DIE HIER sind auch nicht besser (von wegen Literatur) ... - Romanauszug

Skizze zum Thema Bewusstsein

von  alter79

Angeblich sei ich auf der Gangway ins straucheln gekommen und dann durch den Spiegel der Personenkontrolle in die Zeit gefallen.
„Wann soll denn das gewesen sein?“
„Das weiß niemand!“
„Gibt es keine Zeugen?“
„Niemanden!“
„Aber den Flug müsste man doch feststellen können?“
„Sie meinen die Flugnummer? Leider nein; auch die nicht.“
„Ich war also einfach da?“
„Ja, so ist es. Das Einzige ist, dass Sie international eingeflogen sind.“
„Wieso?“
„Weil Sie sich hier in der Zollzone aufhalten.“ Klar. Nichts ist so ordentlich wie die Ordnung. Zumindest in Deutschland. Beim Zoll. Auf dem Flughafen. Otto Lilienthal. In Berlin. Ich weiß, es geschieht alles doppelt. In zwei Zeitebenen. Doch was macht das schon?

Nicht weit hinter der Drehtür mit Aufschrift EXIT steht Molloy. Er scheint satt im Erfolg. Grinst zufrieden zu mir hin, den Arm halbhoch, die Hand ausgestreckt und krümmt den Zeigefinger der Faust, als würde er eine Pistole abfeuern wollen. Worauf grell tönend Alarm losgeht, bunte Raketen in die Luft steigen, einige Sicherheitsleute gerannt kommen und Molloy, der sich mit Fäusten und Füßen wehrt zu Boden ringen um ihm Handschellen anzulegen. Daraufhin einer der Zöllner zu einem nussbraunfarbenen Schränkchen neben dem Gepäckband geht, um mit einem dampfenden Glas Gin in der Hand zurückzukehren und zu mir „Nehmen Sie bitte einen auf den Schrecken!“ sagt. Und ich denke es ist alles ein Fake, so wie die Drehtür in Elmer Gantry (Erscheinungsdatum 1960. In der Verfilmung mit Burt Lancaster, Jean Simmons, Arthur Kennedy; freigegeben ab 16 Jahren), wo Gott persönlich attraktiv, opportunistisch und ohne jegliche Moral auf dem Flugplatz des Himmels den Boss allen Übels gibt und fett im Geschäft (mit dem Leben der armen Teufel um ihn herum) steht. Aber hier nun (wohl des besseren Ansehens wegen, oder) um der Welt zu beweisen wie menschenfreundlich und christlich gesonnen den Teufeln seine Zöllner sind, offenbar Gnade vor Recht ergehen lassen will. Dabei werde ich schon an die sechs Wochen in unmenschlichster Art und Weise gefangen gehalten, wie ich auf meiner längst stehen gebliebenen Lebensuhr ablesen kann. Und niemand weiß, nicht mal diese dusselige Uhr, warum mein Manhattan Transfer Richtung Himmel nicht weiter geht; ja, so was macht mich echt kribblig. Denn irgendwann möchte jeder, auch der Teufel Ich, schließlich wissen wie es ist, wenn man stirbt.

Ich höre mal wieder Udo Lindenberg: ’Ein Herz kann man nicht reparieren, ist es einmal entzwei dann ist alles vorbei ...’ Doch ob mir das Trost sein kann? Ich weiß es nicht. Jedenfalls halte ich mich vom Küchenfenster fern, weil aus einer Wohnung auf der anderen Straßenseite jemand mit einem Fernglas glotzt. Ich kann den Spanner genau sehen, obwohl ich nur ein altes Jagdglas vom Trödler an der Ecke habe, - es ist ein bulliger Typ mit Vollbart, Glatze und Knollennase. Und mit einem besseren Glas würde ich den auch noch riechen können, denn so wie der aussieht, riecht der auch - sagt mir meine langjährige Erfahrung vom leben mit Menschen auf allerengstem Raum.

Sie halten mir die automatische Gesichtserkennung vor. Die ist auf 76.78 Grad schräg - und vermutlich Richtung Sonne ausgerichtet. Leider gibt es kein Streuobst dort. Dafür sind an einem Bach Tannen gepflanzt, die dunkle Schatten werfen. Mir haben sie deswegen eine Klarsichthülle über den Kopf gezogen, um meinen Hunger auf Freiheit zu dämpfen. Doch daran halte ich mich nicht. Schiebe das rotweiße Absperrband zur Seite und gehe Richtung Grablichter, weil dort die die Wahrheit zu finden sein soll, behauptet jedenfalls eine uralte Sage. Doch nichts. Auf den Steinplatten glibberiger Grünspan, braunes Moos und verkohlte Reste einer Paketschnur. Ich muss zu spät sein und jemand anders hat die Freiheit von ihren Fesseln befreit, denke ich. Bemerke noch, wie in der Kneipe gegenüber das Bier zu kochen anfängt. Die Tischbeleuchtung brennt. Eine schwer vertrocknete Rose betrunkenes Glas bricht. Und das ein Brombeerbeet sich freischaufelt. Dabei steht die Zukunft so gut wie leer, als wäre ich vier, neun oder 16 - als ich dann endlich trinken durfte, so viel ich konnte. Das mache ich heutzutage nicht mehr, da gehe ich einfach meiner Wege und trage vorbeugend Löschwasser unterm Hut. Doch irgendwann ist dann nichts mehr davon da. Nur Aggression. Wie am Wochenende in der Sporthalle der Anstalt. Geboren aus meiner Erinnerung. Als ich noch Rastalocken trug um Leute zu erschrecken. Ehrlich, ich habe keine Ahnung was das Wort ’Ausgeliefert’ bedeutet.

Er konnte gehen. Stehen. Vorwärts. Rückwärts. Liegen. Einbeinig auf dem Kopf. Hände auf dem Rücken - gefesselt. Alles ohne zu stolpern. Zu fallen. Stürzen. Zögern. Entschlossen. Zum Moonwalk- Tanz. Auch den. Den auch. Ohne die Hochwasserhosen wie sonst. Bei Mikel. Jacko Five. Und... Dann lag er draußen. Im Freien. Im Winter. Nackt. Fraß Eis- Klee. Mit zackig, expliziten Bewegungen. Wie in Ekstase. Ein Pfund weißes Grünzeugs in Sekunden. Wenn seine Zunge in Form war. Er eine widerstandsfähige Einheit bildete. Wie Fred Astaire in der Hüfte swingte. Trocken. Und unkontrolliert kontrolliert. Völlig weltentrückt. Zerbrechlich. Zart. Wenn sie ihn ins Haus trugen. Sein Widerstand im Kurzschluss geendet. Die Seele zerbröckelt. Ein Junge wie Zuckerwatte. Hing er am Fenster. Schnitten sie ihn ab. War das Flüchten vorbei. Die Pulsadern geöffnet. Tränen. Blut. Kot. Türenschlagen. Sprache und Schlucken. Leibhaftigkeit. Atemnot. Egal. Er ertrug die unverschämte Wucht im Akt, wenn sie ihn von hinten nahmen. Oder in den Mund. Ein halbdutzend geiler Typen. Die testeten, wie weit sie gehen konnten. Nannten es Freiheit. Was Grauen war. Entgrenzung. Unerbittlich und total. Sagten ’Spiel’ dazu. Zum Sich- Gehen- Lassen. Bei ihren Partys. Lästerten Fick- Boy - über ihn. Den Drifter vom Straßenstrich. Mit dem Kaputt- Befund ’Süchtig’. Der sich eine Zeit lang darin gefällt. Und doch leidet. Weil er nicht sein kann = wie sie. Schauspieler. Sänger. Entertainer. Moderatoren. PROMINENT = Kult. All die Arschlöcher im Strudel. Blitzlicht. Das Treibholz der Zeit. Mal oben. Unten. Voll. Full. Suff. Droge. Idiotie. Bettler. So werden wir sie sehen. Hinter den Kulissen. Genau in dieser klassischen Position. Auf dem Boden sitzend. In Demut den Kopf gesenkt. Wenn ich, ihr Richter, das Beil hebe. Für dich. Autist! - Du? Träume einfach weiter. Du! - Doch irgendwo anders. Nicht hier. Kommt der Spruch. Als Befehl. Schreibt Wörter aufs Papier. Meine Trauer. Das Elend der Welt. Berlin = Klo im Bahnhof Zoo. Wie alle wissen. Blau ins Tagebuch. Ohne Sinn. Verstand. Weil ich so blöde bin.


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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (04.07.22, 09:37)
Elmer Gantry (USA 1960), beneidenswert!
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