1.2.
 Inhalt 
1.4. 

1.3.

Text

von  Undina

Auch Clemens' Zeit über die 100 Meter sorgte dafür, dass Dirk in einen beinahe schon euphorischen Begeisterungssturm ausbrach und Clemens konnte nicht verhindern, dass sein Blick währenddessen zu Timo rüberwanderte, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und natürlich wieder unglaublich wütend aussah. Was sich wirklich richtig gut anfühlte.

In seinem alten Schwimmverein war Clemens immer nur im Mittelfeld gewesen und seine damalige Trainerin, eine Frau von ohnehin schon wenigen Worten, hatte sich niemals ein Lob für ihn abgerungen. Selbst die Besten von ihnen hatten selten eins bekommen. Und jetzt an der Spitze zu stehen und mit Komplimenten überschüttet zu werden, das war absoluter Balsam für Clemens' Seele. Und endlich war da mal jemand, der ihn beneidete, weil er so gut war und nicht umgekehrt. Denn was anderes sollte Timos Wut denn sonst sein, außer Neid?

Das waren natürlich weder besonders nette noch besonders konstruktive Gedanken, weil sie ja am Ende alle immer noch eine Mannschaft waren, aber Clemens konnte, zumindest im Moment, nichts dagegen tun.

Am Ende des Training, als alle in Richtung Duschen gingen, sah Clemens Dirk und Timo abseits miteinander reden und er konnte sich schon gut vorstellen, worum es ging. Auch ihm war damals gesagt worden, dass er sich bitte etwas mehr anstrengen sollte, wobei Dirk das Timo vermutlich auf nettere Art und Weise klarmachte, als es seine alte Trainerin damals bei Clemens getan hatte.

Da es wirklich ein kleines Schwimmbad war, es deswegen auch nicht genug Duschen für alle gab und die anderen Jungs schneller gewesen waren, als Clemens, musste er noch ein paar Minuten auf eine freie warten. Aber auch danach hatte er es nicht eilig, fertig zu werden, da ihn wirklich absolut nichts zurück nach Hause zog.

Als er schließlich die Tür zur Schwimmhalle in Schloss fallen hörte und das natürlich nur Timo sein konnte, hielt er grade sein Gesicht mit geschlossenen Augen in den Wasserstrahl und genoss die Wärme und er hatte auch nicht vor, das wegen Timo jetzt zu ändern. Auch, wenn er sich auf einmal etwas unbehaglich fühlte – aber nur für eine Sekunde, definitiv nicht genug, um jetzt zu verschwinden; die Genugtuung würde er Timo sicher nicht geben.

Er hörte, wie der ebenfalls eine Dusche anmachte und je länger sie beide wortlos unter ihren Duschen standen, desto angespannter wurde die Atmosphäre in diesem Raum, zumindest empfand es Clemens so und er spürte die Feindseligkeit, die Timo ausstrahlte und die auch nicht von den gekachelten Wänden der Duschkabine aufgehalten werden konnte, beinahe körperlich. An Entspannung war jetzt auch nicht mehr zu denken, dafür kam Clemens seine Mutter in den Sinn, die sicher immer gerne übertrieben Sorgen machte, wenn er mal etwas später kam und er hatte wirklich keine Lust auf irgendwelche Ansprachen, womöglich auch mal wieder unterlegt mit nervigem esoterischen Kram.

Also trat er mit einigem Bedauern aus der Kabine, nahm sein Handtuch und ging zu seinem Schrank, um seine Tasche zu holen.

Beim Anziehen trödelte er zwar nicht mehr groß rum, beeilte sich aber auch nicht sonderlich und als er schließlich in den Gang trat, wäre er fast mit Timo zusammengestoßen. Der sah ihn für eine Sekunde mit einem Blick an, bei dem Clemens unwillkürlich die rechte Hand zur Faust ballte, aber dann war die Sekunde vorbei, genau wie Timo.

Clemens ließ ihm einen Vorsprung, allerdings rechnete er bereits damit, dass er Timo an der Haltestelle wiedertreffen würde. So funktionierte diese Welt doch meistens.

Aber nicht nur, dass er Timo schon nicht mehr sah, als er aus dem Gebäude kam, er wartete auch nicht an der Bushaltestelle. Clemens war darüber ziemlich erleichtert, denn er hätte wirklich keine Lust gehabt, jetzt auch noch mit Timo in einem Bus zu sitzen. Um dann vielleicht auch noch festzustellen, dass er bei ihm im Dorf wohnte. Aber das wäre doch auch so gewesen, wie die Welt eigentlich funktionierte: Die netten Leute lebten in der Stadt und der eine blöde Kerl im Dorf.

Was Timo anging, reichte es Clemens definitiv, ihn zweimal die Woche zu sehen, während das Schwimmtraining nach seinem Geschmack auch jeden Tag hätte stattfinden können.

Allerdings würde ab nächster Woche jetzt auch noch die Schule dazu kommen und Clemens' Gedanken begannen jetzt immer mehr um den ersten Schultag und die Schule allgemein zu kreisen und mit seinem Vater loszugehen, um noch ein paar nötige Sachen wie Hefte und Stifte zu kaufen, machte die ganze Sache nur noch greifbarer.

Clemens lag jetzt häufiger nachts wach und dachte darüber nach und je mehr seine Gedanken darum kreisten und je mehr Situationen er sich ausmalte, von denen die meisten sicherlich niemals so stattfinden würde, desto mehr wünschte er sich, dass es endlich wirklich losgehen würde, damit diese Ungewissheit ein Ende hatte.

Das Schwimmtraining war da natürlich eine mehr als willkommene Abwechslung und Clemens war wirklich erleichtert, als es Mittwoch war, weil er seinem Gehirn jetzt endlich etwas anderes zur Beschäftigung geben konnte.

Wie üblich standen sie am Anfang alle zusammen und Dirk ging mit jedem seinen Plan für dieses Training durch, begleitet von einigen motivierenden Ansprachen was zukünftige Wettkämpfe anging und als er grade eine davon beendet hatte, stand Timo plötzlich auf und räusperte sich. „Ich finde, ein Punkt auf deiner Liste sollte heute auch sein, dass Clemens und ich einmal gegeneinander schwimmen,“ sagte er laut und als Dirk den Mund öffnete, redete er gleich weiter. „Ich hab's beim letzten Mal echt viel zu sehr schleifen lassen, aber das wird heute definitiv anders sein!“

Dirk sah Clemens an. „Wäre das für dich in Ordnung?“ Clemens nickte. Natürlich war es für ihn in Ordnung. Er sah sich schon als den sicheren Sieger, denn was sollte sich seit Montag groß geändert haben? Er kannte zwar Timos Zeiten nicht, aber angesichts Dirks Reaktion mussten seine eigenen um einiges besser sein.

Natürlich war es nicht besonders schlau, davon auszugehen, dass er auf jeden Fall gewinnen würde, aber Clemens konnte einfach nichts anders, als sie beide nebeneinander zu den Startblöcken gingen.

Sie brachten sich in Position und nachdem Dirk ,Los' gerufen, Clemens sich vom Startblock abgestoßen und mit einem sauberen Kopfsprung eingetaucht war, da hatte er schon völlig vergessen, dass er hier jetzt grade gegen Timo antrat und dass er unbedingt gewinnen musste. Jetzt konzentrierte er sich nur noch aufs Schwimmen, genau, wie es auch sonst bei Wettkämpfe gewesen war. War der Druck vorher noch so enorm gewesen, sobald Clemens im Wasser war, war er immer sofort verschwunden gewesen.

Aber selbst, wenn Clemens sich die ganze Zeit bewusst gewesen wäre, dass er hier gegen Timo antrat, hätte er sich keine Sorgen machen müssen, denn als er nach den 100 Metern anschlug, war Timo noch ein ganzes Stück hinter ihm, gemessen in Sekunden, nicht Hundertstelsekunden.

Was Clemens anging, so war die Sache für ihn erledigt, nachdem er aus dem Wasser gestiegen war und er hätte jetzt gerne mit dem weitergemacht, was Dirk für heute für ihn vorgesehen hatte. Das Einzige, was ihn jetzt noch interessierte, war seine Zeit und er ging zu Dirk, um selber einen Blick auf die Stoppuhr zu werfen.

Aber Timo hatte das Ganze natürlich noch nicht abgehakt. Clemens hörte ihn hinter sich laut ,Verdammter Scheisse!'  rufen und als er sich umdrehte, sah er, wie Timo einmal wütend mit dem Fuß auf den Boden stampfte. Dann hob er den Kopf und Clemens gelang es nicht schnell genug, wieder wegzugucken, sodass sich ihre Blicke trafen.

„Na, bist du jetzt zufrieden, du Drecksack,“ schrie Timo ihn mit wutverzerrtem Gesicht an und Clemens, der nicht damit gerechnet hatte, dass Timo ihn so anfahren würde, wusste für eine Sekunde nicht, was er darauf erwidern sollte und in dieser Sekunde drehte Timo sich um und rannte zum Ausgang.

„Nimm dir das bitte nicht zu Herzen,“ sagte Dirks Stimme da neben Clemens. „Er ist einfach unglaublich ehrgeizig und Verlieren fällt ihm deswegen auch ziemlich schwer, wie du ja grade gesehen hast. Das ist auch nicht das erste Mal, dass er hier so ausgerastet ist und ich hab mir schon fast gedacht, dass das jetzt wieder passieren würde.“ Er seufzte einmal. „Ich war eigentlich gegen dieses Wettschwimmen, aber dann hätte er mich für den Rest der Zeit damit nicht in Ruhe gelassen. War vermutlich nicht pädagogisch besonders wertvoll, aber vielleicht motiviert ihn das ja, jetzt wieder mehr Gas zu geben. Er hat sich in der letzten Zeit wirklich ein bisschen zu sehr auf seinem Thron ausgeruht, aber das ist ja jetzt vorbei. Und dann hab ich hoffentlich bald zwei exzellente Schwimmer für den nächsten Wettkampf. Ich hab mir überlegt, dass wir dich über die 100 Meter starten lassen,“ schaltete er dann wieder in den Schwimmtrainer-Modus, während Clemens immer noch über die Szene von grade nachdenken musste und sie ließ ihn auch bis zum Ende des Trainings nicht mehr los.

Diesmal trödelte er nicht unter Dusche und ließ sich auch beim Anziehen nicht mehr Zeit als nötig, nicht, weil es ihn jetzt nach Hause zog, aber diesmal hielt ihn auch nichts in diesem Schwimmbad. Obwohl es natürlich sein konnte, dass Timo draußen auf ihn wartete. Nachdem er grade so ausgerastet war, war Clemens ziemlich überzeugt davon, dass er einer Prügelei nicht abgeneigt war.

Wenn er es drauf anlegte, dann würde Clemens sich auch mit ihm prügeln, das stand außer Frage. Nur vielleicht nicht unbedingt nach dem Training, denn er merkte deutlich, dass er auch nach drei Wochen immer noch einen ziemlichen Trainingsrückstand hatte, nachdem er davor wegen des Umzugs über einen Monat lang gar nicht trainiert hatte. Deswegen war er nach dem Training auch immer noch ziemlich fertig und jetzt definitiv nicht in der Lage für eine Schlägerei.

Er merkte selber gar nicht, wie angespannt er innerlich war und als eine Stimme seinen Namen sagte, nachdem er aus der aus der Tür nach draußen getreten war, machte sein Herz einen heftigen Satz und für einen Moment war er sich absolut sicher, dass es Timos Stimme gewesen war. Aber dann schaute er genauer hin und es war nicht Timo. Es war einer seiner Mitschwimmer, aber Clemens konnte sich nicht an seinen Namen erinnern, wenn er ihn überhaupt schon mal gehört hatte.

„Hey,“ sagte er und nickte Clemens zu. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich das echt ne krasse Sache fand, wie Timo vorhin ausgerastet ist. Der Typ hat sie nicht mehr alle! Bei mir ist der auch schon so abgedreht, weil ich auch besser gewesen bin, als er. Aber der ist nicht nur beim Schwimmen so. Er ist in meiner Parallelklasse und ich hab schon so einige krasse Geschichten über den gehört. Seine Eltern sind wohl total ehrgeizig und deswegen kriegt er immer Probleme mit denen, wenn er irgendwo mal nicht der Beste ist.“

Clemens hatte absolut nicht damit gerechnet, dass er ihm ausgerechnet so etwas erzählen würde und deswegen war er für eine Sekunde zu überrascht, um irgendetwas darauf zu erwidern. „Ok,“ sagte er dann. „Danke für die Info.“

Der Junge nickte. „Kein Ding. Wir müssen ja alle zusammenhalten, vor allem, wenn einer so drauf ist. Aber mal was Anderes: Du schwimmst echt geile Zeiten, Mann. Mit dir haben wir jetzt bestimmt endlich mal die Chance, wieder was zu gewinnen. Das letzte Mal, dass dieser Verein mal richtig was gewonnen hat, war noch, bevor ich geboren wurde. Das Beste, was wir erreicht haben, war n vierter Platz. Und erster Platz ist natürlich eindeutig geiler.“

„Klar,“ stimmte Clemens ihm zu. Nebeneinander waren sie einfach losgelaufen, während sie sich unterhielten und er merkte erst jetzt, dass sie in die falsche Richtung gelaufen waren.

„Ich muss dann jetzt mal wieder umdrehen,“ erklärte Clemens deswegen.

„Wohnst du hier in der Nähe?“ wollte der Junge wissen und Clemens lachte einmal. „Schön wär's. Aber ich darf jetzt mit dem Bus zurück in mein Kaff fahren.“

„Oh man,“ stöhnte der Junge. „Ich weiß genau, welches du meinst. Die Gegend da ist echt tot. Ich hab n Freund, der wohnt da, da gibt’s echt nur Langeweile pur.“

„Absolut,“ stimmte Clemens ihm aus vollem Herzen zu und hoffte insgeheim, dass er jetzt vorschlug, dass sie sich vielleicht auch mal außerhalb des Trainings treffen könnten, damit Clemens der Langeweile entkommen konnte.

Doch der Junge schlug nichts dergleichen vor, aber immerhin begleitete er Clemens noch bis zur Bushaltestelle. „Ach, bevor ichs vergesse,“ sagte er dann. „Ich heiß übrigens Benedikt.“ Und als Clemens den Mund öffnete, hob er die Hand. „Mach dir keinen Kopf, ich hab echt nicht damit gerechnet, dass du meinen Namen kennst. Aber deinen hat natürlich gleich jeder behalten, du bist jetzt schließlich der neue König des Schwimmbeckens.“

„Der Titel ist genial, den nehm ich natürlich gerne,“ erwiderte Clemens und lachte, während er sich in seinem unerwarteten Ruhm sonnte.

Sie hatten die Haltestelle inzwischen erreicht und Benedikt nickte ihm einmal zum Abschied zu. „Bis Montag,“ sagte er.

„Bis Montag,“ erwiderte Clemens und nachdem Benedikt gegangen war, seufzte er einmal und ließ sich auf die Bank fallen. Er hatte noch nicht auf die Uhr geguckt, aber er war sich sicher, dass er jetzt mal wieder mindestens eine Viertelstunde auf den Bus warten durfte.


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