... Wachstumsschmerzen.

Text

von  MagunSimurgh

Dieser Text ist Teil der Serie  Beim Reden

Wenn du merkst, dass eine Schraube locker ist,

und der Gedankenhahn wieder tropft;

dass du mit dem Aufwischen nicht hinterher kommst,

nur dein Tagebuch drunter halten kannst; 

das aus saugfähigem Spezialpapier. 


Dann stehst nur du zwischen deiner Wohnung und der Flut;

kniest auf dem Boden des dunklen Badezimmers,

kommst da nicht weg, wünschst;

es würde wenigstens einer das Licht anmachen,

dass du die tropfenden Worte mitlesen könntest.


Wenn es schwerer wird, da zu hocken, weil 

die aufgeschlagenen Knie von gestern noch weh tun,

die Hände kälter werden vom tropfnassen Papier;

wenn du Freunde mit Wohnungs- und Schraubenschlüssel brauchst

und du rufst, bis dir die Kehle kratzt.


Wenn sie dann kommen in der dunkelsten Stunde – mit einer Taschenlampe –
stehst du langsam auf, damit dir nicht schwindlig wird;

die Schritte noch unsicher – sind deine Beine etwa länger?

Schaust nach unten, der Boden ewig weit entfernt,

weil du nicht mehr lügen musst.

So siehst du den Freunden in die Augen und sie nicken verstehend.


Wenn du dir dann beim Aufstehen den Kopf an der Zimmerdecke stößt,

sind auch das…




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Kommentare zu diesem Text


 minze (28.03.22, 12:25)
Ich finde das Bild super. Es ist sehr lebendig und ergreifend, sehr frisch. Sehr passend diese Situation als etwas Äußeres zu benennen, wie die inneren Umbrüche und Eruptionen geschehen und man als hilfloser Handwerker da im Wasser hockt.

die Szene mit den Freunden noch etwas unausgereift, das wummt weniger, als nur das Alleinsein in diesem Wasserrohrbruch...muss ich auch nochmal wirken lassen ..

Für mich klemmt noch etwas die Umsetzung oder ich fühls eher in einer etwas anderen Form, als Kurzprosa oder Prosagedicht noch stärker in der Form. Ich werde mich in Ruhe nochmal damit befassen.

Äh nimm's als einen Vorkommentsr, weil ich schonmal was da lassen wollt.

 MagunSimurgh meinte dazu am 02.04.22 um 22:22:
Danke für deine ausführliche Auseinandersetzung. :) 

Das mit den Freunden habe ich nun nochmal ein bisschen geändert, da konnte ich deinen Punkt schon nachvollziehen, was war ein bisschen zu verkürzt eingebettet. 

Ich kann auch den Eindruck total nachvollziehen, dass der Text sehr prosaisch anklingt. Ich habe auch darüber nachgedacht, daraus eher einen Fließtext zu machen, aber irgendwie war das für mich nicht richtig. Ich mag dann nicht so einen kurzen Text, der ja trotzdem sehr verkürzt daherkommt, im Block setzen. Aber der Text ist für mich einfach nicht länger, also es ist keine Geschichte im eigentlichen Sinne beispielsweise.

 minze antwortete darauf am 03.04.22 um 21:10:
zweiteres dachte ich auch beim erneuten lesen. erstes, wie gesagt, fand ich lohnend!

 Detektivin (30.03.22, 17:39)
Hallihallo,

auch dieser Text hat mich (wieder einmal) sehr berührt – du kriegst das irgendwie immer wieder sehr gut hin.

Ich lese in diesem Text vieles: die Überforderung mit den eigenen Gedanken, die man nur notdürftig irgendwie aufschreiben (Tagebuch), aber nicht wirklich beherrschen kann, und die sich irgendwie auch „nicht richtig“ anfühlen (Schraube locker) – vielleicht sogar das Gefühl, mit seinen Sorgen und Problemen fehl am Platz zu sein und nicht wirklich „reinzupassen“ – „darf ich das überhaupt so denken?“.
In all diesem Gedankenchaos und seiner Überforderung & Hilflosigkeit formt sich der Wunsch, wenigstens erkennen zu können, was dieses Gedankenchaos überhaupt soll und worum es geht („es würde wenigstens einer das Licht anmachen, / dass du die tropfenden Worte mitlesen könntest“), der Wunsch, jemanden zu haben, der etwas Struktur in das Chaos bringt und die Gedanken sortiert.

Nach diesem „Überforderungs-Teil“ kommt dann aber wieder die Zuversicht; das Gedankenchaos ist schwer, auch, weil es eine (Identitäts-)Krise nach der anderen ist („die aufgeschlagenen Knie von gestern noch weh tun“) und sie immer schwerer auszuhalten wird („die Hände kälter werden vom tropfnassen Papier“), aber die vorher erwünschten Freund:innen eilen heran und bringen Wohnungs- und Schraubenschlüssel. Ich interpretiere den Wohnungsschlüssel als Zugang zum inneren des LIs (vgl. Wohnungsbesichtigung), als ehrlichen Zugang zu dessen Gedanken und Sorgen, weil man sich einander offenbaren kann. Der Schraubenschlüssel hilft dann dabei, die lockere Schraube wieder festzudrehen und so dem LI das Gefühl zu geben, „richtig“ oder zumindest wenigstens nicht falsch und fehl am Platz zu sein. Eben diese Freund:innen kommen, wenn man sie braucht (oder ruft) und für mich fühlen sich diese Zeilen an wie eine lange, warme Umarmung mit den Worten „du bist richtig so, wie du bist, ich verstehe dich. Lass uns deine Gedanken doch zusammen reflektieren – ich versteh das so…“. Was eine wertvolle Herzlichkeit und wie schön, solche Menschen in seinem Leben zu haben.

Mit dieser neu gewonnenen Zuversicht wird sich langsam wieder sortiert und wieder berappelt, sich an das neue (gewachsene) Ich gewöhnt und die Befreiung genossen, ehrlich zu sich selbst und anderen sein zu können; ein Stück näher zu sich selbst gekommen zu sein – sich vielleicht sogar ein Stück weit selbst gefunden zu haben? Auf jeden Fall spüre ich hier eine gewisse Ermächtigung und insbesondere Befreiung, die wohl am Ende einer jeden Wachstumsphase stehen und die vorherigen Wachstumsschmerzen kompensieren.

Den Wechsel zwischen Überforderung/Hilflosigkeit und Zuversicht/Wertschätzung der Freundschaft finde ich hier sehr spannend und schön.

So viel erstmal zu meiner inhaltlichen Intepretation. Das „Wenn… Dann“ und den Bezug zum Titel finde ich stilistisch sehr schön.

Allgemein habe ich mich in diesem Text sehr wiedergefunden und mich selbst lebhaft im Flur meine Gedanken aufwischen sehen, während der Wohnungsschlüssel sich in der Tür rumdreht. und die Freund:innen zur Rettung eilen – für mich eine sehr lebhafte, ergreifende Sprache. Was eine Ode auf die Freundschaft, das Leben & die persönliche Weiterentwicklung.

 MagunSimurgh schrieb daraufhin am 03.04.22 um 21:28:
Hallöchen,

ich bin mal wieder sehr beeindruckt von der Ausführlichkeit und Tiefe deines Kommentars. 

Wie du gut erkannt hast, habe ich schon an "Grübeln" oder "sich Sorgen machen", so in die Richtung, gedacht. Und es ist dieses seltsame Gefühl, dass die Gedanken außer Kontrolle sind, welches das Leiden ausmacht. Das fühlt sich nicht "richtig" an, es entzieht sich dem Verständnis.

Du hast den Querbezug zu den anderen Texten aus der Reihe auch sehr gut erklärt, wie ich finde. Es ist schon als eine Fortsetzung der "Wohnungsmetapher" gemeint. Genau so hab ich mir das vorgestellt. Auch die heilsame Erfahrung durch die Unterstützung der Freunde war so gemeint. Hier finde ich interessant, wie du weit über den Text hinaus das Verhalten der Freunde konkretisierst. Ich habe mir schon so was vorgestellt, schön, wenn man es auch ein bisschen aus dem Text rauslesen kann, obwohl die Stelle so kurz ist (vgl. auch voriger Kommentar).

Ich glaube, das Wachstum, an das ich dachte, steckt einerseits in der Bewältigung der Krise an sich, andererseits darin, sich auszuliefern und anzuvertrauen - darin zu erfahren, dass das keine Niederlage ist, sondern ein Ausweg, darüber zu lernen, dass man diesen Ausweg immer wieder und sehr bewusst selbst wählen kann, darin steckt die Ermächtigung, finde ich. 

Ein gewisses "Scheitern" gehört zum Leben einfach dazu – die Wachstumsschmerzen sind ein schönes Bild dafür, finde ich. 

Vielen Dank für dein nettes Fazit. "Ode" ist eine wirklich faszinierende Charakterisierung dieses Textes, mit der ich mich durchaus anfreunden kann, da es mir schon um das Positive ging.

Also hab vielen vielen Dank für diese ausführlichen Worte zu meinen paar Worten. Es hat mich sehr gefreut.
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