9.2015 – 8.2016

Schundroman zum Thema Friedhof

von  Terminator

Bin ich stolz drauf? Nein. Ich bin Solarist. Das Dionysische ist nicht meine Tasse Tee. Aber nachdem ich am 1.9.2015 wieder nach Berlin zog, zog es mich in die Disco. Am 22.6.2014 tanzte ich das erste Mal in einer Diskothek, mit 31. Und ich tanzte gut. Ein Rausch an Vitalität, den die Musik der 80-er und 90-er und der Alkohol ergaben. Ungläubig stutzen einige, dass ich nicht auf Droge war. Nein, die Musik ist die Droge (und der Alkohol das Mittel der Enthemmung). Ende 2015 ging ich fast jedes Wochenende hin. Es wurde 2016 seltener und war 2017 vorbei.


Als Russland anfing, die IS-Terroristen in Syrien zu bomben, war ich stolz. Später kam der Verrat an den Kurden, der Schulterschluss des russischen Autokraten mit dem türkischen Neosultan. Ich war enttäuscht. Auch die Außenpolitik Putins war also Zynismus pur (die letzten Illusionen bezüglich der Innenpolitik verlor ich spätestens 2006). Die Post-UdSSR würde nie mehr mein Land sein. Kasachstan nähert sich der islamischen Welt und China an, Russland verliert alles Humanistische, Moralische und Universalistische, mit dem ich mich als in der Sowjetunion Geborener identifiziert hatte. Obgleich der Zweck nicht die Mittel heiligt, hatte die kommunistische Diktatur einen guten Zweck. Die postsowjetische Kleptokratie ist wie die westliche Ultradekadenz bestimmt vom Willen zum Nichts.



Der Eine macht Silat, der Andere Taekwondo. Man trägt einen freundschaftlichen Kampf aus. Drei Tage später bemerke ich eine Prellung und denke mir nichts dabei. Zwei Wochen später steht fest: das ist ein Bruch. Eine Finger-OP, die Ärzte wollen Vollnarkose geben. Natürlich lehne ich ab und hörensehe der OP bei lokaler Betäubung zu. Eine Stunde später bin ich wieder zu Hause.


Ich bewebe mich weiter: als Doktorand, als Texter, als Lektor, sogar als Gärtner und einfach nur Arbeiter. Der Gips ist ab, im Mai fange ich als Gärtner an. Keine Einarbeitung, nichts wird erklärt: guck zu und mach mit. Ständig Unfall- und Verletzungsgefahr. Aber den Grund für diese Fahrlässigkeit erfahre ich in raschester Bälde: kaum einer der dorthin vom Amt Geschickten hält mehr als einen Tag durch. Die machen krank: Keinbockeritis. Und ich habe mir das freiwillig eingebrockt: zu stolz, vom Geld anderer Leute zu leben. Ich halte durch, lebe mich ein. Es ist mit An- und Rückfahrt ein 10-Stunden-Tag. Doch die Verletzung vom Februar macht sich bemerkbar. Ich habe Ende Mai starke Schmerzen und kündige beim Vorarbeiter an, am Montag zum Arzt zu gehen. Am Samstag bekomme ich die Kündigung per Post.


Drei Wochen Juni, dann wird es mir wieder langweilig, und ich sage zu, als eine weitere Firma sich telefonisch meldet. Diesmal bin ich Arbeiter, der Ochse für alles. Lagermüll, Umzüge, Gartenarbeiten. Es ist mit An- und Rückfahrt ein 12-Stunden-Tag. Ich lese unterwegs die Monographie über die Xiongnu von Lew Gumiljow, dann die Kritik der zynischen Vernunft von Sloterdijk. Aber für alles andere, etwa Bewerbungen auf die Stellen, auf die man sich mit einem Master of Arts halt eben bewirbt, bleibt gar keine Zeit. Diesmal muss ich selber kündigen. Mitte August fängt die "Maßnahme" an, ich bewerbe mich wieder auf akademische Stellen. Das Exposé zur geplanten Dissertation konnte damals nicht anders aussehen, es war mir ein existentieller Ernst. Als asketischer Mann erreiche ich im Jahr 2016 meine Apotheose und verfasse mein gnostisch anhauchendes Glaubensbekenntnis. Doch es geht noch göttlicher. Das Optimum im Solaren ist noch nicht erreicht, ich will apollinisch werden.


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