6.2010 – 1.2011

Geschichte zum Thema Innenwelt

von  Terminator

Juni 2010


WM 2010. Griechenland. Nein, nicht Weltmeister. Messi trifft das Tor nicht. Es wird heiß. S-Bahn-Fahren wird zur Qual. Halbnackte. Viele. Laut. Diese dämlichen Tröten. Es hat nicht viel gefehlt. Glück gehabt, wer sie mir nicht ans Ohr gehalten hat, aber um wenige Meter hätte. Es ist eine Illusion, zu glauben, man würde selbst entscheiden, wann der Zeitpunkt gekommen ist. Egal, wie nichtig und unwichtig die Person ist, die dich angreift, manchmal musst du zu(rück)schlagen. Weglaufen geht nicht immer. Es kann sehr grundsätzlich enden. Mit einer davongetragenen Behinderung, die mich auf fremde Hilfe angewiesen machen würde, könnte ich nicht leben. Ich würde mir den Rest geben.

In einem Literaturforum entschloss ich mich, über die laufende Fussballweltmeisterschaft zu schreiben, oder, wie es heute heißt, zu bloggen. Es wurde reichlich gezwitschert, wenige bis etliche Gesichtsbücher sind mir gefolgt. Golf. Nicht von Volkswagen, von Mexiko. Immer schrecklichere Szenarien kursierten bezüglich der Ölkatastrophe. Sogar der Golfstrom wurde von manchen als arg gefährdet ausgemacht, aber niemand machte ihn aus. Er floss, wie seit Jahrtausenden. Es wurde noch heißer. Malt des Monats: Springbank 1991 (14 Jahre, Duncan Taylor).



Juli 2010


Das einzig Angenehme an der Hitze: die Massen waren beim Public Viewing (nein, nicht in einem Leichenschauhaus), und das 4:1 konnte ich mir, wir uns und man sich in einer angenehmen Menschenleere in einem Restaurant bei einem Bananenweizen und einer Pizza anschauen. Aber es wurde noch heißer. Ich schleppte reihenweise 9kg-Sixpacks Wasser nach Hause, aß Eis, half nix. Die Luft, dieser feuchte Dreck. Kein Entkommen. Am Tag, an dem das Finale lief, war es am Heißesten. Das Finale war hässlich. Der Tag war schön. Von einem Wein aus der Zeit von Müller, Maier und Beckenbauer betrunken, ging der Feldzug gegen die Eisdielen los. Kugel für Kugel wurde die Spandauer Innenstadt eisfrei gemacht. 40 Grad im Schatten. Muss alles Geschäft sein? Man hätte uns das Eis auch für ein Danke hergeben können, es wäre an dem Tag selbst in der Tiefkühltruhe geschmolzen.

Eine unangenehme Begegnung mit Aktivisten. Du, Spendenvieh, bist Dreck für sie. Sie bohren ihre Gewissenszähne tief in deinen Hals, und wenn kein Geld statt Blut fließt, beißen sie dir den Kopf ab. Jemand, der die Menschen so hasst, sollte eigentlich davon ausgehen, dass diesen sein weltverbesserisches Anliegen egal ist. Das schäbigste Eis überhaupt gab es für 7,50 nicht weit vom Bahnhof Zoo. Die frischen saftigen blauen Beeren, die Hauptattraktion der Eissorte auf der Karte, kamen wahrscheinlichstenfalls aus dem Supermarkt, wurden etwas aufgewärmt und in aller Frechheit dargereicht, während Bettler Kunde für Kunde Kunden an den Tischen belästigten. Die Wiedergutmachung am Bahnhof in Hannover: Klasse, das Eis. Für vier Wochen sollte ich Berlin den Rücken kehren, was beiden Seiten gut tat. Malt des Monats: Bowmore 1992 (16 Jahre, Wine Cask).



September 2010


Im Lande der denkenden Dichter triumphiert ein dichter Denker: Bestsellerautor, Papst der politischen Inkorrektheit, meistgehasste Person des Jahres, Unfairstverspotteter, Missverstandenster, ewiger Talkshowgast. Die Talkshows laufen alle gleich: aus dem Zusammenhang gerissene Zitate werden dem erfolgreichen Buchautor an den Kopf geworfen, und seinen unbeholfenen Verteidiger "widerlegt" eine sorgfältig ausgesuchte junge Frau mit Migrationshintergrund, gutem Deutsch und sehenswerter Karriere. Was am Ende zählt, ist Bares: Deutschland schlägt Belgien unansehnlich mit 1:0 und streicht für die EM-Qualifikation drei gute Punkte ein; Sarrazin, der suboptimale Orator, "verliert" jede Talkrunde und verdient nebenbei über eine Million.

Es wird fieberhaft nach Exoplaneten gesucht und es werden viele gefunden. Einziges Problem: sie sind alle innerhalb unseres dem Untergang geweihten Universums, und wer den Ersteren überleben will, benötigt einen Planeten außerhalb des Letzteren. Malt des Monats: der 14-jährige Scapa.



November 2010


Auf einmal wird es arschkalt. Ich greife zur Flasche. Der 16-jährige Lagavulin, der 17-jährige Bowmore - alles weggesoffen, aber der Malt des Monats: der 18-jährige Knockando.



Januar 2011


Fiele ich noch heute tot um, so wäre das dennoch ein gutes Jahr, wenn nicht ein sehr gutes. Das noch laufende Jahr war das kurzweiligste Jahr meines Lebens, und gefühlt auch das Kürzeste. Dabei werden russische Raketen in Syrien gerade erst in Position gebracht, um eine rote Linie gegen die NATO zu ziehen, eine Schmerzgrenze putinisch-medwedischer Interessen, aber das ist erst Ende November. Schon am 3. Januar habe ich mir einen Kindheitstraum erfüllt, still und heimlich. Niemand kam dabei zu Schaden, nicht einmal ich. Und weil es so schön war, erfülle ich mir diesen fast schon kindisch kindlichen Kindheitstraum immer wieder. Und wo ich schon dabei war, auch mal an mich zu denken, da kaufte ich doch gleich eine uralte Play Station, einen alten Fernseher, zwei Joysticks und eine Memory Card. Alles, um exakt ein Spiel wieder spielen zu können: FIFA 2000. Aber ich dachte auch an andere, las Wittgenstein, referierte seinen Tractatus, denselben parodierend, machte eine Flasche 14-jährigen Clynelish auf, und trank in elf Monaten kaum fünf Drams davon. Eine Whiskyflasche hält bei mir sehr lange.




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