Immer dieses Entweder-Oder

Tagebuch zum Thema Fragen

von  eiskimo

Wie es dem Fabrice Lebrun erzählen -wahrheitsgetreu oder geschönt?

Fabrice ist mein Tennispartner, wann immer ich in Frankreich ausspanne und dort bei meinen Freunden auf dem Lande weile. Weile, das bedeutet in diesem Dorf namens Bonnard auch Langeweile... und daher eine Art Angewiesen-Sein auf Fabrice, der einzige, der weit und breit Tennis spielt.

Fabrice, schon deutlich über 70, ist in Bonnard einer der Großen. Er war lange in Paris, hat dort viel Geld verdient und gilt seitdem hier in der Provinz als einer, der die Welt kennt. Sein Wort hat Gewicht. Und der Dorf-Tennisplatz, der wird eigentlich nur für ihn in Schuss gehalten, für ihn und seine beiden Töchter,. die aber längst erwachsen und mit guten Jobs weit weg in die große Welt gezogen sind.

Bleibe also ich. Und ich bin ausgesprochen glücklich, drei, vier Mal die Woche exklusiv mit Monsieur Lebrun gelbe Filzbälle über die sauber geharkte Asche des Center-Courts von Bonnard zu dreschen.

Fabrice kommt dann mit seinem metallic-grauen Lexus vorgefahren, in edler Lacoste-Montur, natürlich immer mit neuen Bällen und einem ganzen Set von Rackets, und ich rustikaler Spät-Berufener in dieser Sportrart, ich spiele brav mit.

Da ich etwas jünger und beweglicher bin, spiele ich so brav, dass Fabrice immer gut aussieht und auch immer wohl gelaunt diese Tennis-Treffen beendet -kurz: Ich lasse ihn gewinnen. Und ich gebe ehrlich zu, ich mache das bloß, um weiter in seiner Gunst zu bleiben.

Fabrice, mit seinem kleinen Bäuchlein nicht gerade ein Modell-Athlet, braucht öfter eine Pause. Dann stärkt er sich mit einem Iso-Drink, und wir kommen ins Gespräch. Meist geht es dabei ums Essen, das heißt: Die gerade angesagten Restaurants. Und damit wären wir endlich bei meiner Eingangsfrage, wo es um Wahrheit oder Schönfärberei ging.

Dass ich nicht in den Michelin-Restaurants essen gehe, die er sich gönnt, das hatte er längst begriffen. Darum war sein letzter, ganz begeisterter Anlauf, mir da doch auch einmal etwas ganz Großartiges und zugleich Preiswertes (!) zu vermitteln, der Tipp mit „Le Huit“, zu deutsch „die Acht“.

„Da müsst ihr unbedingt hin! Das ist noch ganz neu; es ist Bistro- Atmosphäre, es ist laut; wenn ihr reinkommt, olala, dann guckt ihr auch gleich in die Küche, ihr seht diese junge Truppe, die da wirbelt …. aber das Essen ist gran-di-os!“

Klar, dass ich auf seine Elogen ansprang und sehr neugierig tat.

„So gute Soßen habe ich schon ewig nicht mehr gegessen. Und Caroline hatte richtig Spaß am Salat – ein Gedicht! Ihr müsst unbedingt den Pinot Noir aus dem Couchois dazu ordern. Der ist wie für dieses Ambiente gemacht. Und ganz wichtig: Ihr müsst reservieren. Sagt einfach, ihr kämt auf Empfehlung von Monsieur Lebrun – dann klappt das auch.“

Wenige Tage später waren meine Frau und ich tatsächlich in besagtem Lokal. Natürlich hatte ich reserviert, was offenbar in der Woche und mittags gar nicht nötig war.

Tatsächlich war „Le Huit“ eine Art Bistro mit modernem Design, sehr kleinen Tischen Plastikstühlen, null Dekoration, nur mit ein paar Spiegeln. Zwei junge Frauen bedienten mit einer Freundlichkeit, die mich geradezu misstrauisch machte.

Auswahl gab es nur in dem „menu gastronomique“ für 65 Euro, der Pinot Noir kostete 45 und der Apéritif startete bei 8 Euro.

Wir gönnten uns den Pinot Noir, allerdings nur zwei Gläser, und sagten uns dann: Wenn die Köche wirklich gut sind, sdann müssen sie es halt beim Tagesmenü beweisen.

Das war Lachs in Sauerampfersoße mit Reis. Dazu gab es Brot. Und als Dessert „Früchtecocktail“ .Um es kurz zu machen: Das Brot hat uns gerettet. Ohne die zwei Körbchen, die ich nachorderte, wären wir hungriger rausgegangen als wir reingekommen waren. Die hübsche Bedienung hatte meine schlechte Laune offenbar nicht realisiert

„Hat es Ihnen geschmeckt?“ fragte sie hoffnungsvoll

„Meinen Sie den Weight-Watcher-Teller?“

„ Pardon?“

„Ja, diese hübsch arrangierte Andeutung von Nahrung....“

Gespieltes Erstaunen bei der jungen Frau, große Augen und eine gewisse Hilflosigkeit, während wir tapfer lächelten

Nachdem wir der Bistro-Kasse für den Flop knapp 60 Euro dagelassen hatten, gingen wir noch eine kleine Runde durch den Ort. Den Kaffee wollten wir nämlich in einer gemütlicheren Kneipe einnehmen. Als wir dort fertig waren, sahen wir eine Bäckerei … geöffnet.. Was taten wir?

„Deux eclairs au chocolat, s´il vous plaît!“

Und mit zwei dicken Schoko-Liebesknochen in der Hand wollten wir zum Ausgang. Da kam uns jemand entgegen, den wir kannten, die Bedienung aus dem „Le Huit“.

Sie hatte wirklich schöne Augen, vor allem, als sie die wieder so groß öffnete...

Die Wahrheit oder Schönfärberei? muss ich jetzt doch nochmals fragen.

Und ich frage nicht als Restaurant-Tester, sondern als jemand, der sich gerne sportlich bewegt, auch im Schatten eines Monsieur Lebrun. Soll ich den Tennispartner, meinen einzigen, mit dem Fiasko seiner völlig verfehlten Empfehlung konfrontieren, nach dem Motto „Wolltest Du uns auf den Arm nehmen?“ oder soll ich mir eine Sauerampfer-schleimige Soße ausdenken, ganz wie im „Le Huit“ und ihm die ums Maul schmieren, Tenor: „Wauww – Fabrice! Da hast Du uns wirklich mal etwas Grandioses entdecken lassen, Du bis halt doch ein echter Kenner...“

Ich denk - und ich habe lange nachgedacht, - die Frage ist falsch gestellt.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (29.04.22, 08:36)
"sdann" ?

 Regina (29.04.22, 08:38)
Er hat es doch gut gemeint.
Da beschreibst du schon eine gewisse Schere zwischen arm und reich, obwohl du und deine Frau keineswegs bettelarm seid und der Monsieur nur relativ wohlhabend. Gerade noch der Tennissport verbindet euch. Da gibt es aber schon, in Frankreich wie in Deutschland, Gesellschaftsschichten, die nichts mehr verbindet.

 eiskimo meinte dazu am 30.04.22 um 12:58:
Der Abstand der sog. Elite zu den einfachen Leuten ist in F. deutlich größer als bei uns.
Das hat nicht nur mit Geld zu tun.
LG
Eiskimo
Taina (39)
(29.04.22, 09:21)
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 eiskimo antwortete darauf am 30.04.22 um 13:02:
Danke für die Tipps. Wenn man die Wahrheit sagt, kommt es ja auch immer drauf an, wie ...
Ich werde mich nicht verbiegen.
LG
Eiskimo
Taina (39) schrieb daraufhin am 30.04.22 um 13:31:
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 eiskimo äußerte darauf am 30.04.22 um 15:05:
Den eigenen Vorteil sehen (hier das Tennis) oder die Pflicht zur Wahrheit (der peinlichlich schlechte Tipp) - wie oft wählen wir den eigenen Vorteil...
Siehe die aktuelle Politik.
Taina (39) ergänzte dazu am 30.04.22 um 15:30:
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 AZU20 (01.05.22, 14:49)
Ja, um dieses Entweder- Oder kommt man anscheinend selten herum. LG
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