Putins Realitätsverlust

Bericht zum Thema Aktuelles

von  Terminator

Putin hat als Präsident eines souveränen Landes das Recht zu sagen: "Vergesst nicht, wir sind eine Atommacht. Wenn ihr euer Militärbündnis trotz gegenteiliger Zusicherungen bis zu unseren Grenzen erweitert, werden wir angemessen reagieren". Die Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk ist jedoch keine angemessene Reaktion. Dieser Schritt lässt etwas vermuten, das ich seit ein paar Jahren befürchtet hatte.


Putin agiert nicht mehr, er reagiert. Und er reagiert nicht im Interesse Russlands, sondern wie ein emotional angeschlagener Autokrat, der zu viel Macht hat, als dass zwischen seinen irrationalen Impulsen und politischen Entscheidungen eine Filterinstanz Platz haben könnte. Nawalny hat Putin anscheinend gebrochen. Er ließ sich von keiner Schikane beeindrucken, publizierte direkt nach seiner Verhaftung, die auf einen kriminellen und dann auch noch missglückten Giftanschlag folgte, ein Youtube-Video, das den Autokraten lächerlich machte.


Putin hat wahrscheinlich vor wenigen Dingen Angst. Aber er hat große Angst vor Lächerlichkeit, er nimmt sich selbst zu ernst. In den letzten zwei Jahren wurde er immer verbitterter. Putin hat alles, was er begehrt, nur das, was er wirklich will, lässt sich weder mit Geld kaufen noch durch Macht erzwingen: Respekt. Putin fühlt sich von seinem eigenen Volk nicht mehr ernst genommen und von seinen westlichen "Partnern" nicht respektiert.


Stalin hatte kurz vor seinem Tod das Politbüro davor gewarnt, die SU als Semiperipherie in das kapitalistische Weltsystem zu integieren (wahrscheinlich nicht mit den Worten Wallersteins, aber sinngemäß genau davor). Die Politik der friedlichen Koexistenz unter Chruschtschow und Breschnew bedeutete genau das, und verursachte letztlich den Zerfall der UdSSR. Der Westen hat weder die Sowjetunion besiegt, noch ist er an ihrem Zerfall schuld.


Putin will sich für diese "geopolitische Katastrophe" aber rächen. Natürlich haben die NATO-Länder der sich auflösenden Supermacht unter Gorbatschow versprochen, das Militärbündnis nicht nach Osten auszudehnen, doch es war schon damals abzusehen, was dieses Versprechen wert war. Wer nicht auf Augenhöhe spielt, darf nicht erwarten, ernstgenommen zu werden. Das Machtvakuum nach der Auflösung der UdSSR wurde von den USA ausgenutzt, ein normaler geostrategischer Vorgang.


Im Interesse Russlands wäre ein taktischer Rückzug, und zwar schon vor Jahren. Russland ist das flächengrößte Land der Welt, und als Atommacht der NATO wieder ebenbürtig. Ein Angriff der USA auf Russland wäre selbstmörderisch, Russland droht nichts. Die Sinatra-Doktrin sollte weiterhin gelten; Russland hätte viel Sympathie im postsowjetischen Raum gewonnen, wenn es die früheren Unionsstaaten in ihren freien Entscheidungen unterstützt hätte, anstatt sie militärisch zu bedrohen und ihrer Demokratisierung entgegenzuwirken.


In seiner allerersten Amtszeit tat Putin genau das Richtige, doch er bekam zu schnell zu viel Macht, und richtete sich in seiner eigenen ideologischen Blase ein. Die USA waren unter dem späten Bill Clinton und G. W. Bush dabei, ihr globales Ansehen zu zerstören. Hätte Russland sich taktisch zurückgezogen, um sich nach der Transformationszeit zu konsolidieren, hätte die Welt der mörderischen Bande, zu der die einzige verbliebene Supermacht degeneriert war, bei der politischen Selbstzerstörung zugesehen. Als ein starkes Mitglied einer multipolaren Welt, die sich Putin angeblich schon immer gewünscht hatte, hätte Russland zusammen mit Frankreich, Deutschland und Japan eine wahre Achse des Guten gegen die verbrecherischen Aggressionen der USA bilden können. Doch die Voraussetzung dafür, eine demokratische Zivilgesellschaft, hat Putin selbst zerstört. Der Westen war nicht schuld am Zerfall der Sowjetunion, und er ist heute nicht daran schuld, dass Russland zu einer zynischen Autokratie degeneriert ist.


Putin ist, wie Schröder, Merkel und Scholz, wie Clinton, Bush, Obama, Trump und Biden, wie Sarkozy, Hollande und Macron, für sein Amt zu klein. Der Unterschied ist, dass das politische System in Russland nicht die Möglichkeit hat, seine Fehler in ihrer Tragweite zu begrenzen, da er alle wichtigen Entscheidungen allein trifft. Ein Ewigbeleidigter, Missverstandener, Verbitterter als Machthaber einer nuklearen Supermacht, das ist das Worst-Case-Szenario in einer technologisch hochgerüsteten Welt. Gegen die kulturelle und soziale Ultradekadenz des Westens werden seine Bürger durch robuste demokratische Institutionen geschützt; dieser Verfall geschieht langsam, er ist nicht unaufhaltsam. Gegen irrationale Amokläufe von Autokraten mit Atomwaffen ist die Mitwelt machtlos. Putin sollte sich seinen Vorgänger Jelzin als Vorbild nehmen und heute noch im Staatsfernsehen verkünden: "Ich bin müde, ich trete zurück".


Es sei denn, Putin weiß etwas, was wir alle nicht wissen, weil wir es nicht wissen können, und tut jetzt genau das Richtige. So erratisch und launisch, wie er sich gerade verhält, ist eher davon auszugehen, dass er aus oben genannten Gründen das Falsche tut.


22.2.2022. Nach der Anerkennung der "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk.


24.2.2022. Nach Putins Überfall auf die Ukraine.


Heute wurde der Westen eingeholt. Die Arroganz der letzten Jahrzehnte rächt sich. Putin ist in diesem Strafakt der Geschichte nicht der Gute, denn er greift nicht die USA an, sondern die Ukraine. Die Ukraine hat keinen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien, Irak, Libyen und Syrien geführt, sie hatte nur das Unglück, sich geographisch zwischen Russland und dem Westen zu befinden. Russland hatte als autoritär regierte durch und durch korrupte Kleptokratie der Ukraine kein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell anzubieten, also entschied sich das ukrainische Volk für die westliche Lebensart.


Seit ca. 1,5 Jahren verliert Putin den Bezug zur Realität, und das russische Volk hat keine Möglichkeit, ihn abzuwählen. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Russland werden seit 2000 vorsichtig manipuliert, die letzten Wahlergebnisse sind fast komplett willkürlich ausgedacht. Russland ist Geisel eines Wahnsinnigen (und seiner Clique aus kriminellen "Oligarchen"), die Ukraine ist Objekt des Machtkampfs mit der NATO. Der Westen verdient eine harte Antwort für seine Politik der letzten Jahrzehnte, doch der Angriff auf die Ukraine ist die falsche Antwort. Das Geschrei von einem "Krieg in Europa, erstmals wieder seit 1945" ist verlogen, denn die NATO führte bereits 1999 einen Krieg in Europa.


Der Westen ist moralisch bankrott. Seine Politik seit 1991 trägt große Mitschuld daran, dass sich Autokraten wie Putin und Erdogan auf der Weltbühne behaupten konnten, im Windschatten US-amerikanischer Aggressionen, die Zerstörung und Chaos hinterließen. Nun endlich selbst mit Gewalt konfrontiert zu sein, geschieht dem Westen recht, der Ukraine nicht. Auch Russland kann nach Putins einsamer Entscheidung nur verlieren. Kurzfristig werden die USA als Energielieferant Europas profitieren, mittelfristig China, das die Situation genau beobachtet, und die Schwäche des Westens ausnutzen wird.


Die USA werden Europa nicht verteidigen. Mit Glück werden sie in den nächsten Jahren das eigene Land vor Bürgerkrieg retten können. Wer nach Putin Russland regieren wird, muss bei der Ukraine viel wiedergutmachen. Möge er morgen damit anfangen, falls Putin über Nacht zur Vernunft kommt und zurücktritt (oder im Interesse Russlands gestürzt wird).



8.3.2022. Nach dem Scheitern des Blitzkriegs "Militärische Spezialoperation zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine".


Europa steht vor einer Wahl. Es kann sich als das Imperium der Lügen erweisen, als welches Putin es (zusammen mit den USA) in seiner Angriffsrede bezeichnet hat. Dafür muss nur weiter die Propaganda von der Alleinschuld Putins am Krieg Russlands gegen die Ukraine wiederholt werden. Es kann aber auch in einem Erdbeben der Wahrhaftigkeit sich von einem Imperium der Lügen lossagen, dessen Vassall es (schon 30 Jahre zu lange) immer noch ist: den USA.


Die USA gaben damals Saddam Hussein das Signal, sie würden nicht eingreifen, wenn er sein Nachbarland Kuwait angreift. Er griff an, die US-Medien begannen einen Imformationskrieg mit Gräuelpropaganda, und das US-Militär griff den Irak an. Fool me once, shame on you; fool me twice, shame on me. Sollte man meinen. Aber Hussein ist gleich zweimal hintereinander betrogen worden: erst wurde er dazu verführt, den Iran anzugreifen (erster Golfkrieg), und dann den Kuwait (zweiter Golfkrieg), und beides wurde für ihn zur Katastrophe (und für die USA großes Geschäft bzw. glänzender militärischer Sieg, beginn der Neuen Weltordnung). Und er ist sogar zum dritten Mal betrogen worden: er öffnete sein Land den UN-Inspektoren, um zu beweisen, dass er keine Massenvernichtungswaffen hat. Mit der Sicherheit, dass es nicht gefährlich sein würde, den Irak anzugreifen, griffen die USA an (dritter Golfkrieg).


Die USA sind das Zentrum des kapitalistischen Weltsystems. Das erklärt die unzähligen Machenschaften, die dieses Land zum Geißel der Menschheit machen. Doch die Tyrannen an der Semiperipherie: Hussein, Milosevic, und nun Putin, spricht das nicht von ihrer Schuld an ihren Angriffskriegen frei. Die USA haben Gorbatschow reingelegt, und trotz dokumentierter Zusicherungen, die NATO nicht bis an Russlands Grenzen zu erweitern, die NATO bis an Russlands Grenzen erweitert. Die USA haben Putin signalisiert: Die Sicherheitsgespräche werden zu keinem Ergebnis führen, und wir nehmen sogar in Kauf, dass du die Ukraine militärisch angreifst. In der Propaganda klang das so: Wir wissen, dass Putin einen Angriff auf die Ukraine plant.


Den Haag sollte nun seine Tore für die Verbrecher der Angriffskriege gegen Jugoslawien (1999), Afghanistan (2001) den Irak (2003) und Libyen (2011) öffnen. Diese Kriege hatten verschiedene Hintergründe, aber jeder von ihnen überschritt die Schwelle zum völkerrechtwidrigen Angriffskrieg (ob nun mit UNO-Mandat oder ohne). Auch Putin sollte in den Haag nicht vor verschlossenen Toren stehen bleiben, das Kriegsverbrechertribunal sollte ihn herzlich willkommen heißen.


Europa ist im Krieg. Wie von den USA geplant, wird es seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland kappen, und dadurch großen Schaden nehmen. Die USA befinden sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte, und werden versuchen, diese Krise auf Kosten Europas zu lösen. Deshalb muss in Europa eine Politik der Wahrheit beginnen. Europa darf sich nicht weiter hinter Narrativen und Kriegslügen verstecken, sondern muss in die Realität zurückfinden. Europa hat keine Feinde, es hat aber skrupellose (USA, Russland) und problematische Partner (China, Indien). Europa muss einerseits zwischen USA und China bzw. USA und Russland vermitteln, andererseits seinen eigenen Platz in der Welt als unabhängiger politischer Akteur und Konkurrent dieser Mächte finden.


Russisch-Mordor und Lügenimperium USA sind temporäre Escheinungen, diese Supermächte werden sich transformieren, und zwar zu bloßen Großmächten, weniger stark und weniger böse als bisher. Der totalitäre chinesische Überwachungsstaat und die Wundertüte Indien, die ihre dunkle Seite noch nicht gezeigt hat, weil noch nicht mächtig genug, sind nicht besser als die USA und Russland. Doch das sind nunmal die Machtblöcke auf diesem Planeten, willkommen in der Geopolitik. Europa kann den Anstoß dazu geben, die Regeln der Geopolitik fairer, humaner, win-win-artiger zu gestalten. Die USA und Russland spielen, wie schon im Kalten Krieg, ein Nullsummenspiel. Im Zeitalter der Nuklearwaffen hat ein Nullsummenspiel die Neigung, bei Eskalation zu einer Lose-Lose-Situation zu werden.


30.12.2023. Worst-Case-Szenario eingetroffen.


Die Anerkennung der ostukrainischen "Volksrepubliken" durch Putins Bande begrüßte ich mit einem Facepalm. Dass zwei Tage danach eine "militärische Spezialoperation" beginnt, hatte ich nicht für möglich gehalten. Ich dachte: Putins Strategie sei es, die Selbstzerstörung des Westens (die 2020-er also) abzuwarten und die Ukraine nur für EU und NATO beitrittsunfähig zu halten. Nach dem Bürgerkrieg in den USA ab 2024 und dem sich abzeichnenden politischen und ökonomischen Niedergang der EU würde er sich in einer stärkeren Verhandlungsposition wiederfinden und noch einmal das Ultimatum stellen, die NATO zu den Grenzen von 1997 zurückkehren zu lassen. Doch der überschätzte Autokrat erwies sich lediglich als Taktiker, nicht als Stratege.


Da die USA und die EU die Ukraine nicht gegen Russland verteidigen würden, hoffte ich auf einen schnellen unblutigen Sieg des Aggressors, denn die Alternative wäre ein sehr verlustreicher Krieg. Aufzugeben, und den baldigen Fall von Putins Regime abzuwarten, schien mir die klügste Strategie für die Ukraine zu sein. Auch so kann die Freiheit wiedergewonnen werden. Eine zerstörte Ukraine und hunderttausende Gefallene wäre ein zu hoher Preis für ein Ergebnis, das auch ohne Krieg hätte erzielt werden können. Doch der ukrainische Präsident beschloss, sich zu wehren. Er rechnete wohl nicht mit einem baldigen Fall von Putins Regime, sondern mit seiner weiteren Festigung im Falle eines erfolgreichen Blitzkriegs. Also wünschte ich ihm eine Woche nach Kriegsbeginn alles Glück der Welt und einen derart enormen Druck der Weltöffentlichkeit auf Russland, dass der russische Angriff schnellstmöglich zu einem Rückzug käme. Katastrophalstenfalls entstünde ein langer Abnutzungskrieg, der sich schon allein durch seine Dauer immer mehr legitimieren würde.


Am Anfang, in den ersten Monaten, oder vielleicht noch bis Ende 2022 handelte es sich um einen völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Fast zwei Jahre später ist der Krieg zur neuen Normalität geworden. Russland ist immer noch Teil dieser Welt, und viele Länder sind daran interessiert, auch mit diesem Russland weiterhin Geschäfte zu machen. Putin mag gesundheitlich angeschlagen sein, aber sein Regime sitzt fester im Sattel als vor Kriegsbeginn. Das war zu befürchten ohne einen schneller Friedensschluss oder einen geschlossenen Gegenangriff der NATO auf Russlands Militär. In großen Teilen des Globalen Südens wird Putins inkompetent aber verbissen geführter Krieg als ein Zeichen der Stärke gesehen. Viele westliche Unternehmen umgehen die Sanktionen der eigenen Staaten gegen Russland und machen Geschäfte. Die Ukraine blutet aus, und natürlich auch Russland.


Alle Proteste gegen den Krieg in Russland selbst wurden erstickt. Der letzte Rest der politschen Opposition ist ins Ausland geflohen oder sitzt im Gefängnis. Russland gibt durch seine Missachung des Völkerrechts und der Demokratie ein ermutigendes Beispiel für den türkischen Autokraten Erdogan ab, der seinen Völkermord an den Kurden noch aggressiver betreibt und neuerdings zum führenden antiisraelischen Hetzer der islamischen Welt geworden ist. Putins Krieg hat das Regime Erdogans gestärkt. Eine weitere widerwärtige Abscheulichkeit. In Europa werden Rechtspopulisten die stärkste Kraft bei Parlamentswahlen (in Italien bereits Regierung). Die USA erwartet der bürgerkriegsähnlichste Wahlkampf seit Jahrzehnten. Putins Regime könnte in der weltpolitischen Situation des Jahres 2024 den Krieg noch zu seinen Gunsten entscheiden. Eine zerstörte Ukraine, Millionen Flüchtlinge, Millionen Vertriebene, fast eine Million Tote und Verletzte auf beiden Seiten, und es bliebe nur der Status quo. Wird sich nichts Entscheidendes zuungunsten Putins ändern, wird die ukrainische Frage des Jahres 2024 sein, warum Selenskyj angesichts der kommenden völlig sinnlosen Opfer am 24.2.2022 nicht klein beigegeben hat.


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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (22.02.22, 11:17)
der bursche spielt im grunde schach vom feinsten
gehört sein brett auch zu den hundsgemeinsten.
Clara (37)
(22.02.22, 11:58)
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 Augustus (22.02.22, 13:19)
Für Putin kommt ein Rückzug nicht in Betracht. Dies würde bedeuten, er zeige Schwäche. Die Schwäche würde auch der innere Zirkel von Putin nicht dulden. Es würde ein im Innersten des Zirkels geführter Kampf der Ideologien entfachen, wenn Putin seinen Schwanz vor den USA und NATO einziehen würde.

Deshalb ist die Angelegenheit - leider für Putin - viel persönlicher als es wirklich die Ukraine wert ist. 

Die Leute um Putin sind überzeugt, dass Russland klare Kante im Konflikt zeigen muss und nicht weichen darf. 

Letztlich ist die Entscheidung Putins die in der Ukreine prorussischen Gebiete als unabhängig anzuerkennen, ein Schachzug. 

Ein Schachspieler opfert eine wertvolle Figur, um dadurch einen Vorteil zu erlangen, den gegnerischen König SchachMatt zu setzen. 

Hier opfert vllt Putin seine Königin, gegen zwei gegnerischen Läufer, während seine zwei Läufer jetzt den gegnerischen König bedrohen. 

Die gegnerische Partei wird entweder den König verschieben oder selbst mit der eigenen Königin agieren. 

Agiert der Gegner mit der Königin, ist dies einem Krieg gleich zu deuten. 

Agiert er aber bloß damit den König aus der Position „Schach“ zu befreien, dann ist Putin trotzt seiner Aufopferung der Königin klar im Vorteil. Er hat weiterhin mit seinen Läufern den gegnerischen König im Visier, während der Gegner in eine Schutzstellung sich zurückziehen muss und auf russische Reaktion abwarten muss, ohne gleichwertige Reaktionen tätigen zu können. 

Der Zug Putins ist riskant. Aber so hat Carl Magnuson auch sein aktuellstes erstes Schach-WM-Spiel gegen den Russen in Runde 6 gewonnen, in dem er seine Dame opferte, um dann aus einer perfekten Verteidigungsstellung, zu agieren. 

Putin wird bald mit Argumenten kommen, die unabhängigen Staaten, die er ausgerufen hat, verteidigen zu müssen. Er sucht den feinen Zug, der ihn aus einem agressiven Autokraten einen russisch gesinnten und deren werte verteidigenden Patron verwandelt. 

Im Schach bedeutet dies, er versucht seinen Bauern zum umwandeln zu bewegen, in dem er den Bauern komplett auf die gegnerische Hälfte ziehen lässt. Hat er dies geschafft, den Bauern in eine wertvollere Figur (Dame) umgewandelt, hat er grundsätzlich gewonnen. 

Fazit: aktuell hat putin seine Dame geopfert. Seine zwei Läufer bedrohen den gegnerischen König; und er hat noch die Option, an der er arbeitet, einen Bauern auf die gegnerische Seite zu bringen und diesen dann umzuwandeln.
Adrian (47) meinte dazu am 22.02.22 um 20:46:
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 Graeculus (22.02.22, 15:10)
Eine sehr gute, kenntnisreiche Analyse.

Die (vermutlich nicht förmliche, aber doch sicher dem Sinne nach erfolgte) Zusicherung an Rußland, die NATO nicht nach Osten auszudehnen, war ebensoviel wert wie Rußlands Zusage bei Abtretung der Atomwaffen, die Souveränität der Ukraine zu garantieren.

Ich neige zu der schon aus der Antike bekannten Annahme, daß der Preis eines Tyrannen, der von niemandem mehr ein offenes Wort duldet, der Realitätsverlust ist.
Wie Putin den Leiter des Auslandsgeheimdienstes öffentlich abgekanzelt hat, zeigt, daß er auch von dieser Seite aus nichts weiter erwartet als Unterordnung und Anpassung.
Adrian (47)
(22.02.22, 20:55)
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 Tula (22.02.22, 22:51)
Realitätsverlust würde ich ihm nicht vorwerfen, er weiß genau was er macht und was er will. Der "Schachzug" sichert ihm zunächst den "Mindest-Erfolg", den er braucht, um sich innenpolitisch als Sieger darzustellen und gleichzeitig die Bedrohung aufrechtzuerhalten. Die Sanktionen stören ihn nicht so sehr persönlich, solange das Volk sich darüber nicht echauffiert. Wird es nicht. 

Die einzige Angst, die Putin hat, ist der Erfolg pro-westlicher Demokratien im unmittelbaren Umfeld. Genau daran sollte der Westen arbeiten und nicht die Ukraine sinnlos aufrüsten. Und Deutschland vielleicht mal ernsthaft überlegen, wie man die Abhängigkeit vom russischen Gas nicht wenigstens verringert. Genau darauf verlässt sich Putin.

Mein Vorschlag an die UEFA: Russland bis auf weiteres von allen europäischen Wettbewerben ausschließen. DAS würde nicht wenige Russen maßlos verärgern, auch mit Krim-Sekt auf dem Tisch.

LG
Tula

Kommentar geändert am 22.02.2022 um 22:52 Uhr

 Terminator antwortete darauf am 22.02.22 um 23:13:
Realitätsverlust ist auch, den Menschen nicht als Menschen zu sehen, sondern nur als Politiker. Putin ist kein Terminator, auf Machterhalt programmiert, er hat Gefühle. Da er als Autokrat regiert, hat das politische System in Russland nicht die Möglichkeit, seine Launen zu bändigen, bevor sie zu politischen Entscheidungen werden.

Ja, er hat Angst vor der Demokratisierung unmittelbarer Nachbarländer, aber nicht, weil er Demokratie hasst und Diktatur liebt. Im Gegenteil, er sieht sich als Demokrat, und ist immer verletzt, wenn er als Autokrat bloßgestellt wird. Und er lässt sich gerade von den USA dazu provozieren, einen sinnlosen Krieg anzufangen, der Russland und Europa destabilisieren und den bürgerkriegsnahen USA in die Hände spielen wird.

Die Realität, die Putin einsehen sollte, ist: sein Volk will ihn nicht mehr. Er rettet seit Jahren sein Ansehen im Inland durch immer aggressivere außenpolitische Entscheidungen, doch nun ist der Punkt erreicht, an dem auch das nicht mehr zieht. Er ist am Ende, Russland braucht einen neuen, besonnenen Präsidenten, und keine geopolitischen Schachspiele (die klug kalkuliert wirken, aber dumm sind, wenn sie aus bloßer Taktik bestehen und strategisch nicht durchdacht sind).
amalfi00 (70)
(25.12.23, 13:39)
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amalfi00 (70) schrieb daraufhin am 25.12.23 um 13:43:
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 Terminator äußerte darauf am 26.12.23 um 04:47:
der Autor lebt in einer Welt fern ab der Realität.
Bullshit.
Er vertritt damit die veröffentlichte und offizielle Meinung in Deutschland.
Wenn, dann durch Zufall. Wie z. B. wenn ein Vollidiot sagt, dass die Kugel rund ist, ich, wenn ich dasselbe sage, die Meinung von Vollidioten vertrete.
Putins Kriegsziele in der Ukraine sind gerechtfertigt und er wird verdientermaßen Erfolg haben. Ich wünsche es ihm.
Und ich freue mich, dass Nawalny anscheinend doch noch lebt, und wünsche ihm Freiheit und Erfolg bei der ersten legitimen Präsidentschaftswahl in Russland seit 1996.

 Pensionstarifklempner (26.12.23, 01:29)
Ein sehr bedenkenswerter Analysetext. Ich frage mich aber, ist die Fixierung auf Putin richtig und genau ? Trifft es den Kern der gegenwärtigen russischen Politik ? Was ist Putin, was ist systemisch ?
Ein Exilrusse sagte mir vor kurzem: Der Sieg im 2. Weltkrieg hat uns die Aufarbeitung des Stalinismus gekostet. Das trifft auch auf den Holodomor an den Ukrainer in den 30igern zu. Millionen erlagen dem Hungerterrorismus Stalins. Das trifft auch auf den sowjetischen Überfall auf Finnland November 1939 zu.
Frieden schaffen ohne Waffen,  so singen die Plakate unserer Friedenstauben. 1994 übergab die damalige drittgrößte Atommacht Ukraine ihre Atomwaffen an Russland. 
Ich gestehe, meine Analysefähigkeit ist von der gegenwärtigen Situation manchmal überfordert.
Vielen Dank für die anregenden Darlegungen.

 Terminator ergänzte dazu am 26.12.23 um 07:09:
Als ich das schrieb, ging es noch um die Anerkennung der "Volksrepubliken" im russischsprachigen Teil der Ukraine. Es sind fast zwei Jahre vergangen. Es ist in der Tat wohl weniger Putin und mehr Kontinuität der russischen Imperialpolitik als ich dachte.

 Pensionstarifklempner meinte dazu am 27.12.23 um 23:12:
Der Stalinismus in Russland hat sich 1953 in der DDR,  1956 in Ungarn, 1968 in der CSSR, 1979 in Afghanistan und und ausgetobt. Die Militärdoktrin des Warschauer Vertrages : Jeder Aggressor ist auf seinem eigenen Territorium vernichtend zu schlagen ! Die NVA sollte Niedersachsen und die Niederlande besetzen. Als Studente der HU mussten  wir für 3 Wochen zur militärischen Ausbildung. Die Abschlussübung stand unter dem Motto : Besetzung Westberlins. Putin hat viel vom Warschauer Pakt übernommen. 
Friedliches Jahr wünsche ich dem Terminator.

 Terminator meinte dazu am 30.12.23 um 02:28:
Die ganze Führungsclique des heutigen Russlands (silowiki) wurde in diesem Paradigma sozialisiert. Da ist keiner unter 60 zu finden. 

Die Reformer wurden zu Kettenhunden abgerichtet (Medwedew) oder von der Macht entfernt (Kassjanow, Kudrin); einige ermordert (Nemzow) oder verhaftet (Nawalny, Jaschin).

 BeBa (26.12.23, 01:39)
Ein sehr interessanter Text. Leider findet man zu diesem Thema nicht viele wie diesen, dann doch eher amalfiges. 
Dank an amalfixxx, denn er liefert mit seinen fleischlosen, teils einfach sinnlosen Aussagen genau den Widerpart zu diesem durchdachten Text hier.

 Terminator meinte dazu am 26.12.23 um 04:49:
Einen philosophischen Text von mir hatte er vor geraumer Zeit klug kommentiert. Ich hätte von ihm nicht gedacht, dass er kritiklos russofaschistische Propaganda wiedergibt. Ist das Bulimie-Konsum von zu vielen Fake News?
kant99 (70) meinte dazu am 26.01.24 um 09:26:
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