Seines eigenen Glückes Schmied

Märchen zum Thema Entscheidung

von  eiskimo

Im ersten Jahr schaffte Fredegar Spiegler es, das frisch geerbte Haus zu entrümpeln.

Im zweiten Jahr konnte er das Innere komplett renovieren, so dass das Haus bezugsfertig war.

Im dritten Jahr schuf er außen eine bescheidene Sträucher-und Blumendekoration. Sie gefiel ihm.

Im vierten Jahr musste F. Spiegler dann dringend auch die Umzäunung des Anwesens erneuern. Dazu die Alarmanalge.

Im fünften Jahr folgte die Errichtung einer Garage, da, wo früher ein kleiner Gemüsegarten war.

Im sechsten Jahr, als fast alles erledigt schien, baute Fredegar dann noch einen gefliesten und überdachten Gang zwischen Wohnhaus und Garage – manchmal regnete es ja.

Im siebenten Jahr sah der Mann mit Wohlgefallen, dass sein Anwesen nun voll und ganz seinen Vorstellungen entsprach. Ja, damit konnte er sich endlich sehen lassen. Da ihn aber niemand in seiner Insel des privaten Glückes wahrzunehmen schien, kaufte er sich nach Monaten des einsamen Wartens … ein dickes Wohnmobil.

Im achten Jahr stand dann alles im Zeichen dieses Achtzig-Tausend-Euro-Gefährts. Fredegar rüstete es aus mit allem, was der moderne Camper so braucht, um damit dann tatsächlich wagemutig in Richtung Süden aufzubrechen.

An der ersten Autobahnauffahrt aber hatte er eine höchst merkwüdige Begegnung. Er sah in der Kurve, die er betont langsam ansteuern musste, eine ärmlich aussehende Anhalterin. Ihr Daumen zeigte bittend in Fahrtrichtung, ihr Blick traf den Fredegars – ja, es war der Blick Swetlanas. Swetlana hatte gerade alles verloren. Ehemann, Arbeitsplatz, das zu Hause, fast ihr Leben. Welch schicksalhafter Augenblick, ein winziger Aussetzer im Weltenplan, der vielleicht eine knappe Sekunde anhielt. Für einen kurzen Moment war alles möglich.

Zu kurz für Fredegar Spiegler. Denn was tat er nach diesem fast schreckhaften Blick-Kontakt?

Er stemmte sich resolut in seinen Fahrersitz, trat kräftig aufs Gaspedal und schüttelte empört den Kopf, froh, diese unangenehme Situation rasch hinter sich lassen zu können.

„Ganz schön frech, sich einfach so in mein Leben zu drängen!“ dachte er nur bei sich. Und nach weiterem Grübeln: „Jeder ist schließlich seines eigenen Glückes Schmied.“




Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 monalisa (04.04.22, 09:58)
Hi eiskimo,
was soll einer, dessen Glück in "Anwesen mit allem Drum und Dran" und einem Wohnmobil mit Schnickschnack mit einer Swetlana aus Fleisch und Blut?
Gar nicht überraschend, dass er weiterfährt, irritiert, sogar ein wenig ärgerlich, ob der Wahlmöglichkeit/Entscheidungspflicht, die ihm da aufgedrängt wurde. Vielleicht ist Swetlana ein bisschen übererklärt, würden Blick und Konturen (äußere Erscheinung) reichen und der Leser*in die Deutungshoheit lassen? Vielleicht hat Swetlana Glück gehabt, mein Typ wär Fredegar nicht?

Liebe Grüße
mona

 Dieter_Rotmund (04.04.22, 11:33)
Das ist mir zu märchenhaft-verklärt.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram