Der asketische Mann

Tragikomödie zum Thema Existenz

von  Terminator

Der asketische Mann steht, wie der dionysische, negativ zum Leben. Der dionysische Lebemann und der asketische Mönch sind hedonistisch, nicht idealistisch orientiert. Der phallische Mann ist fremdbestimmt-idealistisch (Sklave), der heroische Mann wählt zwar für sich selbst, aber noch einen äußeren Zweck (er ist somit altruistisch-idealistisch), und der apollinische Mann ist als seiender, nicht bloß sein sollender, Selbstzweck, selbstbestimmt-idealistisch.


Der dionysische Mann will das Leben genießen und scheitert an der Begrenztheit des Genusses sowie an dessen leidvollen Konsequenzen: Sex überträgt Krankheiten (die schwerste davon für den Hedonisten ist die Schwangerschaft der Frau), Alkoholrausch führt zum Kater, Völlerei macht dick. Alles Interessante wird mit der Zeit langweilig; die Zahl möglicher Genüsse sinkt im Laufe des Lebens, die Variation des Leidens nimmt zu.


Der asketische Mann ist ein negativer Hedonist: er will das Leid überwinden. Damit ist seine Negation des Lebens doppelt: er nimmt das Leid der Entsagung auf sich, aber nicht, um glücklicher zu leben, sondern, um letztlich nicht mehr zu leben. Der gemäßigte Asket ist Epikureer, dionysischer Mann, der auf solche Lust verzichtet, aus welcher Leid folgt.


Das Leben ist Leiden: das ist die letzte Wahrheit des Asketen. Er lebt es nach bestimmten Regeln in der Hoffnung, nicht mehr leben zu müssen, insofern er seine Prüfung besteht. Dabei kann der Prüfer sowohl persönlich (monotheistischer Gott) als auch unpersönlich (Dharma) vorgestellt werden. Das Karma ist ein negatives Konto, mit dem jedes Lebewesen geboren wird. Das Ziel ist die schwarze Null (Moksha/Nirwana). Der transzendente Herrscher des Universums ist als Garant des Deals "Ich leide, um nicht leiden zu müssen" ein Selbstwiderspruch.


Diesen Widerspruch entwickelt Kants Moralphilosophie. Kant ist ein moralischer Asket. Nicht nur, dass wir nach Kant dem moralischen Gesetz gemäß leben sollen, nein, wir sollen ausschließlich nach dem kategorischen Imperativ als Selbstzweck handeln. Indem der Mensch anerkennt, dass nicht er (bzw. das Leben), sondern das moralische Gesetz Selbstzweck ist, bekommt er die Würde, selbst ein Selbstzweck sein zu können. Dann aber hat er Anspruch auf Glückseligkeit. Und diese ist nicht einfach ein Erlöschen ins Nichts.


Der Zweck der moralischen Askese ist letztlich der Hedonismus: Glückseligkeit bedeutet nach Kant die Befriedigung aller Neigungen, und zwar extensiv, intensiv, und für immer. Und noch mehr: Glückseligkeit ist, wenn mir alles nach Wunsch und Willen geht. Was der moralische Asket anstrebt, ist letztlich der hinduistisch-buddhistische Götterbereich. Aber er darf das Paradies nicht als Zweck setzen: der Zweck der moralischen Askese ist die Würdigkeit, ins Paradies zu kommen.


Kants asketische Moralphilosophie perpetuiert das unglückliche Bewusstsein nach Hegel. Das Getrenntsein vom Absoluten, von der göttlichen Glückseligkeit, ist ein Zustand, der nicht eigenmächtig überwunden werden darf. Nur Gott, das personifizierte moralische Weltgesetz, darf den Asketen erlösen.


Scheinbar geht es beim kategorischen Imperativ um Würde, die dadurch verdient wird, dass man ausschließlich aus moralischer Pflicht handelt. Letztlich ist aber der vollständig befriedigte Hedonismus das Ziel. Ansonsten würde die Würde, wie bei den Stoikern, sich selbst genügen. Kant protestiert: Aber es muss wahr und real sein, dass es dem Guten letztlich wohl und dem Bösen übel ergeht; daran, bloß gut zu sein, kann ich mich nicht erfreuen, wenn ich sehe, dass in der Welt das Böse triumphiert!


Nun, warum nicht zum Helden werden, und das Böse aktiv bekämpfen? Oder, um in der Hierarchie der Männlichkeit nicht abzusteigen, halte es, wie der Stoiker: Du hoffst nicht auf eine jenseitige Glückseligkeit, du tust einfach das Gute, weil es gut ist, und keiner weiteren Gründe bedarf. Dem Bösen ergeht es wohl? Das ändert aber nichts daran, dass all das widerliche Gesindel eben nur Gesindel ist; du bist der höhere, wertvolle Mensch, und der Übeltäter ein ekelhafter Degenerat, der Wert deines Lebens ist der unendliche Wert deiner Würde, und der Verbrecher mit Koks, Nutten und Milliarden ist ein wertloser Untermensch. Reicht es dir nicht, dass das wahr ist? Du hast seinen weltlichen Erfolg nicht, er hat deine Würde nicht. Warum willst du auch das haben, was er hat? Ist die Würde also doch nichts weiter als eine leere Floskel, wenn aus ihr nicht die Berechtigung zu sinnlicher Lust folgt?


Das Leben in der Negation scheitert an der Positivität des Lebens. Das sah Hegel so klar, dass seine Kantkritik seitdem der Schlusspunkt der Moralphilosophie ist: Moral hat nur noch gesellschaftliche, aber keine existentielle Relevanz. Moralität geht über in die Sittlichkeit, und der moralische Asket hat die Wahl: entweder er besteht auf seiner subjektiven Moral und wendet sich damit gegen die Welt und das Leben, oder er verwirklicht die Askese im Stoizismus oder Theravada-Buddhismus. Tertium jedoch durchaus datur: Die Aufgabe der moralischen Selbstgerechtigkeit und die Einsicht in den wahren Selbstzweck, das Schöne, macht aus einem asketischen Mann einen apollinischen.       


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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (05.07.22, 11:03)
Hallo Terminator, unwillkürlich frage ich mich beim Lesen Deines Textes: Wo verortest Du Dich? Wo verorte ich mich selbst? Ja, ich halte es mit den Stoikern, bin freilich oft nicht ganz sicher, was das Gute ist. Und gelegentliche Rückfälle in den gemäßigten Asketen sind auch nicht ausgeschlossen ... Wenn für einen Hedonisten die schwerste durch Sex übertragene Krankheit die Schwangerschaft der Frau ist, bin ich für den Hedonismus verloren; denn von einer Frau Kinder, von diesen jetzt Enkel "geschenkt" zu bekommen, ist für mich die wahre Lusterfüllung. Gruß Quoth

 Terminator meinte dazu am 05.07.22 um 16:45:
De dionysische Mann will das Leben genießen, und keine Bälger am Hals. Darum bekommt er lieber AIDS, als eine Frau zu schwängern. Dem phallischen Mann würde wiederum nichts ausmachen, was mit seinem Kind passiert, wenn er die schwangere Frau verlässt. Ein Mann, der selbst Kinder will, ist schonmal weder dionysisch noch asketisch (er könnte phallisch, heroisch oder apollinisch sein).

Für mich war es mit dem Alter von 18 eine moralische Entscheidung, das Ideal des moralischen Asketen anzustreben. Ich hatte aber jede Menge Lebenslust zu unterdrücken. Im Wesentlichen habe ich das Ideal dann auch erreicht, es fehlte nur noch die Selbsterlösung durch Eremitentum oder Theravada, aber in den letzten Jahren habe ich festgestellt, dass das Schöne, und nicht (wie bei Kant) das Gute der höchste Selbstzweck ist (das Schöne im göttlichen, nicht im trivial-hedonistischen Sinne). Die Loslösung vom alten Meister Kant fiel schwer, denn er hatte an alles gedacht, und nun muss ich allein den Weg des apollinischen Mannes beschreiten.

Die Frage nach dem Guten stellt sich auf jeder Stufe neu; dem Asketen ist das Gute das Höchste. Wie werde ich als apollinischer Mann ein gutes Leben führen? Welche Konflikte zwischen dem Ideal des Schönen und des Guten werden sich ergeben? Darum geht es gerade in meinem Leben.

Antwort geändert am 05.07.2022 um 16:49 Uhr

 Augustus antwortete darauf am 06.07.22 um 12:59:
Heißt es nicht bei Platon, dass das Schöne mit dem Guten nicht untrennbar gedacht werden kann? 

Münden das Schöne und Gute letztlich nicht im Wahren?

 Terminator schrieb daraufhin am 06.07.22 um 19:29:
Die solare Männlichkeit dirimiert sich in die heroische, asketische und apollinische.

Das Ideal des Heroen ist das Wahre.

Das Ideal des Asketen ist das Gute.

Das Ideal des Vollkommenen ist das Schöne.
Taina (39)
(05.07.22, 11:22)
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 Terminator äußerte darauf am 05.07.22 um 16:52:
Der asketische Mann will gar kein Hedonist sein, das Leben ist für ihn eine Frage der Moral, nicht der Lust. Der Hedonist negiert das Leben aus enttäuschter Lust, der Asket aus moralischen Gründen (lies dazu im Hauptwerk von Schopenhauer: Von der Verneinung des Willens zum Leben).
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