Vanille Kokos

Erzählung

von  minze

Dieser Text gehört zum Projekt    Corona-Texte

Ich erinnere mich an alle Elemente, die sich zwischen einander schieben an diesem Donnerstag.


Die Polizei hat ihre Arbeit getan. Ich gehe aus dem Kinderhaus und glaube, dass die psychischen Nachwirkungen noch kommen oder die, die aufgebrochen sind, inmitten eines Heilungsprozesses sind. Der Vater, der sich vor das Haus gestellt hat, die Scheiben eingebrochen hat, war kaum flüchtig, er war nicht so schnell. Es haben kaum Kinder gesehen, aber zwei Mitarbeiter, die schon vorher wussten, woher der Mann kommt, aus welcher Geschichte, wie er seinen Kindern gegenüber ist. In der Presse lese ich, dass alle Behörden gut zusammen arbeiten. Es klingt so wenig aufgeregt, es klingt sehr lösungsorientiert, es ist vielleicht meinem Chef zu verdanken, der sehr genau und schnell bei dem wichtigsten Vertreter der Zeitungen angerufen hat. Das ist neu für mich, dass das in dieser Richtung so zielgerichtet geht.


Wir essen am Tag nach dem Vorfall das erste Mal zusammen Mittagessen. Er bietet mir nach dem Reis und dem Kaffee einen Kaugummi an. Ich nehme ihn aus seiner Hand, kaue ihn, während ich Kaffee trinke.


Ich halte inne, es ist vielleicht ein Fehler. Ich glaube, bei Kaffee macht das nichts aus. Wir sehen uns an. Er geht, nachdem ich ihm gesagt habe, wie ich vorgehen werde.



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Als ich nach Hause fahre, will ich aufpassen, dass ich keinen Unfall mache. Ich esse wenig, das liegt mir nicht und es ist sehr schnell heiß geworden. Ich stelle mir in diesem Jahr keine Fragen mehr: ob es angemessen ist, ins Freibad zu gehen. Die Pandemie wird nebensächlich, ich gehe nach den vollen Tagen im Kinderhaus mit meinen Kindern ins Freibad, dort gibt es einen Teil von dem, was sie möchten. Rutschen, Pommes und länger bleiben, zu spät ins Bett gehen. Ich bin so lange da, wie der Tag noch kraftvoll ist. Er fordert mich in dieser Kraft. Die Tage sind so stark. So viel Energie darin gebunden.


Meine Energie, mit allen zu sprechen, alle Verfahren abzuwickeln, die wichtig sind nach der Gefahr, den Drohungen und allen Zusammenhängen, die der aufgebrachte Vater ausgelöst hat. Es ist auch die Energie, die mich überkommt, wie die ersten Kinder am Tag nach dem Vorfall nicht zögerlich, sondern mit lautem Lachen und mit vielen Fragen und mit zerbeulten Knien ins Kinderhaus strömen. Manche sind schon zehn Minuten vor der Zeit.


Wie ich noch zum Bäcker fahre, mir merke, wie viel von allem wir brauchen und mit der ich meine Kinder aus ihrem Kindergarten hole, sie tröste, weil ich so spät komme, weil Papa im Zimmer bleibt, weil er krank ist.



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Ins Freibad gehe ich mittwochs. Am Donnerstag ist es anders. Als ich nach Hause fahre, pass ich auch auf mit dem Fahren. Ich spreche trotzdem eine Voicenachricht an Franzi. Ich sage ihr, wir können joggen, wenn die Kinder schlafen, vielleicht, ich würde noch einmal Bescheid sagen.


Ich finde Johann zu Hause elend. Ich gehe kurz rein ins Zimmer, geschützt, lege meine Hand auf seine Beine, ich will ihn streicheln und kann mich nicht zu ihm legen, denn ich glaube den negativen Coronatests nicht, das fühlt sich gemein an. Wem glaubst du jetzt? Dann verlangt er einen Arzt und ich zögere, ich dachte, wir warten zwei Tage, irgendwann kommen die Kräfte. Er ist unruhig, weil Symptome dazu kommen, die nicht okay sind. Ich sitze vielleicht das erste Mal in den letzten drei Tagen bei ihm und höre es mir an. Er redet viel von dem, was er am Herzen spürt und ich weiß, als er es sagt, dass ich das in seinem Modus nicht am Abend und in der Nacht hören möchte. Er kann sich nicht hinbringen, es nicht deutlich verlangen, aber etwas will in seinem versagenden Körper, in seiner Mattheit, dass jemand was tut jetzt, dass ich ihm helfe. Wir fahren zum Arzt.


Die Kinder nennen ihn Dr. Love, es war Johanns Bezeichnung, weil ich ihn heiß finde. Ich muss mit Johann und den Kindern auf dem überhitzten Parkplatz warten, eine Stunde legen wir für Papa den Beifahrersitz zurück, wir kurbeln die Lehne nach hinten. Wir rennen und verteilen die Steinchen, die schon seit über einem Jahr am Rande des Parkplatzes sind. Der Hof wirkt fertig, die Steine sind noch da. Joscha schaut sehr viele Kinderserien, es hält mich ab, an meinem Handy zu sein. Mara wirft Steinchen und galoppiert. Ich warte über eine Stunde auf Dr. Love und kann nicht ganz erkennen, was in ihm vorgeht, als ich von Johanns Verfassung erzähle und Johann versucht, sich zu erklären. Er ist nicht irritiert von dem Sound aus Joschas Serien, ich will kurz hingehen und es leise drehen, doch er kann sich gut konzentrieren, auch wenn wir die letzten Patienten sind. Zuvor auf dem Parkplatz gehe ich immer von links nach rechts, von rechts nach links, ich denke, dass es gut ist, wieder ins Freibad zu gehen, ich denke, dass die Kinder beschäftigt sind, aber ich etwas brauche: ich brauche eine Sitzgelegenheit, ich brauche etwas zu essen, die Kinder nicht, dabei denke ich immer gegen 18:00 Uhr, sie brauchen jetzt was. Die Kinder brauchen etwas zu essen. Ich brauche mich. Ich sorge mich um Johann, ich schaue nach Joscha und Mara. Ich brauche etwas zu essen und das Sofa und niemanden um mich.



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Es war okay, dass ich zu Johann gekommen bin. Er war einsam in den drei Tagen. Jetzt, die letzten anderthalb Stunden, mache ich wieder zu unter der Sonne. Dr. Love erkennt keine Unregelmäßigkeiten, schon als er Johann untersucht, lasse ich los. Ich heule zwar, das ist etwas versteckt unter der FFP2 Maske, erstaunlich, viel vom Heulen passiert mit der Nase, sogar mit dem Mund, ich habe gar nicht den Eindruck, als würde extrem viel aus den Augen kommen. Ein bisschen neu, diese Erfahrung. Ich heule, aber ich lasse den Ablauf der Geschehnisse zu. Die Sprechstundenhilfe hat Gummibärchen und malt mit Mara, Mara sucht sie danach, weil sie die Verpackung in den Müll werfen will, ich weiß nicht, was mit Joschas Gummibärchentütchen passiert.


Er erkennt keine Unregelmäßigkeiten, die Symptome müssen also weiter im Krankenhaus abgeklärt werden. Er sagt, dass ein Rettungswagen Johann holen wird, Johann weint nicht, ich spüre nur eine Hilflosigkeit, die durch ihn geht, blass, denn es wird über ihn gesprochen. Ich bin erleichtert. Ich werde ihn nicht fahren. Ich werde nicht durch die heiße Stadt mit den Kindern müssen, ich werde etwas essen können, ich kann diese Aufgabe abgeben. Johanns Arm nehme ich an mich und sage ihm, dass das gut so ist. Ich denke nicht daran, wie es für die Kinder wird, den Rettungswagen zu sehen, da kommt er schon, mit der Trage und ich glaube, die Rettungssanitäter sind zu viert, ein Notarzt ist dabei. Joscha schaut gar nicht so interessiert, die Hitze hat ihn müde gemacht und er ist so fokussiert auf die Filmchen. Mara hat die Verbindung zur Sprechstundenhilfe, sie ist immer in Maras Nähe, sie sind zusammen, weil sie sich ansehen oder sprechen oder über die Biene überlegen, die sie gemeinsam malen. Mara fragt schon später, ob Papa wieder kommen wird und ich erkläre, sie messen an seinem Herz, ob er eine Medizin oder eine Operation oder eine Nacht ausruhen braucht. Dann fährt der Wagen weg, ich habe Johann gesagt, dass das Krankenhaus in der Nähe ist und meine Energiekurve geht runter, sie flacht ab und ich denke an die unauffälligen Werte vom EKG und vernachlässige die anderen Symptome, die Johann gespürt hat.



Es bleibt noch eines, ich fahre das zweite Auto mit den Kindern zur Werkstatt um die Ecke, wir laufen durch den schwacher werdenden Sommerabend nach Hause. Dann lassen wir sehr viel Wasser in die Wanne und das neue Duschgel, das ich bei Netto gekauft habe. In den zwei Jahren zuvor habe ich was Ökologisches gekauft mit viel Porto, aber in einer Vorteilspackung. Jetzt riechen wir nach Vanille Kokos. Es ist so klassisch, so wie bei meinen Eltern. Ich schreibe niemanden eine Nachricht an diesem Abend.


Ich schreibe Nachrichten, aber nicht zu Johann, auch nicht zum Vorfall im Kinderhaus. Die Kinder setzen Wasser über, ich bin schon draußen, auf dem Teppich und warte, bis die Zeit weiter gnädig vergeht und die Kinder irgendwann ins Bett gehen, ich weiß nicht, was ich danach tun könnte, aber es stellt sich eine Zufriedenheit ein, dass alle versorgt sein werden und ich nur abwarten kann, dass ich alles getan hätte.


Es klopft an der Tür, deutlich. Es ist Franzi, sie hat auch nichts zum Joggen an, sie klopft einfach, ohne, dass ich mich gemeldet hätte. Ich dachte am Klopfen der Türe, dass es jemand Persönliches sein muss. Sie kommt, also kann ich es doch erzählen.

Franzi bringt Mara ins Bett, ich Joscha. Wir trinken Bier und Gin. Wir sitzen draußen.




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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (21.05.22, 09:20)
Ist Gin derzeit immer noch so "in"?

Zu viele Namen, zu nebulös das Ganze, finde ich. Da fehlt ein wenig Klarheit und Struktur. Der Teil mit dem Freibad gefällt mir gut.

 minze meinte dazu am 22.05.22 um 10:41:
Die Antwort soeben auf dem aktuellen Aldi Prospekt, S.14 gelesen. Check this.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 08.06.22 um 18:05:
Ja, aber dein Einstieg bleibt zu nebulös. Warum scheust Du dich dafür, zunächst die Umstände klar zu benennen? 
Der Leser möchte wissen, woran er ist.
PowR.TocH. (58)
(28.05.22, 00:02)
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 minze schrieb daraufhin am 28.05.22 um 13:39:
Hm :) das mache ich und es ist sehr schön, an dieser Stelle dazu ermutigt zu werden.
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