Gttata

Novelle

von  Terminator

I. Fuck Fignieuw


Cagacca liegt gemütlich am östlichen Rand der Thedée, wo der kleine Fluss Gargyar in den großen Thieh mündet. Im Jahre 512 der Iniischen Zeitrechnung gründete die heilige Tricia von Bianna hier ein Kloster. 70 Kilometer nordwestlich von hier erwartete die Großstadt Vidal ihr unerfreuliches Schicksal. Im Frühherbst 803 nahm Takawira überraschend Acagama ein, machte eine Südost-Schleife, um Vidal von Osten anzugreifen. Der Norden war bereits von den Truppen des trickreichen Kristian Loken besetzt, und Vidal somit im Kessel. Auf dem Weg war noch Cagacca, dessen Zivilbevölkerung Takawira durch gezielte Terroranschläge gegen Korn- und Wasserspeicher nach Vidal weghungerte. Als nur noch Kombattanten sich in der Stadt befanden, erwarteten sie den Einmarsch, doch stattdessen kam das Feuer. Takawira ließ aus überdimensionalen Flammenwerfern Feuer regnen, so leerten sich die Keller und Bunker von selbst, und die, die herausliefen, wurden von Bomben und Scharfschützenkugeln getroffen. Der Häuserkampf wurde abgeblasen, Cagacca wie eine Kakerlake aus dem Weg geräumt. Vom Südosten näherte sich Takawira der Hauptstadt der Thedée, während ausländische Entsatztruppen unbezahlt im Hafen von Grevious sich einen von der Palme wedelten.

Scheiß auf Fignieuw! Taxi, nein, nicht Sie, da, da, VIP-Taxi! Zum Royal Salon bitte, dann zum Royal Club. Frisur für einen Tausender, perfekt. Dabei erst gestern die Haare schneiden lassen. Zeit, Zeit. 19:59. In einer Minute macht der Club auf. Schneller fahren, schneller. Erstmals in diesem Jahrhundert steigt der Aktienindex von Vidal auf 20000! Der Rest ist für Sie, ja, der Rest vom 500-er, aber parken Sie, schneller! Scheiße, zu billig gegessen. Im Royal Club kocht doch dieser Sternekoch. Ach, scheiß drauf, geh mich übergeben. Uhr, Uhr, Zeit... So, ja, für eine Person, den besten Platz bitte. Scheiß auf Fignieuw! Fuck motherfucking Fignieuw! Das Beste bitte, ja, vom Chefkoch persönlich gekocht, mit Vorführung. Die Rumkarte, bitte. Was ist der Älteste? Gut, den will ich, und Moment, und der Teuerste? Aha, dann den. Und den auch, den gießen Sie mir in die Limo, schnell, schnell. 21:13. Zu viel gegessen, und nur 4500 verkloppt. Fuck fucking Fignieuw! Ich sollte am Hafen in Grevious sein, aber ich will glücklich sein, endlich glücklich! Girls her! Die teuerste Hure des Club-Bordells! Zeit, Zeit... Geld habe ich. Endlich da, was, die!? Dieses tätowierte Wrack? Ok, ok, was ist der teuerste Dienst? Nein, ich will doch nicht die ganze Nacht, ich will teuer und schnell. Meine Kacke beim Kacken fressen? Für 10000? Gern, hier ist schonmal die Kohle. Uhr, Uhr... 22:09. Der Aktienindex von Vidal bei 22000 Punkten, die Börse ist bis Mitternacht offen. Was läuft sonst in den Nachrichten. Takawira? Da ist noch Zivilbevölkerung, er wird schon nicht die Stadt verbrennen. Lebendig verbrennen, lieber nicht daran denken. Hallo, gibt es auch Huren, die mehr kosten? Heute Nacht gönne ich mir was! Aha, aha. Zu billig. Jungfrau, wie jung? Und wie teuer? Nein, zu billig. Ich will was für eine Million. Fick dich, Fignieuw! Zum Teufel mit dir und deinen Halsabschneidern! Die Maus? Wie alt, vier? Und was darf ich. Alles? Was könnte ich tun, was könnte ich genießen, foltern? Scheiße, ich kann nicht foltern. Für eine Million kann ich sie vollständig verbrauchen, ok, ok, was mache ich? Darf ich sie einfach töten? Nein, aber ich will genießen. Aber was, wie genießen? Noch mehr Rum bitte, lassen Sie die Flache gleich hier, oops, hingefallen, holen Sie eine andere Flasche, Zeit, Zeit, Uhr...

„Lassen Sie das Mäuschen fallen!“ „Ich habe bezahlt... aber noch nicht entschieden, was ich machen soll“. „Depstem?“ „Ja, der bin ich“. „Mitkommen, Loki erwartet Sie vor der Stadt“. Die Gorgonopsiden haben an diesem Abend den alten Börsianer Depstem geholt, er verrottete 20 Jahre lang im berüchtigten Kriegsgefangenengefängnis von Lxiour. Kuvicek, ein Scharfschütze in seinen killreichen Zwanzigern, zog mit der Truppe in die Stadt ein, und übernahm einen Scharfschützenposten im Börsenviertel. Im Winter 803/04 gelangen ihm von den Dächern Vidals 37 Kills aus 38 Schüssen. Einmal lautete der Befehl, nicht in den Kopf, sondern in den Arsch zu schießen. Das war seine erfolgreichste Zeit beim Militär, und wenn er einen Sohn hätte, würde er ihm am liebsten davon erzählen, denn den Rest des Krieges war einerseits langweilig, was die spätere Zeit betrifft, und andererseits heftig, was die Zeit davor nur allzu appetitlich beschreibt.


II. Der Kroate


Der Muselmann zitterte unter dem peitschenden Regen, er war nackt und ausgehungert. Das dicke Schwein rauchte und sah aus dem Fenster, während leicht bekleidete Zwangsarbeiter ein Loch schaufelten. „In 25 Jahren sind sie alle tot“, sagte das dicke Schwein. „Hätte der General nicht die 10000 in die Eiswüste geführt, würden wir in Corshoon von der Pyramidenspitze pissen“, seufzte der blonde Bastard. Der Kroate diente damals unter dem General, galt im KZ von Tegusziltea als harter Hund, der eine Hetzjagd der Gorgonopsiden überlebt hatte. Das Loch war fertiggegraben, die Zwangsarbeiter warfen den Muselmann rein und gingen essen, er sollte im Regen ersaufen. Seine Nummer 29303 auf dem rechten Arm wurde kürzlich mit JK überbrannt, keiner wusste, wer es war. Vor drei Monaten fragte der blonde Bastard ja noch ganz freundlich: „Missgeburt, wer ist deine Königin?“ „Persephone“ sagte der junge Soldat, und bekam seitdem nichts mehr zu essen. Er hätte die Puffmutter des Hauses der Sünde nennen sollen, dann wäre er jetzt einer der Zwangsarbeiter, und nicht der Ersaufende im Loch.
In der Nacht füllte sich das Loch mit Wasser, am Morgen war seltsamerweise keine Leiche da. „Wo ist die verdammte Leiche?“ fragte das dicke Schwein. „Muss eine Kakerlake gewesen sein“, meinte der blonde Bastard die Zwangsarbeiter. Der Kroate trank einen kräftigen englischen Tee und schaute auf die Uhr. 8:47, noch eine Minute bis zum Terroranschlag. Er holte sein Gorgonopsidenzeichen aus der Brusttasche und stecke es sich stolz an das schwarze Hemd. „Ja, auch unsere Farbe ist schwarz“, sagte er, als er dem blonden Bastard den Hals aufschlitzte, während  die Kaserne zu brennen anfing. Es war keine Explosion, es war ein schnelles und heißes Feuer, und die Schergen des Teufelsdieners Fignieuw sahen machtlos zu. Die ersten Gorgonopsiden waren schon da, sie befreiten die Zwangsarbeiter und schlachteten die nicht verbrannten Soldaten und Söldner professionell und ohne viel Getue ab. JK war noch tagelang bewusstlos, bis er in einem Zelt am Serpedi-See bei Liine aufwachte.
Der Kroate ist alt geworden, der junge Soldat ist auch schon in seinen 40-ern. Nach der Gefangenschaft, nach dem Lager hatte er sich noch fünfmal für jeweils zwei Jahre freiwillig gemeldet, um den Satansanbeter Fignieuw vielleicht sogar eigenhändig zu töten. Dessen Ende war ein erbärmliches, er versteckte sich in den Bordellen von Acagama, die Schurken, die den Krieg verloren hatten, wollten ihn für mildere Kapitulationsbedingungen an den Feind verkaufen, doch er kaufte sich mit seinem großen Vermögen immer wieder Versteckhilfe bei einzelnen gierigen Hurensöhnen, die sich danach wieder umentschieden, um ihn wiederum für Geld jagen zu lassen. Er wurde schließlich gefangengenommen und vom großen Ray Takawira auf dem Hinrichtungsplatz in Lxiour eigenhändig enthauptet. Weil er selbst keine satanischen Verbrechen begangen hatte, wurde ihm der Massenfleischwolf erspart. Immerhin.
JK würde, Stand November letztes Jahr, 3 bis 5% der Stimmen bekommen. Ein alter Veteran, ein weißhaariger nordisch-isländischer Militärarzt käme auf 40% der Stimmen. „Du schaffst es, Kuvicek“, sagt der Kroate. „Wirst du mich auch diesmal retten, wie damals vor dem Tod?“ „25 Jahre ist es her. Und wir kennen nur Krieg. 25 Jahre davor kannten wir auch nur Krieg. Du bist im Krieg geboren, ich habe als Kind erlebt, wie der Abschaum, du weißt von wem ausgerüstet und finanziert, in unser Land einfiel“. „Unser Land?“ „Die Highice ist das Land all derer, die sich zurecht edel nennen“, sagt der Kroate. „Mehr Völker als Einwohner“, lacht Kuvicek, „und wir kennen nur zwei Rassen: die Dezenten und die Indezenten“. Der Kroate schaut auf das regenlose Novembergrau und macht einen Vorschlag: „Sprich dich dafür aus, die Indezenten mit Heiterkeit zu vertreiben. Lass die Soldaten Musik spielen. Profane, respektlose Musik“.
Kuvicek trinkt einen Oatmeal Stout und geht zu den Journalisten. „Es handelt sich doch um eine Vertreibung?“ fragt einer nach. „Also gerade handelt es sich um mein zweites Bier heute Morgen“, sagt Kuvicek und lässt sich einen zweiten Stout bringen. „Sollen diese Leute im Winter da draußen erfrieren?“ Kuvicek zündet eine Zigarre an und sagt: „Die Abschiedshallen in Akeriki sind warm und da gibt es kein Ungeziefer, das sind doch anständige Bedingungen für die Vorbereitung der Rückreise nach Tegusziltea“. „Die Stadt ist nach dem Vulkanausbruch in diesem Jahr fast vollkommen zerstört!“ „Vulkanausbruch, das hört sich doch gar nicht so kalt an“, stellt Kuvicek fest. „Sie sind ein Clown“, spottet ein Journalist, „Sie werden die Bürgermeisterwahlen niemals gewinnen“. „Gegen den Plan des Alten, eine ruhige Kugel zu schieben, kann man nicht gewinnen. Andereseits kann es nicht schwerer sein, als das Konzentrationslager von Tegusziltea zu überleben“.


III. Cagacca


Kuvicek hatte sich zumindest physisch nach drei Jahren erholt, nun lag er im Dreck vor der Stadt Cagacca, und schoss im Novemberregen als Scharfschütze scharf. „Den Feind nicht entmenschlichen“, riet er einem Neuling. „Bevor du schießt, denk dir eine Geschichte für ihn aus“. „Ja, Sir. Dieser da, mit der roten Mütze, ist 39 Jahre alt, in Acagama geboren, hat eine ältere Schwester, ist Musiker und unterrichtet an den Musikschule von Bianna. Er mag dunklen Rum und steht auf vollbusige Frauen aus der Karibik“. „Sehr gut“, sagte Kuvicek, „und jetzt...“ Der Schuss fiel, der Mann wurde am Hals getroffen, er griff sich an die Halsschlagader, aus welcher Blut spritzte, fiel erst auf die Knie, und dann zu Boden. „Bisher ist unsere Quote 13:1“, stellte Kuvicek fest. „Unsere Division aber tötet 17mal mehr Schurken, als sie Soldaten verliert. Schaffen wir 20:1 bis zum Kriegsende?“ „Ja, Sir“.
„Wer bist du?“ fragte das dicke Schwein. „Mein Name ist...“ Kuvicek bekam einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf. „Ich bin nicht wer, ich bin was, lautet die Antwort. Was bist du?“ „Eine Kakerlake?“ lachte Kuvicek. „Werde bloß nicht zynisch“, drohte das dicke Schwein. Du bist in der Tat eine Kakerlake. Wer ist deine Königin?“ „Ich weiß es nicht. Ich hoffe, Persephone ist noch die Königin“. „Und ich hoffe, dass Lxiour gefallen ist, und dass wir nächsten Sommer frisches Fickfleisch bekommen“. „Sind Sie zu dick, um mitzukämpfen? Wer zuerst kommt, fickt zuerst, oder?“ Das dicke Schwein schaute etwas frustriert zu Boden, stieß dann Kuviceks Fressnapf um und sagte: „Icepool ist die Hauptstadt, bis wir Icepool einnehmen, werde ich zum General befördert, und bekomme das Erstfickreckt für eines der schönsten Mädchen im Schloss“. Er pisste auf den am Boden gefesselten Kuvicek und ließ sich aus dem KZ hinaus begleiten. „Er denkt, Icepool sei die Hauptstadt“, dachte Kuvicek, „er hat den Zugriff auf Geheiminformationen auf höchster Ebene. Sie wissen gar nichts“. Er schlief ein, und dachte daran, wie er sich vor 3 Jahren, mit 16, zum Kriegsdienst gemeldet hatte.
„Meine Motivation ist, zu töten. Ich will alle töten, die uns angegriffen haben. Wir haben ihnen nichts getan, sie haben uns aus unserer Heimat vertrieben. Wir haben in vier Generationen eine neue Heimat aufgebaut, jetzt kommen sie wieder her. Sie sind Vampire, Parasiten. Der Krieg muss ihre Vernichtung zum Ziel haben“. „Fein gesprochen, junger Mann, aber Sie sind doch erst vorige Woche in dieses Land eingewandert“. „Es war vom ersten Augenblick an mein Land. Mein Vater wollte hier der Verfolgung entkommen, meine Mutter denkt, dass es hier für meine kleine Schwester sicherer ist als in Grevoius“. „Warum ist Ihre Familie überhaupt in diesem Teil der Welt?Was haben Ihre Eltern in Grevious gesucht?“ Was hätte Kuvicek sagen sollen? Seine Mutter hatte in der ursprünglichen Heimat seinen Vater bei der Polizei heimlich angeschwärzt, um ihn zum Auswandern zu zwingen. Die Frau selbst wollte kleine Mädchen foltern, nachdem Fignieuws Truppe Icepool einnimmt, sie war sexuell pervers, und wusste, dass die Allianz Schurken aus der ganzen Welt zur Hilfe gerufen hatte, um angebliche Tempel mit angeblichen reinen Mädchen zu erobern, und wollte eben auch ihre Träume leben. Was hätte Kuvicek tun sollen? Er verriet seine Eltern, sie wurden verhaftet, und als der Missbrauch seiner kleinen Schwester bekannt wurde, wurden sie zum Massenfleischwolf verurteilt.
Pisse trinken, in Scheiße einschlafen, Löcher graben, Leichen entsorgen, etwa acht Monate verbrachte Kuvicek im KZ von Tegusziltea, in welches jeder gefangene Soldat kam, der sich weigerte, ein Kind zu ficken, um zu zeigen, dass er die Seiten gewechselt hatte. Die Indecents hatten im Umdrehen von Gefangenen keinen großen Erfolg, aber die Decents hatten auch keinen, denn es gab nicht diesen einen Persönlichkeitstest, der beweisen konnte, dass ein Satansdiener zu einem guten Menschen wurde. Die Tat zählte, die Reue wurde als das genommen, was sie war, als erbärmliche Lüge, um ein wertloses Leben zu retten. Bevor Kuvicek nach seiner Genesung wieder an die Front fuhr, beobachtete er eine öffentliche Fleischwolfhinrichtung in Lxiour: auf einer Rutsche wurden nacheinander nackte satanische Verbrecher in eine eiserne Wanne mit 5 Meter hohen, 60 Grad steilen Wänden befördert, und unten war ein rundes Loch, das gerechte Ende ungerechten Lebens. Das Fleisch kam ordentlich gepresst wie aus einem kleinen Küchenfleischwolf, wurde in Zisternen abgefüllt und später an Schweine verfüttert.
„Wir unterscheiden, das ist der Unterschied“, belehrte Kuvicek einen jungen Soldaten in den Schützengräben vor Cagacca. Sie wollen alle unterschiedslos vergewaltigen, foltern, morden. Wir jagen satanische Verbrecher, also Vergewaltiger und Foltermörder, durch den Fleischwolf, enthaupten die Schwerverbrecher, und lassen Kriegsgefangene ihre Todesart würdevoll selbst wählen. Sie kämpfen, um zu vergewaltigen und zu töten. Wir töten, damit sie es nicht können“. Es ist Anfang Dezember, die Wahl ist in zwei Monaten. Kuvicek pisst und betrachtet seinen Psssstrahl. Wie oft wurde ihm im Lager in den Mund gepisst. Kuvicek sieht eine Spinne in der Ecke und bringt sie in die Gartenscheune. Er denkt an das dicke Schwein, dessen Spur sich im Nebel des Krieges verloren hatte.
 

IV. Weihnachten 826

Lxiour ist, und seit einiger Zeit versperrt, das Tor zur Ninvernaix für die südöstlich gelegene Ebene von Niihi. Lange vor der Vertreibung der Dezenten aus dem Bianna-Tal siedelten die Inier hier, und nahmen Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern und Anlässen auf, welche die Städte Akeriki, Sophitia und Houdaillebergen gründeten. Nach der Vertreibung verzichteten die Vertriebenen auf einen Rachekrieg und bebauten zusammen mit den gastfreundlichen Iniern das neue Land, doch vier Generationen später war auch bis ins Tal von Bianna durchgedrungen, dass hier etwas Großes und Edles zusammenwuchs. Durch Boykotte und Embargos, Erpressungen und Handelskriege versuchte die Allianz der Indenzenten, das neue Land in die Knie zu zwingen, und Ende 780 wurde aus einem unerklärten Krieg ein erklärter. Allein die Stadt Vidal bezahlte 180000 ausländische Söldner, denen schöne Mädchen versprochen wurden, die man in der Ninvernaix verortet hatte. 788 wurde schließlich die Ninvernaix überrannt, aber die schurkischen Legionen haben keine Mädchen gefunden. Da es zunächst genug zu plündern gab, bereicherten sie sich, und die kleinen Widerstandsherde an den Rändern der Ninvernaix bereiteten ihren Generälen keine schlaflosen Nächte. Hinter Adelaide in den Bergen, da gibt es nur Klöster und Mönche, so die Geheimdienstinformationen. Keine Stadt war auch nur annähernd so groß wie das eroberte Finstern, das sich zu seiner Blütezeit zwischen 737 und 788 auf eine Bevölkerungszahl von 424000 Einwohner verdoppelte. Akeriki mit 290000 und Adelaide mit 229000 gaben ebenfalls viel zu plündern her, doch vor allem Adelaide wurde zunehmend zur Todesfalle, und bereits 792 von den Eindringlingen gesäubert. Die Kämpfe in der Ninvernaix dauerten noch 10 Jahre, bis die Dezenten die Eindringlinge vertrieben hatten, und zur Gegenoffensive übergingen. Angesichts der inhumanen Natur des Feindes wurde eine neue Generation erbarmungsloser Killer geschmiedet, der auch Kuvicek angehörte. Am Weihnachtstag des Jahres 826 sitzt er, aussichtsarmer Kandidat für den Bürgermeisterposten in Finstern, in einer Kneipe, und trinkt englische und schottische Stouts.

„Herr Kuvicek, der Krieg ist mehr als 15 Jahre her, keiner erinnert sich mehr daran, was hier auf den Straßen los war. Alle reden von Vertreibung, die Indezenten, die hier noch leben, sind angeblich alle Zivilbevölkerung“, bemängelt der Barkeeper. „Als ich im Lager war, wurde ich von der Zivilbevölkerung gefoltert. Die Militärs haben das Lager nur überwacht. Es war vorgesehen, mindestens eine Million von unseren Leuten dort zu vernichten“. Einige hörten zu, es waren Veteranen dabei. „Habt ihr denn sie alle umgebracht?“ fragte ein Offizier, und Kuviceks Antworet brachte ihn auf die Siegesspur: „Ich gehe davon aus, dass viele KZ-Leute aus Tegusziltea sich als Kriegsfüchtlinge hier eingeschlichen haben. Zum Beispiel das dicke Schwein, das ich seitdem nicht mehr gesehen habe. Wir haben unmittelbar nach dem Krieg viele von denen aufgenommen, bis ihre Länder wieder sicher sind. Aber die haben nach dem verlorenen Krieg angefangen, sich gegenseitig zu zerfleischen, und die Zivilbevölkerung ist zu uns geflüchtet. Die Dezenten von ihnen können gern hier bleiben, die Indezenten müssen die Konsequenzen ihrer Entscheidungen tragen“.

„Ihr werdet den Krieg verlieren!“ lachte das dicke Schwein. „Ihr seid anständig, ihr tötet Unbewaffnete nicht, ihr lasst die Feindesbevölkerung nicht verhungern. Ihr helft denen, die euch vernichten wollen. Ihr füttert die Bestie, die euch fressen will“. „O nein, Sie Schwachkopf, wir filtern, wir sortieren, wir sorgen dafür, dass die Guten zu uns rüberwandern, und wir endlich ohne geringste Rücksicht auf die Bösen losschlagen können“. „Träum weiter, du Kakerlake! Sieh dich an, wie hilflos du bist, kein Wunder dass du deine Machtphantasien hast. Kommt her, Leute, er hat lange nicht geduscht, holt eure Pümmel raus“. Sie mussten ihn einfach anpissen, es war zum Ritual geworden. Doch keine Pisse, keine Schläge, keine Elektroschocks machten ihn zum Kinderschänder. Er weigerte sich, überzulaufen, und dies mit einer Kindesvergewaltigung zu besiegeln. Er nahm seinen Tod in Kauf, wie sehr er auch leben wollte: leben, und erleben, wie sie alle in ihre wahre Heimat deportiert werden, in die verdammte Scheißhölle, wohin denn sonst.


V. Mai 804

Hundert Kilometer nördlich von Vidal erhöht sich das Iniische Gebirge, wo die Breiten ohnehin sehr kalt sind. Vereinzelt flüchteten dorthin feindliche Soldaten und Söldner, Suchtrupps wurden geschickt, um diese entweder zu vernichten oder zu eliminieren. Von da an war der Dienst für Kuvicek langweilig. Mit einem Kameraden, der etwas älter war, und aufgrund vieler Kriegsverwundungen nicht mehr so wendig, suchte er in den Nadelwäldern nach Schurken. Im regenreichen Mai ruhte er sich in einer Waldhütte aus, als drei ausländische Söldner seinen Kameraden vor der Hütte überwältigten und fesselten. Kuvicek kam mit drei Bier raus, und sagte, er sei einer von ihnen, wonach er sie überwältigte und in der Hütte fesselte. „Ich komme aus dem Osten“, sagte Kuvicek. Einer von den Söldnern, der Deutsche, sagte: „Wir sind auf derselben Seite, wie soll ich es dir bewesen?“ „Warum willst du es mir denn beweisen?“ fragte Kuvicek. „Wenn es war wäre, müsste es nicht beweisen“, fügte er philosophierend hinzu. „Warum bist du hergekommen?“ fragte ein anderer Söldner, der Araber. „Aus dem selben Grund wie du, schätze ich“, sagte Kuvicek. Er fesselte seinen Kameraden und fragte die Söldner: „Was soll ich mit ihm machen?“ „Heißes Wasser ins Maul gießen!“ freute sich der Dritte. Daraufhin überbote sich die Söldner gegenseitig mit dem Folter- und Tötungsvorschlägen, während Kuvicek Bier trank und zuhörte. Schließlich offenbarte er seine tatsächliche Religionszugehörigkeit: nicht Satanismus, sondern andersrum. Der perversteste Vorschlag des Deutschen war asiatischer Natur, der Araber wollte Kuviceks Kameraden durch eine christliche Tötungsart sterben sehen, der dritte Söldner wollte ihn im Keller verhungern lassen. Und nun musste jeder das erleben, was er dem vermeintlichen Ermördüngling gewünscht hatte. Kuvicek tat allen drei das Gerechte an, gähnte aber nur dabei, den er war völlig frei von sadistischen Phantasien. Stattdessen dachte er an diesem Abend zum ersren Mal dabei, nach dem Krieg in die Politik zu gehen.

Das Kriegsgefangenengefängnis von Lxiour ist ein dunkles, hartes Loch. Es ist ein tiefer Kellerverlies, jederzeit bereit, mit Stauseewasser geflutet zu werden. Wäre Lxiour zu irgendeiner Zeit eingenommen worden, wäre der Wasserschalter betätigt worden, und alle Kriegsgefangenen wären ertrunken. In diesem Loch sitzen Schurken ein, deren Greueltaten noch nicht oder nicht eindeutig eine Hinrichtung rechtfertigen, die aber zu gefährlich sind, um sie freizulassen. Besonders in Kriegszeiten will man ja nicht, dass ein bereits gefangener Feind eine zweite Chance bekommt. Im ersten Jahr betete Depstem täglich, im zweiten Jahr zählte er die Kakerlaken und Spinnen, im dritten Jahr wichste er bis zu zwanzigmal am Tag, um durch den Orgasmus der Realität für Sekunden zu entkommen. Es ist dreckig und außer Bücherleserei ist keine Beschäftigung erlaubt. Für Vergünstigungen wie etwas mehr Licht oder Wärme muss der Gefangene mit nützlichen Informationen rausrücken, wer am Verreckenist, bekommt nur dann einen Arztbesuch, wenn er einen freilaufenden Terroristen verrät. So lebte Depstem die ersten vier Jahre den Umständen entsprechend luxuriös, ab dem fünften Jahr hatte er nichts mehr zu singen, und verlor im dunklen Loch langsam den Verstand. Viele leben in der Hoffnung, eines Tages befreit zu werden, Verwandte wiederzusehen, alle dort drin sind abergläubisch, deuten Zeichen an der Wand, den Kakerlakenverkehr, die Spinnenkunst, um den Tag der Befreiung zu erdeuten. Es ist ein hartes Gefängnis für Menschen, die eindeutig und unrealtivierbar Böses tun wollten, doch beim Versuch scheiterten. Wer dieses Gefängnis öffentlich mit dem KZ von Tegusziltea vergleicht, bekommt eine Freiheitsstrafe. Kuvicek spricht sich Anfang Januar 827 im Wahlkampf dafür aus, dass die Hetzer und Lügner ihre Freiheitsstrafe im Kriegsgefangenengefängnis von Lxiour verbüßen sollen.

„Herr Kuvicek, Sie haben freiwillig einen Monat im Kriegsgefangenengefängnis von Lxiour gelebt. Wozu?“ fragt ein neugieriger Journalist. „Weil ich eine PTSD-Phase hatte, und eine Umgebung suchte, die hilfreich war, um die Erlebnisse im KZ von Tegusziltea zu verarbeiten“. „Also kann man doch dieses Gefängnis mit dem KZ vergleichen?“ „Ich meinte nicht das Gefängnis, ich meinte die Insassen. Ihre Stimmen, ihre Gespräche, ihr ganzes Wesen: all das erinnerte mich an die Unmenschen von Tegusziltea, aber ich wachte jeden Morgen auf und stellte fest, dass ich zu essen bekomme, dass mir keiner ins Maul pisst, und auch keiner zu seinem Vergnügen mit perversesten Folterpraktiken droht. Als jener Monat zu Ende war, hatte auch mein Unterbewusstsein begriffen, dass sie mir nichts mehr tun können“. Der weißhaarige nordisch-isländische Militärarzt tritt Mitte Januar aus dem Wahlkampf mit den Worten aus: „Ich habe in meinem Leben nur Bücher gelesen und Kranke versorgt. Ich habe nicht die Realität gesehen, die Kuvicek gesehen hat. Erst wenn wir diese Realität vollständig unterworfen haben, können wir uns erlauben, in Träumen zu leben. Solange das Grauen real ist, wählt Kuvicek“.


VI. Bürgermeisterwahl 827

An einem sonnigen Tag Ende Januar fegt Kuvicek eine der abseitigen Gassen der Stadt. „Wenn es nötig ist, werde ich alle Straßen der Stadt fegen“, lautet sein Wahlkampfstatement. Mit 28% der Stimmen ist Kuvicek einer der drei führenden Kandidaten. In Führung liegt ein junger Kulturfreak, Professor mit knapp 30, ultrakonservativ, MGTOW, sexualfeindlich. Kuvicek trinkt zwei Stouts und holt seinen alten Kameraden, der die Waldhüttengeschichte vom Mai 804 öffentlich macht. Der junge Professor wurde in jenem Jahr im wohlbehüteten Lile eingeschult. Der andere aussichtsreiche Kandidat, ein Chinese Mitte 50, rügt Kuviceks angebliche Alkoholsucht. Kuvicek antwortet: „Bei FIFA99 gibt es eine Mannschaft mit dem Stürmer Chianese. Chinese, lache ich immer, wenn er bei mir ein Tor schießt“. Anfang Febuar, zwei Tage vor der Wahl. Kuvicek betrinkt sich in einem Lokal im Ghetto, setzt sich zu zwei jungen Männern an den Tisch und fragt: „Wo kommt ihr her?“ „Albanistan/Afghanien“, antworten sie gleichzeitig. „Und was sucht ihr hier?“ „In Bianna haben die gesagt, geht weiter nach Westen“. „Ja, und in Vidal sagten die, hier verhungert ihr, aber dort in der Ninvernaix gibt es alles umsonst“. Kuvicek lacht: „Und doch hat keiner euch hierher eingeladen. Habt ihr für dieses Land gekämpft?“ „Nein, wir haben gegen dieses Land gekämpft“, lautet eine ehrliche Antwort. „Wir wurden für einen neuen Angriff rekrutiert“. „Und Takawira hat die Söldnertruppe vernichtet, bevor ihr euch anschließen konntet“. Das ist keine zwei Jahre her, und doch sitzen die hier und trinken Bier. „Wir haben die Dezenzprüfung gemacht und warten auf Ergebnisse“, sagt der eine stolz. „Ich habe schon beim IS für die Bösen gekämpft, jetzt will ich endlich für die Guten kämpfen“, sagt der andere.

Der Tag der Wahl. Kuvicek duscht, frühstückt, will ein Bier trinken, hat aber Kopfschmerzen, nimmt Ibuprofen, trinkt zwei Stouts und geht am Fluss spazieren. Mit 13 fing der kecke Jan an, Fussball zu spielen, und sein Traum war, Profifussballer zu werden. Sein Urgroßvater sah den wiedergekehrten Jan Hus in ihm, sein Großvater den Jan Žižka, der Junge selbst hatte andere Idole. Er köpfte und lupfte, machte spektakuläre und kuriose Tore, seine neun Jahre jüngere Schwester war sein größter Fan. Mit 15 war er auf dem Weg, in einem Jugendteam für Tschechien zu spielen, aber seine Eltern dachten auf einmal ans Auswandern, und zwar nicht irgendwohin, sondern in eine verborgene Welt im Norden Kanadas, wo vor 180000 Jahren das legendäre Inii war. Es gab einfach zu viele Verschwörungstheoretiker im Bekanntenkreis, und besonders für die pädophile Mutter wurde das Land mit den schönsten Schneeelfenfeenmädchen zur Wahnidee. Als das Schiff anstatt der vereisten Baffininsel eine bewaldete Küste ansteuerte, da staunte Jan, und wollte die neue Welt kennenlernen. Aber es war Krieg, und das Böse rekrutierte Freiwillige aus schlechteren, aus minderwertigen Dimensionen, um diese Welt zu erobern. Ein Fussballer wurde Kuvicek nicht, aber ein Bürgermeister.

„Sie haben die absolute Mehrheit mit mathematisch ausgedrückt 53,3% der Stimmen erreicht. Sie sind der gewählte Bürgermeister von Finstern. Bisher haben Sie sich noch nicht zu Ihrem nicht vorhandenen Wahlprogramm geäußert; angesichts dessen, dass sie nun auch ohne Wahlprogramm Bürgermeister sind, wollen Sie vielleicht an dieser Stelle mündlich ihr Programm formulieren, um den Bürgern dieser Stadt auch verbal zu sagen, was Sie schriftlich noch nicht mitgeteilt haben?“ „Ich will eine Flasche Oatmeal Stout“, sagte Kuvicek und bekam sein Bier. Als die Journalisten verwundert dreinsahen, da zitierte er einen Philosophen: „Was gut ist, versteht sich von selbst“. Er trank das Bier aus und setzte nach: „Und das Gute werde ich tun, und zwar nicht morgen oder in einem Jahr, sondern jetzt“. Am nächsten Tag meldeten sich 20000 Freiwillige für ehrenamtlichen Dienst bei der Polizei von Finstern. 







Anmerkung von Terminator:

Geschrieben an einem einzigen Septembertag 2018, einmal fürs Fitnessstudio pausiert.

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