Blätterregen - 2

Erzählung

von  minze

Sie geht aber bald zurück nach Hannover. Die Realität wird von der Furcht nun durchtränkt, oder nicht ganz: ein dichter Nebel verdeckt die Realität - der Zugriff auf meine Großeltern wird immer schwerer. Schließlich kommt die Hausärztin, kommt der Krankenwagen, unentschlossen, hadernd. Die Ärztin fühlt sich unter Druck, Oma einzuweisen. Der Rettungswagen sieht die Lage unproblematisch. Wieder drücken sie in die gleiche Richtung, jetzt: mein Onkel und meine Mutter. Sie haben Recht, weil die Lunge krank ist.


Sie entscheidet, zu sterben. Ruckartig, aber es bestätigt eine Vorahnung. Es bestätigt unsere Furcht. Sie stirbt aber nicht, sie ist stabil, der Nebel um sie wird dichter, die Furcht und das Alleinesein. Sie ist klar in ihrem Wunsch, aber nicht klar in der Wahrnehmung. Sie habe kein Essen bekommen, keinen Strohhalm zum trinken. Das Zimmer ist immer dunkel. Anfangs kann sie die Pfleger zurechtweisen, weil sie unmöglich seien. Dann verlagert sie mehr und mehr den Fokus auf das Beten. Gemeinsam, in den Telefonaten, die sie auf ihre Kinder reduziert. Und sie klagt, wie nie zuvor. Ich fühle mich angehalten, zu beten. Ich bete, kämme aber weiter meine Haare, bestelle ihre Lieblingspizza, koche mehr Tee als Kaffee. Denke an ihre Worte, wie gut ein Tee einem tut. Wenn es schlimm wird, werde ich Yann überreden, ihren Blutwurzelschnaps zu trinken. Es bringt uns zum Lachen. Opa hält uns wach. Er weigert sich an manchen Tagen zu essen und die Medikamente zu nehmen. Er legt das Telefon nicht auf, dass es stundenlang besetzt klingt. Dann ruft er zweimal abends an und sagt, er wolle nicht, dass man wegen ihm schlecht schlafen müsse und erkundigt sich mehrfach, ob er die richtige Handynummer von Oma aufgeschrieben habe. Mal ist er eine zusätzliche Sorge, mal überrascht er uns unerwartet. Wenn er um 16 Uhr anruft und sagt, er esse jetzt ein Leberwurstbrot, aber im Bett. Ich habe das Photo nicht bekommen, was meine Mutter in abgeklebten Regenmantel zeigt, wie sie mit der FFP Maske kurze Visiten bei ihm macht. Sie schickt seit WhatsApp viele Photos, eigentlich vor allem als Statusmeldung: von ihren Spaziergängen, Dingen, die sie in Natur entdeckt. Seit kurzem auch Selfies mit meinem Vater. Die Photos von den vernarbten Bäumen beruhigen mich.

Ich pack es nicht mehr mit dem Beten. So einfach wird es nicht sein, das Sterben herbeizubeten. Mich nervt es gegengleich zu Omas Ich bete für dich, wenn ich mich gegenüber meinem Leben hilflos fühlte. Meine Verfasstheit ist angerissen, ein Teil ausgezehrt, der, der bei ihr ist. Diesem besorge ich die Frutti di Mare, rühre eine Paradiescreme an, koche Tee.





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