Lernen aus der Antike #3

Essay zum Thema Frauen/ Männer

von  Graeculus

Der Peloponnesische Krieg Athen vs. Sparta (431-404 v.u.Z.) zieht sich hin. Der attische Versuch, Großmachtpolitik zu betreiben und nach Sizilien auszugreifen, ist in einer Katastrophe geendet. Manche Bürger Athens träumen dennoch vom Siegfrieden, andere sehnen sich einfach nach Frieden und pfeifen auf den Sieg. In dieser Lage, im Jahre 411, bringt der attische Komödiendichter Aristophanes (ca. 445-388) eine neue Komödie auf die Bühne: Lysistrata.


Es sind die Frauen, die den entscheidenden Schritt tun: Sie zwingen ihre Männer, den Krieg zu beenden und Frieden zu schließen.

Wieso die Frauen?

 

RATSHERR:

Euch ficht doch der Krieg im geringsten nicht an!

 

LYSISTRATE:

Im geringsten nicht? Ei du Verfluchter!

Wie? Trifft er nicht doppelt und dreifach uns Frau’n? Wir

                haben die Knaben geboren,

Wir haben gewappnet ins Feld sie geschickt –

 

RATSHERR:

Schweig still von den Unglücksgeschichten!

 

LYSISTRATE:

In der Zeit, wo wir sollten des Lebens uns freu’n und die

                Tage der Jugend genießen,

Da bereitet der Krieg uns ein einsames Bett! Ach, und wären

                nur wir so verlassen:

Doch die Jungfern zu sehn, die im Kämmerlein still hinaltern,

                das schmerzt mich noch bittrer!

[V. 587-599]

 

Ja, der Krieg ist wahrlich auch Frauensache! So zwingen sie ihre Göttergatten mit einem sehr weiblichen Mittel: der Verweigerung von Sex bis ... Da bleibt den Männern, wie man so sagt, keine Wahl.


Das gibt reichlich Gelegenheit zu urkomischen Szenen, gewürzt mit reichlich sexuellen Anspielungen. Gesteigert wird die Komik noch dadurch, daß (muß man es eigens erwähnen?) in Athen keine Frauen im Theater zugelassen sind; sie haben gefälligst das Haus zu beaufsichtigen. Der Autor: ein Mann. Die Schauspieler*innen: allesamt Männer. Die Zuschauer: ausschließlich Männer. Die Herren der Schöpfung lachen über sich selber. Eine Sternstunde Athens und der Komödie.


Ein lustiges Völkchen, diese Athener. Mitten im Krieg.

 

Was lernen wir daraus? Eine Menge, wenn’s recht ist: über den Krieg, über die Frauen, über Komik. Und nicht zuletzt: Man stelle sich vor, heute würde in dieser Form großes Theater gemacht: nur von, für und durch Männer. Da sind wir doch historisch schon ein paar Schritte weiter. Auch dank Aristophanes?




Anmerkung von Graeculus:

Es gibt tatsächlich einen einzigen Bericht aus der Antike, der uns - sollte er denn wahr sein - schließen ließe, daß Frauen doch im attischen Theater zugelassen waren: In der Aufführung der "Orestie" des Aischylos sollen beim Auftreten der Erinyen, der Rachegöttinnen, Frauen Früh- und Fehlgeburten erlitten haben.

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Kommentare zu diesem Text


 Terminator (29.01.22, 00:35)
Jungfern, die im Kämmerlein still hinaltern, das ist trotz Frühsexualisierung, medialer Hypersexualisierung und exzessiven Pornokonsmus heute wieder der Fall, ohne Krieg (bzw. im kalten Krieg der Geschlechter).

Am besten ist das Argument von Hillary Clinton, warum Frauen mehr als Männer vom Krieg betroffen sind:

“Women have always been the primary victims of war. Women lose their husbands, their fathers, their sons in combat.”

 Graeculus meinte dazu am 29.01.22 um 16:35:
Das hat der Aristophanes klug gesehen. Ob Hillary Clintons Ausspruch mit dem griechischen Original mithalten kann? (Ich mag den Klang der englischen Sprache nicht.)

Ob Punkt 1 heute auch ohne Krieg vermehrt der Fall ist, wage ich nicht zu entscheiden, nehme aber Deine Aussage interessiert zur Kenntnis.
klausKuckuck (71)
(29.01.22, 01:29)
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 Graeculus antwortete darauf am 29.01.22 um 16:36:
Das gibt's offenbar alles. Man muß es nur lesen. Möge mein Text den einen oder anderen dazu bewegen.

 EkkehartMittelberg (29.01.22, 12:49)
Vom Gefühl her würde ich sagen, dass Krieg Frauen außer Leid nichts zu bieten hat.
Aber gilt dies auch für Staaten, in denen Frauen gleichberechtigten Zugang zur Macht haben?
Eigentlich ist die Revolte der athenischen Frauen sehr verständlich; denn was konnte ihnen der Krieg bieten außer den Verlusten, die Lysistrata beschwört?

 Graeculus schrieb daraufhin am 29.01.22 um 16:39:
Daß Frauen - sogar Mütter! -  in Machtstellungen ebenfalls Kriege beginnen, ist in der Tat zu beobachten. Haben wir nicht in unserer Zeit Margaret Thatcher und den Krieg um die Falkland-Inseln erlebt?

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 29.01.22 um 18:31:
Nach so einem Beispiel habe ich gesucht. Denkst du, es ist einer von wenigen untypischen Einzelfällen.?

 AndreasG ergänzte dazu am 29.01.22 um 19:37:
Nabend.

Untypisch sind Frauen in Machtpositionen, die entsprechende Kriege vom Zaun brechen können. Bei den wenigen Ausnahmen sind aber Kriege und Gewalttaten gar nicht so selten ... vielleicht kommt es auf die Sozialisierung an, auf den erlernten Umgang mit Macht.

(Königin) Boudicca oder Königin Elisabeth die erste

Mal  als Beispiele.

lg

 Graeculus meinte dazu am 29.01.22 um 23:20:
Elisabeth I. ist von Spanien angegriffen worden. Macht das nicht einen Unterschied?
Katharina II. von Rußland. Kleopatra VII. ist ein interessanter Fall. Ihren lästigen Bruder und Ehemann hat sie 'beseitigen' lassen. Olympias, die Mutter Alexanders des Großen.

Aber es stimmt schon, was AndreasG schreibt: Frauen kommen zu selten in Machtpositionen, in denen sie einen Krieg vom Zaune brechen können. Wenn es dazu kommt, weiß man nicht, ob es Ausnahmen sind.

Vielleicht kann man sagen: Wer überhaupt an die Macht kommt, der muß schon von einem bestimmten Typus sein.

 Graeculus meinte dazu am 29.01.22 um 23:25:
Auch Maria Theresia ist angegriffen worden ... von Friedrich II., nachdem er seinen "Anti-Macchiavelli" veröffentlicht hatte.

 Graeculus meinte dazu am 07.02.22 um 12:59:
Mein Gedächtnis! Die Antike kennt etliche kriegerische Herrscherinnen, und zwar - anders als die Amazonen - historische Fälle:

1. Artemisia von Halikarnassos: Fürstin, militärische Beraterin des persischen Großkönigs Xerxes bei seinem Angriff auf Griechenland; als Schiffskommandantin hat sie sich selbst in der katastrophalen Niederlage bei Salamis clever geschlagen. (Herodot)
2. Die Seeräuberkönigin Teuta, Herrscherin von Illyrien. (Polybios)
3. Zenobia von Palmyra, hat als Nachfolgerin ihres Mannes etliche Jahre den Römern widerstanden und wird als ausgesprochen kriegs- und jagdtüchtig beschrieben. (Scriptores Historiae Augustae, Zosimos; Münzfunde)

In Klammern habe ich die historischen Quellen angegeben.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.22 um 22:35:
Ich kann nur dankbar den Hut ziehen vor so viel Wissen.
Beste Grüße
Ekki

 Graeculus meinte dazu am 07.02.22 um 22:49:
Rubesco. Das gilt aber nur für die Antike. Die Frau Teuta habe ich heute erst entdeckt, und bei dieser Gelegenheit kamen dann auch wieder Artemisia und Zenobia bei mir hoch.

Zur Ausgangsfrage kann man jetzt immerhin sagen, daß weibliches Kriegertum nicht so ungewöhnlich ist, auch wenn Frauen - historisch - selten in solche Positionen gelangt sind.

Zu den Quellen bei Teuta kann man noch Appian und Cassius Dio hinzufügen; auch scheint Livius über sie berichtet haben, doch ist der entsprechende Passus seines Werkes verloren bzw. nur in der Epitome des Florus erhalten.

 GastIltis (29.01.22, 16:59)
Hallo Graecu,
wie zum Hohn erhielt ich heute eine WhatsApp von einem Freund, auf der eine alte Dame von zwei Uniformierten über die Straße geleitet wird. Der Text darunter lautet: Nein, das ist nicht „bring die Oma mit auf Arbeit“ - das ist unsere Verteidigungsministerin, die Welt zittert.
Man könnte jetzt die Würde des Menschen zitieren. Aber ist es nicht unwürdig, überhaupt noch über die Möglichkeiten von Kriegen, wer gegen wen auch immer, nachzudenken?
Nach dem Ende in Afghanistan dachte ich, wir sind nur noch in Mali, warum ist sowieso ein Rätsel, nein, wir sind auch noch im Irak gegen den IS aktiv. Der lacht sich doch, wenn er solche WhatsApps wie das oben erwähnte sieht, regelrecht kaputt.
Apropos Frauen: Irgendwann werden sie uns wohl nicht mal mehr für das Führen von Kriegen benötigen.
Herzlich grüßt dich Gil.

 Graeculus meinte dazu am 29.01.22 um 23:23:
Die Reihe von drei Verteidigungsministerinnen hintereinander in Deutschland ist schon bemerkenswert.

Der Einsatz in Mali war wohl ein ebensolcher Flop wie der in Afghanistan.

Und über die Zukunft der Geschlechter - übrigens auch über die Zahl der Geschlechter - mag ich keine Prognose stellen.

 TrekanBelluvitsh (29.01.22, 22:01)
Ich weiß nicht so recht. Das ist für mich eher ein weiterer Be-/Hinweis darauf, dass auch Frauen - wie alle andere - zu Beginn eines jeden Krieges vom schnellen Sieg träumen. Und wenn alles dann ganz anders kommt, ist jeder überrascht. "Waaaas? Im Krieg sterben viele Menschen? Und in einem langen Krieg streben noch mehr Menschen? Also wenn ich das vorher gewusst hätte..." Ich kennen sowieso keinen Krieg, den das Aufbegehren, der Missmut, oder der Unwillen verhindert hätte. Siehe Italien im Ersten Weltkrieg.

Erst neulich habe ich dazu etwas auf Instagram veröffentlicht, was dieses "Dilemma" - ok, in Wirklichkeit ist es nur ausgemachte Dummheit, aber bis vor der Coronapandemie war der Krieg ja das einzige Thema, bei dem es in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion als Auszeichnung galt zu behaupten, dass man nix darüber wüsste, sich aber dennoch eine Meinung zum Krieg leisten würde und: Nein, "Im Westen nichts Neues" gelesen (die wenigsten) oder gesehen (die meisten) zu haben macht einen nicht zu einem Experten zum Thema Krieg! - bzw. wie man damit umgehen sollte, versucht zusammenzufassen:
Die Menschen sollten den Frieden dem Krieg aus einem einfachen Grund vorziehen: Es bedarf nur der Handwerker, um den Frieden zu bewahren. Hingegen sind Genies nötig, um einen Krieg zu gewinnen. Und unsere Welt ist voller Handwerker.

Kommentar geändert am 29.01.2022 um 22:02 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 29.01.22 um 23:30:
Es spricht generell viel gegen den Krieg. Aber verstehen Frauen das öfter? Frauen können ihn allerdings selten verhindern, und vielleicht auch deshalb mag Deine Ansicht zutreffen, daß vielleicht kein Krieg durch das Aufbegehren dagegen verhindert wurde.
Immerhin hat es Deutschlands Teilnahme am Irak-Krieg nicht gegeben, der bei uns einfach unpopulär war.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 30.01.22 um 00:16:
Ich denke, der Zweite Irakkrieg war einfach zu sehr ein US-amerikanischer Krieg, d.h. begründet in einem US-amerikanischen gesellschaftlich-Kulturellen Narrativ, dass man verkürzt mit "Someone has to pay" beschreiben kann. (Das US-amerikanische Justizsystem ist auch davon geleitet.) Und das ist den Deutschen in ihrer Mehrheit dann doch fremd(?).

Der Kosovo-Krieg von 1999 war auch unbeliebt, wurde aber dennoch durchgezogen und das mit dem ungeschriebenen Leitspruch der Bundesrepublik begründet: "Nie wieder!" Zumal die Serben in Srebrenica gezeigt hatten, wie sie ihre Kriege nach 1989 zu führen gedachten. Und der Bodenkrieg war tatsächlich näher, als den meisten bis heute bewusst ist.

 Graeculus meinte dazu am 30.01.22 um 16:49:
Das "Nie wieder!" ist wohl in Deutschalnd besonders stark verankert - insofern sind wir anscheinend kein 'typisches' Volk.

Mir fällt noch der Vietnamkrieg ein, der in den USA durch die - damals noch unklug freie - Berichterstattung in den Medien bei der US-Bevölkerung dermaßen unpopulär war, daß Nixon sich veranlaßt sah, ihn zu liquidieren. Diesen Fehler (die Bilder ungefiltert in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen) haben die USA nie mehr gemacht. Daß sie das für nötig halten, gibt mir eine gewisse Hoffnung, die Volksmeinung betreffend.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 01.02.22 um 17:12:
Das mit der kontrollierten Berichterstattung sieht das US Militär bestimmt auch als Erfolg an. Zu diesen Meinung ist jedoch sehr unkontextualisiert. Zunächst kann man den Vietnamkrieg nicht mit dem Zweiten Irakkrieg vergleichen. Wenn man das will, muss man die Besatzungszeit im Iran dazurechnen und da reicht es anzumerken, dass die US Army in dieser Zeit Probleme hatte Personal zu rekrutiere. Frei nach dem Motto: "Americans are great in supporting our troops. They are not as great in being our troops." Das führte dazu, dass Natinalgardisten in den Irak und nach Afghanistan geschickt wurden - was niemals beabsichtigt war. Außerdem wurden die Eintrittskriterien aufgeweicht. Nun war es kein Ausschlißkriterium mehr, vorbestraft zu sein.

In einem langen Krieg ist es eine ausgesprochen schlechte Idee, Informationen zu sehr zu filtern. Beispielhaft zeigt sich das am Deutschen Reich 1914-1918. Denn entgegen einer weitverbreiteten Meinung, war der Krieg spätestens 1916 für die deutsche Bevölkerung nicht mehr interessant. Die Unzufriedenheit wuchs. Die Revolution von 1918/1919 kam in Wahrheit nicht überraschend. Sie hatte sich bereits in den Jahren zuvor angekündigt, u.a. durch Streiks.

Natürlich hatte die OHL ein Problem: Wenn sie offen über den Krieg geredet hätte, wären die Menschen nicht begeistert gewesen, weil Deutschland einen Krieg des Krieges wegens führte. Das Problem war also nicht eine mehr oder minder offene Berichterstattung, sondern eine von der Bevölkerung losgelöste politische Führung, die sich noch in den Kabinettskriegen des 18. Jhd. wähnte.

 Graeculus meinte dazu am 01.02.22 um 18:50:
Der amerikanische Spruch ist schön. Gibt es dazu eine Quelle?

Die Begründung, warum die Informationsfilterung eine schlechte Idee ist, habe ich nicht verstanden. Man praktiziert das ja heute fast durchgehend. Dennoch hältst Du es für falsch? In welchem Sinne? Verstanden habe ich, daß Du das auf lange Kriege beziehst.
Übrigens habe ich die Kriegsberichterstattung ("die Schrecken des Krieges") gemeint, nicht die offene Diskussion über Sinn und Erfolgsaussichten des Krieges; letztere hat man ja nur in einer Diktatur unter Kontrolle.
Ich erinnere mich noch gut an die Empörung der Öffentlichkeit über ein durch alle Medien laufendes Photo, wie ein südvietnamesischer General einen gefesselten/wehrlosen Vietcong erschießt.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 02.02.22 um 01:12:
Also "Americans are great in supporting our troops. They are not as great in being our troops." stammt von mir. Weol der US-amerikanische Nationalismus da doch sehr krude wird. Jeder singt ein Lobeslied auf die Soldaten, doch keiner will Soldat sein.

Natürlich wird Zensur in jedem Krieg betrieben. Es geht mir auch keineswegs in erster Linie um Zensur. Diese ist in jedem Krieg in Teilen sinnvoll allein, damit der Gegner nicht zu viel über die eigenen Absichten, Strukturen, Probleme etc. erfährt.

Aber beim "Embedded Journalism" geht es ja nicht darum, bestimmte Informationen zurückzuhalten, sondern ein bestimmtes Bild abzuliefern, d.h. um Propaganda im eigentlichen Sinne. Mittel- und langfristig kann Propaganda jedoch ganz schnell zum Boomrang werden. Denn sie weckt Erwartungen die dann nicht erfüllt werden können. Wissenschaftlich erforscht ist das für die deutschen "Wunderwaffen" im Zweiten Weltkrieg. Mit viel Getöse angekündigt waren sie eine große Enttäuschung für die deutsche Bevölkerung und haben letztlich die Entfremdung zwischen Partei und Volk - die NSdAP selbst war ja sowieso niemals besonders beliebt - beigetragen. Und das galt eben nicht nur für das Volk. Gerade unter den Männern der Wehrmacht bereitete sich 1944 eine tiefe Enttäuschung aus. Dies galt bis in die Generalität hinauf. So forderte z.B. Rommel im Sommer 1944 den Einsatz der V1 gegen den Landungsraum der Alliierten in der Normandie. Nur um erfahren zu müssen, dass man die Dinger so genau nicht zielen konnte.

Das Gleiche gilt auch für Russland in der augenblicklichen Situation. Sollte es zu einem Krieg gegen die Ukraine kommen - in den nächsten Monaten scheint mir das sehr unwahrscheinlich, weil die Tauperiode des Frühlings bevorsteht - wird das kein "Blitzkrieg". Und es mag sich in der heutigen Zeit nach bombastisch vielen Truppen anhören, wenn Russland 100.000 Mann zu Manövern versammelt. In Wahrheit sind das jedoch lächerliche Truppenzahlen für einen konventionellen Krieg. Ganz davon abgesehen, dass Russland gar nicht über die wirtschaftlichen Stärke verfügt, einen langen Krieg durchzuhalten. Das zeigte in den letzten Jahren ja bereits das T-14 Desaster.

Nein, ein moderner Krieg ist immer ein Massenkrieg. Um ihn zu führen, brauch man auch die Massen hinter sich. Sobald der Krieg länger als einige Wochen dauert, kann Propaganda militärische Erfolge nicht ersetzen. Wenn die militärischen Erfolge jedoch fehlen, welche die Propaganda versprochen hat, wird die Regierung stürzen. In einem demokratischen Land kommt eine neue Regierung an die Macht, die die Suppe dann auslöffeln muss. In einem autokratischen Staat stürzt der gesamte Staat in einen Krise, die zur Revolution, aber auch zur Restauration führen kann.

Will man eine Bevölkerung langfristig hinter sich bringen, muss diese zumindest im groben die Ziele und Absichten im Krieg kennen. Dazu gehört dann auch immer eine Strategie, bzw. eine Linie, die, wenn sie erreicht wird, das Ende des Krieges bedeutet. So geschah es 1991 im Zeiten Golfkrieg (auch "Erster Irakkrieg" genannt) und 1990 im Kosovokrieg. Denn ganz gleich, was man von den Begründungen für diese Interventionen hält, es waren klar begrenzte militärische Operationen unter dem Primat der Politik.

 Graeculus meinte dazu am 02.02.22 um 23:12:
Ich verstehe. Auf Dauer muß der Propaganda etwas Reales entsprechen.
Wenn man die (offiziellen) Wehrmachtsberichte aus dem II. Weltkrieg liest (das habe ich einmal getan), dann staunt man darüber, daß immer nur Erfolge berichtet wurden. Die deutsche Kriegsführung erscheint durchweg als erfolgreich ... während sich die deutschen Truppen in Wahrheit immer mehr zurückziehen. "Planmäßig, vorbereitete Abfangstellungen usw." Das habe die selbst dann noch durchgehalten, als schon der Kampf um Berlin tobte.
Das war eine zunehmend von der Realität abgelöste Propaganda. Nach Deiner Annahme müßten das immer weniger Leute geglaubt haben. Was aber, wenn die Hoffnung den Blick trübt? Die Hoffnung und wohl auch das Schuldbewußtsein.

Ich habe dieser Tage einen antiken Bericht über die entscheidende Niederlage der attischen Flotte 404 v.u.Z. (im Peloponnesischen Krieg) bei Aigospotamoi gelesen. Sobald die Athener dieser Tatsache der unmittelbar bevorstehenden Niederlage unverhüllt ins Auge blickten, ging ihnen sofort der Arsch auf Grundeis wegen der Verbrechen, die sie in diesem Kriege begangen hatten (Melos, Skione, Torone usw.). Manchmal, so denke ich, trifft die Propaganda auf Gehirne, die die wirkliche Lage gar nicht so genau wissen wollen.

Propaganda stillt unser Bedürfnis nach Hoffnung - unser gefährliches Bedürfnis, wie ich betone.
Du mußt bedenken, daß Du kein typischer Konsument von Propaganda bist.

 Bergmann (29.01.22, 22:58)
Die Komödie LYSISTRATE spielte mit einem Gedanken, dessen Realisierung nicht drohte. 
Da auch die (jungen) Männer im Krieg der körperlichen Liebe oft entbehrten, wenn sie nah oder fern im Einsatz waren, erfüllte die Komödie den Zweck subtilen Ersatzes - auf beiden Seiten: für Männer und Frauen - im Theater und außerhalb vom Hörensagen. So wird die Komödie zur bitteren Klage, die sich in Gedankenspiele rettet, die nicht einmal im Ansatz gesellschaftspolitisch zu sehen  ist. Der Autor hat mit grandiosen Idee seiner Komödie eine großartige Möglichkeit geschaffen für Seelenerleichterung, für das Fertigwerden mit der Situation, wie sie nun mal als gegeben erlebt wurde. 
(1985 habe ich im gerade erst geschaffenenen Literaturkurs /NRW/ Aristophanes' Stück mit Schülern der 12. Klasse inszeniert.)

 Graeculus meinte dazu am 29.01.22 um 23:36:
Ich bin ja ein wenig auf die historische Situation eingegangen, in welcher Aristophanes sein Stück herausgebracht hat. Eine Kriegsmüdigkeit der Athener gab es schon - ich glaube, anderenfalls hätte das Stück auch nicht funktioniert.
Daß es zumindest aufgeführt und diskutiert werden konnte, wäre in vielen anderen Kriegen wohl gar nicht möglich gewesen.
Selbst in der Volksversammlung hat es während des Peloponnesischen Krieges lebthafte Diskussionen gegeben, wie man bei Thukydides nachlesen kann.
Insofern bin ich mir nicht sicher, ob es sich bei Aristophanes nur um Gedankenspiele handelt. Das Fiktive liegt sicherlich in der Aktivität der attischen Frauen.

 Bergmann meinte dazu am 30.01.22 um 12:39:
Vielleicht gilt beides.
-
Wer wird denn damals zugeschaut haben?

 Graeculus meinte dazu am 30.01.22 um 16:44:
Das Stück ist bei den Lenäen aufgeführt worden: großes Volksfest. Das Theater bot zwar nicht allen Bürgern Attikas Platz, aber für die vom Lande war der Weg wohl ohnehin zu weit; von den in der Stadt selbst Wohnenden paßten die meisten hinein.
Wenn man sich die Stücke des Aristophanes anschaut, dann ist er sichtlich bemüht, für jeden Geschmack etwas zu bringen - von der derben Sexualkomik bis hin zu hochliterarischen Anspielungen.

 Elisabeth (26.10.23, 23:20)
Hallo, lieber Graeculus,

Lysistrata ist, denke ich, ein antikes Theaterstück, daß auch heutzutage gut ankommen könnte, wenn es so volksnah präsentiert würde, wie Aristophanes es tat.

Vielleicht trägt Dein leicht zugänglicher Text ja dazu bei, daß der eine oder die andere mal reinlesen...

Schöne Grüße von Elisabeth / Bettina

P.S. Habe gerade gesehen, daß es wohl nur diese drei Texte von Deiner Reihe gibt. Ich hoffe, Du schreibst wieder einen Teil, sobald Dir eine Idee kommt, was da noch hineinpassen würde. Ich würde mich sehr darüber freuen.

Kommentar geändert am 26.10.2023 um 23:24 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 30.10.23 um 13:57:
Auch außerhalb dieser Reihe habe ich hier schon etliche antike Themen vorgestellt: an Helena, Medea und Pygmalion erinnere ich mich mühelos.
Außerdem schreibe ich gerade ein Buch über die Antike, in dem mehrere Kapitel sich mit Frauengestalten befassen - bekannteren und nicht so bekannten. Kennst Du Artemisia von Halikarnassos? "Eine Frau war der einzige Mann unter all meinen Männern", sagte Xerxes über sie.
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