte" wichtigeren Themen gewichen, die allerdings auch kaum was bewirken!

 Graeculus meinte dazu am 20.01.22 um 15:07:
Sicher kennst Du Gandhis berühmtes Bonmot über das Lernen aus der Geschichte. Immerhin kann man sie in der Diskussion als Argument verwenden - nicht zuletzt Gandhis Erfahrungen mit dem Prinzip des gewaltlosen Widerstandes.

 Elisabeth (26.10.23, 22:20)
Hallo lieber Graeculus,

ich finde, Dein kurzer Text bringt auf den Punkt, warum Demokratien eben nicht friedfertiger sind.

Natürlich profitieren wir heute davon, daß gerade im 5. Jh.v.uZ. athenische Dichter und Denker sich mit ihrer Tagespolitik und ihrer Demokratie auseinandergesetzt haben - und auch Kritik üben konnten (wenn sie nicht über die Stränge schlugen und mit dem bösen Feind gemeinsame Sache machten oder zu machen schienen, wie Alkibiades und ja auch Thukydides) - und außerdem, diese Texte auch noch erhalten sind, weil auch nachfolgende Generationen in ihnen allgemeingültige Wahrheiten fanden, und sie abschrieben und zitierten.

Aber obwohl im 19. und frühen 20. Jahrhundert Griechisch anscheinend eine gängigere Fremdsprache an den höheren Bildungsanstalten war, als etwa Englisch (ohne, daß ich das jetzt mit harten Fakten stützen könnte, ich argumentiere hier aus dem Bauch, bzw. meiner Familiengeschichte heraus), alle also ihren Thukydides kannten und dessen Kritik an den (adligen) Demagogen - sind sie in den 20er/30er Jahren doch wieder auf soeinen reingefallen, auch wenn der ja vom entgegengesetzten Ende der Gesellschaft kam. (Voriges sehr verkürzt, ist mir klar, aber ich habe mit der Zeitgeschichte nicht mehr am Hut, als meinen Teil davon erlebt zu haben, ich erlaube mir das einfach mal).

Oooder sie haben Thukydides gelesen und nicht verstanden. Das ist natürlich auch immer eine Möglichkeit.

Entschuldige mein Koreferat.

Liebe Grüße von Elisabeth / Bettina

 Graeculus meinte dazu am 30.10.23 um 13:44:
Die ganze humanistische Bildung hat 1933 auf schreckliche Weise versagt und diesem Rattenfänger nichts Wirksames entgegengesetzt.
Vielleicht wäre Thukydides nicht einmal überrascht gewesen davon.
Selbst Sokrates liebte diesen Hasardeur und Blender Alkibiades.

Danke für Deinen freundlichen und interessierten Kommentar.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram