2001

Tagebuch zum Thema Leid

von  Terminator



Januar 2001


...die schweren Ketten falsch verstandener Güte. Ich begann, in grässlichen Gedichten meinen bevorstehenden Suizid zu rechtfertigen. Ich wurde unfreiwillig in die Welt gesetzt, ich wollte niemals eine solche Welt, ich bin keinem etwas schuldig, habe niemandem etwas weggenommen, - alles richtig, alles Geschwätz, denn solange Gott noch thronte, konnten keine Taten folgen.



Februar 2001


Heute sei der Konformitätsdruck viel größer [als in der Nazizeit], und dazu noch eine scheinheilige Verlogenheit, die einen ohne Scheiterhaufen verbrenne und ohne Gaskammer vergase: die [narzisstische] Gesellschaft als Seelenvernichtungsmaschine.



März 2001


Großes Leid macht Freunde aggressiv, sie stehen dir nicht mehr bei, sie brechen nur noch Stäbe über dir: sie sind ja nicht blöd, und wissen, wie gigantisch der Stein auf deinen Schultern ist, und dass sie bei ernsthafter Hilfsbereitschaft bereits von einem kleinen Stückchen des Steins in den Boden gerammt werden würden.


Alles Große musst du allein machen, dafür gehört es am Ende ganz allein dir.



April 2001


Wo jeder normale Mensch sich längst den Drogen hingegeben hätte, von der Hoffnungslosigkeit in die Kriminalität geflohen wäre, oder sich eine andere Art der Selbst- und Weltzerstörung gesucht hätte, war ich immer noch konstruktiv.


Ich wollte meine Probleme ja lösen, aber es waren zu viele auf einmal, und sobald diese lustige Situation eintritt, dass du zwar mit aller Kraft, aus letzter Kraft versuchst, aber dir misslingt, du nur Verurteilungen zu erwarten hast. Auf Hilfe kannst du zählen, wenn es bemerkbar wird, dass du die Kurve gekriegt hast.



Juli 2001


Wären nur die Alpträume nicht. Ich könnte mich für eine reale Person halten, und wäre dabei in einen Freddy-Krueger-Film eingesperrt. Es ist die Allmacht des Bösen, nicht der Clown mit dem Messerhandschuh, - vor dieser metaphysischen Option hatte ich bereits als Kind eine nicht unerhebliche Angst. Nun ist alles Gute aus der Welt gewichen - man weiß gar nicht mehr, was man zu feierlichen Anlässen wünschen soll - , aber das Böse ist immer noch evident: selbst der konsequenteste moralische Nihilismus, dem jede Tat und Untat gleich ist, kann den selbstevidenten Ekel widerlegen noch relativieren. Ist es vielleicht der Ekel, der verlorenen Seelen in der Dunkelheit leuchtet, und selbst Gottesferne von der Hölle wegstößt?



September 2001


Seit fast einem Jahr ist Schlaf das einzig Gute, was ich vom Leben noch habe. Die Ekelträume mobben mich nun aber förmlich ins Jenseits.


Ich mag das Leben, die Lebewesen, die Lesben, das Lesen, das Lernen, das Lehren, - aber es gibt nunmal kein Richtiges im Falschen. Alles, was ich an Gutem hätte tun können, wäre vom Bösen aufgefressen worden. Also verlasse ich die Französischdoppelstunde in der Halbzeitpause richtung Brücke, um meinem Leben ein Ende zu setzen. Ich habe keine Angst vor dem Tod, denn ich fliehe vor nichts, ich habe meine Entscheidung bewusst getroffen und gut durchdacht. Ich will lange sterben, ich will es erleben, wie das Leben aus mir weicht. Unter der Brücke steht ein komisches Auto, draußen nieselt es, ich verliere die Geduld und fahre heim. Morgen, am Mittwoch dem 12., ist auch ein guter Tag, sich umzubringen. Am Nachmittag schalte ich den Fernseher ein: es scheint etwas passiert zu sein.



Dezember 2001


Intelligenz und Güte ist nunmal keine allzu mörderische Kombination. Wäre ich bloß nicht bloß intelligent gewesen, sondern ein wahres Genie, und dabei sehr gern auch ohne Güte, ja ein Ausnahmegenie, und dafür so richtig böse, ich hätte es ihnen gegeben, ich sags dir! Aber wem nur? Es gab ja keine richtigen Feinde, die mich aus Bosheit zu Fall gebracht hätten: es gab höchstens Parasiten, die von meinem täglich Leid feige profitiert hatten, aber völlig machtlos waren, als ich mich wieder aufrichtete, und weiter meinen Weg ging.




Anmerkung von Terminator:

Nichts (13.8.2001)


Ich glaube.
Ich bin voller Hoffnung.
Ich bin offen für alles,
Doch in der Mitte ist das Nichts.

Die Mitte durchtrennt etwas,
Was auch immer das ist.
Ich warte auf das Jüngste Gericht.
Ich hoffe auf das ewige Leben,
doch was, wenn:
Kein ewiges Leben, kein Tod;
Kein Himmel, keine Hölle;
Keine Auferstehung, keine Wiedergeburt;
Kein Gott, kein Teufel;
Kein Gut, kein Böse.

Wer sich bemüht, etwas zu erreichen,
Was auch immer das ist,
Läuft ununterbrochen
von einem Extrem ins Andere.
Doch am Ende der Extreme ist die Mitte.
Die Mitte ist das Nichts.

Das Ende verbindet etwas:
Die Hoffnung mit der Wirklichkeit,
Den Wunsch mit seiner Erfüllung,
Die Wahrheit mit der Lüge.

Wir warten alle auf das Ende,
Aber das wirkliche Ende ist die Vollendung;
Die Vollendung ist die Einheit;
Die Einheit ist die Mitte,
Doch in der Mitte ist das Nichts.
Kein Nichts.

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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (09.01.24, 12:52)
"Im Walde
Aber in Hütten wohnet der Mensch, und hüllet
sich ein ins verschämte Gewand, denn inniger
ist achtsamer auch und daß er bewahre den Geist,
wie die Priesterin die himmlische Flamme,
dies ist sein Verstand.
Und darum ist die Willkür ihm und höhere Macht
zu fehlen und zu vollbringen dem Götterähnlichen,
der Güter gefährlichstes, die Sprache dem Menschen
gegeben, damit er schaffend, zerstörend, und
untergehend, und wiederkehrend zur ewiglebenden,
zur Meisterin und Mutter, damit er zeuge, was
er sei geerbet zu haben, gelernt von ihr, ihr
Göttlichstes, die allerhaltende Liebe."

(Hölderlin)
"Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch".
(ders., Patmos)
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