2007

Tragikomödie zum Thema Jugend

von  Terminator





Januar 2007


Ich bin völlig leer und will geistig nach Hause. Am 11.1. verkünde ich mir selbst in der Stille eines abendlichen Straßenbahnhofs den "Nihile State", den Anfang vom Rest meines Lebens, was nicht etwa einen Neuanfang bedeuten soll, sondern die Vorbereitungszeit für den längst überfälligen Freitod. Ich will noch etwas Rad fahren, spazieren gehen. Auf dem Heimweg nehme ich in einer Videothek Filme mit, in der Stadtbibliothek auch noch welche. Es wird ein langes Wochendende der 15 Filme. "Saw 2" sehe ich zweimal hintereinander. Die Begeisterung kennt keine Grenzen und lässt im Folgenden auch schlechte Filme von der Neuen Lust am Gucken profitieren.


Ende Januar schreibe ich an zwei Tagen zwei Prüfungsarbeiten, lustlos und im Zwange. Ich strebe nach Freizeit, nicht nach Perfektion. Ich bestehe problemlos, wie ich Monate später erfahren soll. Und am 28.1. beginnen die geruhsamen Semesterferien. "Of Wolf and Man" von Metallica wird zur nihilistischen Hymne dieser Zeit. Es ist jeden Tag dasselbe: morgens fahre ich in die Videothek, hole mir vier oder fünf Filme, verbringe den Tag auf dem Sofa, und gebe am Abend die Filme ab.



Februar 2007


Dieses herrliche Nichts. Zerstört sein, und nicht mehr nach Aufbau streben. Im Egalsein ganz aufgehen, und es genießen. Oben feiern aus eigenem Antrieb gekommene Gäste meinen Geburtstag, unten schlafe ich nach dem Mittagsessen ein und wache an dem Tag nicht mehr auf.


Kartoffelerzeugnisse aus dem Backofen sind mein täglich Kerosin. Der Fernseher zeigt - vom DVD-Player vergewaltigt - Aliens, Serienmörder, Katastrophen. Im TV-Programm läuft nur Mist, darum hat mein Fernseher keinen TV-Empfang. FIFA 2000 kann er aber empfangen, vorausgesetzt, eine PS One ist angeschlossen. In den ganzen Semesterferien lese ich kein einziges Buch.



März 2007


Wie ein Dunkleosteus der Lüfte irrt mein Geist durch vulkanische und atomare Wüsten. Was Cioran nicht umgestoßen hat, war bereits vor ihm zerstört. Auch den Cioran lese ich seit Monaten nicht mehr - mir ist alles zu klar geworden. Ich verlasse den gesunden Tag-und-Nacht-Rhythmus und gucke den ganzen Tag Filme. Da ich eh nicht mehr lange lebe, schreibe ich ein lustiges Buch, als Erinnerung für die Nachwelt.


"Christiane F." und "Die Wolke" fallen in eine Zeit, in der mein Fatalismus mit deutscher Gründlichkeit erschüttert wird: kleinere Geistbeben lassen Denkgeysire entstehen, die Ideenplattentektonik erwacht schon bald zu neuem Nichttod. Nichts, was nicht von Metallica ist, schafft es nun in meine Top 10. Erholsame Semesterferien sind das. Ganz ohne Erwartungen an das Privatleben geht es ziemlich gut voran, ich habe sogar wieder Lust auf das verdammte Studium. Es soll ein Semester der Politik werden, ich will das Nebenfach in diesem Sommer ganz abarbeiten, um einfach etwas zu haben, was in diesem Sommer erledigt werden muss.



April 2007


"300" im Kino, "Saw" im Kopf, und ein Unbehagen an der Realität, das in der Kultur der Zivilisation keinen Raum mehr lässt. Ich entwickelte den Hochsolipsismus, eine Egonauten-Ideologie, die besagte: Ich bin der Lebensautor! Die Dinge und Menschen außer mir sind nicht bloß in meinem Bewusstsein, sondern Teil meines Bewusstseins! Hatten wir das nicht schon einmal im Buddhismus? Nur insofern, dass alles eins ist, aber nicht in der egoischen Konsequenz: war Moral im gemäßigten Solipsismus bloß unsinnig, da ich nicht wissen kann, ob es außerhalb meines Bewusstseins solche Dingelchen wie bewusstseinsgesegnete Personen gibt, so ist Moral im Hochsolipsismus ein Wort, das nichts bezeichnet, - ich töte nicht nicht, weil es schlecht oder böse ist, sondern weil es heute zu meiner selbstgelebten Biographie nicht passt. Ich lebe nicht, ich schreibe meine Biographie, während ich lebe. Ich bestimme, welche Figuren gut, welche böse sind, - alles selbstnatürlichst auf mich bezogen. Irgendwann endet alles in einem großen Knall, doch nicht in einem geschmacklosen Amoklauf: ich bin ein Lebensgourmet und will auch mein Ende maximal genießen.


Wer mich hasst, den sehe ich als hässlich. Wer mich liebt, erscheint mir als schön. Hunderte im Kopf kranke Mädchen und Frauen sah ich im Winter 2006/07 an mir vorbei gehen - ihre Hübschizität zeugte doch davon, dass sie mich liebten, denn ich war es ja, dem sie als hübsch erschienen, und dass es noch ein Bewusstsein außer dem Meinigen existierte, war hochspekulativ. Warum sprachen sie mich nicht an? Warum verhielten sie sich so grausam zu sich selbst? Ich konnte sie ja zu ihrem Glück nicht zwingen, und litt sehr stark mit ihnen mit, - dieses Mitleid war es, und nicht die Einsamkeit, was mich von Innen zerfraß. Mit dieser Denkart war es im April 07 vorbei - das war nicht mehr solipsistisch genug.



September 2007


Der Monat fing bescheiden an, war ungewöhnlich ruhig, aber es braute sich was zusammen: an der Kopfbörse wurden Ende September die Höchststände vom Juli deutlich übertroffen, was nach dem verheerenden August unmöglich schien.


Es herrschte Sturmruhe. Ich schaute Filme, schlief viel, fuhr nur gemäßigt Rad. Ich spielte Invadazoid und Alien Stars, dazu noch Chuzzle Deluxe. Ich drehte Kopfkino. Ab dem 23. drehte es sich immer schneller, und ich weiß seit Kurzem, dass das menschliche Gehirn mit Glückshormonen auf Geschwindigkeit reagiert. Wenn schon außerhalb des Kopfes nichts passiert - welch ein Glück, schnell denken zu können!



Oktober 2007


Am 18.10. legte ich den Grundstein für eine neue Zeit, die im Deutschen Idealismus ihren ideell-ideologischen Überbau fand. Kant, Fichte und Hegel beherrschten das Denken an der Spitze, der radikal-sadistische Nihilismus das täglich Denkbrot. Ich ruhte in mir, tat niemandem nichts, aber in jener Zeit achtete ich nur ein moralisches Gesetz: das Gesetz der Vernichtung. Alles ist zu seiner eigenen Vernichtung da, und sonst zu nichts gut. Doch bin ich der Müllmann? Nein, denn niemand bezahlt mich fürs Töten. Also lasse ich das. Der Tod fordert ja nichts, nur, dass man stirbt, und diesen Gefallen kann man ihm unmöglich nicht tun.



November 2007


Dunkle, kalte Trauer und die Kritik der praktischen Vernunft. Langes Kastanienhaar inspiriert mich zu "Kirschchen", einem komplexen Mädchentypus, der mein Gedankenkino bereichert. Mit "Lass uns Kinder essen" beginnt an einem frühen Novembermorgen der letzte Teil und die höchste Eskalationsstufe meiner expressionistischen Lyrik, die transzendentale Lyrik, die in 40 Tagen über 500 Werke zählt, und sich in die transzendentale Erotik, den transzendentalen Nihilismus und den transzendentalen Sadismus weiterverzweigt.



Dezember 2007


Das Jahr der 300 Filme ging zu Ende, und auch das Jahr des Films "300". "Saw", "Menschenfeind", "Beyond the Limits", und natürlich "Dogville", übten guten Einfluss auf mich aus. Ich schrieb Gedichte, die niemand jemals lesen wird, denn sie waren für die Buchmärkte der Hölle bestimmt. Mitte Dezember war klar, dass ich nie wieder Gedichte schreiben würde - ich hatte alles, was ich in lyrischer Form zu sagen hatte, erschöpft.


Ein Kant-Jahr war das, was nicht bedeuten soll, es sei langweilig gewesen, oder von Pflichten und Zwängen bestimmt. Es war ein frohes, nihilistisch-heiteres Jahr, das filmisch mit dem mädchentechnischen Horrorfilm "Dreizehn" zu Ende ging, wonach sich Heinsohns "Lexikon der Völkermorde" nicht mehr so erschreckend las, vielmehr mit großem Verständnis für sämtliche Massentötungen. Sozialdarwinismus ist etwas für Schwache - ein starker Charakter sieht geich die ganze Menschheitsgeschichte unter evolutionsbiologischen Aspekten. Der Dezember endete eisig und in Berlin. Der noch für den Sommer geplante Umzug dorthin fiel aus, nicht zuletzt wegen Faulheit.



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