Morgenlandlatte

Immer sind sie zu trocken, wenn ich komme in der Nacht, bei Dunkelheit oder in der Morgendämmerung. Wenn die Vögel beginnen zu zwitschern und zu singen, die ersten Körnchen aufpicken, sie die ersten Strahlen der Sonne begrüßen, morgens, wenn das Blut mein Fleisch erfüllt – dann sind sie taub und spröde und unwillig und nicht bereit für meinen Samen, der sie fruchtbar machen soll und dick und rund und zum Aufplatzen bringen soll wie ein reifer Granatapfel, dessen Söhne zur Welt kommen wollen, auf dass diese Söhne das Erdenrund erfüllen mögen und frohlocken dem einen Gott, der der Vater ist in Ewigkeit. Aber sie weigern sich und verschließen sich mir, ihre verdorrten zotteligen Deltas bereiten mir keine Freude, und so ist es eine mühsame und entwürdigende Pflicht, eine notdürftige Tat des Körpers, nicht der Seele, nicht des Herzens. Und immer sind sie trocken, als hassten sie mich oder straften mich mit Gleichgültigkeit, als setzten sie mich und mein Fleisch herab, als lachten sie insgeheim über meine Bemühungen. Ich weiß, sie tuscheln unter ihren Schleiern und bereden sich heimlich, vielleicht lachen sie sogar, wenn auch niemals laut. Niemals laut. Lachen ist eine Sünde vor Gott. Das Aufreißen des Mundes, das Hervorstrecken der Zunge, das sind Lästerungen vor dem Himmel und tierhaftes Benehmen, das den Einen beleidigt. Dieses Öffnen der Körper, diese Gewölbe der Pestilenz, das Hervordringen des Odems des Leibhaftigen. Es bringt das Verderben, Krankheiten, es ekelt das Auge und die Nase, den Geist. Doch mein Samen wird dereinst die Erde benetzen, Fruchtbarkeit und Leben bringen, Wohlstand und Ruhe im Alter.

Nur bei den ersten Strahlen der Sonne durchquere ich die wüsten Höhlen des Sandteufels, und dann ist mein Fleisch still.

© Rainer M. Scholz